"Texte zur Music" in Sankt Petersburg : neue Quellen zur Leipziger Musikgeschichte sowie zur Kompositions- und Aufführungstätigkeit Johann Sebastian Bachs
„Texte zur Music“ in Sankt Petersburg Neue Quellen zur Leipziger Musikgeschichte sowie zur Kompositions- und Aufführungstätigkeit Johann Sebastian Bachs Von Tatjana Schabalina(Sankt Petersburg) Es ist allgemein bekannt, daß gedruckte Texthefte zu Vokalwerken Johann Sebastian Bachs und anderer Komponisten seiner Zeit wertvolle Quellen für die Erforschung ihres Schaffens darstellen, denn die auf den Titelseiten üb licherweise vermerkten Aufführungsdaten und -orte enthalten mitunter ge nauere Angaben über die Entstehungszeit oder die Wiederaufführung eines Werkes als die Autographe selbst. Von den Zeitgenossen aber wurden sie allem Anschein nach nicht für besonders wertvoll erachtet und daher auch nur selten aufbew ahrt, so daß die wenigen erhaltenen Exemplare heute zu den biblio graphischen Seltenheiten zählen. Überraschenderweise hat sich in jüngerer Zeit die Russische Nationalbibliothek in St. Petersburg als eine einzigartige Sammelstätte von gedruckten Quellen erwiesen, die mit dem Schaffen von Johann Sebastian Bach und anderen deutschen Komponisten vom Ende des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zu tun haben. Viele dieser Quellen sind hier singulär erhalten. Es ist aus heutiger Perspektive nicht leicht, mit hin reichender Genauigkeit festzustellen, wie und wann diese Quellen in den Sammlungsbestand der Bibliothek gelangtem eines ist aber ganz sicher: Sie kamen nicht als ,.Beutekunst‘‘ während des Zweiten Weltkriegs auf russisches Gebiet, sondern gehören zu den ältesten Beständen der Kaiserlichen Öffent lichen Bibliothek, wo sie bereits im 18. und 19. Jahrhundert verzeichnet wurden. 1 1 Den Kembestand dieser Bibliothek bildeten bei ihrer Gründung im Jahre 1795 die äußerst reichen Sammlungen Johann Albrecht Baron von Korffs und der Eremitage bibliothek. die von Zarin Katharina II. begründet worden war. sowie der Zatuski- Bibliothek (siehe Imperatorskaja Publitschnaja biblioteka za sto let: 1814-1914, St. Petersburg 1914. S. 3 ff.). Ferner erhielt die Bibliothek neue Bücher durch zahl reiche Literaturerwerbungen aus ganz Europa. Außerdem ist bekannt, daß im 18. und 19. Jahrhundert sehr viele Deutsche nach Rußland kamen - insbesondere nach St. Petersburg, der damaligen Hauptstadt des Russischen Reiches -, um hier zu leben und zu arbeiten. Auch diese Einwanderer brachten verschiedene deutsche Bücher mit. die sie der Bibliothek später vermachten oder verkauften. Die Bestände des Saals Nr. 15, in dem die Verfasserin dieses Beitrags das Textheft zu Kantaten Bachs aus dem Jahre 1727 fand, wurden von dem bekannten russischen Musikhistoriker Vla dimir Stassow (1824-1906) vervollständigt; von Stassow wissen wir. daß er sich intensiv mit Bachs Werk beschäftigte. - Eine andere Erklärung zur Herkunft der im