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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.12.1880
- Erscheinungsdatum
- 1880-12-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188012041
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18801204
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18801204
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1880
- Monat1880-12
- Tag1880-12-04
- Monat1880-12
- Jahr1880
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.12.1880
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Erste Beilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger. »«r. Sonnabend den 4. December 1880. 74. Jahrgang. preußisch« Landtag. * Berlin, 2. December. Die heutige Rede de- Aba. v. Bennigsen bei Gelegenheit der alljährlich Wiederkehr enden Beschwerden über die Bauchung der amtlichen Inserate al« Straf- »nd Znchtmittel für die oppositionellen, al- Be lohnung für die „gutgesinnten" Zeitungen war nach «ehr als einer Richtung >hin bedeutsam und bildete den Gegenstand sehr lebhafter Commentare. In der Sache selber förderte die Debatte nur Da» zu Tage, wa» schon oft und immer vergeblich ge tadelt worden. Gras Eulenburg identificirte sich auch heute wieder mit dem bekannten Staatt- »«tfierialbeschluß, der die Zuwendung amtlich« Bekanntmachungen an „reich«-, deutsch-, preußen- feindliche oder oppositionelle Blätter" untersagt; ihm secundirten, wie gewöhnlich, nur die Herren, welch« „die Geschäfte de« Lande« führen", d. h. die Conservativen; ihm widersprachen, wiederum wie gewöhnlich, die Redner jener Parteien, deren Organe unter dieser einseitigen und ungerechten Praxi« am meisten zu leiden haben, nämlich Liberale und Ultramontane. Bedeutsam war "denn auch weniger Da«, wa- gesagt wurde, al« wie e« gesagt wurde und namentlich von Lea Führern der Nationalliberalen gesagt wurde. Wir heben au- der Rede Bennigsen'« die folgenden Sätze hervor: Aba. von Bennigsen: Ich werde mit meinen politischen Freunden für den Antrag, der eine Norm fein soll, stimmen. Für extreme Fälle, wo die Regie rung in nicht zu billigender Weise angegriffen wird, darf diese Norm natürlich nicht gelten. Die „Posener Zeitung", von der hier die Rede, ist doch aber kein extreme« Blatt, auf diese darf also die Ausnahme nicht ausgedehnt werden. Wenn die Behörden, speciell auch die Forstoerwaltung, die Inserate entliehen, so handeln sie gegen da« fiScalische Interesse. ES wäre überhaupt erwünscht, wenn wir unsere Empfindlich keit, die die Neuheit unsere« parlamentarischen Leben« documentirt, doch fabren lassen, wenn wir un« auch nicht die Dickfelligkeit aneignen sollen. Jetzt wird Derjenige mit den größten Borwürfen überschüttet, welcher die Regierung angreift. Wissen Sie aber, ob die jetzige Majorität nicht bald eine Minorität werden kann? Ich möchte also alle Parteien, auch die Regie rung, bitten. mehr Gerechtigkeitsgefühl walten zu lassen, sonst kommen wir zu keiner richtigen Lösung der Verhältnisse. Die Regierung hat sich der Hülfe aller Parteien bedient, sie möge also nicht jeder Oppo sition gleich den Charakter deS Umsturzes aufdrücken. Auch unS ist es passirt, mit den Radicalen und Eommunisten zusammengeworfen zu werden. Auch mein Freund Rickert ist schon so genannt worden. Diesen Vorkommnissen müssen wir Alle entschieden entgegentreten durch Annahme deS vorliegenden An trag«. (Beifall links.) Bon besonderem Interesse waren ferner die Debatten über den Etat der königl preußischen Lande-lotterie. Abg. Löwe (Bochum) lenkt die Aufmerksamkeit auf den massenhaften Vertrieb fremder Loose in Preußen. In Frankfurt z. B. wurden jährlich 1k bis 20.000 fremder Loose gespielt. Gebe e« denn kein anderes Mittel hiergegen al« den Strafrichter? Seiner An sicht nach ser da« einzige Mittel dagegen, daß man die