„Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ und die antike Redekunst Von Z. Philip Ambrose (Burlington, Vermont) fn Obgleich sich der Text zu Bachs Kantate „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ (BWV 12) nicht unter den gedruckten Werken Salomo Francks 1 findet, wird seit Spitta allgemein angenommen, daß Franck der Textdichter dieser Kantate ist. 2 Wie einige Spezialstudien aus jüngerer Zeit erweisen, deutet eine Reihe von Anzeichen auf den prominenten Weimarer Hof dichter. So hat Alfred Dürr auf die dem Neumeisterschen Typus angehörige Form hingewiesen, wie sie für Francks Kantatendichtung charakteristisch ist. Außerdem zeigt er Textparallelen auf, die zwischen Kantate 12 und belegbaren Franck-Dichtungen bestehen. 3 Ferdinand Zander bemerkt zusätzlich einige Francksche Stileigentümlichkeiten: die Häufigkeit von Composita und Figurae etymologicae sowie eine Vorliebe für Substantivreihen. 4 Auf zusammengesetzte Substantive als ein besonderes Stilmerkmal Francks hatte Paul Brausch aufmerksam gemacht. 5 „Der Ähnlich keiten der Kantaten 12, 172 und 182 mit Franckschen Texten sind so viele, daß man sie Franck oder allenfalls einem Franck-Imitator zuschreiben muß.“ 6 Neben diesen dichterisch-rhetorischen Elementen muß jedoch als Ausweis für die Ur heberschaft Francks im Blick auf BWV 12 auch die Tatsache gelten, daß das Schreiben von Trauergedichten eine besondere Stärke Francks war. 7 Sein eigenes 1 Das Belegmaterial für den vorliegenden Beitrag ist folgenden Werken Francks entnom men : Evangelisches Andacbts-Opffer... in geistlichen Cantaten welche auf die ordentliche Sonn- und Fest-Tage in der F. S. ges. Hof-Capelle Zur Wilhelmsburg A. 17 1 5- musiciren (Weimar 1715) [=EvAO]. Epistoliscbes Andacbts-Opffer in geistlichen Cantaten über die Sonn- und Fest-Tages Epi steln durch das gantze fahr (Weimar und Jena 1718) [= EpAO], Geist- und Weltliche Poesien (Jena 1711—1716) [= GWP]; enthält als Nachdruck: Evan gelische Seelen-Lust über die Sonn- und Festtage durchs gantze fahr (1694) und Madri- galiscbe Seelen-Lust über das heilige Leiden unsers Erlösers (Arnstadt 1697). Geistliche Lob- und Danck-Opffer (Weimar 1717) [= GLD]. Evangelische Sonn- und Fest-Tages-Andachten (Weimar und Jena 1717) [ = EvSFA]. Vgl. die vollständige Bibliographie (einschließlich der Sekundärliteratur bis 1954) bei A. Dürr in MGG IV, Sp. 681-685. - Für manchen guten Rat, dessen ich als klassischer Philologe besonders bedurfte, bin ich Christoph Wolff dankbar. 2 H. Streck, Die Verskunst in den poetischen Texten zu den Kantaten J. S. Bachs = Ham burger Beiträge zur Musikwissenschaft, Bd. 5, Hamburg 1971, S. 5, hält die Autorschaft Francks bei BWV 182, 12, 172 und 21 auf Grund der Forschungen vor allem Spittas und Dürrs für „nahezu sicher“. Vgl. auch Dürr St 2, S. 85-89 u. ö. 3 Dürr St 2, S. 85. ä Die Dichter der Kantatentexte fohann Sebastian Bachs, in: BJ 1968, S. 12F 5 Die Kantate. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Dichtungsgattungen, Diss., Hei delberg 1921, S. 181. 6 Zander, a. a. O., S. 15. 7 Vgl. J. K. Schauer, Salomo Francks Geistliche Lieder in einer Zeitgemässen Auswahl, Halle 1855, Vorwort, S. XIIf., zu Francks dichterischen Bezügen auf Sterblichkeit und Tod auch