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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.03.1878
- Erscheinungsdatum
- 1878-03-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187803078
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18780307
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18780307
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1878
- Monat1878-03
- Tag1878-03-07
- Monat1878-03
- Jahr1878
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.03.1878
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nister nicht blo- mit den Angelegenheiten des Aus gleich- zusammen, vielmehr durften Ti-za und SzeL auch zu dem Ministerrathe geladen sein, der am 7. d. M. stattsindet und sich mit der Fest, stelluna der den Delegationen ru machenden Vor lagen oefassen wird. Unter diesen Vorlagen wird sich außer der vielerwähnten Ereditsorderung und außer der provisorischen Indemnitäts-Verlän gerung zur Bestreitung der ordentlichen sgemein- samen Ausgaben auch eine Forderung von drei Millionen befinden zur Bestreitung der auf die erste Hälfte dcS Jahre- 1878 entfallenden Extra- ordinarien, und zwar meist Extraordinarien, welche Organisationen betreffen, die im Allge- meinen schon beschlossen sind, die aber auch zu den Theilzahlungen alljährlicher Bewilligungen be dürfen. Da angesichts de- nunmehr geschloffenen Frieden- die Eröffnung der Conferenz in naher Aussicht steht — die nächsten Tage schon werden die Entscheidung bringen, ob eS bei dem ursprüng lichen Plane einer Conferenz in Baden-Baden sein Bewenden hat oder ob der Vorschlag Gortschakoff'S auf einen Congreß in Berlin zur Annahme ge langt — so wird e- auch bezüglich de- Zusammen tritte- der Delegationen bei dem ursprünglich fixir- ten Termine — 7. März — verbleiben. Wir hören, daß Graf Andraffy schon Tag- daraus Ge legenheit nehmen wird, sowohl vor dem österrei chischen wie vor dem ungarischen Delegations-Aus schüsse die politische Situation zu erörtern. AuS Pari-, 5. März, wird der „Post" ge meldet: Der glänzende Sieg der Republikaner bei den vorgestrigen W a h l e n macht allgemein großen Eindruck; die konservative Presse zeigt liefe Ent. muthigung — ES heißt, daß England die voll ständige Unabhängigkeit Bulgarien- unter einem Prinzen auS einem regierenden Hause befürworte. Man nennt Prinz Friedrich Carl als in Rußland und Deutschland vcsignirt. (Der Herr Correspon- dent ist natürlich nur daS Ecko der Pariser politischen Unterhaltungen. D. R) Der Minister Marcöre hat die Erlaubniß zu Vorträgen über den AltkatholiciSmuS ertheilt, was heftige Zorn- auSbrüche der Klerikalen Wege« dieses bisher noch nie dagewesenen ActeS gegen den Minister hervor- gerufeu hat. Im englischen Unterhause erklärte Unter« staat-secretair Bourke auf eine Anfrage Lewis', Ge neral Ignatieff habe sich gegen den Dragoman der englischen Botschaft in Konstantinopel während besten Aufenthalt in San Stefano allerdings ge wisser nicht eben freundlicher Ausvrücke bedient; es >ei indessen kein Grund zu glauben, daß das Leben se- Dragoman gefährdet sei. Reichstag. * Berlin, 5. März. Vor dicht gefüllten Tribünen trat daS HauS heute in die erste Be- rathung dcS Gesetzentwurfs, betreffend die Stell vertretung deS Reichskanzlers, welcher lautet: Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden deutscher Kaiser, König von Preußen rc., verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt: 8- 1. Die zur Gültigkeit der Anordnungen und Verfügungen des Kaisers erforderliche Gegenzeichnung des Reichskanzlers, so wie die sonstigen demselben durch die Verfassung und die Gesetze des Reichs über tragenen Obliegenheiten können nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen durch Stellvertreter wahr genommen werden, welche der Kaiser auf Antrag des Reichskanzlers in Fällen der Behinderung des selben ernennt. 