preußischen Lotterieloose vermehre. So lange dieses nicht geschehe, verleite man Tausende von Menschen, mit dem Strafgesetze ru collidiren. Will man die Lotterie nicht ganz aufheben, so gebe eS nur diesen zweiten Weg. Finanzminister Bitter erkennt die Tbatsache an. daß im Berhältniß zu der preußischen Lotterie daS Spielen in auswärtigen Lotterien in Preußen sehr um sich gegriffen hat. Diesem Bedürfnis der Bevöl kerung gegenüber könne man freilich die Lotterie ganz ausheben; aber da» hätte zur Folge, daß da« Spielen in auswärtigen Lotterien noch erheblicher um sich griffe. Wollte man demselben eine Concurrenz bereiten, so müßte man allerdings die preußischen Loose vermeh ren. Die Regierung aber hat sich dazu noch nicht entschließen können, weil sie die Lotterie überhaupt nicht für eine erwünschte Einnahmequelle hält. Sollte da« Hau« einen Antrag auf Vermehrung der Loose stellen, so bemerke ich, daß die Regierung die Sache sorgfältig erwägen würde. Eine darau» resul- tirende Mehreinnahme würde für mich nicht so sehr in Bettacht kommen, wie Beseitigung der Unzuträg- lichkeiten, die da« jetzige Strafverfahren gegen zahl reiche Einwohner nach sich zieht. Ich würde auch au« diesem Grunde wünschen, daß da« Eindringen fremder Loose nach Preußen verhindert werde; da die« aber nicht möglich ist, so giebt e« allerdings nur da» Mittel, die preußischen Loose zu vermehren. Ich werde die« aber nicht beantragen, und muß e« event. dem Hause überlassen. Abg. v. Uechtritz: Wir haben gestern erst über dm Totalisator gesprochen. Ich verweise ferner auf die vielen kleinen Privatlotterien, wo weit weniger gewonnen al« gezahlt wird. Da« ist ein viel größere» Üttxl al« da» der Preußischen StaatSlotterre, und deshalb bin ich dafür, daß wir an der letzteren noch nicht rütteln. Ich meine, e« ist geboten, daß man dem Spielbedürfnisse in vernünfti- Weise entgegenkommt. ES kommt hinzu, auch mit den preußischen Lotterteloosen mögliche Schwindel getrieben wird. Man hat jetzt schon für ein Loos einen Ausschlag von 80 X zu zahlen, so daß, wenn man in Betracht zieht, daß die Hälfte der preußischen Loose sich in den Händen von Händlern befindet, bet jeder Lotterie da» Publi cum um «K0,000 geschädigt erscheint. Abg. Strosser weist darauf hin, daß früher da« Hau« sich immer «her für Aufhebung der Lotterie al« für da« Fortbestehen und Erweitern derselben erklärt Hab«. Sre sei stet« nur al« ein nothwendige« Uebel angesehen worden. Die Zahl der Loose jetzt noch zu erhöhen, sähe so au«, al« wolle man dm Satan durch Beelzebub vertreiben. Aba. vr. Seelig theilt die Ansicht, daß die Privat- und Wohlthätigkeu«-Lotterien eben solchen Schaden i« Volke anrichten wie die StaatSlotterien, weil sie di« Spielwuth in demselben Grade nähren, aber nicht einmal haare« Geld dem Gewinner einbringen. Redner hält auch die Etaat-prämimverloosungm für eine größere Schädigung de« sittlichen Bewußtsein«, al» die StaatSlotterien sie mit sich brächten. Er wünsche, daß die preußische mit den anderen deut schen Regierungen ein Cartell behuf« Aufhebung oder gemeinsamer Regelung aller LandeSlotterien ver einbatte. Jetzt sp eien viele gerade in anderen Lot terien, weil sie abergläubischerweise dort mehr Glück erwarten, wo da« Spiel eln verbotene« ist. Abg. Löwe (Bochum): Die Gemeinsamkeit der Lotterien in ganz Deutschland würde an dem Uebel gar Nicht« helfen: sie würde nur in einer nebensäch lichen Form etwa« ändern. Auch die Wohlthätigkeit«- Lotterien de- Herrn Strosser sind nicht minder ver werflich al« die StaatSlotterien; will man diesem Uebel ein Ende machen, so müsse man auch die Privat lotterien beseitigen. Abg. Windthorst verspricht, nächsten« die An regung zu geben, daß da« ganze Lotteriespielen auf höre. Der Staat dürfe sich nicht durch Begünstigung unmoralischer Einrichtungen