Dao hiftorifchc Klangbild im Werk Joh. Seb. Bache Von Wilibald Gurlitt (Freiburg i. Br.) Etwas gekürzter Wortlaut des Vortrags, den Professor Gurlitt am 8. September 1951 auf dem Bach- Fest in Bremen gehalten hat. Der Herausgeber Bedenken wir alles, was in den zahlreichen Feiern laut geworden ist, die zum Gedenken an Joh. Seb. Bach aus Anlaß seines zweihundertsten Todestages am 28. Juli 1950 begangen worden sind, so fällt uns eine kleine Episode schwer auf das Gewissen — uns, die wir nicht gewillt sind, der allzu bequemen Ausrede anzuhängen, wie als ob die Schuld für die furchtbaren Katastrophen,Schutt- undTrümmerfelder nationalsozialistischen Machtwahns nicht in uns selber zu suchen seien, sondern in den anderen. In einem abgelegenen College in Mittelamerika wurde eben an jenem 28. Juli 1950 eine neue Orgel deutscher Herkunft mit Bach scher Musik eingeweiht. Die Orgel trägt folgendes Motto: „Möge diese Stimme der Bach-Orgel etwas von der Größe und dem Geist jenes Deutschlands bringen, das die Welt einst liebte und bewunderte“. Wir hoffen zuversichtlich, daß neben den beiden repräsentativen Gedenkfeiern in Leipzig und Göttingen so manche kleinere und stillere gezeigt haben wird, inwiefern die Maße der Größe des Meisters, dem sie dienten, den Maßen der geistigen Not unserer Zeit entsprechen. Wir wissen, daß Bachs Name und Kunst alles Kata strophen-, Trümmer- und Flüchtlingselend überdauern werden und nicht zu jener Welt gehören, die im letzten halben Menschenalter niedergebro chen und versunken ist. Möchte sich immer mehr zeigen, daß Joh. Seb. Bach, heute wie je, die Menschen anrührt, und daß in der Welt etwas vor handen ist, das ihn sucht. Dieses Etwas liegt dort, wo echte Begegnung mit Bachs gebundener und geordneter Musik, wo bergende Hinnahme ihrer Schönheit und Vollkommenheit das Dasein eines Menschen und eines Volkes erhellen. Diese Seinserhellung wirkt im WerkBachs — einem der mächtigsten Bollwerke des Friedens aller Zeiten — wahrhaft verbindlich, menschen- und völkerverbindend. Im Gedenken und Vorbild mahnt es zugleich an das Friedenswerk, das zu schaffen uns auferlegt ist. Möchte es den Deut schen Bach-Festen unserer Neuen Bach-Gesellschaft gelingen, die Gesamt heit aller Bachfreunde und Bachsucher aus Ost- und Westdeutschland und aus dem Ausland zu einer der wenigen tragenden Brücken zwischen Ost