8. L. Es kann ein Stellvertreter allgemein für den gelammten Umfang der Geschäfte und Obliegenheiten des Reichskanzlers ernannt werden. Auch können für diejenigen einzelnen Amtszweige, welche sich in der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reiches befinden, die Vorstände der den: Reichskanzler untergeordneten obersten Reichsbehörden mit der Stellvertretung desselben im ganzen Umfang oder in einzelnen Lheilen ihres Geschäftskreises beauftragt werden. 8. 3. Dem Reichskanzler ist Vorbehalten, jede Amts handlung auch währeno der Dauer einer Stellver tretung selbst vorzunehmen. 8. 4. Die Bestimmung des Artikels 15 der Reichs- Verfassung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Abg. vr. Hänel: Ich getraue mir nicht, die innere Lage drastischer und klarer darzustellen, als dies durch die Debatten über das Budget und über die Steuervorlagen und durch die Vorgänge, welche sich hier vor unseren Augen abspielten, geschehen ist. Die Schäden, welche dabei hervorgetreten sind, waren immer wieder die alten. Immer wieder stellte sich heraus, daß der Reicks- kanzler, der Bundesrath und dieses Haus sich in concentriscken Kreisen bewegen, sich nirgend finden, oder doch Berührungen nur da finden, wo sie die politische Nothwendigkeit zwingt oder wo sie sich zufällig finden. Solchen Zuständen kann durch diesen Gesetz entwurf nicht abgeholfen werden, kann überhaupt nicht durch Gesetz abgeholfen werden, mögen dieselben nun die Ministervertretlichkeit betreffen oder die Organi sation unserer höchsten Reichsbehörden. Hier kommt zur Geltung, was für den Staat eben so gilt, wie für da- Individuum: Die letzte Energie des Handelns läßt sich nicht bestimmen durch Grundsätze, sondern durch den einen Satz der Person. So werden wir im Reiche auch zur vollen Energie der Staatsaction gelangen erst dann, wenn die politischen Talente, die parlamentarischen Charaktere frei werden, wenn aner kannt wird, daß die Vertrauensmänner des Volkes oder der Majorität deS Volkes zugleich die Ver trauensmänner der Krone sein müssen oder wenn beide in ein dauernde- organisches, vertrauensvolles MitwirkungSverhältniß zu einander treten oder ge bracht werden. (Zustimmung.) Es schien in der letzten Zeit, als wenn Versuche in dieser Richtung gemacht würden. Die Verhandlungen, welch« in Varzin der Herr Reichskanzler mit hervor ragenden Mitgliedern einer Partei dieses Hauses führte, find neulich von dort aus von einem preußi scheu Minister und BundeSbevollmächtigten berührt worden. Dadurch bin auch ich gezwungen, auf die selben ernzugehen. Denn e< ist unerträglich, wenn sie so behandelt werden, wie sie behandelt worden sind. Gerade ich, der ich einer Partei anaehöre, welche diesen Verhandlungen ganz fern steht, Hab« diese Verpflich tung. Besonders gegenüber dem charakteristischen AuSspruche, den wir gehört haben: ,,äte toi äe lt, q„« je m'x wette", muß meine Parier den Anspruch er heben zur Theilnahme am Regiment. Eine Partei, welche einen solchen Anspruch nicht erhebt, ist lebens unfähig; sie ist lebensunfähig, wenn sie zweifelt an der Durchführung eines solchen Gedankens. Deshalb betonen gerade wir, die wir das Streberthum ver folgen werden, wie und wo wir können, dieses Streberthum, welches die Grundsätze modelt, um zur Stellung zu gelangen, gerade wir betonen stark den Unterschied zwischen einem solchen Bestreben und dem Bestreben einer wahrhaft politischen Partei, Stellung zu nehmen und ihre Maximen einzuführen. Ich stehe nicht an, diesen Gesetzentwurf als ein be deutsames Ereigniß zu begrüßen, da der mächtigste Staatsmann, den Deutschland jemals gesehen hat, sich gedrungen fühlt, das bisher befolgte Svstem aufzu geben. Ich betrachte den jetzt betretenen Weg als den ersten Anstoß zu dem Uebergange zu einem Svstem, welckes seine Stärke