Notenformen und Nachtragsstimmen II. 207 Nicht so leicht fällt es allerdings, die genaue Entstehungszeit der Stimmen zu ermitteln. Die von Kobayashi implizit festgesetzte Obergrenze 1739 bedarf immerhin der Relativierung. Ähnliche, sogar identische piano-Zeichen wie in BWV 68 finden sich in Bachs Revision der Instrumentalstimmen zur Hochzeitskantate ..O! holder Tag, erwünschte Zeit" BWV 210 (St 76), die nach den Neuerkenntnissen von Michael Maul erst zum 19. September 1741 ent stand. 18 Auch die Partitur der Bauemkantate „Mer hahn en neue Oberkeet" BWV 212 vom August 1742 (P 167) enthält ein vergleichbares Beispiel, und ein wiederum ziemlich genau entsprechendes Zeichen kommt in der Sinfonia D-Dur BWV 1045 (P 614) vor. deren Papier in die Zeit um 1743 oder danach deutet. 19 Tatsächlich erscheint für die nachträglich angefertigten Stimmen aus 18 Zu den piano-Zeichen vgl. insbesondere Flauto Traverso, Satz 10, T. 13 und 63; Hautbois d’amour, Satz 10. T. 13; Violino 2. Satz 2. T. 140. und Satz 9. T. 1. Zur Datierung von BWV 210 vgl. M. Maul, „Dein Ruhm wird wie ein Demantstein, ja wie ein fester Stahl beständig sein“. Neues über die Beziehungen zwischen den Familien Stahl und Bach. BJ 2001. S. 7-22. insbesondere S. 15 f. Es versteht sich, daß die Bestimmung von Schriftformen vor allem dort, wo es um feinere Unter schiede geht, einer gewissen Subjektivität nicht entbehrt. Gerade weil solche Unter schiede für die vorliegende Untersuchung eine große Rolle spielen, verweise ich öfters detailliert - wenn auch nicht mit Anspruch auf Vollständigkeit - auf die be treffenden Belege; dabei beschränken sich die Angaben wenn nicht anders an gemerkt auf Noten innerhalb des Systems. 19 Zu BWV 212 vgl. Kobayashi Chr. S. 48. und Johann Sebastian Bach. Cantate burlesque {Bauernkantate). Faksimile nach dem Autograph. Nachwort von W. Vim- eisel. München-Duisburg 1965; man beachte beim betreffenden piano-Zeichen (Satz 1. T. 4. Continuo) insbesondere den kurzen Endstrich. Anders als in BWV 68 und 210 erscheint hier zwar der Anfangsbuchstabe in ganz steiler Ausprägung; be reits in den 1740 angelegten Stimmen von „Schleicht, spielende Wellen, und mur melt gelinde“ BWV 206 (St SO; vgl. Kobayashi Chr. S. 47) finden sich jedoch ent sprechende Belege (vgl. Hautbois 2, Satz 7, T. 64. sowie Viola, Satz 10, T. 9). Zu BWV 1045 vgl. Kobayashi Chr. S. 14 und 53. sowie die Abbildungen in NBA 1/34 (R. Higuchi, 1986), S. XII, oder Die Handschrift Johann Sebastian Bachs. Musik- autographe aus der Musikabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin. Ausstellung zum 300. Geburtstag von J. S. Bach, 22. März bis 13. Juli 1985, hrsg. von R. Elvers und H.-G. Klein, Wiesbaden 1985 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Ausstellungskataloge. 25.), S. 125; das besprochene piano-Zeichen findet sich in T. 11. Kobayashi Chr, S. 53, weist sowohl dieses als auch das einzige weitere in P 614 befindliche piano-Zeichen (T. 86) einem späteren Typus zu. Da diese Klassifizierung nicht weiterhin uneingeschränkt gelten kann, fragt sich, ob die Deutung eines ähnlichen piano-Zeichens in der Kantate „Ich will meinen Geist in euch geben" JLB 7 von Johann Ludwig Bach (P 397, Aria „Seele, willst du Christum kennen“. T. 18) als „durch Platzmangel verursacht“ (Kobayashi Chr, S. 53) zutrifft.