Vom Rhythmus des evangelischen Chorals Von Rudolf Wuftmann. Wenn man in der evangelischen Kirche die etwa bis zur Mitte deö 17. Jahrhunderts geschaffenen Gemeindelieder in ihrer alt-musikalischen Form als „rhythmischen Choral" be zeichnet, so begeht man eine doppelte Ungenauigkeit. Diese Lieder waren noch keine „Choräle". Der Begriff Evangelischer Choral* in unserm Sinne hatte sich damals noch nicht eingebürgert; unter choralem Singen verstand man rvo- wiegend die aus der alten Kirche übernommenen liturgischen Gesänge im gregorianischen Choral wie die Prafationen, Rc- sponsonen, Kollekten, die Passionslektion, Tedeum und Mag- nifikat, allenfalls die alten Hymnen in ebenster Form. Erst im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges kommt die Be zeichnung ,Choralmelodie* für einen neuen evangelischen Lied gesang von ganz einfachem Rhythmus vereinzelt vor und er langt dann etwa im Laufe eines Jahrhunderts den heutigen Sinn. Die alten geistlichen Liedweisen waren aber auch noch nicht „rhythmisch" im vollen Sinne dieses Wortes. Sie hatten wohl eine Art Rhythmus wie alles Gesprochene und Gesungene, aber nicht jenen durchgehenden Fluß der Betonung, der erst mit Opitz in das Bewußtsein der deutschen Poetik cinzudringen anfing. Nicht so sehr die Betonung, als das Metrum gab c) Vorgetragen in der Diizesanversammlung zu Annaberg am 15. De zember 1910.