findet in der Berührung mit der Volksvertretung. In diesem Sinne betrachte ick die Vorlage als einen Fingerzeig, welcher auf die kräftige Entwickelung des Reiches hmweist. Die Vorlage hat für mich eine doppelte Bedeutung. Ich sehe in derselben an erster Stelle die Beseitigung euies thatsächlichen Nothstandes, an zweiter Stelle die Beseitigung eines verfassungswidrigen Zustandes. Was die erste Stelle betrifft, so giebt die Verfassung nicht eine Andeutung, daß die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers vertretungsfähig sei. Wir sind daher nicht in der Lage, eine Vorlage abzuweisen, welche die Vertretung für den Fall der Verhinderung des Reichskanzlers anordnet und keine Partei kann die Versagung dieses Auskunftsmittels auf sich nehmen. Der Theil der Vorlage, der sich mit der Gesammtver- tretung des Reichskanzlers oder mit der Vicekanzler- sckaft beschäftigt, scheint mir so klar und begründet zu sein, wie irgend etwas, und ein Widerspruch ist nicht möglich. Dagegen sind aus der Fassung der Vorlage Bedenken im reichen Maße zu ziehen. Ich stehe keinen Augenblick an, zu bekennen, daß ick den Gesetzentwurf nicht vollständig verstehe. Wir können die Abgrenzung der Kompetenz eines solchen Vice- kanzleramtes nicht dem einseitigen Belieben irgend eines Reichskanzlers überlasten und nach meiner An sicht würde der Reichskanzler niemals zu gleicher Zeit »n Function sein können mit dem Vicekanzler, es tritt dieser vielmehr voll und ganz an die Stelle des Reichskanzlers. Was den zweiten Theil der Vorlage anbetrifft, die selbstständigen Vertreter des Reichskanzlers für einzelne Refforts, so erblicke ick darin die Beseitigung eines verfassungswidrigen Zustandes. In den Verhand lungen des norddeutschen Reichstags walteten zwei Anschauungen in Bezug auf die Verwaltung des Reiches ob. Die eine ging davon aus, daß die ge summte Reichsverwaltung lediglich geführt werde durch den Buudesrath und seine Ausschüsse, so daß nach dieser Auffassung für den Reichskanzler nur eine oberste formelle Gesckäftsleitung übrig blieb; die an dere Anschauung sagte: nach den Kompetenzen, wie sie in der Verfassung niedergelegt sind, ist es ganz unmöglich, die Verwaltung in den engen Grenzen zu halten; wir werden zu einer vollkommen selbststän digen Reichsverwaltung neben dem Bundrsratbe ge langen müssen. Diese letztere Anschauung hat sehr schnell Reckt bekommen, denn wir haben bereits das Kriegs- und Marineministerium und das Auswärtige Amt. Obgleich diese beiden Anschauungen sick gegen überstanden, so waren sie doch darin vollständig einig, daß, wie weit oder wie eng die Reichsverwaltung sich auch entwickeln möge, der an der Spitze stehende Reichskanzler voll und ganz constitutione!! verant wortlich >ein soll. Das ist der ursprüngliche Sinn der Verfassung. Diese übereinstimmende Auffassung ist durch die überraschende und weitgreifende Ent wickelung der Verwaltung des Reiches in der That vernichtet worden, und das ist es, was ick den ver fassungswidrigen Zustand nenne. Ich berufe mich dabei auf die eigenen Zugeständnisse des Reichskanz lers und des Staatsministers Hofmann. Daß ein solcher Zustand zugleich den Anforderungen einer praktischen Politik widerspricht, dafür haben wir so greifbare Beispiele, daß ich darauf nicht näher cingehe. Die Vorlage ist dazu bestimmt, diesen Zwiespalt in einem gewissen Grade zu schlickten und aufzubeben. Wenn diese Absicht aber sack- und naturgemäß hätte durchgeführt werden sollen, so hätten in derselben die Aemter bezeichnet werden müssen, welche mit selbst ständiger Verantwortlichkeit versehen werden sollen. (Sehr richtig.) Dieser Weg ist nicht eingeschlagen worden, sondern man macht einen Umweg, man brin^/ die ganze Sachlage unter die Firma einer Stellvertretung. Um die Bezeichnung wollen wir nicht streiten, allein man faßt die