Ein unbekanntes Leipziger Kantatentextheft aus dem Jahr 1735 Neues zum Thema Bach und Stölzel o Von Marc-Roderich Pfau (Berlin) 1. Fundsituation und Überlieferung Im folgenden möchte ich über die Entdeckung eines bislang unbekannten Text hefts zur Leipziger Kirchenmusik berichten, dieses vorstellen und dessen Implikationen für unsere Kenntnis von Bachs Aufführungsrepertoire um die Mitte der 1730er Jahre diskutieren. Bei der Suche nach gedruckten Kantaten texten. die in den 1730er Jahren in Vertonungen von Johann Theodor Roem- hildt in Merseburg aufgeführt worden sind, stieß ich in einem Sammelband, der die Merseburger Kantatendrucke des Kirchenjahres 1734/35 enthält, 1 über raschend auch auf zwei Texthefte aus Leipzig. Der Sammler der Textdrucke, Balthasar Hoffmann, 2 später Rektor des Merseburger Gymnasiums, 3 hat sie 1 Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle (Saale), Signatur 76 L 1034(1734-1735). Hoffmann (geboren in Posen am 3.12.1697), wirkte ab 1731 in Merseburg, zunächst als Konrektor, ab 1742 als Rektor des dortigen Gymnasiums. Er wurde 1783 emeri tiert und starb am 12.4.1789 in Merseburg (ich danke P. Wollny für die Mitteilung dieser Daten). Hoffmann ist der Bach-Forschung bekannt als Dichter der irrtümlich Bach zugeschriebenen Trauerkantate für Herzogin Hedwig Eleonore von Sachsen- Zörbig, BWV Anh. 16 „Schließt die Gruft! ihr Trauerglocken"; vgl. BJ 1913.S.93-96 (H. von Hase). Die Zuschreibung beruhte auf der Notiz, daß Bach am 7. Februar 1735 eine Zahlung für „ein Carmen nach Merßeburg" leistete. „Wieso aber sollte bereits am 7. Februar, also reichlich sechs Monate vor dem Tod der Herzogin, eine Rechnung für den Druck des Textes bezahlt worden sein?" wendet Martin Petzoldt völlig zu Recht ein (M. Petzoldt. Bachstätten. Frankfurt und Leipzig 2000. S. 177); Richtig stellung des Sachverhalts bereits im BJ 1959. S. 169 (H.-J. Schulze). Komponist die ser in Merseburg am 9. November 1735 aufgeführten Musik wird der Merseburger Hofkapellmeister Roemhildt gewesen sein, der für derartige Musiken in Merseburg zuständig war. Roemhildt hat die meisten seiner Kantaten mit dem zu seiner Zeit bereits altertümlich anmutenden Begriff „Concerto" überschrieben (sowohl im Textdruck als auch in der Partitur). Diese Bezeichnung trägt auch der Textdruck von BWV Anh. 16 (R. Wustmann und W. Neumann, Sämtliche Kantatentexte von J. S. Bach. Leipzig 1956. S. 407—109. nach dem Originaldruck in: Der Deutschen Gesell schaft in Leipzig Oden und Cantaten in vier Büchern. Leipzig 1738). 3 Auf dem Titelblatt einer Trauungskantate vom 12. Mai 1734, die Roemhildt vertont hat. nennt Hoffmann sich „Des Hochfürstl. Merseburgischen Stifts-Gymnasii I Con- Rector“, Exemplar in der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle (Saale), Signatur 78 M 371 [24],