Verstümmelt überlieferte Arien aus Kantaten J. S. Bachs 2 9 Die Unzahl derartiger Beispiele zwingt zu der Annahme, daß uns geradezu mit Sicherheit zu einer Reihe von nur aus der Originalpartitur (und von ihr abhängigen Handschriften) bekannten Werken nicht die volle Besetzungs stärke überliefert ist, mit der Bach das Werk einst aufgeführt hat. Allein, diese Verluste sind insofern zu verschmerzen, als sie nur die Klangfarbe, nicht dagegen die Struktur des Werkes betreffen; ja, in vielen Fällen ent spricht die überlieferte Fassung sogar einer ursprünglichen Konzeption Bachs, die lediglich angesichts der ad hoc zur Verfügung stehenden Mittel bei der Aufführung eine willkommene, aber keineswegs als unentbehrlich empfundene Bereicherung erfahren hatte. Sehr viel schmerzhafter ist es für uns dagegen, wenn die Partitur verloren gegangen ist und uns der erhaltene Teil der Originalstimmen nur ein lük- kenhaftes Bild vermittelt. Bisweilen ist dieses Bild so offensichtlich unvoll ständig, daß uns sein Fragmentcharakter sofort in die Augen springt - etwa in den Trauungskantaten 34a und 120a (NBA I/33). In andern Fällen ist er dagegen schwieriger zu erkennen, wobei nur an die eingangs er wähnte Arie 166/2 erinnert zu werden braucht: Jetzt, da wir die fehlende Violinstimme wiedergewonnen haben, erscheint uns die Notwendigkeit ihrer Ergänzung zwingend, solange aber ihr Fehlen unerkannt gebheben war, ist sie von niemand entbehrt worden. In vielen Fällen ist das Vorhandensein eines originalen Umschlags ein [ Prüfstein für die Vollzähligkeit des von ihm umschlossenen Stimmen materials : Sind alle im Titel genannten Instrumente mit Stimmen vertreten, ä so dürfen wir hoffen, daß uns nichts entgangen ist (wenngleich auch L m- 2 schlagtitel unvollständig sein können!). Allein, im eingangs erwähnten I Fall hat sich auch diese Überlegung als trügerisch erwiesen, und zwar aus folgendem Grunde: Wie im Bach-Jahrbuch 1957, S. 8-10 ausführlich dar gelegt wurde, gehören zum vollständigen Stimmenmaterial Bachscher i Kantaten und ähnlich besetzter Werke neben dem aus der Partitur kopier- .1 ten ersten Stimmensatz - wir nennen seine Handschriften hier „Erst kopien“ - auch Dubletten, und zwar für die Stimmen Violino I, II und J Continuo. Wird nun für einen Satz eine Solovioline verlangt, so erscheint deren Stimme natürlich nur in der entsprechenden Erstkopie; die Dublette hat an dieser Stelle einen Tacet-Vermerk. Nun sind aber im Verlauf der T Teilung des Bachschen Erbes häufig zu irgendeiner Zeit die Dubletten zusammen mit der Partitur an einen, der verbleibende einfache Stimmen satz an einen anderen Besitzer weitergegeben worden; und in solchen T Fällen hat man der Frage, welches Erstkopie und welches Dublette sei, keine besondere Sorgfalt gewidmet - waren doch beide in der Regel mhalts- [g gleich! So blieben also häufig in Wahrheit die Dubletten (statt der Erst- kopien) beim Stimmensatz, während die Erstkopien mit der Partitur ab- -jr wanderten, und wenn nun in der Erstkopie zufällig einmal ein Stück mehr 13 enthalten war als in der Dublette (vgl. oben), so war der verbleibende tß Stimmensatz dadurch verstümmelt. / Auf die eben geschilderte Weise ist uns offenbar die Violinsolo-Partie aus