ganze Sache in die Form einer ganz allgemeinen Ermächtigung des Reichskanzlers, anstatt organisatorische bindende Vor schriften zu geben. Diese Form war für mick von Anfang an unannehmbar. Wenn der Herr Reichs kanzler alle möglichen Ermächtigungen erhielte, die verantwortlichen Ressortchefs aufzuheben, zu ver mehren rc., so wäre dies eine Art Diktatur; ihr müßte man sich widersetzen. Ich bin gern bereit, diesen Sinn der Vorlage nicht unterzuschieben. Es würde sich auch wohl eine Interpretation, eine Form finden, um in der Herstellung von verantwortlichen Aemtern eine gewisse Beweglichkeit zu schaffen. Einer solchen Form würden auch wir noch zustimmen. Die einseitige Be zeichnung der Aemter können wir aber dem Reichs kanzler nicht anheimgeben; sie darf nicht von der Theilnahme des Reichstages ausgeschlossen werden. Höchst bedenklich ist unter Andern, auch die Be stimmung des 8 3 (dem Reichskanzler ist Vorbehalten, lebe Amtshandlung auch während der Stellvertretung selbst vorzuncbmen). Die Vorlage kann die Bedeutung haben, verfassungsmäßige Hindernisse zu beseitigen; man darf sie aber keinesfalls mit einem Mimster- verantwortlicdkeits-Gesetz verwechseln. Dann müßte sie die Kompetenz des Reichstages gesetzlich feststellen, die Befugnisse der Chefs und die Form, in welcher wir die Ministerverantwortlichkeit zur Geltung bringen können. Man hat die Vorlage für einen ersten Schritt zum Einheitsstaate erklärt. Ich möchte dringend bitten, diesen Ton nicht beizubehalten. Ich bin immer Föderalist gewesen und habe die individuelle Eigenart der Ermelstaoten selbst dann noch vertheidigt, als diese sich gegen Geschickte, Reckt und Natur ver gingen. Aber es wäre ein frevelhaftes Unternehmen, wenn eine Partei das Programm des Einheitsstaates allsstellte und dadurch die Grundlagen unserer Ver fassung und des Reickes in Frage stellen wollte. Ich verschließe mich der Tbatsache nicht, daß das Reich zwar ohne die Einzelstaaten bestehen könne, nicht aber die Einzelstaaten ohne das Reich. Darum darf man das Föderativsystem nicht mit solchen Dingen ver knüpfen. Bayerischer Staat-ministerv. Pfretzschner be kämpft da- Project verantwortlicher ReichS- ministerien. Der Herr Reichskanzler hat in seinen früheren Reden niemals Sympathie für diese« In stitut der verantwortliche,! Reichsministerien an den Taq gelegt, daß wir aber, die wir freudig in da- Reich eingetreten sind, unsere Abneigung gegen diese- Institut einmal betonen, halte ich für eine Nothwendigkeit. (Hört! hört!) Die Verfassung hat die verschiedenen Gewalten des Reiches, aber auch die Rechte der Bundesstaaten unzweifelhaft und sicher bestimmt. Die Verfassung kennt aber keine RcgierungSgewalt, welche in Reichsministerien ruhen könnte. Sie hat die ministeriellen Befugnisse dem Bundesrath, den Ausschüssen und dem Reichs kanzler übertragen. Daß Fürsorge für den Fall einer Behinderung des Kanzlers und ebenso für eine Entlastung desselben getroffen werden muß. ist eine unbestreitbare Nothwendigkeit. Diese Fürsorge kann nur auf dem Wege der Stellvertretung gefunden werden, wie sie von dem vorliegenden Gesetzent würfe ins Auge gefaßt ist. Der Grundgedanke deS Gesetzes ist, daß die Leitung der Reicksange- legenhciten, so wie die Aufsicht gegenüber den Einzelstaaten dem Reichskanzler Vorbehalten bleiben soll. Damit können wir nur einverstanden sein. Dagegen müssen wir uns ganz entschieden gegen eine Theilung der Gewalt in dem Sinne aus sprechen, wie dieselbe bei Einführung von Reichs ministerien ins Auge gefaßt werden müßte. Die königlich bayerische Regierung würde in verant wortlichen Reichsministerien eine Institution er blicken, welche nur geeignet wäre, die Reckte des Bundesraths, wie sie in der Versassung verbürgt sind, abzuschwächen und ihn immer mehr in den Hintergrund zu drängen, eine Institution, welche