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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.05.1879
- Erscheinungsdatum
- 1879-05-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187905304
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18790530
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18790530
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1879
- Monat1879-05
- Tag1879-05-30
- Monat1879-05
- Jahr1879
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.05.1879
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3114 iuug-vorlage, Mit lebhafte« Beifall wurde e» voa der linkeu Seite des Hauses begrüßt, als der zur ReichSpartei gehörende Fürst Earolath, riuer der größten Waldbesitzer, mit einem kriis- tigen Nein stimmte. Der Reichstag vertagte sich dann bis zum 9. Suni. Die Tartscommission und die Tabaksteuercommission werden ihre Verathungen iudeß auch während der Ferien fortsetzen. Die Commission zur Beratbung des Gesetz, entwurss, betreffend da- Faustpfandrecht, hat heute dre zweite Lesung der Vorlage beendet und den zur Ueberwachung ves Pfaudhalters im Regie, runasentwurf nur facultativ voraesehenen Aus schuß der Psandbriefglüubiger zu einer obligatori. scheu Einrichtung gemacht, dabei jedoch von der Nothwendigkeit eines Ausschusses bei denjenigen Anstalten abgesehen, deren Vorstand ein Staat-, beamter ist, und bei solchen Anstalten, bei denen ein staatliches Organ zur Beaufsichtigung der Geschäftsführung des Pfandhalters vorhanden >st. Schließlich faßte die Commission noch eine Resolution, dahin gehend: 1) die Frage einer reichsgesetzlichen Regelung der Bedingungen für die Errichtung und Geschäftsführung der Grundcredit. austalten dem Reichskanzler zur Berücksichtigung zu überweisen; 2) den Reichskanzler zu ersuchen, >m Wege der Reichsgefetzgebung diejenigen parti. cularrechtlichen Vorschriften zu beseitigen, welche den unter tz. 1 d«S Gesetzes fallenden Credit, anstalten beim Grunderwerb in anderen deutschen Bundesstaaten im Wege stehen. Die sog. Wucher-Commission genehmigte in ihrer DienStagS-Abendsitzung zunächst die Vorschläge ihrer RedactionS-Commisflon, den früher beschlossenen 83. » und c folgende Fassung zu geben: ß. ». Wer unter Ausbeutung der Nothlage, deS Leichtsinns oder der llnersahrenheit eines Anderen sür ein Darlehen oder im Falle der Stundung einer Geldforderung sich oder eurem Dritten BermögenS- vortheile versprechen oder gewähren läßt, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Umständen de- Falles die Ueberschreitung in auffälligem Mißverhältnisse zu der Leistung steht, wird wegen Wucher- mit Gesängniß bis zu 8 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 1500 be straft. 8 e. Dieselben Strafen treffen Denjenigen, welcher mit Kenntniß des Sachverhalt- eine For derung der vorbezeichneten Art erwirbt und entweder dieselbe weiter veräußert oder die wucherlicben Ber» msgenSvortheile geltend macht. Die 88 d und <1 be llten die vorgestern von der Commission beschlossene Fassung. Dagegen nahm die Commission den Vor- ichlaa ihrer Redactions-Lommission an, der vorgestern beschlossenen Bestimmung über Pfandleiher und Rück kauf-Händler in der Weise einen Ausdruck zu geben, daß für 8-360 Nr. 18 des Strafgesetzbuch- folgende neue Fassung empfohlen wird: „Mit Geldstrafe bis zu 150Xl oder mit Haft wird bestraft: 18)wer als Pfandleiher oder Rückkauf-Händler bei Ausübung seine- Gewerbe- den oarüber erlaff enen Anordnungen »uwiderhandelt, in-« besondere den sür sie lände-gesetzlich bestimmten oder ,n Ermangelung lande-gefetzlicher Vorschriften von der Landesregierung zu bestimmenden