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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.07.1878
- Erscheinungsdatum
- 1878-07-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187807127
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18780712
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18780712
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1878
- Monat1878-07
- Tag1878-07-12
- Monat1878-07
- Jahr1878
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.07.1878
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Erscheint tiigltch früh 6»/, Uhr. »D TiPtöÜI»» Jahamnsgaffr »S >MWß«cht» s« Rrsartta«: «»rmtttag- 1»—12 Uhr. Nachmittag- 4—« Uhr. der für die nächst- Nummer beMmntten an «ochenragen dt« Nachmittag«. an Sonn- ksttn«e,fr<irdt-'/.»Utzr. M N» FUale» Wr L^.-L«mh»r: iM Klemm. lllttvrrfitättstr. 22. «t» «fche.«atharmmstr. 1»,p. «r dt« '/^ Uhr. UchMr Ja-MM Anzeiger. Orgaa für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. ro.sv«. Ks»«»k»e»t<prri» viertelt. 4^/,ML. incl. Brinarrlvbn b Mt, durch die Post bezogen « Mt. Jede einzelne Nummer 2b Pf. Belegexemplar 10 Pf. »ebllbren fiir rxtrabeUage» ohne Pofibefördermrg 30 Mt «tt Postbefvrderung 4b Mt «asrralr bgefp. Petiizeilt 20 Pf. Gröbere Schnfteu laut nuferem Preisverzeichniß.—rabell^rrfcher Satz nach höherem Tarif. Nrctame» »aler »ra >rt»cüo,»jlrich die SpaltzeU« 40 Pf. Jaferat« stad stet« »u d. «epewte» zu senden. — Rabatt wird nicht gegeben. Zahlung pr»«on»->r»L4a oder durch PostvorfLvh. 1S3. Freitag den 12. Juli 1878. 72. Jahrgang. Bekanntmachung. In der Theatergaffe und läng- der Landffeischerhalle soll neue« Granittrottoir gelegt sowie ein Theil kt vorhandenen Trottoir- umgelegt und diese Arbeiten an einen Unternehmer in Accord verdungen werden. Die Bedingungen und Zeichnungen für diele Arbeiten liegen in unserem Bauamte, RathhauS, ll. Et., Himmer Nr. 1 au- und können daselbst angesehen resp. entnommen werden. Bezügliche Offerten find versiegelt uud mit der Aufschrift: „Graul versehen ebendahin und zwar hts zu« 15. Juli lfd. Jrs Nachmittags 5 Uhr aMreichen. Leipzig, den 5. Juli 1878. Der «ath «er Stadt Leipzig. in. Kri tra«ittr«tt»tr tu «er Theatergaffe -etr." vr. Tröndli retschmer. Der Inhaber deS abhanden gekommenen Eparcaffen-QuittungSbucheS Serie I. Nr. V8.ZVS wird hier durch anfgefordert, sich damit binnen drei Monaten, und längstens den 18. October 1878 zur Nachweisung feine- Rechtes, bez. zum Zweck der Rückgabe gegen Belohnung bei Unterzeichneter Anstalt zu melden, widrigen- lall- der Sparkassen Ordnung gemäß dem Anzeiger der Inhalt dieses BucheS auSgezahlt werden wird. Leipzig, den IO. Juli 1878. Die Verwaltung des Leihhauses und «er Sparcaffe. Bekanntmachung. Am Leutzscher Wege soll über die Fluthrinne ein hölzerner Fußsteig hergestellt und an einen Unter nehmer in Accord verdungen werden. Die Bedingungen und Zeichnungen für diese Arbeiten liegen in unserem vauamte. Rathhau-, ll. Etage, Zimmer Nr. 1 aus und können daselbst eingesehen resp. entnommen werden. Bezügliche Offenen sind versiegelt und mit der Aufschrift: »Nuhstetg a« Leutzscher «ege betreffe»«" versehen ebendahin und zwar «iS zu« 2«. Jult lfd. Ir«., Nachmitt«»» 5 Uhr. einzureichen. Leipzig, am 3. Juli 1878. Der «ath «er Sta«t Leipzig. ' . Kre vr. Tröndlin. retschmer. Da der alS verloren angezeigte Pfandschein lüt. 3 Nr. S4.66V bi- dato nicht eingeliefert worden ist, so Leipziger Leihyar wird er nach 8 LI