Bach und der Picander-Jahrgang - Eine Erwiderung Von William H. Scheide (Princeton, N. J.) Für den Biographen ist es gewiß höchst bedeutsam zu wissen, ob Regelmäßig keit oder ihr Gegenteil den Schaffensprozeß eines Komponisten prägen. In die sem Sinne war es für mich besonders erfreulich, daß Klaus Häfners Artikel über den Picander-Jahrgang 1 die zwischen Alfred Dürr und mir 1961 geführte ein schlägige Diskussion 2 wieder aufnahm. 3 Wenngleich Häfners Darlegungen mei nen damals geäußerten Auffassungen in wesentlichen Punkten widersprechen, werde ich nachstehend - mit einer Ausnahme - auf die Wiederholung meiner seinerzeit vorgetragenen Argumente verzichten. Häfners Interpretation einiger Quellen des 18. Jahrhunderts - es handelt sich um Zitate aus dem „Nekrolog“ von 1754, aus Briefen Carl Philipp Emanuel Bachs von 1774 und 1775 sowie dem 1728 gedruckten Vorwort des Picander- Jahrganges 4 5 - weicht substantiell von der meinigen ab. Zu fragen bleibt jedoch, ob die angezogenen Stellen wirklich so klar und unzweideutig, wie Häfner glaubt, gegen meine Auffassung sprechen. Kann denn etwa die Erwähnung von „fünf Jahrgängen“ von Kirchenkantaten als gesichert gelten, wenn sie auf einem Bericht basiert, den einer seiner Autoren selbst „zusammgestoppelt“ und „nicht viel wehrt“ 3 titulierte? Oder sollte man nicht lieber darauf verzichten,auf mehrdeutigen Quellenaussagen als Basis ganze Hypothesengebäude zu errich ten? Einen oft zitierten Bericht Johann Friedrich Rochlitz’ läßt Häfner gänzlich un erwähnt: Hiernach schickte Bach dem Superintendenten Salomo Deyling „jedes mal zu Anfang der Woche mehrere auf den Tag gerichtete Texte seiner Kirchen stücke zu (gewöhnlich drei) und der Doctor wählte daraus ... Man fand nach [Bachs] Tode fünf ganze Jahrgänge derselben für alle Fest- und Sonntage.“ 6 Die Worte „gewöhnlich drei“ tauchen bei Rochlitz ohne erkennbaren Anlaß auf und kollidieren überdies mit dem Hinweis auf „fünf ganze Jahrgänge“, den Rochlitz aus dem Nekrolog oder aus Johann Nikolaus Forkels Bach-Biographie von 1802 übernommen haben dürfte. Nachdrücklich ist zu fragen, was dieses „gewöhnlich drei“ hier zu bedeuten hat, ob es ernst zu nehmen ist oder aber ignoriert werden sollte, schließlich, ob ein Bericht Rochlitz’ als weniger zuverläs- 1 BJ 1975, S. 70ff. 2 Mf 14, 1961, S. 60-6 j, W. H. Scheide, Ist Alizlers Bericht über Bachs Kantaten korrekt!; ebenda, S. 192-195, A. Dürr, Wieviele Kantatenjahrgänge bat Bach komponiert? Eine Entgegnung -, ebenda, S. 423-427, W. H. Scheide, Nochmals Alizlers Kantatenbericht - Eine Erwiderung. 3 Vgl. auch W. Blankenburg, Die Bacbforscbung seit etwa ig65, in: Acta Musicologica, 50, 1978, S. 93-154, besonders S. 104—109. 4 Vgl. Dok III, Nr. 666, 801 und 803, sowie Dok II, Nr. 243. 5 Zu meiner Interpretation dieser Stelle vgl. Mf. a. a. O., S. 423. 6 F. Rochlitz, Für Freunde der Tonkunst, IV, Leipzig 1830, zit. nach 5. Aufl., Leipzig 1868, S. 280. Vgl. Mf, a. a. O., S. 62. mmhhh mn