Konnte Bachs Gemeinde bei seinen einfachen Choralsatzen mitsingen? Von Rudolf Wustmann (Dresden). In dem Februarheft der Zeitschrift der IMG. hat A. Heuß (Leipzig) u. a. an einem Wort auS einem der Schlußsätze des zweiundzwanzigften deutschen evangelischen Kirchengesang vereinstags (Dessau 1909) Kritik geübt, daran, daß der Kirchen- gesangvereinstag im Gottesdienst bei den Schlußchorälen von Bachs Kantaten wie bei den einfachen Choralsatzen der großen Passionen aus praktischen und historischen Gründen das Mit singen der Gemeinde billigt. Der den Wortlaut dieses Satzes vorgeschlagen und in einem vorausgehenden Vortrag u. a. be gründet hatte, darf zur Verteidigung dieses Wortes hier das folgende sagen. Heuß beginnt seine Ausführungen zu der Frage mit dem Hinweis auf einen nach seiner Meinung zutreffenden Spitta schen Satz aus dessen PassionsgeschichtSdarstellung (Bach II, 319): „Weisen, in die man früher begeistert eingestimmt hatte, ließ man sich jetzt Vorsingen und begnügte sich mit der blaffen Nacbempfindung." Aus diese Ansicht Spittas bin ich in Dessau nicht zu sprechen gekommen, da dort weder Zeit noch Ort war, die Frage von neuem historisch erschöpfend zu behandeln, wo von man sich durch Einblick in die Denkschrift der Tagung leicht überzeugen wird. Ich kann aber meine Ansicht über Spittaö Ausführungen zu dieser Frage nun hier darlegen und will sie gleich dahin zusammenfaffen, daß Spitta mit dem an ihm bekannten bewundernswerten Spürsinn und Fleiß ein vor treffliches Material zusammengebracht, jedoch aus ästhetischem Doktrinarismus einen irrigen Schluß daran geknüpft hat.