Zur Entstehung des Bach-Buches von Albert Schweitzer, auf Grund unveröffentlichter Briefe* Von Erwin R. Jacobi (Zürich) Zu Beginn des Jahres 1905 erschien im Verlag Breitkopf & Härtel in Leipzig das Buch „]. S. Bach, le musicien-poete“ (XX, 455 Seiten) des dreißigjährigen Verfassers, der in Straßburg seit 1894 als Organist des Chores zu St. Wilhelm, seit 1899 als Vikar zu St. Nicolai, seit 1902 als Privatdozent für Theologie an der Universität und seit 1903 als Leiter des theologischen Studienstifts Col legium Wilhelmitanum (Thomasstift) tätig war. In rascher Aufeinanderfolge erschienen von März 1905 an zahlreiche Besprechungen dieses Buches in füh renden Zeitschriften der französischen und deutschen Geisteswelt (zwanzig konnten bisher durch den Verfasser nachgewiesen werden), aus der Feder maßgebender Persönlichkeiten, für die alle das Erscheinen dieses Werkes ein Ereignis in der Literatur der Musik bedeutete. 1 Schweitzer hatte bisher bereits die folgenden vier Werke veröffentlicht: „Eugene Muncb, 18 57-1898“, Mülhausen 1898, 2; Seiten (auf französisch geschrieben und anonym erschienen; eine Würdigung seines Lehrers in der Musik und im Orgelspiel wäh rend seiner Gymnasialzeit im elsässischen Mülhausen) „Die Religionsphilosophie Kants von der Kritik der reinen Vernunft bis zur Religion in nerhalb der Grenzen der blossen Vernunft“, Freiburg i. B.. Leipzig und Tübingen 1899. VIII. 525 Seiten (seine philosophische Doktordissertation) „Das Abendmahlsproblem auf Grund der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhun derts und der historischen Berichte“, Tübingen und Leipzig 1901, XI. 62 Seiten (seine theologische Lizentiatenarbeit) „Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis, eine Skizze des Lebens Jesu“, Tübingen 1901. XII, 109 Seiten (seine theologische Habilitationsschrift) Außerdem hatte er (anonym) den 1. Band des Klavierlehrbuchs seiner ehe maligen Lehrerin Marie Jaell, „Le Toucber. Enseignement du piano base sur la Physiologie“ (1895 in Paris bei Costallat erschienen) ins Deutsche übersetzt. Diese Übersetzung war 1902 bei Breitkopf & Härtel unter dem Titel „Der Anschlag. Neues Klavierstudium auf physiologischer Grundlage“ erschienen (91 Seiten). Das Bach-Buch war nicht nur die umfangreichste der bisherigen Veröffent lichungen Schweitzers, es war auch in anderer Hinsicht ein Werk besonderer * Im Gedenken an die 100. Wiederkehr des Geburtstages von Albert Schweitzer (geb. am 14. Januar 1875 in Kaysersberg [Oberelsaß], gest. am 4. September 1965 in Lam- barene [Gabun]) sowie an das 70jährige Jubiläum seines Bach-Buches. 1 Siehe im BJ 1905, S. m-113, die Besprechung von Friedrich Ludwig, der sich 1905 als Dozent für Musikwissenschaft an der Straßburger Universität habilitiert hatte, als Nach folger seines Lehrers G. Jacobsthal, bei dem auch Schweitzer in die Lehre gegangen war.