Über Bachs Orgelregistrierpraxis Von George B. Stauffer (New York, NY) Organisten und Organologen haben sich immer wieder mit Fragen der Re gistrierung der Bachschen Orgelwerke befaßt. Weder Bach noch seine Schüler haben irgendwelche allgemeinen Grundsätze seiner Registrierpraxis nieder gelegt, und so ist man der sich hier stellenden Problematik im Laufe der Zeit unterschiedlich begegnet. Unter den ersten, die sich um eine Klärung bemüh ten, befand sich Johann Nikolaus Forkel. Beim Sammeln von Nachrichten für seine Bach-Biographie erkundigte er sich bei Carl Philipp Emanuel Bach über die Art des Orgelspiels seines Vaters. In Sachen Registrierkunst berichtete ihm Emanuel 1 : Das Registriren bey den Orgeln wüste niemand so gut, wie er. Oft erschracken die Organi sten, wenn er auf ihren Orgeln spielen wollte, u. nach seiner Art die Register anzog, indem sie glaubten es könnte unmöglich so, wie er wollte, gut klingen, hörten hernach aber einen Effect, worüber sie erstaunten. Diese Wißenschaften sind mit ihm abgestorben. Diese Antwort Emanuels bildete nun den Ausgangspunkt für eine Kette von Mißverständnissen. Denn die Bemerkung „nach seiner Art“ schien Johann Sebastian Bach von den Praktiken seiner Zeitgenossen abzusondern, und zwar in einer solchen Weise, daß offenbar die Traditionen des 18. Jahrhunderts für seine Orgelmusik kaum Gültigkeit beanspruchen konnten. Folglich schob selbst etwa Friedrich Conrad Griepenkerl bei seiner Diskussion aufführungsprakti scher Aspekte der Bachschen Orgelwerke ältere Konventionen des Registrie- rens beiseite, um sich statt dessen an der Praxis des 19. Jahrhunderts orientie ren zu können. 2 Griepenkerls Hinweise wurden dann später überholt durch wesentlich weniger zurückhaltende Spekulationen, wie sie beispielsweise be gegnen in Albert Schweitzers Befürwortung der Registerwalze oder in Her mann Kellers Reger-beeinflußten Angaben zur Manual Wechseltechnik. 3 Und selbst jüngere und kompetente Studien wie diejenigen von Hans Klotz 4 und Thomas Harmon 5 bieten vielfach wenig überzeugende Ergebnisse, die durch das Mitschleppen uralter Mißverständnisse beeinträchtigt sind. War Bachs Registrierpraxis tatsächlich so unorthodox, wie vielfach angenom men? Nach den verläßlichsten Zeugnissen, nämlich den musikalischen Origi nalquellen und zeitgenössischen Hinweisen zum Orgelspiel, zu urteilen, scheint dies eher nicht der Fall zu sein. Gewiß hat Bach nach eigener Fasson die Re- 1 Dok III, Nr. 801. 2 Vorwort zur Peters-Ausgabe, Bd. I (1844), S. II—III. 3 Ch.-M. Widor und A. Schweitzer, ]. S. Bach: Complete Organ Works, New York 1912; H. Keller, Die Orgelwerke Bachs, Leipzig 1948. 4 Pro Organo Pleno. Norm und Vielfalt der Registervorschrift Job. Seb. Bachs, Wiesbaden 1978 (= Jahresgabe der Intern. Bach-Gesellschaft Schaffhausen 1977). ° The Registration of J. 5. Bach’s Organ Works, Buren-Hilversum 1978; vgl. auch die Rezension des Verf. in: Notes 34, 1979, S. 360—362.