Emnahmen verschaffen. In der heutigen Sltzurg dcr nationallweralen Fractioo wurde zunächst der Antrag de» Abg. v. Tiedemann: „Da« Hau« der Abgeordneten wolle beschließen: die königl. Slaat-regierung zu ersuchen, in Erwägung zu ziehen, ob nicht bei ferneren Begebungen von Anleihm auch StaatS- papiere auf Namen au-zugrben seien" verlesen. Da der Antrag dieselbe Richtung verfolgt wie die bereit« im vorigen Jahre bei Berathung de« Etat« der Staatsschuldeuverwaltung vom Abge ordneten Kalle mit Zustimmung der Fraction gegebene Anregung und nicht einmal so weit gebt wie letztere, erklärte sich die Fraction mit der Unterstützung de« Antrag« einverstanden. Be züglich der Eisenbahnräthe war man über einstimmevd der Ansicht, daß an der Idee an sich seflruhalteu sei, daß gerade die dem betreffenden Gesetzentwurf beigedruckteu Protokolle der Eisen bahnconferenzen erneu neuen Belag geben für die Zweckmäßigkeit der gutachtlichen Anhörung von Vertretern der verschi«>enen wirthschaftlichen Kreise. In Bezug auf die Einzelheiten der Vorlage soll den in die Commission zu entsendenden FracttonS- mitgliedern keine bindende Instruction gegeben werden, mit AnSnahme der Bestimmung betreffend die Betheiligung von Mitgliedern der Volksser tretung an den Verhandlungen de« LandeSeisen bahnrath«. Diese Beteiligung soll entschieden bekämpft werden. Ueber die Art der Bestellung der Mitglieder der Bezlrk-eisenbahnräthe (tz. 3 der Vorlage) gingen die Ansichten »»«einander. Wie wir hören, sind nicht nur die National liberalen und Freiconservativen Gegner der Betheiligung von Volksvertretern an dem Lande-eisenbahnrath, sondern auch bei einem Theile der Conservativen herrschen lebhafte Be denken gegen diesen Vorschlag. Auf der andern Seite soll da- Centrum und ein Theil der Con- servativen dem Vorschlag zuzustimmen geneigt sein. r Kaufmännischer Verein. * * Leipzig, 3. December. Im Kaufmännischen Verein hielt gestern Abend Herr Diakonu« Graue au« Chemnitz einen Vortrag über da- Thema „Kirche und Protestantismus." Der Vortragende bemerkte einleitend, er werde dos Verhäl'oiß zwischen Kirche und ProtestantiS mu« nach zwei Seiten der Betrachtung unter ziehen, mdem er erstens darzuthun geder-ke, daß Kirche und Protestantismus, in richtigem Sinne verstanden, sich nicht au»schließen, sondern in reiner Harmonie mit einander zu leben vermögen, und zweitens, daß die Kirche, wie sie der römische Ka- tholiciSmu« darstelle, in unversöhnlichem Widerspruch zu dem modernen Staatswesen stehe. Da« Wesen de« Protestantismus, wenn man diesen Begriff in ge schichtlichem Sinne auffaßt, drückt sich in dem Princip der Reformation aus, welche« auf zwei Haupt gedanken beruht: in dem alleinigen Ansehen der heiligen Schrift und in der Rechtfertigung der Menschen durch ihren Glauben. Der Protestantismus hat deshalb das alleinige Anse hm der Bibel be tont, weil dieselbe sein Princip bezeugt, und zum Anderen hält er daran fest,7 daß seine Bekenner sich unmittelbar mit ihrem Gott durch den Glauben vereinen können, ohne daß da ein Priester Hinein reden und die Mittelsperson spielen darf. Daraus folgt nicht, daß da- Wesen de- ProtestamiSmu« tm Widerspruch zu der Kirche steht, denn die wahre Kirche hat ein Interesse daran, auf die religiöse Freiheit ihrer Mitglieder bedacht zu fein. Au- der individuellen Freiheit heraus muß die religiöse Gemeinschaft entstehen. Freilich ist diese religiöse Gemeinschaft noch keine Kirche, dazu wird sie erst durch Einfügung einer bestimmten Ordnung, mit welcher sich die religiöse Freiheit recht gut ver trägt. Der Kirche muß daran gelegen sein, daß die kirchliche Ordnung au« dem Wesen ihrer religiösen Gemeinschaft hervorgehl, daß sich nicht« Fremde« dazwischen drängt, »nd wenn die Kirche begriffen hat, daß sie religiöse Gemeinschaft und nicht