D.iö „ßachifche Collegium Muficum" Von Werner Neumann (Leipzig) Die Erkenntnis der neueren Bachforschung, daß sich Bachs Leipziger Kir chenkantatenschaffen keineswegs auf des Thomaskantors ganze Amtszeit annähernd gleichmäßig verteilt, sondern sich in grandioser Konzentration auf die ersten Leipziger Jahre zusammendrängt 1 , führt notwendigerweise zu der Frage, in welcher Weise die so entstandene Lücke im Schaffensbild der mittleren Jahre zu schließen sei. Gewiß bleiben dieser in Frage stehen den Periode die bekannten kirchlichen Großchorwerke ebenso wie die Drucklegung der „Klavierübungen“ u. a. zugeordnet, doch sagen diese mehr singulären Werkschöpfungen zu wenig über das eigentliche Schaffens kontinuum jener langen Zeitstrecke aus. Der Abbruch der Kirchen kantatenproduktion um 1728 und die Zusammenfassung des angehäuften Werkbestandes zu einem Repertoire, das in der folgenden Amtszeit nur noch weniger Ergänzungen bedurfte, sind so auffallende Fakten, daß man nach einem neuen Interessenbereich auszuschauen geneigt ist, der Bachs frei gewordene Schaffenskräfte weitfristig zu binden vermochte, nachdem der Dauerauftrag auf sonntägliche Gebrauchsmusik als vorläufig erfüllt beiseite gestellt worden war. In diesem Zusammenhang erscheint Bachs Übernahme des „Schottischen Collegium Musicum“ im Frühjahr 1729 in einem neuen Licht. Gewiß hat die bisherige Bachforschung dieser Tatsache schon Rechnung getragen, und Arnold Schering 2 verdanken wir sogar ein recht anschauliches Bild vom Wirken der Leipziger Collegia musica samt Bachs Anteil daran; doch scheint die bisherige Darstellung mit dem Vorurteil behaftet, als ob es sich hierbei um eine amüsante Nebenbeschäftigung des Thomaskantors handele, die gegen über dem kirchlichen Auftrag nicht allzusehr ins Gewicht falle. Die Frage, ob hierin nicht eher ein bewußter Schritt aus dem Bannkreis des Kantors in Rich tung des Kapellmeisteramts zu sehen ist, bedarf ernstlicher Erwägung 3 . Von Wichtigkeit ist zunächst die Begrenzung des Zeitraums, in dem sich Bach dem Collegium musicum widmete. Über sie herrscht in der vorliegen den Bachliteratur noch eine weitgehende Unklarheit, die durch mangelhafte Ausschöpfung der archivalischen Quellen verursacht ist 4 . 1 Vgl. hierzu A. Dürr, Zur Chronologie der Leipziger Vokalwerke J. S. Baehs (BJ 1957) und G. von Dadelsen, Beiträge z ur Chronologie der Werke J. S. Baehs (Tübinger Bach- Studien Heft 4/5, 1958). 2 Musikgeschichte Leipzigs, Bd. HI, Leipzig 1941, S. 131 ff. 3 Schon allein die Tatsache, daß zu Beginn der Leipziger Periode Bachs vielzitiertes Wort vom „Gar-nicht-anständig-seyn-wollen“ des Berufswechsels „Capellmeister Cantor“ steht und an deren Ende das zynische Fazit eines Ratsherren, „die Schule brauche einen Cantorem und keinen Capellmeister“, legt diese Fragestellung nahe. 4 Insbesondere waren die „Leipziger (Post-) Zeitungen“ (Landesbibliothek Dresden und Stadtarchiv Leipzig) bisher noch kaum zu Rate gezogen worden.