Bachs Bewerbung um die Organistenstelle an der Marienkirche zu Halle und ihr Kontext* Von Peter Wollny (Leipzig) Ein einschneidendes Ereignis in der Musikgeschichte der Saalestadt war der Tod des langjährigen Organisten und Director Musices der Hallenser Marienkirche, Friedrich Wilhelm Zachow, am 7. August 1712. * 1 Den Bemühungen des Kirchencollegiums um eine adäquate Wiederbesetzung der Stelle, die als eines der bedeutendsten Organistenämter Mitteldeutschlands galt, war jedoch erst zwei Jahre später mit der Einstellung von Gottfried Kirchhoff Erfolg beschie- den, nachdem zweimal der jeweilige Spitzenkandidat - Johann Sebastian Bach und Melchior Hoffmann - in letzter Minute abgesprungen war. Die Verhandlungen um die Nachfolge Zachows sind, da sich der Name Johann Sebastian Bachs auf der Bewerberliste findet, vergleichsweise gut erschlossen und in der Literatur mehrfach - zumindest umrißhaft - beschrieben worden. 2 Dennoch birgt der Vorgang eine Reihe offener Fragen, die ganz allgemein die Gründe für die ungewöhnliche Zähigkeit der Verhandlungen wie auch speziell die Kandidatur Bachs betreffen. Eine erneute Durchsicht der relevanten Akten förderte eine Reihe bisher unbekannter Dokumente zutage, die auf den Bewerbungsvorgang und beson ders die Umstände von Bachs Aufenthalt in Halle neues Licht werfen; daneben fand sich auch wertvolles biographisches Material zu Bachs Mitbewerber Melchior Hoffmann. Die neu ermittelten Dokumente werden im folgenden vorgestellt. Um Wiederholungen zu vermeiden und die Diskussion auf das Wesentliche zu konzentrieren, werden bereits bekannte Materialien nur dann ausführlicher besprochen, wenn sie eine Neubewertung erfahren oder wo dies für den Argumentationsverlauf notwendig ist. Im übrigen sei auf die einschlä gige Literatur verwiesen. 7. Die erste Phase der Verhandlungen (1712-1713) In der ersten Sitzung nach Zachows Tod, am 25. August 1712, entschied das Collegium, „mit der besezung der Organisten Stelle ... noch etwas in die Zeit zu sehen, und indeß von denen sich hinc inde angebenden candidaten * Für freundliche Unterstützung meiner Arbeit im Archiv und in der Bibliothek der Marienkirche zu Halle bin ich Frau Hildegard Seidel und Pfarrer Gottfried Arlt zu Dank verpflichtet. 1 Über Zachows Leben und Wirken vgl. G. Thomas, Friedrich Wilhelm Zachow, Regensburg 1966 (Kölner Beiträge zur Musikforschung, Bd. 38). 2 C. P. E. Bach und J. F. Agricola, Nekrolog auf Johann Sebastian Bach, vgl. Dok III, Nr. 666, bes. S. 83. F. Chrysander, Johann Sebastian Bach und sein Sohn Wilhelm Friedemann in Halle 1713-1768, in: Jahrbücher für musicalische Wissenschaft 2, 1867, S. 235-248. Bitter I, S. 84-94. Spitta I, S. 508-513. W. Serauky, Musikgeschichte der Stadt Halle, II/l, Halle 1939, S. 471-479.