Zinsfuß über schreitet. Man erachtet «S habet als selbstverständlich, daß die Pfandleiher oder Rückkauf-Händler, wenn sie den ihnen nachgelassenen Zinsfuß dergestalt über schreiten, daß die Voraussetzungen de- 8. » vorhanden sind, auch den Wucherstrafen unterliegen. Die Commission beschäftigte sich sodann mit der Frage, ob die von ihr gegen den Wucher vorge schlagenen Bestimmungen auch auf Handelsgeschäfte, bei denen der Creditnehmer Kaufmann ist, anzuwenden seien, und bejahte mit großer Stimmenmehrheit diese Frage. Man ging dabei von der Ansicht au-, daß bei der Fassung de- tz. » da- legitime kaufmännische Geschäft gegen eine nicht beabsichtigte Anwendung der Wucherftrasen gewahrt sei. Schließlich beschäftigte sich die Commission mit dem ihr ebenfalls zur Vor- beratbung »ugewiesenen Antrcme auf Beschränkung der Wechselfähigkeit, sie sprach sich aber dagegen au-, aus diesen Antrag einzugehen. In Reichstaaskreisen tritt bestimmt da» Gerücht aus, daß der Reichskanzler mit der Absicht umgeht, dem Reichstage eine Vorlage wegen einer zwei- jährigen Budget.Periode zu unterbreiten. Auch der „M. Z." wird von Berlin geschrieben: „Berlin, 88. Mat. DaS Gerücht, wonach der Reichskanzler mit der Absicht umgehen soll, die einjährigen Perioden de- Reich-Hau-- halt-etat- in zweijährige zu verwandeln, gewinnt an Wahrscheinlichkeit. Hier und da will man sogar wissen, eS würde diese Angelegenheit noch vor Ablauf dieser Session die Organe de- Reiche» beschäftigen. Man darf gespannt sein, wie weit der Reichstaa geneigt sein möchte, auch dieser neuen Ueverraschung seine Zu stimmung »u geben. Die liberale Seite de» Hause- dürfte sich, abgesehen von wenigen Aus nahmen, schwerlich dazu verstehen, und ob das Centrum jetzt schon genügenden Anhalt hat, um auch ln dieser Frag« als Bannerträger der Re gierung voraufzugehen, bleibt abzuwarten. Einst weilen möchten wir registriren, daß vielfach die An nahme verbreitet ist, r- würde der Reichskanzler mit einer derartigen Vorlage nicht vor den Reich-tag treten, wenn er nicht i« voraus der Ma jorität sicher wäre, welche eben ohne lln- lerftützung de- Eentrum» nicht möglich ist, zumal da man. wie gesagt, mu ziemlicher Sicherheit erwarten kann, dl« Liberalen geschloff.-n dagegen stimmen zu sehen." Eontreabmiral Bätsch, der Führer des Uebuug»- geschwader», bei welchem da« Panzerschiff „Großer Kurfürst" verunglückte, hat in den letzten Tagen ,u Kiel wiederholt Vernehmungen in dem sitzt neu eingeleiteten Verfahren zu bestehen gehabt. DaS neu berufene Kriegsgericht wird zu Berlin im Admiralitätsgebäude am künftigen Mittwoch den 4 Juni zusammentreten, lieber den Grund der Aus- Hebung des ersten UctheilS spalten sich die Versionen nach den beiden Richtungen: In Kiel meint ma n, es handle sich besonders um genauere Ermittlung und Feststellung de- Schuldantheils, welchen das Unter lassen deS Schließen- der wasserdichten Abtheilungs verschlüsse auf dem „Großer Kurfürst" an dem Untergange dieses Schiffes gehabt, also um ein Urtherl darüber, ob da« Schiff, wenn die Pforten geschloffen gewesen wären, nicht mit einer Ber- letzung, ähnlich wie beim „König Wilhelm", hätte o^vonkommen und von dem Untergänge bewahrt werden können. Dies würde ganz im Sinne der bekannte« Auffassung des EhesS der Admiralität liegen und dessen Position also nur stärken können. » * * Dem früheren türkischen Botschafter am Ber« liner Hofe, Aristarchi Bey, der sich seit einigen Jahren in Biebrich am Rhein niedergelassen hat, — so schreibt man unS a»S Berlin — zur Zeit aber in Konstantinopel weilt, passirte es vor Kur« »em, daß sein Wagen bei der Rückkehr von einer Fahrt am