Bach und die Lutherschriften seiner Bibliothek Von Robin A. Leaver (Reading) I Die Wiederentdeckung der aus Bachs Bibliothek stammenden sogenannten Calov-Bibel ist für die Bach-Forschung von weitreichender Bedeutung, und es dürfte einige Zeit vergehen, bis diese wichtige Quelle für unsere Kenntnis der theologischen Bildung des Thomaskantors restlos ausgeschöpft sein wird. 1 2 Das dreibändige, von dem Wittenberger Theologen Abraham Calov(ius) kommentierte Bibelwerk aus dem Jahr 1681 steht an der Spitze der Liste theologischer Bücher in der „Specificatio der Verlaßenschafft des am 28. july 1750 seelig verstorbenen Herrn Johann Sebastian Bachs“? Der Ver fasser des Bücherverzeichnisses verstand allerdings wenig von theologischer Literatur, oder er war in großer Eile, denn es unterliefen ihm eine Anzahl von Irrtümern. So sind beispielsweise die Namen von vier Autoren falsch ge schrieben und die Bücher von zwei verschiedenen Verfassern, Heinrich und Johannes Müller, einfach unter „Müller“ verzeichnet. Außerdem wurde der Geldwert der theologischen Werke erheblich unterschätzt. Es ist möglich, daß vor dem Anlegen des Bücherverzeichnisses die Objekte sortiert wurden. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß sich die Liste an der Aufstellung und Ord nung der Bücher in Bachs Bibliothek orientierte, denn sie sind aufgezählt nach Formaten (Folio, Quart und Oktav). Dies entsprach nun gewiß ihrer Aufstel lung in Bachs Bücherregalen. Die dicken Folianten müssen ihres Gewichtes wegen in der untersten Reihe gestanden haben, während die Quartbände den mittleren und die Oktavbände den oberen Teil der Regale einnahmen. Es hat in der Tat den Anschein, als ob der Verfasser des Verzeichnisses einfach den Regalen entlang arbeitete, um sich die stark verkürzten Titel von den Buch rücken zu notieren, dabei vielleicht gelegentlich ein Buch herausnehmend, um die Titelseite zu überprüfen. Die Liste der Folianten beginnt folgender maßen : [1.] Calovii Schrifften 3. Bände [2.] Lutheri Opera 7. Bände 1 Vgl. Ch. Trautmann, „Calovii Schrifften. 3 Bände“ aus Johann Sebastian Bachs Nach laß und ihre Bedeutung für das Bild des lutherischen Kantors Bach, in: Musik und Kirche 1969, S. 144-160. Die Bände befinden sich heute in der Bibliothek des Concor- dia Theological Seminary, St. Louis, Missouri (USA). Siehe auch Dok III, S. 636t. Zum Thema „Luther und Bach“ vgl. ferner F. Smend, Luther und Bach, in: Bach-Studien. Gesammelte Reden und Aufsätze, hrsg. von Ch. Wolff, Kassel 1969, S. 153-175 (274); W. H. Scheide, Luther and Bach’s Cantata No. 50, in: Journal of the American Musi- cological Society 1951, S. 36-39; P. Nettl, Luther and Mttsic, Philadelphia 1948, Kap. 6 „Lutherand Bach“, S. 146-163. 2 Abdruck in Dok II, S. 490-498; die „geistlichen Bücher“ sind im 12. Kapitel (S. 494 bis 496) aufgezählt.