RecktSgemeinschast ist, dann wird sie feste kirchliche Normen nur insoweit fordern, al« sie zur Aufrecht Haltung der Ordnung in ihrer Gemeinschaft nothwendig sind. Aus der anderen Seite thut e« der subjektiven Freiheit kein« Ein trag, wenn sie sich an eine bestimmte kirchliche Ordnung aufügt, zwischen beiden hat eine Ver söhnung, eine Ausgleichung stattzufinden. Der Vortragende betonte hiernach, daß die re ligiöse, die individuelle Freiheft, welche mit dem Wesen de« Protestantismus Verb »öden fei, keine«- weg« eine Zersplitterung der kirchlichen Gemein schaft bedinge, sondern in größeren kirchlich« Ver bänden, wie sie die Landeskirchen darstellen, besser gewahrt erscheine. Nun werde man sagen, die L»nde«ktrche habe ein bestimmte« Bekenntuiß und wo bleibe bei diesem Br kenn Iniß die Freiheit? Gewiß müsse eine jede Kirche ihre bestimmte, Zeinen Schwankungen unterworfene Glauben-grund- lage haben und e« dürfe der Majorität nicht an bei« gefielt sein, darüber abzustimmen, worin der Glaube bestehen soll. Unser Glaube au Christ»« oder au die Liebe Gotte« in Christo stehe fest und er lasse sich recht wohl auf die geschichtliche Person de« Jesu« von Kazareth, auf ihren weltbewegenden Einfluß und hre Jahrtausende sich erhaltende kirchliche Kraft begründen. Aber eine wettere Frage laute: Wie verträgt sich der Protestantismus mit dem Cult»« der Kirche? Wenn e« gewiß wahr fei, daß der Glaube an Gott sich in den Werk« de- Menschen, in seinem tagtäglichen Handeln zu bethätigen hat, daß der Glaube sich al« eine Macht erweist in der guten That, so gebe e« außer dieser Bethäti- gung im Alltagsleben doch auch noch eine solche an den gottgeweihten Stätten, in den kirchlichen Hallen und an den Altären, wo der Mensch sich seiner Gemeinschaft mit Gott voll und ganz be wußt wird. Der Redner gelangte nunmehr zum zweiten Theile seine« Vortragrs, in welchem er nachwie«, daß ein unversöhnlicher Gegensatz zwischen der römisch-katholisch« Kirche und dem Protestantismus, sowie dem modernen Staat vorhanden ist. Nach der protestantischen Lehre ist die Kirche erst der Anfang des Ideals und reformbedürftig, können ihre Mitglieder da« Recht der Prüfung und Kritik an den Einrichtungen der Kirche üben, während die römisch-katholische Kirche durch eine überirdische Wunderthat in die Welt al« voll kommen fertige und ideale Kirche gekommen sein will. Die römisch-katholische Kirche gesteht ihren Mitgliedern nicht das Recht zu, zu prüfen und zu sichten, sondern sie behaupet, sie sei da« Ideal Gotte«, da« Reich Gotte«, und darum nimmt sie auch die allein selig machende Kraft für sich in Anspruch. Sie weiß im gegebenen Falle allerdings einen Unterschied ru machen, indem sie in solchen Ländern, wo sie chrer Herr schaft nicht ganz sicher ist, Millionen solcher Katho liken duldet, welche nicht so ganz unbedingt auf ihrem Standpuncte stehen, aber rn den Ländern, wo sie unbeschränkt gebietet, verlangt sie unbe dingte Unterwerfung. Die römisch-katholische Kirche lehrt bekanntlich, daß der Mensch gar nicht ander- zu Gott kommen kann al« durch ihre Priester, und nur wenn der Mensch unbedingt an den Priester glaubt, garantirt sie ihm die Seligkeit. ES giebt ohne Zweifel viele Katholiken, welche sich diesem Priesterjoch entziehen, aber da« Princip der katholischen Kirche bleibt darum bestehen, daß, wer nickt blind an dieselbe und ihre Priester glaubt, den Qualen der Hölle und ewigen Verdammniß anheimfällt. Die katholische Kirche erhebt ferner den Anspruch, daß, da sich Alles dem Reiche Gotte« unter werfen müsse, diese Unterordnung anch der Kirche gegenüber stattzufinden habe, weil sie der Inbe griff de- Reiche« Gotte« sei, und sie fordert dem gemäß, daß der Staat mit seinen sämmtlichen Einrichtungen, mit seinen Lehr- und Kunstanstalten sich ihr unterordnet. Die römische