Zur Frage Oer Gefangbücber Johann Sebaftian Bache Von Werner Neumann (Leipzig) Innerhalb des Bachschen Vokalschaffens stellen die rund 370 verschiedenen Kirchenliedstrophen mit ihren wechselnden Lesarten der Bachforschung die nachdrückliche Frage nach Bachs Gesangbuchquellen. Diese Frage richtet sich in erster Linie auf die Leipziger Schaffenszeit, die bekanntlich die weit überwiegende Zahl aller choralgebundenen Vokalschöpfungen in sich schließt. 1 Welche Gesangbücher standen Bach und seinen Textdichtern während der 27jährigen Leipziger Periode zu Gebote? 2 Die lebensgeschichtlichen Dokumente geben zur Beantwortung wenig An haltspunkte. Aus der Specificatio der Verlassenschafft des am 28.July lyjo seel. verstorbenen Herrn Johann Sebastian Bachs, weyl. Cantoris an der Schule %u St. Thomae in Leipzig (Stadtarchiv Rep. IV no.1800) wissen wir, daß Bach des !Vagneri Leipziger Gesangpuch 8 Bände hinterließ. Es ist dies ein im Jahre 1697 erschienenes Sammelwerk, das mit seinen rund 5000 geistlichen Lieder- 1 Für den Weimarer Kantatenkreis dürfte mit Sicherheit das Weimarer Gesangbuch von 1713 als Textquelle zuständig sein: Schuldiges Lob GOttes / Oder: Geistreiches Gesang huch ... I So in Kirchen und Schulen des Fürstenthums Weimar / wie auch in der Hennebergi- schen Landes-Portion gu gebrauchen / Mit verschiedenen geistreichen neuen Liedern / Samt einem doppelten Register und einer Vorrede Hn. Job. Georg Lairitzens / Fürst/. Sächß. Ober-Hof- Predigers und General Superintendent etc. etc. versehen / Mit Fürst/. Sächß. gnädigsten PRIVJ- LEGIO. WEIMAR / Verlegt und zu finden bey Johann Leonhard Mumbachen / F.S.Hof- Buchdr. 171}. (Vorangegangen war 1708 eine Ausgabe mit dem Titel Weimarisches Gesang-Buch / Oder Schuldiges Lob Gottes . . .). Dieses Gesangbuch wurde durch herzog liche Anordnung vom 28.2.1714 für das ganze Herzogtum als bindend erklärt (vgl. hierzu R. Jauemig in der Weimarer Festschrift „Joh.Seb.Bach in Thüringen“, 1950, S.71, Anm. 59). Mit gleicher Gewißheit darf man für die Arnstädter Periode als maßgeblich jenes 512 Lieder umfassende Gesangbuch annehmen, dessen anonymes Vorwort ,,Geschrieben in Arnstadt, den U.Dec. 1700“ unterzeichnet ist. 2 Eine Differenzierung unserer Frage nach dem jeweiligen Anteil des Textdichters oder Komponisten an der vorliegenden Endfassung im musikalischen Werk ist in diesem Zusammenhang unnötig. Denn einmal blieb Bach in jedem Fall durch Übernahme oder Ablehnung der Vorlage die Möglichkeit letzter Entscheidung, zum anderen hat der Librettist in zahlreichen Fällen sowieso nur die Textanfänge vermerkt. Bei voll aus- textierten Vorlagen ist dagegen die Frage, ob diese schon mit oder noch ohne Bachs Einflußnahme gestaltet worden sind, nicht immer zu entscheiden. Interessant bleiben die wenigen Fälle, wo Bach vorgeschlagene Fassungen bewußt abändert oder aber vom Normalgebrauch deutlich abweichendeLesarten korrekturlos billigt. Zum erstenFall ge hört, daß Bach in der Strophe „Seid froh, dieweil“ des Weihnachtsoratoriums die vor geschlagene Zeile „nun euer Heil“ in „daß euer Heil“ (entgegen den Gesangbuch lesarten) ändert; für den zweiten Fall läßt sich auf die Übereinstimmung der (von den Gesangbuchquellen und der Matthäuspassionsfassung abweichenden) Textform des Chorals aus Kantate 159 „Ich will hier bei dir stehen“ („bis dir dein Herze bricht“) hinweisen.