272 Manuel Bärwald Eine dynamische Tonveränderung, insbesondere der Tonstärke und -dauer ist hingegen nicht möglich. Das Clavichord diente vor allem als Übeinstrument und für die häusliche Musikpflege, was vornehmlich an seiner geringen Ton stärke lag. Besonders beliebt war es jedoch, weil sich diese dynamisch vari ieren sowie durch Bebung der Tasten das Vibratospiel realisieren ließ. Doch auch das Clavichord bot keine Möglichkeit der Veränderung der Tondauer. Das Lautenklavier ist im Gegensatz zum metallbesaiteten Cembalo mit Darmsaiten bezogen und ermöglicht dadurch einen weicheren, lautenähnlichen Klang. Der 1709 entwickelte Hammerflügel Bartolomeo Cristoforis (1655-1731) bietet gegenüber dem Cembalo den Vorteil der dynamischen Variation der Tonstärke, während die Tondauer auch hier nicht durch den Spieler beeinflußbar ist. Eine Randerscheinung dieser Entwicklung stellen die gestrichenen Saiten klaviere 6 dar. Um den für Blasinstrumente charakteristischen Effekt, einen Ton beliebig aushalten und dynamisch modifizieren zu können, auf einem mit Saiten bezogenen Instrument zu erreichen, gibt es prinzipiell zwei Möglich keiten: Es kann ein Streichbogen verwendet werden oder die Saiten können mittels eines „in Drehung versetzten Rad[es] zum Klingen gebracht werden“, wie dies bei der Drehleier geschieht. 7 Die zweite Variante findet auch bei den Streichklavieren Anwendung. Der erste Bau eines solchen Instruments läßt sich durch den Nürnberger Kaufmann, Mechaniker und Organisten Hans Haiden (1536-1613) nachweisen. Sein „Geigenwerk“ war mit Darmsaiten be spannt. Diese wurden von einem Pferdehaarband gestrichen, das „mittels eines Pedals und eines Rades in Umlauf gebracht“ 8 wurde. Die Tonstärke ist dabei von der Stärke des Tastendrucks abhängig. Die Tondauer kann beliebig variiert werden. Um 1600 verbesserte Haiden das Geigenwerk. Dieses „instrumentum reformatum“ wurde 1619 von Praetorius 9 beschrieben: Im Gegensatz zum Instrument von 1575 sind die Streichräder mit Pergament überzogen und müssen mit Kolophonium bestrichen werden. Die Saiten sind nicht aus Darm, sondern aus Metall und auch sonst besteht viel Ähnlichkeit mit einem Cem- 6 Dieser Typ wird auch als Streichklavier, Gambenwerk, Geigenklavier, Violinenflügel, Bogenklavier oder ähnlich bezeichnet. 7 J. H. van der Meer, Gestrichene Saitenklaviere, in: Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis 13 (1989), S. 141-181, speziell S. 142. Dieser Aufsatz bietet einen geschichtlichen Überblick über die Entwicklung der Streichklaviere bis ins 19. Jahr hundert. Die folgende Darstellung dieser Entwicklung folgt van der Meer. Für eine ausführliche Untersuchung zu diesem Thema sei auf die Monographie von Simons verwiesen (C. W. Simons, The History of Mechanically Bowed Keyboard Instruments with a Description ofExtant Examples, Diss. University of Iowa 1996). 8 Van der Meer (wie Fußnote 7), S. 145. 9 M. Praetorius, Syntagma Musicum, Bd. II: De Organographia, Wolfenbüttel 1619 (Reprint Kassel 1958), S. 67-72. Eine Abbildung des Geigenwerks findet sich eben da, Tafel III (nach S. 236).