220 Joshua Rifkin IV. Nicht so eng mit dem Jahr 1742, doch auf jeden Fall mit einer Datierung in die 1740er Jahre hängt ein weiterer vorerst unlösbarer Widerspruch zusam men. Die Corne-Stimme im Eingangssatz von BWV 68 gehört zu jenen rätsel haften, meist „Corno“, „Clarino“ oder „Tromba“ überschriebenen Partien, die sich vom allgemeinen Usus bei Blechbläserstimmen durch die Notierung in klingender Tonhöhe und das häutige Auftreten von Tönen außerhalb der Naturtonreihe abheben. 60 Es gibt deutliche Anzeichen dafür, daß Bach ab einer verhältnismäßig frühen Zeit - möglicherweise bereits in den mittleren 1730er Jahren - über keinen geeigneten Spieler mehr verfügte, dem er solche Auf gaben Zutrauen konnte. 61 Vor diesem Hintergrund muß das Beibehalten des oder dem Wohltemperierten Clavier II, im Hinblick auf die langgestreckte Gestalt der Noten selbst, sondern auch hinsichtlich der Halsung der abwärts kaudierten Halben - die aus BWV 68 und 76 bekannten Formen vor; ähnlich wie in BWV 664 aber treten daneben auch rechtsgehalste Halbe der früheren Leipziger Standardform sowie runde Halbe mit Halsansatz in der Mitte des Notenkopfes auf (vgl. beispiels weise auf den abgebildeten Seiten T. 3, 26. 28. 66f.. 70. 72. 76 und 78-81). Ginge man allein vom Schriftbild aus. so ließe sich auch diese Niederschrift in die Zeit zwischen Herbst 1741 und Sommer 1742 einordnen (bei Kobayashi Chr, S. 59, findet sich bereits die Schätzung „vielleicht 1743/45?"). Allerdings hat P 490 als Vorlage für zwei Abschriften gedient, die die Forschung mit teilweise einleuchtenden Argumenten vor 1740 datiert - eine von der Hand Johann Friedrich Agricolas (P 533) und eine von Johann Peter Kellner (P 288): Vgl. NBA 1V/5-6 Krit. Bericht (D. Kilian. 1978/79), Teilband 2, S. 337f.. sowie A. Dürr. Zur Chronologie der Handschrift Johann Christoph Altnickols und Johann Friedrich Agricolas, BJ 1970, S. 45-65, hier S. 56f. und 64; R. Stinson. The Bach Manuscripts of Johann Peter Kellner and liis Circle. A Case Study in Reception History, Durham. NC 1989, S. 24; und ders., „ Ein Sammelband aus Johann Peter Kellners Besitz": Neue Forschungen zur Berliner Bach-Handschrift P 804. BJ 1992, S. 45-64. hier S. 63. Tatsächlich ließen sich die Datierungen der beiden Sekundärquellen einigermaßen relativieren; diese Spur jedoch weiter zu verfolgen würde den Rahmen der vorliegenden Unter suchung sprengen und dürfte auch für die Datierung von BWV 68 und 76 zu keinen zwingenden Neuerkenntnissen führen. Ich hoffe, auf das Problem an anderer Stelle zurückzukommen. 60 Vgl. zusammenfassend Prinz (wie Fußnote 15). S. 73-87. 131-133. 137-149 und insbesondere die Tabellen S. 80-83, 86 f. und 158 f., sowie ausführlicher zu einem Teilbereich Wolf (wie Fußnote 15). 61 Vgl. ebenda, S. 187, dazu ergänzend jedoch die Angaben zu BWV 10, 73 und 137 in den in der vorigen Fußnote zitierten Tabellen bei Prinz (wie Fußnote 15); zu BWV 78 vgl. bereits auch den Kommentar zur CD-Aufnahme L’Oiseau-Lyre 421 728-20H. sowie Rifkin (wie Fußnote 6), S. 580, Anmerkung 36. Nicht zuletzt an gesichts der von Wolf nicht mitberücksichtigten Werke BWV 10 und 137 will mir seine Behauptung, bei dem Spieler der mit „Corno“ bezeichneten Stimmen dürfte