der Leipzig, den 10. Juli 1878. Hausordnung hiermit für ungültig erklärt. Die Verwaltung «es Leihhauses und der Sparcaffe. Schutzzoll und Praxis. x. Leipzig, 11. Juli. Daß in dem Streite zwischen Schutzzoll und Freihandel viel mit Phrasen gestritten wird, ist nur zu wahr. Die Sckmtz- Mner sind im Allgemeinen so bescheiden, ihren Gegnern die Theorie zu überlasten und die Praris ,'iir sich in Anspruch zu nehmen. Wenn ich „des l'ebcnS aoldnen Baum" in so viel Exemplaren vor mir sähe, wie ich ihn von Schutzzöllnern citirt gesunden habe, eS müßte einen recht stattlichen Wald steden. Ost hat eS aber mit der „Praxis" leine eigne Bcwandtniß. Daß die Schutzzöllner mit der Statistik, welche doch die Buchhaltung der Praxis des ganzen Volkes ist, aus gespanntem Fuße leben, habe ich desto öfter erfahren, je mehr ich ihren Preßerzeugnisten mit Aufmerksamkeit gefolgt bin. Nicht als ob sie dieselbe nicht zuweilen be nutzten ; aber dabei wird die Arme gemißhandelt zum Erbarmen. Doch auch die Praxis der ein- lnen Industriezweige wird oft mit souveräner Zillkür behandelt. So war neulich in einem hüsiacn Blatte, einem Organe de- Centralverband- deutscher Industrieller entlehnt, Folgende- zu lesen: „Die Einfuhr aus ländischer Soda ist von 287 000 Ctr. (im Jahre 1872) auf 870 000 Ctr. (1876) gestiegen . . . AuS ver Verrechnung der Werthzahlen von Ein und Au-fuhr von 40 verschiedenen Chemikalien er lebt sich nach den Aufzeichnungen der kaiserlichen tatistik für Deutschland ein Verlust von ÄSOOOYOO Mark in einem Jahre, da die Einfuhr einen Werth von 40 000 000 Mark reprä lmnrt, die Au-fuhr einen solchen von 10 000 000 Mark — ein schwerwiegender Verlust, für (sie) Vesten Umgehung eine rücksichtsvolle ecmz erheblich veitragen kann." Ist DaS nicht zum Gruseln? Ist eS nicht ganz unverantwort lich, daß die Regierungen 30 Millionen Mark (40 — 10 ist nämlich nach Adam Riese --- 30, aber nicht — 38) so mir nichts dir nicht- auS dem l'ande jagt? WaS da- für Chemikalien sind. vaS wird leider nicht verrathen — wozu auch? Manchen Leser interessiert eS aber doch vielleicht, e-zu wissen Wir schlagen also die Statistik de- laiserlich-statistischen Amtes nach und finden unter der Rubrik „Chemikalien" fünfzig und etliche Artikel verzeichnet. Beiläufig gesagt, den Werth der Au-fuhr zu berechnen, hat daS statistische Amt schon seit Jahren aufgegeben, weil die Unterlagen allzu mangelhaft waren, wie denn unsere ganze Ausfuhrstatistik notorisch sehr lückenhaft ist. Die Hauptartikel der Einfuhr aber sind, nächst dem Salze, daS den Anfang macht, Schwefel, Lorar, Ammoniak, Chili- und anderer Salpeter, Iknochenkohle, ferner Soda, Gerberlohe, Sumach, Catechu,! Farbhölzer, Indigo rc. — kurz, größten- theil- Natur- und Bodenerzeugnisfe fremder Länder oder doch Halbfabrikate, welche unsere Landwirth schast und uns-re Industrie brauchen wie da- täg licke Brod und deren Einfuhr zu erschweren dre größte Thorheit sein würde. Dock die Soda ist ja ein Product, daS auch in Deutschland fabricirt wird — warum schützt man nicht die deutsche Fabrikation? Betrachten wir zunächst die Statistik etwa- näher. Der einzige dahin gehörige Artikel, welcher neuerdings (1873) im Zolle ermäßigt worden ist (von 2 Mar auf 78 Pfg), ist calcinirte Soda; hier ist die Einfuhr in der oben angegebenen Zeit von 154 000 auf 304 000 Etr. (1877 nur 294 000); die Aus fuhr aber gleichzeitig von 18 300 auf 67 200 Ctr., also in wert stärkeren Verhältnissen gestiegen. In roher und krystallisirter Soda'belief sich die Einfuhr 1872 aus 270 000 Ctr.. 1876 au 312 000 Ctr. (1877 auS 284 000). Weitaus am stärksten ist aber die Einfuhr von Aetznatron oder kaustischer Soda gestiegen, welche durch den höchsten Zoll, nämlich 3 Mark auf den Eentner^ geschützt ist.