Kirche hat zu allen Zeiten nach der Weltherrschaft gestrebt, sie will die unbedingte Herrschaft de- heiligen Papst- und Prlesterthum« über da« nach ihren Lehrsätzen unheilige Volksleben. Davon, daß der Staat die sittliche Organisation de« gesammten Volks leben« in der Form des Rechte» ist, davon hat die katholische Kirche keinen Begriff. Dieser Grund satz ist erst durch die Reformation wieder an da« Tageslicht gezogen worden, deren Urheber, Luther, jede Arbeit, wenn sie nur mit Treue und Offen heit geschieht, al« «ne heilige. Gott wohlgefällige erklärte. Daß die katholische Kirche die vürger- licke Arbeit gering schätzt, beweist der Umstand, daß sie das Klosterleben für besser erklärt al« eine bürgerliche Hantierung; sie hat die Ehe degradirt, indem sie da« ehelose Leben al« besonder- verdienstlich hin gestellt und allen ihren Priestern zur Pflicht gemacht hat, eine Lehre, in welcher auch durch die Reformation Wandel ar schafft worden ist. Die katholische Kirche hat endlich da« Papstthum und da« Kaisertham so gegenüber gestellt wie Sonne und Moad, indem sie deducirt, da« Kaisetthum könne Da«, wa« e« zu seiner Existenz bedürfe, lediglich vom Papstthum, dem sie die Rolle der leuchtmden und erwärmen den Sonne zuertheilt, empfangen. Die protestan tische Kirche dagegen giebt dem Staat, wa« ihm gebührt, sie weist ihm die allgemeinen sittlichen Aufgaben zu, während sie für sich allein nur die Grundlage der Sittlichkeit, die Pfl'ge der Religion beansprucht. Der Redner kam nun aus den sogenannten Culturkampf in Preußen zu sprechen und er be tonte. e« sri für die preußische Staatsregieruug geradezu Pflicht der Selbsterbaltung gewesen, den Kampf gegen die Curie aufzuarhmen. Er be merkte aber zugleich, daß dir Regierung nicht allenthalben zweckmäßig- Gesetze zur BMmpfuog ihre« Gegner« erlassen und daß sie einen großen Fehler begangen, indem sie die Macht der römisch- katholischen jftrche unterschätzt habe. Mehrere der gegebenen Gesetze möchten vom Standpuncte de« Staate« an« gerechtfertigt gewesen sein, aber eine andere Frage sei, ob e« klug gewesen, zu diesen Gesetzen r» «ressen, da sie sich nur zu bald al« unauSsührvar erwiese» und dazu gedient hätten, den Fanali-mu« in der katholische« Be völkerung noch mehr anzusachev und dadurch die Macht de« Kleru« in bedenklicher We sc z, stärken. E« hätte noch anderer Mittel bedarf; um die Macht Rom« wirksam zu bekämpfen. Voi allen Dingen hätte die preußische Regierung de» AllkatholiciSmuS viel kräftiger unterstützen und so dann hätte sie auch den Beistand der evangelisch- lutherischen Kirche im Kampfe nicht zurück Meisen, deren Diener, denen man doch kerne staatsfeind lichen Tendenzen zur Last legen konnte, nicht gleich zeitig mit unter die Herrschaft der Maiaesetze stellen sollen. Ein Fehler der preußischen Regie rung sei auch gewesen, daß sie ihre Hand daz« gnncht, daß die protestantische kirchliche Mittel partei an die Wand gedrückt ward.». Nach alldem betonte der Vortragende am Schluffe seiner mit großem rhetorischen Gffch'ck und mit überzeugung-voller Lebendigkeit gegebenen Ausführungen, gewiß hätten die preußischen Mai gesetze nach mancher Richtung bin segensreich ge wirkt. er glaube aber, daß das Ende de« jetzigen Kampfe« nicht ohne Schädigung de- Ansehen« de- Staate« erfolgen werde. Ueber da« einstmalige Ende de« großen Kampfe« zwischen der römisch-katho lischen Kirche und dem Protestantismus sowie dem mit ihm verbündeten Staat könne man ruhig sein! E« wwde noch mancher Strauß auSzufech- ten sein, aber da« Mark de« stolzen Baume« der römisch-katholischen Kirche sei krank und ihre Herr schaft werde sicher überwunden werden. (Allge meiner lebhafter Beifall) Neues Theater. Leipzig, den 3. December. Einer der nam haftesten deutschen Schauspieler, Herr Ernst Possart, Direktor