"Texte zur Music" in Sankt Petersburg : neue Quellen zur Leipziger Musikgeschichte sowie zur Kompositions- und Aufführungstätigkeit Johann Sebastian Bachs
34 Tatjana Schabalina Wolf Hobohm machte zum ersten Mal Anfang der 1970er Jahre auf diesen Quellenbestand aufmerksam und veröffentlichte im BJ 1973 einige Text drucke zu Kantaten J. S. Bachs, die in der Russischen Nationalbibliothek (damals Saltykow-Scedrin-Bibliothek in Leningrad) aufbewahrt wurden. * 2 3 * Weil bis dahin nur wenige Textdrucke zu Bachs Kirchenmusik bekannt waren, war diese Entdeckung von großer Bedeutung und ermöglichte die genauere Datierung einer Reihe von Leipziger Kantaten. 5 Insgesamt konnte Hobohm in der Petersburger Bibliothek zehn Hefte mit Textdrucken zur Leipziger Kirchenmusik aus der Zeit von 1714 bis 1725 nach- weisen; vier von ihnen, aus den Jahren 1724 und 1725, enthalten die Texte zu Kantaten, die unter der Leitung Bachs in den Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai aufgefiihrt wurden. Drei der Leipziger Hefte sind gut erhalten und folgenden näher vorzustellenden Textdrucke ist die Annahme ihrer Zugehörigkeit zur Zatuski-Bibliothek. Es handelt sich hier um die ab 1747 in Warschau aufgestellte und öffentlich zugängliche Büchersammlung der Brüder Andrzej Stanislav (1695-1758) und Jözef Andrzej Zatuski (1702-1774). Die Bestände wurden 1795 im Zusammen hang mit der dritten polnischen Teilung auf Veranlassung von Katharina II. aus Warschau abtransportiert und über Riga nach St. Petersburg gebracht. Siehe hierzu Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa, hrsg. von B. Fabian, Bd. 8.1: Rußland, Teil I. St. Petersburg, bearbeitet von B. F. Volodin. Hildesheim 2001, S. 48-50. Es gibt verschiedene Hinweise darauf, daß Jözef Andrzej Zatuski 1767 in Leipzig einen Teil der Bibliothek von Johann Christoph Gottsched erwerben konnte. Die musikalischen Textdrucke in St. Petersburg könnten also zu einem noch näher zu bestimmenden Anteil aus dem Besitz Gottscheds stammen. Dessen Interesse an zeitgenössischem und älterem Gelegenheitsschrifttum ist unter anderem in seiner Schrift Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst, Leipzig 1757, dokumentiert, die bezeichnenderweise J. A. Zatuski gewidmet ist. Weitere konkrete Indizien für diese Annahme werden im Verlauf des Beitrags angesprochen. 2 W. Hobohm. Neue „Texte zur Leipziger Kirchen-Music“, BJ 1973, S. 5-32. Die von Hobohm in Leningrad aufgefundenen Texte, die sich auf das Schaffen Georg Philipp Telemanns und anderer Komponisten beziehen, werden diskutiert bei Hobohm, Neue Textfunde zur deutschen Musikgeschichte der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Ein Bericht über Bibliotheksstudien in Leningrad, in: Beiträge zur Musikwissenschaft 15 (1973). S. 263-267. 3 Die von Hobohm aufgefundenen Hefte seien hier kurz aufgezählt, mit Angabe der Signatur der Russischen Nationalbibliothek: 6.34.3.193: Ostern bis Himmelfahrt 1714; 6.34.3.191: Weihnachten 1715 bis Hohenneujahr(Epiphanias) 1716:6.46.12.44: Ostern bis Himmelfahrt 1716; 6.34.3.248: Weihnachten 1721 bis Sonntag nach Epiphanias 1722: 6.34.3.463: „Bey der den XIII. Augusti MDCCXX1. Angestellten Investitur des Herrn ... S. Deylings“; 6.46.8.53: Ostern bis Himmelfahrt 1725 (Neue Kirche); 6.35.1.849: 1. Sonntag nach Epiphanias bis Mariä Verkündigung 1724; 6.34.3.209: Ostern bis Misericordias Domini 1724; 6.34.3.208: 3. bis 6. Sonntag nach Trinitatis 1725.