26 Michael Maul Die neu aufgefundene Arie bereichert zweifellos unser Bild der Weimarer Jahre Bachs, als ein ausgesprochenes Gelegenheitswerk verändert sie es hin gegen nicht grundlegend. Die Techniken des Ritornells finden sich etwa im teilweise gleichzeitig gestandenen „Orgelbüchlein“ wieder, 55 und die Gestaltung der bekannten Continuo-Arien zeigt mindestens vergleichbare Raffinesse. Dennoch ist es überraschend, wie souverän der Hoforganist Bach, trotz einer - unseres Wissens nach - bis 1713 nur sporadisch anfallenden kompositorischen Auseinandersetzung mit den vokalen Gattungen, die prob lematische Textvorlage von Mylius in Musik zu verwandeln wußte, dabei den eigenen Kompositionsanspruch keineswegs zurückschraubte, zugleich aber den gattungsspezifischen Prämissen und Proportionen der traditionellen Strophenarie gerecht wurde und weder zuviel noch zuwenig Kunsthaftigkeit in das Werk einbaute, so daß es sich auch nach Erklingen mehrerer Strophen keineswegs abnutzt oder auf den Zuhörer ermüdend wirkt. VIII. Abschließend sei nochmals auf die glücklichen Überlieferungsumstände von BWV 1127 eingegangen. Nachdem die Arie anläßlich des Geburtstags von Herzog Wilhelm Ernst aufgeführt worden war, ließ dieser das von Mylius überreichte Widmungsexemplar in der Schloßbibliothek ablegen, wo es zunächst unter der Obhut der Bibliothekare Salomon Franck und Johann Matthias Gesner wohlbehütet gemeinsam mit vielen weiteren Huldigungs schriften für die nächsten fünfzig Jahre lagerte. Der Umzug der Bibliothek in das „Grüne Schlößchen“ (die heutige Herzogin Anna Amalia Bibliothek) 55 Vgl. etwa die Imitationstechniken in „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ BWV 606 oder „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend" BWV 632.