12 Klaus Hofmann Es ist allerdings, wie es scheint, bisher nicht bemerkt worden, daß damit ein neues Problem entsteht: Die Umdatierung der beiden Kantaten steht in Widerspruch zu dem von Dürr vorgelegten Aufführungskalender, der 16. und der 20. Sonntag nach Trinitatis gehören nicht dem für 1716 angenommenen Turnus an. Es ist zu fragen, wo der Fehler liegt. Wir sind der Ansicht, daß der Turnus revidiert werden muß, und möchten dazu zwei Thesen vorlegen, eine zu Bachs Terminplan im Kirchenjahr 1716, eine zu der Frage, welche Kantaten 1716 musiziert wurden. 11 Das Problem der Weimarer Kantatenchronologie läßt sich theoretisch beschrei ben als das der Verteilung von rund 20 Kantaten bekannter liturgischer Bestimmung auf Sonntage im Abstand von jeweils vier Wochen 13 in der Zeit von März 1714 bis Dezember 1716 unter Ausschluß der Trauerzeit vom 11. August bis zum 9. November 1715. Den Schlüssel zur Lösung bieten vier Kantaten handschriften, die außer dem liturgischen Datum eine Jahreszahl tragen. Drei der damit gegebenen „Fixpunkte“, der 3. Sonntag nach Trinitatis 1714 (BWV 21), der 1. Advent 1714 (BWV 61) und der 4. Sonntag nach Trinitatis 1715 (BWV 185), stehen zueinander im Verhältnis eines mehrfachen Vier wochenabstandes; der Bachsche Terminplan bis zum Sommer 1715 läßt sich damit zweifelsfrei bestimmen und zu einem guten Teil auch mit überlieferten Kantaten belegen - wie bei Dürr geschehen. Eine Komplikation allerdings ergibt sich beim vierten „Fixpunkt“: Der 4. Advent 1715, der Aufführungstag der Kantate „Bereitet die Wege, bereitet die Bahn“ BWV 132, paßt nicht in den Vierwochenturnus. Um eine Ausnahme komposition kann es sich nicht gehandelt haben; denn dem Werk geht genau im Vierwochenabstand am 23. Sonntag nach Trinitatis die Kantate „Nur jedem das Seine“ BWV 163 voraus (die nicht früher entstanden sein kann, da ihr Text der Weimarer Jahrgangsdichtung für 1715, Salomon Francks Evangelischem An dachtsopfer, entstammt), und ebenso folgt mit vier Wochen Abstand am 2. Sonntag nach Epiphanias 1716 die Kantate „Mein Gott, wie lang, ach lange“ BWV 155 (die ein Jahr zuvor nicht Bachs Turnus angehört hätte). Diese drei Kantaten stehen also zueinander im normalen Turnusverhältnis. Es fällt auf, daß diese dreigliedrige „Sequenz“ unmittelbar nach der Landestrauer einsetzt. Rechnet man, ungeachtet der vorübergehenden Einstellung der Hofkirchen musik, den bis zu dem „Fixpunkt“ 4. Sonntag nach Trinitatis 1715 gesicherten Turnus in die Trauerzeit hinein fort, so ergibt sich als letzter - freilich nur noch Weimar eintraf, wird er vermutlich die Kantate für den folgenden Sonntag, den 11. August, fertig oder fast fertig gehabt haben; ja vielleicht hatte er sich auch schon Gedanken über die nächstfolgende Kantate gemacht, wohl gar einzelne musikalische Einfälle notiert. Aber anzunehmen, daß Bach im Aufführungsturnus acht oder gar zwölf Wochen voraus warundmitBWVlöl und 162 schon die Kantaten zum dritt- und viertnächsten Termin ausgearbeitet gehabt hätte, wäre gewiß unrealistisch. 13 In der Bach-Forschung besteht Einmütigkeit darüber, daß das Wort „monatlich“ wie bei der 1695 mit Strattner getroffenen Regelung einen Turnus von vier Wochen bezeichnen soll; vgl. bes. Jauernig, a. a. O., S. 96.