Bosporus plötzlich von 3 Leuten fest- gehalten wurde, die sich als Geheimpolizisten zu erkennen gaben und behaupteten, beauftragt zu sein, Se. Excellenz zu verhaften. Herrn Aristarchi blieb Nicht« Übrig, als mit den Leuten zum Polizei- Chef zu fahren, der ob des Geschehenen devotest um Verzeihung bat, unter dem Hiuwei« darauf, daß die betreffenden Leute noch ganz unerfahren im Dienste seien und sich geirrt hätten. „Der- jeniae, der dies Geschichtchen hörte, sagte sich wahr, schemlich, die türkische Polizei sei Herrn Madai nicht gerade als Muster zu empfehlen, wenn er einmal an eine Reform denken sollte. Was soll man aber dazu sagen, wenn die „Neue Freie Presse" sich aus Konstantinopel schreiben läßt, die nicht auf politische, sondern aus private Gründe zurückzusührende Verhaftung errege dort daS größte Aufsehen ? E« unterliegt nach den obigen unS direct zukommenden Mittheilungen keinem Zweifel, daß jener Correspondent der „N. Fr. Pr." arg mtzstificirt worden ist." Wir lassen dieser Mittheilung unseres Corre- spondenten den ständigen telegraphischen Bericht der „Pol. Corresp." auS dem Orient folgen: AuS Belgrad vom Mittwoch: Der neuernannte türkische Gesandte Sermet steht wegen de« eventuellen Abschlusses eines türkisch-serbischen Zoll- und Handelsvertrages mit dem Minister präsidenten Ristic in Unterhandlung; der Ge sandte gedenkt, sich nach Nisch zu begeben, um dem Fürsten Milan seine Creditive zu überreichen. Dem türkischen Generalconsul zu Nisch, Nico- laides, wird seiten« des Minister« Ristic daS Exequatur so lange vorenthalten werden, bi« die Pforte in den Abschluß einer Consular- convenlion gewilligt hat, welche der serbischen Regierung gestattet, inNovibazar, Pristina und Pnzrend Confulate zu errichten. Von dem Go», verneur de- „( röckit toncisr^, Fremh, ist der ser bischen Regierung da« Project der Gründung einer serbischen Nationalbank mit einem Capital von zweihundert Millionen Franc» vorgelegt worden. — Aus Philippopel vom Mittwoch: Aleko Pascha hat die rumelische Deputa tion, welche ihn in Hermanly zur Bewillkomm nung erwartete, mit dem Fez aus dem Haupte empfangen, machte jedoch alS die Deputation sich zur Umkehr anschickte, derselben da« Zugeständnis rn Philippopel mit unbedecktem Haupte einzu ziehen. Da da« Bekanntwerden dieser Nachricht hier eine bedenkliche Aufregung hervorrief (!), so reiste dem Gouverneur unter Anführung von VitaliS eine neue Deputation entgegen, deren Vorstellungen es gelang, Aleko Pascha zu bewegen, entgegen dem Befehle des SultanS, den Fez mit dem bul garischen Kalpak zu vertauschen. Aleko Pasch« wurde hieraus bei seiner Ankunft am hiesigen Bahnhofe von einer sehr großen Volksmenge enthusiastisch begrüßt; derselbe begab sich von dort in Begleitung einer bulgarischen ChreneScorte nach der Kathedrale, wo ihn der Exarch an der Spitz: drS KleruS empfing und zum Hochaltäre geleitete. Der General Stolypiv hat feinen Konak ge« räumt und wird Philippopel verlassen. Die russische Regierung tritt der nihi listischen Propaganda mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln entgegen. In Kiew fand am 18. ds. vor dem Kriegsgericht der Proceß gegen den dem Adelsstände angehörigen Walnan OssinSky, da« Fräulein Sophie Herzfeld (eine Jüdin) und den ehemaligen Studenten Wolo- schinSko statt. Die Anklage war erhoben wegen Bctheiligung an einer gegen die Staatsordnung ge richteten Gesellschaft, wegen Verbreitung von Schrif ten verbrecherischen Inhalt« und wegen Mordversuch- gegen Polizeibeamte. OssinSky und die Herzfeld wurden zum Tode durch Erschießen, WoloschmSko zu zehnjähriger Zwangsarbeit verurtheilt. Ein