Verstümmelt überlieferte Arien aus Kantaten J. S. Bachs 33 hang aneinandergereihten Abschnitte die Wahrnehmung einer sinnvollen Gliederung und führt zu der Vermutung, daß jene vermißte Plastizität in Wirklichkeit durch die fehlende Violinstimme realisiert worden sei, wobei unserer erhaltenen Bc-Partie gerade die Aufgabe zufiel, durch Überbriik- ken der Zäsuren den rhythmisch-melodischen Fluß aufrechtzuerhalten (deutlich z. B. in Takt 34-35). Im weiteren Verlauf des Satzes werden Ritornellbruchstücke wie folgt wiederholt: a) als Zwischenspiele: Takt 38-42 = a Takt 88-92 = a' (das 2. Glied subdominantisch umgebrochen) Takt 139-143 = a' Takt 147-149 = f b) in den Vokalteilen: Takt 65-75 = ab' (das letzte Glied a.' verändert) Takt 123-130 = e' f (e' = yyyy gegenüber e = ßßyy) Die Thematik der Singstimme zu Beginn des Vokalteils kann mit der des Ritornells weder identisch noch aus ihr abgeleitet gewesen sein: Der harmonische Aufbau des Vokalteils unterscheidet sich in seinen Anfangs takten zu weitgehend von dem des Ritornellbeginns. Vermutlich hatte die Violinthematik - die Richtigkeit unserer These vorausgesetzt - stark instrumentalen Charakter. Die Tenorstimme beginnt in Takt 34 fr. mit einer „Devise“, die in Takt 41 ff. wiederholt wird - aber nicht notengetreu! Der Terzsprung abwärts (Takt 34/35) wird ohne erkennbaren Grund zum Sextsprung aufwärts (Takt 41/42) umgeformt. Das könnte jedoch seine Ursache darin haben, daß die Thematik der Solovioline, die nach der vom Tenor eingangs vorgetragenen Devise wieder mit den ersten Ritornelltakten eingesetzt hat (Takt 38-42), diesen Umbruch zur Vermeidung falscher Fortschreitungen nötig macht 3 . Zu demselben Schluß führt die Beobachtung der Stimmführung im Bc. dieser Takte. Während nämlich die Singstimmenmelodik der Takte 34-38 und 41-45 mit der eben erwähnten Ausnahme identisch ist, unterscheidet sich die Lesart des Bc. beider Partien recht erheblich, wobei besonders für das Ausbleiben der Sechzehntelbewegung aus Takt 36 im Wiederholungstakt 43 kein einleuchtender Grund vorhanden ist, wenn nicht die Rücksichtnahme auf eine hinzutretende Obligatpartie. Denn das Fortschreiten von der be lebten zur weniger belebten Bewegung bei der Wiederholung würde den ästhetischen Grundsätzen des Barock ebenso widersprechen wie das von bewegterer zur ruhigerer Harmonik, wie es ein Vergleich der Takte 3 5 und 42 zeigt. Zur Verdeutlichung des Gesagten seien die Tenor-Devise und 3 Unser weiter unten mitgeteilter Rekonstruktionsvorschlag für die Ritomelltakte ver wirklicht die hier angenommene Situation.