166 Emst König sondern auch allerhand feine Arien und Motetten auf der Straße und vor den Häusern singen können.“ 7 Auf Befehl seiner Vorgesetzten unterbreitete er ihnen am 28. 7. 1722 ein ausführliches Schreiben, wie „die gänzlich in Verfall gekommene Chor- music wieder aufzuhelfen sei“. In 36 Punkten setzt er die Leistungen des Chores in der Vergangenheit denen der Gegenwart gegenüber, um daraus Schlüsse zu dessen Verbesserung zu ziehen. Aus diesem Bericht spricht ein von der Musik begeisterter Kantor, der auch die scheinbar nebensächlich sten Dinge in den Kreis der Beurteilung aufnahm. 8 Von der gleichen Seite zeigt er sich in einer Beschwerde an die Inspektoren der reformierten Kirche zu Köthen vom 22. 9. 1722. Darin teilt er mit, daß der Organist Müller der St. Jakobskirche und der Stadtmusikant Würdig sich weigern, sonnabends an den Proben für die Kirchenmusik teilzu nehmen. Ausführlich widerlegt er ihre Einwände und schreibt wörtlich weiter: „Überdies ist es höchst nötig, die zu musizierenden Stücke vorher zu probieren, . . . und daß auch die berühmtesten Virtuosen ihre Sachen vorher •zusammen probieren und exerzieren, dessen wir ein klar Exempel an hiesiger Fürstl. Capelle, so alle Wochen ihr Exercitium musicum hält, haben.“ 9 Neben der Hofkapelle waren die Stadtpfeiferei und die Organisten und Kantoren Träger der Musikausübung. Die Stadtpfeiferei bestand als älteste Musikinstitution schon seit Jahr hunderten. Der Stadtmusikant oder Hausmann war verpflichtet, an Sonn- und Feiertagen den Gesang in der Kirche mit Instrumentalmusik zu be gleiten. Um 1720 leitete die Musikantengilde Johann Gottlieb Würdig, der von 1716 ab zugleich Mitglied der Hofkapelle war. Auch Adam Ludwig Weber, ebenfalls Stadtpfeifer, wurde im gleichen Jahre zum Hofmusikant ernannt. Durch diese persönlichen Bindungen war ein gutes Einvernehmen und Zusammenarbeiten gewährleistet. Die Organisten beider Kirchen standen auch in Verbindung mit der Hof kapelle. J. J. Müller, Organist an St. Jakob, gehörte ihr von 1707 bis 1713 an. In St. Agnus versah Chr. E. Rolle das Amt des Organisten. Im Juni 1722 trat er der Hofkapelle bei. Ihn hatte Bach ausgewählt. Die Kantoren standen ebenfalls der Hofkapelle und damit auch Bach nahe. Kantor Göbel war ein Bewunderer Bachs und seines „Collegiums“. Johann Caspar Schultze, Kan tor an der lutherischen Kirche, wählte J. S. Bach als Paten seiner am 28. 10. 1722 getauften Tochter. Nach der erwähnten Beschwerde des J. J. Göbel steht fest, daß an beiden Kirchen eine geordnete Kirchenmusik durchgeführt wurde. Wohl zeigte sich noch immer eine Spannung zwischen beiden Konfessionen. Jede Gruppe wachte peinlich genau über die Einhaltung der erlassenen Verträge. Aber auf musikalischem Gebiete schien alles in bester Ordnung zu sein. 7 Archiv der Superintendentur Köthen, Litt. C 1 Nr. 9 S. 61. 8 wie 7 , S. 69—82. 9 Stadtarchiv, Abt. II, 18.