Kleine Beiträge 201 mission gebildet, der unter anderem der Leipziger Professor der Anatomie Wilhelm His, der Bildhauer Carl Seffner und der Historiker Gustav Wustmann angehörten. Die Ergebnisse der Grabungen und Untersuchungen veröffent lichte His im Auftrag der Kommission 1895 in einem Bericht an den Rat der Stadt Leipzig. 5 His nennt in seinem offiziellen Bericht einen Anhaltspunkt für die Auffindung der Gebeine, aufgrund dessen das Grabungsareal sich wesentlich eingrenzen ließ: „Nach der bestehenden Ueberlieferung sollte ... Bach sechs Schritte ge radeaus von der Thüre an der Südseite der Kirche beerdigt worden sein“. 6 * Eine Quelle für diese Überlieferung wird allerdings nicht genannt. Wustmann, der kurz zuvor einen eigenen Beitrag zum Thema „Bachs Grab“ veröffentlicht hatte, stand dieser „angeblichen Tradition“ sehr kritisch gegenüber. Durch ihn erfahren wir immerhin Näheres über ihr Zustandekommen: „Ein Mann von fünfundsiebzig Jahren - es ist der in Leipzig allbekannte Lokalhistoriker des Leipziger Tageblatts ... soll kürzlich erzählt haben, daß ihm, als er fünfzehn Jahre alt gewesen sei, ein damals neunzigjähriger Gärtner die Grabstelle Bachs gezeigt habe. Von der kleinen Thür an der Südseite der Kirche sechs Schritte geradeaus - dort sei das Grab gewesen.“ Die „kürzlich“ erfolgte Mitteilung des ungenannten „Lokalhistorikers“ erschien allerdings bereits neun Jahre zuvor - mit kleinen Abweichungen — in der Leipziger Zeitung vom 21. März 1885: Nun kann aber Correspondent aus eigener Erfahrung mittheilen, daß vor länger als fünfzig Jahren ein über achtzig Jahre zählender Leipziger Einwohner, ein Gärtner, ihm an Ort und Stelle genau den Platz gezeigt hat, wo Bach’s Gebeine ruhen. Derselbe befindet sich dem südlichen Eingänge zur Kirche gegenüber, in einer Entfernung von etwa sechs Schritten. ... Die vom Rathe jetzt aufgestellte Gedächtnißtafel ist, nach angegebener Hinweisung, demnach an ganz richtig gewählter Stelle der Kirchen wand angebracht. 8 5 W. His, Johann Sebastian Bach. Forschungen über dessen Grabstätte, Gebeine und Antlitz. Bericht an den Rath der Stadt Leipzig, Leipzig 1895 (Ebenfalls von His: Anatomische Forschungen über Johann Sebastian Bach ’s Gebeine und Antlitz nebst Bemerkungen über dessen Bilder. Des XXII. Bandes der Abhandlungen ... der König!. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Leipzig 1895). 6 His (wie Fußnote 5), S. 4. G. Wustmann. Bachs Grab, in: Die Grenzboten 53, Nr. 42 (Leipzig 1894), S. 118. 8 Erste Beilage zur Leipziger Zeitung. Nr. 67 (21. März 1885). S. 1000. unter „Kunst und Wissenschaft“. Die Gedenktafel an der Südwand der alten Johanniskirche wurde nicht unmittelbar neben der Kirchentür sondern etwas östlich versetzt angebracht. Sie ist auf Photographien aus der Zeit vor deren Abriß 1894 erkennbar. Das vermutete Bach-Grab befand sich etwa zwischen der Tür und der Gedenktafel (siehe His, wie Fußnote 5, Skizze auf S. 5).