gewährleistete Rechte der Einzelstaaten nahezu ver kümmern müßte. (Oh! Oho!) Um cs kurz zu sagen, das Borwärtsschreiten der verantwortlichen Reichsministerien wäre identisch mit dem Zurück schreiten des Bundesraths. Daß die Einzel staaten festhalten an den Institutionen, welche gerade ihre Reckte und ihre Stellung im Reiche gewährleisten, ist nickt nur ihr Neckt, sondern ihre Pflicht. Ich muß mich daher ver anlaßt sehen, schon jetzt zu erklären, daß wir gern bereit sind, die nothwendige Abhülfe für die in den Geschäftsverhältnissen liegenden Miß stände zu schaffen, daß wir aber zur Einführung von verantwortlichen Reichsministerien unsere Zu stimmung nicht ertheilcn können. Abg. v. Helldorf ist mit der Vorlage im Großen und Ganzen einverstanden. Er wünscht nicht, daß sich aus diesen Maßnahmen später Reichsminister und ein verantwortliches Reichs- ministerium entwickeln sollen. Den thatsächlichen Verhältnissen entspreche eS, daß der Kaiser dem Bundesrath gegenüber nicktS andere- ist, als der Erste unter den deutschen Fürsten. Sehen wir auf eine zehn jährige Gesetzgebung zurück, so hat sich die Institution de- Bundesrathes wahrlich nicht als unbrauchbar erwiesen. Man könne sich ein Reichsministerium auf diesem concreten Boden der Verhältnisse vorstellcn, ohne daß dasselbe in die Entwickelung hemmend und störend eingriffe. Auch scheine es unzweifelhaft, daß die moralische Ver antwortlichkeit unter den gegebenen Voraussetzung,, nur in einer Person vereinigt sein könne. Daneben allerdings könne man nicht verlangen, daß die ganze Last der Geschäfte und der Verantwortlichkeit im mer auf den Schultern des Kanzlers ruhen soll, und in diesem Sinne werde die Vorlage dem Be dürfnisse gerecht und heilsam wirken. Abg. v. Bennigsen: Der erste Herr Redner bat durch die eben gehörten Aeußerungen des Hern, Vertreters von Bayern in seinen Ansichten über die Vorlage nur bestärkt werden können. Wir haben hier einmal in einer recht klaren Weise — und dafür können wir dem verehrten Herrn Vertreter im Bundesrathe nur dankbar sein — ge sehen, mit welchen Schwierigkeiten man in Deutsch land zu kämpfen hat, wenn man nach Ausbildung der Reicksverfassung strebt hinsichtlich der ministeriellen Leitung der gesammten Verwaltung. ES ist ja voll kommen richtig, wie der Herr Vertreter von Bayern gesagt bat, daß wir die Reichsgewalt, so weit sie bei dem Kaiser und dem Kanzler liegt und so weit sie durch den Kanzler und die demselben untergeordneten Reichsorgane ausgeübt wird, ergänzt haben durch eine Verwaltungsbefugniß, welche der Bundesrath zum Theil in Gemeinschaft mit dem Kaiser und dem Kanzler, zum Theil allein ausübt. Mir schien es aber, als sollte von dem Herrn Vertreter Bayerns das Äerhältniß so bingestellt werden, als läge der Schwerpunkt der Reichsverwaltung im Bun desrathe. Ich kann dies keineswegs anerkennen. Ich begnüge mich, bervorzubeben, daß dem Bundes rathe allerdings wertbvolle Verwaltungsrechte Vorbe halten sind hinsichtlich derjenigen allgemeinen Vor schriften, welche er zu erlassen bat bezüglich der Aus führung der Reichsgesetze, daß aber im klebrigen die Aufsicht über die Ausführung der Reichsgesetze und die Verwaltung beim Kaiser ruht, und daß eine eigentliche Execution dem Bundesrathe nicht zustebt. Indem ick mit dieser Einschränkung die Ausführungen des Herrn Vertreters von Bayern anerkenne, sehe ich ein, daß Widerspruch, der »on dieser Seite gegen verantwortliche Reichsministerien erhoben wird, bei dem Widerstand, der zweifelsohne auch bei anderen Regierungen vorhanden ist und der für jetzt und für längere Zeit unüberwindlich erscheint, e,n ver gebliches Bemühen, und daß es gegen das Interesse des Reiches sein würde, wenn man auf diesem Ge biete mit Beschlüssen und Anträgen vorgeben und den Gesetzentwurf in dieser Richtung abändern wollte. Ich kann aber nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß die Parteien und Personen, boi denen die födera tive Richtung und Gesinnung überall zur Geltung kommt, sowohl im ersten constituirenden Reichstage als auch in späteren Jahren die Einsetzung von ver antwortlichen Reich-Ministerien für nothwendig er klärt haben. (Sehr richtig!) Die Schwierigkeiten, welche hier vorhanden find, eine vollständig geregelte Verwaltung im Sinne einer ministeriellen Verwaltung, wie sie in anderen Staaten besteht, sind verschiedener Art. Sie liegen einmal in dem Widerstande, welchen verschiedene Regierungen einer solchen Institution entgegensetzen; dann aber auch in der Schwierigkeit der Verhältnisse in sich selbst und in der Reicksverfassung. ES ist vollkommen richtig, daß wir im Reiche eine Einrichtung haben, abweichend von anderen Ländern wesentlich darin, »aß wir durch Vertreter der einzelnen Regierungen im Bundesrathe eine Körperschaft haben, welche legis lative und Vcrwaltungsbefugnisse vereinigt, der gegen über der Reichstag mit nur legislativer Befußniß und Saneben resp. darüber der Reichskanzler und der Kaiser. Würde man diesen Einrichtungen gegenüber den Versuch unternehmen, ein Gesammtreichsministerium unter Feststellung der Befugnisse auf einzelnen Ge bieten einzurichten, so würde man wesentlich zu einer anderen Zusammensetzung des Bundesraths gedrängt ein, als dieselbe bisher war. Man würde vor die Frage gestellt sein, ob aus dem Bundesrathe nickt eine Versammlung werden müßte mit lediglich legis lativen Befugnissen. Man braucht die Frage nur aufzuwerfen, um die außerordentlichen Schwierigkeiten u sehen, welche sich der Bildung eines verantwort- icben Reichsministeriumsentgegenstellen. Angenommen aber auch, die Schwierigkeiten seien gelöst, so würden wir, um einheitliche Verhältnisse zu haben, wiederum das Verhältniß der Einzelminister zum Kanzler regeln müssen, um im Großen und Ganzen eine einheitliche Verwaltung und politische Einheitlichkeit zu haben. Sollen wir nun das, was wir in 10 Jahren mülr äm errungen haben, jetzt in Frage stellen dadurch, daß wir es ändern in einem Augenblick, wo einer solchen Aenderung die größten Schwierigkeiten ent- gegenftehen? Wir sind nickt in der Lage, die Ve, bältnisse so theoretisch und systematisch klar hinzu stellen. Wie die Verhältnisse liegen, wäre das Unter nehmen einer durchgreifenden Aenderuna uuausführ bar. Wir müssen uns begnügen, mit Aenderungcn fortzuschreiten, die je dem praktischen Bedürfnisse ent springen. Wenn ich jetzt noch auf die Einzelheiten eingehe, welche vom Abg. Hänel berührt wurden, so scheint es mir zweifelhaft, ob derselbe die Bedeutung de-; 8. 1 richtig dargestellt hat. Der Kanzler allein kann nickt die Stellvertretung anvrdnen, es geschieht nur auf seinen Antrag durch Verordnung des Kaisers. Ich gehe aber auch von der Voraussetzung aus - und würde gern eine Aufklärung darüber erbal ten — daß die Stellvertretung auch auf demselben Wege nur beseitigt werden kann. Ebenso bedan es der Klarstellung daß Diejenigen, welche als Stellvertreter des Reichskanzlers, sei es im Allge meinen oder für specielle Refforts, Handlungen vor nehmen, z. B. Contrasignaturen, daß diese Personen auch für diese Handlungen die politische Verantwortlich keit übernehmen, so daß dem Kanzler nur die allge meine Verantwortlichkeit für den Geist und die Rich tung der Politik bleibt. Was den 8- 3 betrifft, so gestehe ick zu, daß derselbe entweder ganz beseitigt werden oder eine Fassung erhalten muß, welche die Schwierigkeiten aushebt. Wenn gesagt ist, die Stell vertretung könne stattfinden im Falle der Behinde rung des Reichskanzlers, so läßl sich nicht bestreiten, daß dieser Ausdruck mißverständlich ist. Es scheint mir klar zu sein, daß diese Bestimmung sich nicht blos auf die Fälle bezieht, wo der Reichskanzler