de- HosschauspielS in München, eröffnet« gestern hier einen Grstcollencyklu«, der um so größere Theilnahme finden wird, al- H:rr Possart überhaupt da« erste Mal vor dem Leipziger Publicum austritt: von den berühmten Künstlern der Gegenwart wohl der Einzige, der bisher unserer Bühne fremd war. Die Rolle deS Advocateu Berent in dem Björn- son'schea Schauspiel: „Ein Fallissement" gehört eigentlich nicht zu den großen Glanzrollen, welche euren Theaterabend beherrschen, aber sie beherrscht eine große Scene und zwar die bedeu tendste deS Stücke« und giebt der darstellenden Kunst Gelegenheit, nicht zur Entfaltung äußerer Effectmittel, aber zur Entfaltung eine« sich gleich sam vor unseren Augen erschließenden Charakters. Und diese Gelegenheit wurde von Herrn Possart in meisterlicher Weise benutzt. Der kreuzbeinige, lahme, altfränkisch gekleidete Advocat mit seinen kleinlichen Lebensgewohnheiten, dem wie e« scheint unentbehrlichen Iaventar an Dose, Brille und Schnupftuch, da« er sich mit peinlicher Sorgfalt zurechtlegt, imponirt alsbald durch die unbarmherzige Strenge und Unerbittlichkeit, mit welcher er dem Bankerottirer zu Leibe geht. Da ist auch anfangs in der großen Scene mit Tjälde der Fall, man glaabt einen starren, pnnttchrn RechtSvertreler in ihm zu sehen, der rn seinem Fach zu Hause ist wie wenige. Dann verwandelt sich mit der Scene das Charakterbild; dem sinn losen Großhändler gegenüber, der ihm sogar mit der Pistole droht, wahrt er eine geistige Ueberlegen- hert, die so tmponirend ist, sich zu solcher Größe erhebt, daß Tjälde, von ihr besiegt, zusimmen- bricht. Die« spielte Herr Possart au-druckSvoll und sieghaft und dann fand er wieder den Ton de- Mitleid-, de« ausrichtenden Tröste», der freund schaftlichen Zuneigung, ohne die Eigenart dcS Charakters bei diesen Wandlungen zu verzetteln. Auch die idyllische H.iterkeit und Munterkeit im letzten Acte stand ihm wohl zu Gesicht. Der Dar steller besitzt überdies eia sehr wohllautende« Organ, klar und hell, auch in der Rolle de« alten Manne«, wo e« keine oratorischen Trümpfe auSzuspielen hat, und ein ausdrucksvolle« Mienen spiel. Der lebhafteste Beifall lohnte dem Gast nach der großen Hruptscene und am Schluffe. Da« Stück von Björnson ist wohl da« beste von den skandinavischen Dramen, welche die neueAuS- länderei in allzu großer Fülle unserer Bühne an zueignen sucht. Zwar ist de« nassen Familien« zammer« darin wohl etwa« zu viel, und da- Detail eine« Fallissement« wird un« mit zu aus giebigem Realismus vorgeführt; doch einzelne Sceuen sind echt dramatisch und vor Allem ist die Charakterzeichuung vortrefflich. , Diese nordischen Charaktere haben etwa- Spröde«, Verschlossene«: giebt e« ein junge« Mädchen voa einer strengere« Lebensauffassung" al« diese Wal burg, einen stolzeren jungen Manu al« diesen Prokuristen mit den rotym Händen, dem linkischen Wesen und dem edeln Herzen? Wa« ist Donna Diana und Don Cäsar gegen die« norwegische Liebespaar, da« voa Fräulein Sa trau und Herrn Ellmenreich charakteristisch gespielt wurde: nur müßte der innere Jubel der Wal burg, al« endlich da« Ei« gebrochen ist, noch froh lockender hervor treten. Auch Tjälde, der Großhändler, ist eine solche nordische Natur; daher muß er nach unserer An sicht in der ersten Hälfte de« Stücke«, welche Stürme auch in feinem Innern wüthen mögen, äußerlich fester und ungebrochener erscheinen, al« die« im Spiel de« Herrn Förster der Fall war. Die Scenen de« Affecte« aber spielte der junge Darsteller mit großer Wärme »nd unterstützte be sonder« Herrn Possart wirksam in der Hruptscene. Fräul. Tulling er al« Sign: stellte da« eigen sinnige verwöhnte Mädchen mit Munterkeit und Koketterie dar; Herr Ottbert den Leutenant Hamar mit Gewandtheit »ud Tournure mit Wärme
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