2 12 Joshua Rifkin 660 kommt sie ausschließlich in Verbindung mit abgerundeten Halben der bis Ende des vorhergehenden Jahrzehnts charakteristischen und auch in den 1740er Jahren weiterhin zu findenden Standardform vor. 34 Angesichts dieses so konsequenten Gebrauchs wird man kaum annehmen. Bach habe die Nach tragsstimmen zu BWV 68 und 76 gerade in der Zeit angefertigt, als er am Wohltemperierten Clavier II. den Orgelchorälen oder der Hochzeitskantate arbeitete. Vielmehr tritt uns hier offenbar ein bisher nicht erfaßtes Schrift stadium entgegen, das entweder eine Vorstufe oder eine Weiterentwicklung der in den größeren Projekten zu beobachtenden Formen darstellt. Gegen die erste dieser Möglichkeiten sprechen freilich gewichtige Gründe. Noch im Partiturbruchstück der Johannes-Passion vom Frühjahr 1739 (P 28) sowie in den mit ziemlicher Sicherheit nach der Passion anzusetzenden Stimmensätzen der h-Moll-Ouvertüre BWV 1067 (St 154) und des Cembalo konzerts A-Dur BWV 1055 (St 127) schreibt Bach die abwärts kaudierten Halbenoten mit verschwindend wenigen Ausnahmen in der herkömmlichen rechtsgehalsten Form. 35 Erst in der Cembalo-Stimme aus BWV 1057 - die das gleiche Papier und Rastral hat wie BWV 1067 und die früheste Schicht des Wohltemperierten Claviers II - zeichnet sich eine Wendung ab: Zeigen die Halbenoten zunächst das vertraute Bild, so wird im Verlauf der Niederschrift der Halsansatz auf der linken Seite, mitunter auch in der Mitte des Noten kopfes zunehmend häufiger, bis auf der letzten Notenseite der Rechtsansatz nur noch als Ausnahme begegnet; dabei nehmen die linksgehalsten Noten köpfe, wenn schon wegen der flüchtigeren Schrift meistens nicht die spitze Tropfen- oder Halbmondform, so doch jene langgestreckte Gestalt und schräge Haltung an, die sowohl die nachgefertigten Stimmen aus BWV 68 und 76 als auch das Wohltemperierte Clavier II. die Orgelchoräle BWV 651-663 und die Hochzeitskantate kennzeichnet. 36 Der geschilderte Entwicklungsgang hat für unsere Argumentation zwei Kon sequenzen. Zum einen scheidet die ohnehin nur entfernt plausible Annahme, eine durch die Neustimmen belegte Wiederaufführung von BWV 68 und 76 34 Je eine Halbenote der herkömmlichen Leipziger Standardform mit abwärts ge führtem Hals auf der rechten Seite des Notenkopfes weist BWV 877/2 im Schluß takt. BWV 891/2 in T. 45 auf. In den Orgelchorälen linden sich derartige Halbe an folgenden Stellen: BWV 652. T. 89. 120. 123. 143, 145. 150 und 169; BWV 653, T. 21. 37. 40f. und 48f.; BWV 654. T. 76: BWV 656. T. 91. 103. 105. 109f.. 112. 114, 118 f., 120 (oberhalb des Systems), 124 (oberhalb des Systems), 125 und 138-140; BWV 659, T. 24-26; BWV 660. T. 10, 25 (ante correcturam) und 36 (scheinbar auch in BWV 661, T. 49, doch hier nur wegen polyphoner Notierung). 35 Vgl. Kobayashi Chr, S. 42 und 44f., sowie Rifkin (wie Fußnote 21), S. 44-46. 36 Zu Papier, Rastral und Halsung bei BWV 1057 vgl. Franklin (wie Fußnote 28), S. 247 f., und Rifkin (wie Fußnote 21), S. 45; auf der letzten Seite der Stimme etwa finden sich spitzere Notenköpfe in T. 192 und 237.