überraschende« Ereigniß meldet der Pariser „Globe" au« Petersburg. Einer Depesche de- genannten Blatte- vom 24 d. zufolge hat die Commission, welche den Auftrag erhalten hatte, deu Entwurf einer Berfassungsresorm inRußland unter dem Vorsitz de- StaatssecretairS Balujew au«, zuarbeiten, ihre Arbeiten vollendet und soeben eine detaillirte Denkschrift nach Livadia abgeschickt, um der Prüfung de- Kaiser« unterbreitet zu werden. Heber die allgemeinen Grundlagen des von der Commission au-gearbeiteten Entwurfes verlautet Folgende«: ES wird eine Abgeordnetenkammer, mit ihrem Sitz in der Hauptstadt de- Reiches, gebildet. Die Mitglieder dieser Kammer werden alle drei Jahre durch die Provinzial-Landtage (Zemstov) j de-Gou vernement» gewählt und »war au- ihrer eigenen Mitte. Diesen gewählten Mitgliedern ordnet die Regierung Vertreter der Krone bei, je »wei für jede- Ministerium, welche die nämlichen Rechte und Präro gative haben, wie die gewählten Mitglieder. Die Sessio nen der Kammer finden drei oder viermal jährlich statt und die Dauer jeder Session wird »um Voraus bestimmt und so angeordnet, daß die Mitglieder der Kammer an den Arbeiten der Provinzialland- taae Theil nehmen k-nnen. Die Eröffnung der ersten Session jedes Jahre- geschieht durch den Kaiser oder in seinem Namen durch einen beson deren Drlegirten. Die Kammer wählt »we, oder drei Candidaten für die Präsidentschaft, von denen der Kaiser durch «inen UkaS den ihm genehmen bezeichnet. Die Zahl der Eecretaire und deren Wahl stehen der Kammer »u, die Vertreter der Regierung können weder »u Präsidenten noch zu Secretairen gewählt werden. In Betreff der Befugnisse der Kammer wird Folgende» biftmunt: Du Kammer hat alle Fragen von öffentlichem Interesse, welche ihr durch die Ministerien, durch die Provin»ial-8ersammlungen oder durch besonderen Befehl de- Kaisers unter breitet werden. ,u prüfen und darüber Beschlüsse »u fassen. Jede- Ministerium arbeitet ein de« laillirtes Programm der Geschäft« seine- Reffort- auS, welche nothwendig vor die Kammer ge bracht werden müssen. Alle diese Pragramme werden durch den StaatSrath geprüft und der Genehmigung de- Kaiser- unterstellt. Di« Kammer hat nicht da- Recht, die Fragen der äußeren Politik, der Verwaltung und der Polizei zu behandeln, mit Ausnahme der Fälle, wo ihr eine Frage dieser Art auf Befehl de» Kaiser» unterbreitet wird. Sie hat ferner auch kein Recht der Initiative und kein Recht der Dis kussion über Fragen, die durch Bittschriften von Privaten veranlaßt und direct an die Kammer oder ihren Präsidenten gerichtet find. Die Kammer darf die Hand ungen der Regierung weder kritifiren noch tade n; jede- Mitglied hat blo- da- Recht, Interpellationen an die Vertreter der Krone ,u richten, welche auf diese Interpellationen antworten müssen, jedoch ohne au» den Schranken der Klug heit und ibrer Pflicht, die Inten ssen und dl« Würde der RegierungSgewalt zu wahren, heraus- »utretrn. Die Sitzungen der Kammer find öffentlich mit Ausnahme der Fälle, in welchen die Kammer die Verhandlung ber geschloffenen Lhüren für zweck mäßig erachtet. In Allem, wa» die Ordnung der DiScussionen sowie die zum Schutz de- Anstande» und der Ruhr sowohl unter den Mitgliedern der Kammer al» im Publicum zu ergreifenden Maß regeln betrifft, steht dem Präsidenten di-cretionaire Gewalt innerhalb der nämlichen Grenzen und unter der nämlichen Lerantwoitlichkeit zu. welche durch da« Reglement der Provinzialversamr.lungen festgesetzt find. Die Beschlüsse der Kammer über Fragen, welche ihr durch speciellen Befehl de- Kaiser« unterbreitet werden, bedürfen der kaiserlichen Eanction; Be schlüsse der Kammer über