Joseph Joachim ist uns am 15. August 1907 durch den Tod entrissen worden. In ihm ist ein Künstler von Gottes Gnaden, ein einzigartiger Meister auf dem Gebiete der ausübenden Tonkunst abgerufen worden. Wenn er als Knabe schon das allgemeine Staunen erregte, so daß Mendelssohn ihn „eine herrliche Erscheinung" nannte, so ist er vor den Gefahren, die einem „Wunderkinde" drohen, bewahrt geblieben. In Joachim tritt uns nicht der blendende Virtuose der Geige, sondern der echte, große Künstler entgegen. Niemals hat er sein Können, in dem er keinem Virtuosen nachstand, dazu mißbraucht, sich selbst und seine Meisterschaft in den Vordergrund zu stellen und zu seiner eignen Verherr lichung das Werk zu verwenden, das er den atemlos lauschen den Hörern vortrug. Es war die Selbstlosigkeit des echten Künstlers, in der er allein darnach strebte, in die Tondichtung, die er wiedergab, sich ganz zu versenken und von ihr sich durch dringen zu lassen, so daß allein der das Werk geschaffen hatte in höchster Vollendung zur Geltung kam. Ob Bach oder Beethoven, ob Haydn, Mendelssohn oder Brahms aus dem Klang der Geige zu uns redete, stets zog Joachim mit hin reißender Gewalt, mit der überzeugenden Macht der Wahrheit und des inneritcn Erlebens die Hörer in die Tiefen des Wer kes, dem er selbstlos diente. Ein echter Künstler aber war er, weil er zugleich ein edler, großer Mensch war. In Joachim lassen sich Mensch und Künstler gar nicht scheiden, sie durchdringcn sich in voller Harmonie. Wem das Glück beschieden war, ihm persönlich