Wilhelm Werker, Studien über die Symmetrie im Bau der Fugen und die motivische Zusammengehörigkeit der Präludien und Fugen des "Wohltemperierten Klaviers" von Johann Sebastian Bach. - Leipzig : Breitkopf & Härtel, 1922
Kritik. 85 übergebundencn Note b des 13. Taktes unstatthafterweise für sich, ohne diesen Schlich auch in dem Paralleltakt 15 (!) an- zuwcndcn, ferner den Praller in Takt 17 als richtigen Triller. In der Fuge dagegen werden die völlig gleichberechtigten Praller in Takt 45 und 55 aus durchsichtigen Gründen als unbrauch bar fallengelaffen. Kann man, wem so etwas in die Feder fließt, auch nur einen einzigen Schritt weit trauen? Dabei wimmelt es von Verklausulierungen. Überall, wo Bach den orthopädischen Gliederverrenkungen Werkers nachgeben muß, und das Exempel zu stimmen scheint, ist er für ihn der unüber troffene Meister der Symmetrie. Stellt jener den Nachgeborenen aber vor Unregelmäßigkeiten, so heißt es sofort vorbeugend: nichts natürlicher als das, denn „aller etüdenhaften Schablone geht Bachs Symmetrie peinlich aus dem Wege" (S. 47, 221). Oder cs werden die armen Herausgeber verantwortlich gemacht, die vor 50 und mehr Jahren nicht ahnten, daß Werker im Jahre des Heils 1922 ihnen ihren Bach buchstäblich an den Fingern herzählen würde. Es ist schon etwas Herrliches um eine eigene Methode! Den Begriff des Motivs als eines Ausdrucksbestandteils, als einer Einheit, die nicht aus Notenköpfen, sondern einzig und allein auS seelischer Substanz besteht, gibt eS für Werker nicht. Die Lage im Takte ist ihm einerlei. Er zerreißt es, wo es sein muß, gefühllos wie einen Fetzen Papier. Die Veränderungen denen es Bach unterwirft, haben sein Interesse nur so weit, als sie ein Würfelspiel mit Noten darftellen. Ebenso rhyth mische Umgestaltungen. Melos ist für ihn Ergebnis bloßen Kalküls. Die Harmonik Bachs, als Mittel des Ausdrucks, wird ganz ausgeschaltet und tritt nur in Gestalt leerer Ton- vcrwandtschaftssymmetricn in Werkers Gesichtskreis. Immer und immer wieder Optisches, nirgends Akustisches, wahrhaft Musikalisches. Es gibt gewisse Kranke, die sich einbilden, eine Kuh sei ein Pferd, und ein Gasthaus eine Kirche. Sie glauben das auch „beweisen" zu können und wundern sich des Todes, wenn ein Gesunder ihnen nicht beistimmt. So erscheint mir Werker in seinen „Studien". Er glaubt fest daran, daß das Thema der Ldur-Fuge folgende Gestalt hat: