222 Joshua Rifkin oder sogar Ausleihzwecken gedacht? 64 Gegen diese Annahme spricht die offenkundige zeitliche Nähe zur Viola-da-gamba-Stimme von BWV 76, für die keine entsprechende Erklärung naheliegt - da Kuhnaus Erstexemplar noch verfügbar war, hätte es für Bach keinen Anlaß gegeben, die neue Stimme auszuschreiben, wenn eine geplante Aufführung nicht unmittelbar bevor gestanden hätte. Noch mehr als bei BWV 68 drängen sich hinsichtlich der Wiederaufführung von BWV 76 Fragen auf. Zu diesen gehört wohl als erste das Verhältnis zwischen der Anfertigung der neuen Viola-da-gamba-Stimme und den ein gangs erwähnten Revisionen in Teil 1. Sollte Bach wirklich die beiden Teile der Kantate um 1742 getrennt dargeboten haben, oder weisen Revisionen und Stimme nicht doch auf eine geschlossene Darbietung des Gesamtwerkes hin? Zwar gibt es unter den erhaltenen Stimmen sonst kein Anzeichen für die Aufführung eines einzelnen Teils der Kantate. 65 Andererseits zeigen die Korrekturen keine Merkmale, die eine nähere Datierung ermöglichen; daß die Revisionen in der Partitur „den Schriftzügen Bachs in den 1740er Jahren ausgesprochen [...] ähneln“, wirkt angesichts der etwas klobigen Federstriche zwar plausibel, darf jedoch kaum als erwiesen gelten, geschweige denn auf ein bestimmtes Jahr schließen lassen. 66 Zudem lassen sich die Angaben im 64 Zum Ausleihbetrieb bei Bach vgl. M. Maul und P. Wollny, Quellenkundliches zu Bach-Aufführungen in Köthen, Ronneburg und Leipzig zwischen 1720 und 1760, BJ 2003, S. 97-141, speziell S. 105 f. und 1091'. sowie den dokumentarischen An hang S. 120-127. Aufmerksamkeit könnte der dortige Nachweis erwecken, der öfters von Bach mit Noten versorgte Ronneburger Kantor Johann Wilhelm Koch habe am 17. Juni 1742 - also kurz nach dem 2. Sonntag nach Trinitatis - Musikalien „nach Leipzig" geschickt (S. 126); dem Gedanken aber, es handele sich hier um die Zurücksendung von kurz zuvor erhaltenen Noten, steht entgegen, daß es seit dem 14. Mai des Vorjahres keinen Vermerk über den Erhalt einer Sendung aus Leipzig gibt - und daß etwa ein wohl Anfang Mai 1742 verfaßtes Kondolenzschrei ben Johann Elias Bachs an Koch eine Notenbeilage enthalten haben soll, wird man nicht ohne weiteres annehmen; vgl. Die Briefentwürfe des Johann Elias Bach (1705-1755), erweiterte Neuausgabe hrsg. von E. Odrich und P. Wollny, Leipzig 2005 (LBzBF 3), S. 202f. (Nr. 101). 65 Laut NBA 1/16 Krit. Bericht, S. 43, 54 und 66, sollte der in drei Vokalstimmen am Schluß von Teil 1 stehende Vermerk „II Fine“ eine Aufführung dieses Teils allein belegen; doch anders als dort angenommen handelt es sich hier nicht um einen Nach trag von späterer Hand, sondern um die Schrift Johann Andreas Kuhnaus, wie bei spielsweise in der A/ro-Stimme aus dem Vergleich mit dem Tacet-Vermerk zu Satz 10 oder dem Anfangswort von Satz 11 hervorgeht. Da im Gottesdienst Teil 2 erst nach einem beträchtlichen Abstand folgte, käme die Aufführung von Teil 1 der Dar bietung einer eigenständigen Kantate nahe; vgl. Dürr (wie Fußnote 8), S. 165-167. 66 Vgl. NBA 1/16 Krit. Bericht, S. 51, sowie die Abbildung aus der Partitur im Noten band (1981), S. VII.