- Die Schutzzöllner sind mit ihrer Folgerung auS diesen Ziffern rasch fertig; obgleich die Production der deutschen Sodafabriken im Ganzen — trotz der ungünstigen Zeit — zugenommen hat. verlangen sie einfach Wiederherstellung de- höheren Zollsatzes auf calcinirte Soda. WaS sagt aber "dazu die „PraxiS"? Die Handelskammer zu Stollberg >ei Aachen, wo bedeutende Glasindustrie besteht, macht darauf aufmerksam, daß die Hohlglasfabriken wegen ihre- starken Verbrauchs von calcinirter Soda ein großes Interesse daran haben, daß der dafür bestehende Zoll (etwa 7,5 Proc.) des WertheS nicht erhöht werde. Die Glasfabrikation ihreS Bezirke«, sagt sie, würde, da ihr Exportgeschäft den wesentlichsten Theil ihrer Production auS- macht und sie besonders mit Belgien und Frank reich auf dem englischen Markte concurriren müsse, durch die Zollerhöhung bedeutend benach- theiligt, »hr Export, der ohnehin mit schwie rigen Verhältnissen zu kämpfen habe, auf ein stffinimum reducirt werden. „Ebenso", sagt dieselbe Handelskammer weiter, „müssen wir be lügen, daß die Eingangßzölle auf Chemikalien, be- onder- kaustische Soda, auf dem hohen Steucr- atze geblieben sind, wodurch unsere Papier industrie geschädigt und im AuSlande weniger concurrenzfähig gemacht wird." Auch die Handelskammer zu Bar men macht darauf aufmerksam, daß der hohe Zoll, welcher für kaustiscbe Soda entrichtet wird, der deutschen Alizarinfabri- kation empfindlichen Schaden zufügt, während er die englische Concurrenz nicht nur in England selbst direct begünstigt, sondern auch „mittelbar eine "irämie für die Ausfuhr englischen Fa- rikatS nach Deutschland bildet." Aehnlich die Handelskammer zu Elberfeld: „Der Ein- angszoll von 3 Mark pr. Ctr. auf kaustische Soda ährt fort, die Fabrikation schwer zu bedrücken, und bleibt eine dauernde Begünstigung der ausländische» und directe Benachrhei- ligung der deutschen Alizarinfabrikatcon, ohne der deutschen Sodaindustrie den geringsten Vor theil zu bringen. Der Consum einer der beiden Elberselder Firmen beträgt jetzt ca. 2600 Ctr. pro Monat 70°/»iger kaustischer Soda. Dieselbe hat pro 1877 ca. 100 000 Mark Zoll für diesen Ar tikel bezahlt, eine Summe, welche für 1878 wohl noch überstiegen werden wird." Unter demselben Zolle leidet übrigens auch die Seifensabri- kation in ganz Deutschland, namentlich in Leivzig. Aehnlich lauten die Urtheile au- anderen In dustriezweigen über andere Zölle. „Voraussichtlich", sagt der Specialreferent der Elberselder Han delskammer über Eisen- und Stahlwaaren mit Bezug auf die Eisenzölle, „dürfte sich bei einem Bezu Wiederausblühcn deS Handel- in Elsen- und Stahlwaaren in das Exportgeschä ünstiger Wei gl , entwickeln, wenn uns nur in Zukunft das heimische Material, auf dessen Verarbeitung wir hingewiesen sind, nicht wieder durch neu eingeführte Zölle vertheuert wird." Die möglichst billig« Beschaffung der Wollen- und Baumwollen gar ne — so führt die Handelskammer zu Barmen m Betreff der Litzen, Bänder u. s. w. auS — „bildet die erste Bedingung einer ge sunden Produclion und somit der Exportfähig keit für eine große Anzahl hiesiger Branchen, in denen ein enorme- Capital investirt ist und Tausende