durch Ab Wesenheit von Berlin oder durch Krankheit verhindert ist, sondern auch im Allgemeinen, wo es dem Kanzler nicht möglich ist, wegen des Umfanges der Geschäfte Alles zu übersehen. Die bedeutungsvollste Bestimmung ist die im 8- 2, wonach auck für diejenigen Amtszweige, welche sich in der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reiches befinden, die Vorstände der dem Reichskanzler untergeordneten obersten Reichsbehörden mit der Stell vertretung desselben im ganzen Umfange oder in ein zelnen Theilen ihres Geschäftskreises beauftragt werden können. Die Unterscheidung ist dem Vernehmen nach erst im Bundesrathe in die Regierungsvorlage hinein gekommen, welche ihrerseits die Stellvertretung auck sür diejenigen Verwaltungen einführen wollte, in denen dem Reick nur die oberste Aufsicht zusteht. Ich fürchte, die Entscheidung wird im einzelnen Fall schwer zu treffen sein, und ich hätte es deshalb für zweckmäßiger gehalten, wenn man bei der Vorlage der Regierung geblieben wäre. Damit befinden wir uns aus dem Gebiete, welches der Vertreter Bayerns berührte. Es handelt sich hier nicht um die Befug nisse, welche die Verfassung den Einzelstaaten giebt. Diese sind immer loyal respectirt worden und die ganze Verwaltung der letzten zehn Jahre bat den Beweis geliefert, daß sie respectirt wor den sind. Wenn aber die dem Reich über tragene Aufsicht bis in alle Konsequenzen hinein aus geübt werden soll, nöthigenfalls bis zur Anwendung des Zwanges, so ist nicht zu verkennen, daß man damit ein Gebiet betritt, auf welchem angesichts der verhältnißmäßig neuen Zustände im Reich Reibungen und die Gefahr eines Zwiespalts, überhaupt das Eintreten bedenklicher Zustände nickt unmöglich sind. In Bundesverhältnissen, in denen wir uns befinden, wo man auf gegenseitiges Zusammenwirken und Ver trauen angewiesen ist, wird man bei der Schöpfung neuer Einrichtungen den dagegen laut werdenden Bedenken immer entgegen kommen dürfen und müssen» wenn man glaubt, dies mit den Interessen des Reiches vereinigen zu können. Und es ist auch nickt zu ver kennen, daß grade in diesen Zweigen das Bedürfniß einer selbstständigen Verwaltung nicht in dem Maße vorhanden ist. Legt man also, wie es der Fall zu sein scheint, seitens der Bundesregierungen großen Werth aus diese Einschränkung, so würde Dem nach meiner Ansicht seitens meiner politischen Freunde wohl Nichts ent- gegenstehen. Es fragt sich eben nur, ob wir im klebrigen die Fortschritte, welche unS die Vorlage bietet, auch trotz der Unvollkommenheiten und solcher nach unserer Ansicht vielleicht nicht gerechtfertigten Unterscheidungen für groß genug halten. Im Vongen Jahre war man sowohl ,n der Regierung wie im Bundesrath und hier im Reichstag noch zweifelhaft, ob Aenderungen in der jetzigen Organisation der Verwaltung nöthig seien. Die Zweifel sind jetzt be seitigt durch die Verhandlungen der letzten Wochen und durch die Zustände unserer Finanzverwaltung. Die Vorlage wird trotz ihrer bescheidenen Form dazu beitragen, den Vorstehern einzelner Ressorts die Möglichkeit zu einer selbstständigen, selbstbewußten Thätigkeit zu geben, unbeschadet bes allgemeinen Zu sammenhanges. Es wird sich, um einen kürzlich ge brauchten Ausdruck zu wiederholen, einReffortpatriotis- mus entwickeln, der dem Ressort zu großem Nutzen, dem Ganzen nickt zum Schaden gereichen würde. In einzelnen Ressorts sehen wir das schon jetzt. Andere «der giebt eS, wo man Nicht im Stande ist, größere Pläne zu macken, wo man einen beengenden Druck fürchtet und namentlich finanziell ungenügend versorgt »st. Diese Ressorts können sich nicht entwickeln un- verkommen. Was nun speciell die Stellung des Reich-sinanz- amteS betrifft, so kann di« Aufgabe desselben nicht allein darin bestehen, die jährlichen Ginnahmen und
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