Fragen, die durch die Provmzialversammlung an sie aelangen, werden letzterer Versammlung zur Vollziehung überwiesen; die Schlußnahmen endlich über Angelegenheiten, welche von einem der Ministerien an sie gelangen, werden diesem Ministerium mitgetheilt und im Falle von Meinungsverschiedenheit zwischen dem Ministerium und der Kammer soll die Frage vor den Senat gebracht werden, welcher ein endgültige- Urtheil ohne Weiterzug sprechen wird. Die Auflösung der Kammer vor Ablauf der drei Jahre kann nur in Folge eine- speciellen Befehls de- Kaiser- statlfinden. Diese Mitteilungen sind mit Vorsicht auszu nehmen. E« ist nicht anzunehmen, daß der Czar jetzt, wo die Wogen der Revolution so hoch gehen, seinen Völkern eine Verfassung geben wird. Die Kegirnmgspresse. Dem kleinlauten Schweigen der Regierung-Presse über die Wucht de- Unwillen«, welche der Sieg der CentrumSpartei im Reichstage bei allen national und liberal gesinnten Vaterland-freunden hervorgerufen, sind nunmehr — für heute ab- gesehen von der klobengenieteten Suada der „Frei willig gonvernementalen"! — pharisäische Abschwä- chungS- und sophistische Interpretation«versuche ge« folgt. Wir geben nachstehend einen Beitrag, wie seiten- der Officiösen die Lage dargestellt wrrd und wie man regierungsseitig „moralische Eroberungen" draußen im Reiche macht. Die „Provinztal. Correspondenz" sagt in einem Artikel: „Die Präsidentenwahlen und die Mehrheit im ReichStsage" Folgende«: Der Rücktritt der bisherigen Reich-tag «Präsidenten v. Forckenbeck und v. Staussenberg und die darauf erfolgte Wahl deS conservativen Abgeordneten v. Sevdewitz zum Präsidenten und deS dem Centrum angehörigen Abgeordneten v. Franckenstein zum ersten Bicepräsidenten haben der liberalen Presse Anlaß zu den lebhafteftenAeußerungen politischewUnmuth» und schwerster Besorgniß in Bezug auf die weitere Ent- Wickelung unserer inneren Verhältnisse gegeben; man will in diesen Vorgängen einen Wendepunkt der ge kämmten Politik de- Deutschen Reiche«, den Beginn einer freiheit-feindlichen Haltung der Regierung und sogar eine schwere Gefährdung der Stellung Deutsch land- nach außen erkennen. ES bedcnf nur eine- unbefangenen Blicke- auf die THassachen, welch, den Au-gang-punct dieser unheilvollen Verkündigungen bilden, um den völligen Ungrund derselben zu erkennen. Sie hätten viel leicht einen wenigsten- äußerlichen Schein von Be rechtigung, wenn die Veränderung in der Leitung de» Reichstage» irgendwie von der Regierung oder von den Parteien, welche die Regierung zur Zeit in ihrer Wirthschaft-politik unterstützen, veranlaßt oder gewünscht worden wäre, — jede Berechtigung zu dem plötzlichen Aufschrei ist aber schon dadurch ausge schlossen, daß der Wechsel nn Präsidium sowohl, wie die Art der Wiederbesctzung desselben lediglich durch da» freie Verhalten und politisch berechnete Vorgehen gerade der liberalen Parteien herbeigefübrt worden ist. WaS ist denn in Wahrheit aeschehrn? Der bisherige, der nationalliberalen Partei ange- HSnge Präsident de» Reichstage» hat unerwartet außerhalb de- Reich-tage- «rne Rede gehalten, welche seinen Gegensatz gegen die wirthschaftlichen Bestre bungen der Rerch-tag-mehrheit und seine Befurch- tungen wegen der Folgen derselben in einer Art und Weise verkündete, welche di« Niederlegung seiner Stellung al- Vertrauen-mann und Vertreter des ReichStag» zur Folge haben mußte und hatte. AIS e- sich nun um die Neuwahl des ersten Präsidenten handelte, schien zunächst dre Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß ein anderer Führer der nationalliberalen Partei, der in der wirthschaftlichen Frage nicht in grundsätzlichem