Zur Problematik von Johann Sebastian Bachs Flötensonaten Von Hans Eppstein (Stocksund) Die Kammermusikwerke für oder mit Querflöte, die unter Johann Sebastian Bachs Namen überliefert sind, geben zu vielerlei Fragen Anlaß. Welche von ihnen sind als authentisch anzusehen? Wann, aus welchen Anlässen und in welcher Reihenfolge sind sie entstanden? Welche von ihnen können als Originalkompositionen gelten? Welche Urversionen sind hinter solchen Wer ken zu vermuten, die anscheinend Transkriptionen darstellen? In der älte ren Literatur werden diese Fragen nur gelegentlich berührt, etwa von Werner Danckert, 1 der die Echtheit der beiden Sonaten mit obligatem Cembalo in Es-Dur und g-Moll diskutiert. Ausführlicher wurden sie wohl erstmals in Arbeiten des Verfassers untersucht, 2 wobei - unter ständiger Berücksichtigung der Quellenlage - das Hauptgewicht auf die Stilkritik gelegt wurde. Die Er gebnisse dieser Untersuchungen mußten weitgehend hypothetischer Art sein, ihr Wahrscheinlichkeitsgrad naturgemäß wechselnd. Nun ist unlängst Robert L. Marshall beim Marburger Bach-Symposium 1978 mit neuen und sehr interessanten Gesichtspunkten zu den gleichen Fragen her vorgetreten. 3 Sein Untersuchungsfeld weicht von dem meinigen nur wenig ab: Er klammert die Sonate für zwei Flöten und Basso continuo G-Dur BWV 1039 aus, bezieht aber andererseits die von mir nicht berücksichtigte Partita für unbegleitete Flöte in a-Moll BWV 1013 ein. Obwohl wir uns über die grund sätzlich zu gehenden Forschungswege durchaus einig sind (Marshall betont am Schluß seiner Ausführungen die Notwendigkeit einer Integration von Text kritik, Biographik und Stilistik), kommt er weitgehend zu Ergebnissen, die von den meinigen stark abweichen. Da er sich - gelegentlich zustimmend, häufiger aber in kritischer Auseinandersetzung - vielfach auf meine genannten Untersuchungen bezieht, erscheint es notwendig, die Probleme der Flötenwerke 1 Beiträge zur Bachkritik. I, Kassel 1934 (Jenaer Studien zur Musikwissenschaft. 1). 2 /. S. Bachs Triosonate G-dur (BWV 1039) und ihre Beziehungen zur Sonate für Gambe und Cembalo G-dur (BWV iozi), Mf 18, 1965, S. 126-137; Studien über J. S. Bachs Sonaten für ein Melodieinstrument und obligates Cembalo. Uppsala 1966 (Acta XJniver- sitatis Upsaliensis. Studia Musicologica Upsaliensia. Nova series. 2); Über ]. S. Bachs Flötensonaten mit Generalbaß, BJ 1972, S. 12—23. Im folgenden werden diese Arbeiten als Eppstein 1965 bzw. 1966 und 1972 zitiert. 3 Zur Echtheit und Chronologie der Bachs eben Flötensonaten: Biographische und stilistische Erwägungen. — Zur Zeit der Abfassung der vorliegenden Arbeit war die deutsche Fas sung von Matshalls Vortrag noch nicht gedruckt, doch hatte mir der Verfasser freundli cherweise eine Kopie des Manuskripts zur Verfügung gestellt. Die deutsche Fassung (die hier nur ohne Seitenverweise zitiert werden kann) erscheint innerhalb des Berichts über das Marburger Bachfest-Symposium 1978 (Kassel 1981). Sämtliche Zitate sind mit der englischen Fassung (]. S. Bacb's Compositions for Solo Flute: A Reconsideration of their Authenticity and Chronology, in: Journal of the American Musicological Society, 32, 1979, S. 463—498) verglichen.