Gegensatze pur gegen- wärtigen Mehrheit steht und persönlich nicht minder als Herr v. Forckenbeck ein Mann allseitig«« Ver trauen» ist, der Abg. v. venni gsen, an ferne Stelle berufen würde. Diese Möglichkeit wurde jedoch sofort seiten- der nationalliberalen Partei »urückgewiesen. derrn Organe den Gegensatz, der zunächst nur auf dem Boden der winhschaftliche» Ueberzeugunaen hervorgetreten war. mit der größten Beflissenheit und Schärfe auf das allgemeine politisch« Gebiet zu übertragen suchten und von vornherein ankün- oigtrn, daß von dem Eintritt eine- Rationalliberalen in da» Präsidium nicht die Rede sein könne. Wie si hr di« liberalen Parteien die Frage de» Präsidium» zu einer politischen Varleisache machten, »«igle sich auch darin, daß alsbald auch der Rücktritt de» ersten Bicepräsidenten, Freiherrn v. Etauffenberg, all unbedingt bevorstehend angekündigt wurde und m der Lhat nach wenigen Tagen eintrat. Gleichzeitig wurde von liberaler Seite beschlossen, daß man sich an den Neuwahlen für da» Präsidium überhaupt nicht betheiligen wolle, daß vielmehr di« P,rieten, welche vorzugsweise die WirthschastSpslitik de« Reichs kanzler- unterstützten, die Präsidentenwahl unter sich ab» »machen hätten. Ebenso wie der Wechsel im Piäsidium durch h«, freien Entschluß ber Liberalen erfolgte, so also da- Verhallen der liberalen Partei absichtlich und unau-wetchltch zu der Nothwendigkeit, daß neuen Präsidenten lediglich durch Berßz,. digung unter den Conservativen und CentrumSpartei gewählt würden. So ist eS m der That geschehen, weil es eben e« nicht ander- geschehen konnte: di« Veränderung dch Präsidiums an und für sich und die neue Gestalt«^ desselben au- den Parteien der wirthschaftlichen Mehr- be,t find in Wahrheit eine That der liberale, Partei, und sollte eS sich dabei wirklich um eines, „schwere Verantwortlichkeit vor dem deutschen Volke", ja sogar „vor dem Richterstuhle der Geschichte" handeln, wie jetzt in gewissen aufgeregten Blätter, zu lesen ist. so würde die liberale Partei die Ber- antwortlichkeit für da- „nationale Urtheil" nicht von sich abwälzen können. Die Parteien der geaenwirtigen Reich-tagSmehrheit haben ihrerseits die Lage einfach angenommen, wi« sie ihnen entaegengebracht wurde. Je schärfer und herausfordernder der Gegensatz gegen da- von ihm, gemeinschaftlich durchzuführende Werk der wirthschastz lichen Reform hervortrat, je mehr versucht wurde, ihr, darauf zielende Gemeinschaft zum Anlaß einer heftigen politischen Agitation zu machen, desto drin» gender war für sie der Anlaß, sich zur Vollendung ihrer nächsten bedeutsamen Aufgaben fest zusammen zuschließen und sich über die unmittelbaren Noch- Wendigkeiten der ihnen geschaffenen Lage vertrauens voll zu verständigen. Sie haben in der That auch hier» praktische Politik getrieben und vor Allem jede Hoffnung der Gegner auf eine Spaltung über Per sonen- oder FractronSfragen vereitelt. Wenn die Wiederbelebung de- Präsidium- durch eine Einigung zwischen den Deutschconservative«, der freiconservativen ReichSpartei und dem Centum erfolgen mußte, so entsprach eS lediglich der Natur der Dinge, daß neben dem bereit- vorhandenen Vice- Präsidenten auS der Reich-Partei (vr. LuciuS) die eine der beiden freigewordenen Stellen mit eine« Deusschconservativen, die andere mit einem Mit glied« der CentrumSpartei besetzt wurde. Do» Eentrum, die stärkste der drei Parteien, überließ di« erste Präfidentenftelle willig einem Conservativen (Abgeordneten von Seydewitz) und erhielt seinerseits die Stell« de- ersten Bicepräsidenten (für d»n Abgeordneten Freiherrn von Franckenstein). Düse Vereinbarung kam bei den Abstimmungen im Reichs tage ohne Weitere» ,ur Geltung, indem die ge- sammt« liberale Partei sich durch Abgabe weißer Zettel der wirklichen Betheiligung an den Wahlen enthielt. Angesicht- dieser Enthaltung war da» Ergebnis ein ganz selbstverständliche», und wenn dabei etwas „Un erhörte-" geschehen ist, so war eS eben jene freiwillig, Enthaltung der Liberalen. Die neue Präsidentenwahl an und für sich und da» Verhalten der jetzigen Mehrheit bei derselben haben zu de« düsteren Auffassungen und Verkün digungen keinen Anlaß oder Anhalt gegeben: bei der ihnen aufgezwungenen neuen Wahl haben die Par teien der Mehrheit nur dasselbe feste und klarbewußte Zusammenhalten bewährt, welche- ihr Alsstrete, während der wichtigen Verhandlungen dieser Session überhaupt bezeichnet. Der Unmuth der Gegner in der liberalen Presse richtet sich auch in Wahrbeit nicht so sehr gegmr da- Ergebniß der Präsidentenwahl, wie gegen jene feste Vereinigung selbst, welche da- Gelinge, der wirthschaftlichen Pläne de- Kanzler» »u sichern scheint. Im Zusammenhänge mit den an und für sich völlig wirkungslosen Best,^ bungen und Kundgebungen de- sogenannten Berliner „StädtetaaeS" sollte seiten- der absolut freihänd- trrischen Elemente der Nationalliberalen im Per, in mit den agitatorischen Kräften der Fortschr>t>«- partei der Versuch gemacht werden, den gemäßig ten Theil der Liberalen, welcher die Wirthschan»- reform im Wesentlichen unterstützt, durch politische Beweggründe davon abzuziehen. Hierzu schien be sonder» der Hinweis auf dre jetzige Parteiqruppirung rm Reichstage und auf da- entschiedene Hervortreten derselben bei den neuen Präsidentenwahlen geeignet: namentlich di« Wahl eine- EentrumSmannes in da» Präsidium, meinte man, würde „Manchen in dir Augen beißen" und „die Situation wie durch einen Blitzschlag erhellen". — selbst die Stellung Deutsch. landS dem AuSlande gegenüber könnte mcht durch- greifender umgewandelt werden, al- wenn da- Reich anfanae, „mit seinen Gegnern iu pactiren", — des halb sei diese Präsidentenwahl „eine Haupt- und Staatsaffaire in de- Worte- eigenster Bedeutung." Mit einiger Naivetät wurde hmzugefügt: „Mon fürchte nicht den Borwurf der llebertreibung vor dem Forum unparteiischer Geschichte." Ohne der „unparteiischen Gescbichie" vorzugreifrn. darf man dagegen vertrauen, daß der gesunde Sin» de- deutschen Volke- durch die Vorführung s« weit auSsehender Gefahren sich über die nächste, rein praktrschen GefichtSpuncte der Frage nicht beirre» lassen wird. Für jetzt handelt eS sich um die Stellung der Par teien zur Wirthschaster-form, und in dieser Beziehung war vor wenigen Wochen gerade in dem selben Blatte zu lesen: „Wir haben aus dem Um stande. daß daS Eentrum für di« Wirthschafts- Politik de» Fürsten BiSmarck eintritt, niemals wedcr dem Eentrum, noch seinen Verbündeten einen Bor wurf gemacht. Wir glauben, daß es sich in dieier Frag« nicht durch consessionelle Motive, sondern durch seine sachlichen Anschauungen leiten Iäßt "1 Wenn aber diese rein sachliche Stellung welch« da» Eentrum in einer der wichtigsten nationalen Kragni emnimmt, naturgemäß auch zu einer vertrauers- vollrren Behandlung der großen kirchlichen Frage» führen kann, so wird da- deutsche Volk auch darin nicht einen Grund zur Besorg»,ß, sondern vielmehr zu patriotischer Hoffnung finden, in Uebereinstim- mung wiederum mit jenem Blatt, welche- vor Kurze« schrieb: ,.Eiu Ausgleich mit Rom auf den Grundlagen de» kronprinzlichen Sch. eiben- würde auch unter den Unterstützen» der seitherigen Regierung-Politik mit voller Befriedigung begrüßt werden, wer Deutsch-
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