von Arbeitern lohnende Beschäftigung finden." Die dortige Textilindustrie könne die in dem „autonomen Tarif" der Herren Grothe und Genossen beantragte Zollerhöhung nicht er tragen. Trotz der größten Anstrengungen, sich auf dem Weltmärkte zu behaupten, sei der Erport in beunruhigender Abnahme begriffen; die bean tragte Erhöhung der Garnzölle würde unter solchen Umständen von der verderblichsten Wirkung sein Eine mäßige Erhöhung der feinen Nummern will sich die Kammer gefallen lassen, aber nur unter der Bedingung, daß der Zoll auf grobe Nummern herabgesetzt wird. Für Wests und Genappe» be antragt sie im Interesse ihrer Industrie Gleich stelluna der mehrfach gezwirnten mit den einfachen, d. h. Herabsetzung deS Zolle- auf erster«. Doch genug, ich wollte nur zeigen, welcher Aberglaube eS ist, wenn man meint, die PraxiS — natürlich der Industrie, nicht de- Handel-, der seiner Natur nach die Freiheit liebt — sei überall für den Schutzzoll. Wenn irgend Etwa- den Namen der grauen Theorie verdient, so ist e- (um dem goldenen Baume de- Lebens, der nach Goethe grün sein soll, doch auch einen Farbenwechsel gegenüberzustellen) daS Spielen mit Schutzzöllen so i«S Blaue hinein. Tagesgeschichtliche Ueberficht. Leipzig. 11. Juli. DaS Befinden unseres Kaiser- ist in stetig fortschreitender, sehr erfreulicher Besserung be griffen. Sämmtliche Wunden sind geheilt und auch der Verband am rechten Arm 'bereits ab genommen. In den Kräften und in der Beweg lichkeit der Arme war eine fortdauernde Zunahme wahrzunehmcn. Der Kaiser konnte am Schlüsse voriger Woche bereits den Uniformrock wieder anlegen und im Kreise seiner nächsten Familie das Mittagsmahl einnehmen. In den letzten Tagen konnte Se. Majestät sich auS den unteren Räumen de- PalaiS in die Zimmer der Kaiserin begeben, ohne daß das Treppensteigen ihm An strengung verursachte. So ist denn die Hoffnung begründet, daß cs dem Kaiser bald möglich se u wird, den Aufenthalt in der Hauptstadt mit dem in ländlicher Luft, zunächst vielleicht in der Nähe Berlins, zu vertauschen. Doch sind auch jetzt feste Bestimmungen darüber noch nicht getroffen. Die ministerielle Berliner „Provinzial - Corre- spondenz" schreibt: Die Friedens Verhandlungen des Con- resses stehen unmittelbar vor dem glücklichen Ab bluffe. Alle wichtigen Fragen, welche sich an den Friedensvertrag von San Stefano knüpfen, haben unter dem fortdauernd friedlichen Gesammtwillen der auf dem Congreß vereinigten europäischen Mächte und durch daS allseitig vertrauensvolle Zusammen wirken ihrer Bevollmächtigten eine ausgleichende Lösung gesunden. Inzwischen sind auch die Arbeiten der Commission, welche sich auf die Grenzregulirungen und dergleichen beziehen, fast allseitig bereit- zu einem befriedigenden Ergebnisse gelangt, und der Congreß selbst wird sich in den nächsten Tagen der schließ- lichen Feststellung und Genehmigung der getroffenen Vereinbarungen widmen können. Die in den letzten Tagen bekannt gewordene Thatsache, daß England em besonderes Abkommen mit der Türkei wegen Ab tretung der Insel Cypern zu englischer Okkupation und behusS de- Schutze- der Türkei in ihrem asiati schen Besitze getroffen hat, wird den Abschluß der Congreßverhanblungen nicht stören oder aufhalten, da dieselbe den Frieden von San Stefano, welcher der Beschlußnahme deSCongresses unterliegt, nicht berührt. Am Sonnabend wird der Friede zu Berlin unter zeichnet werden, in welchem Europa den Abschluß der lüngsten Aera des Kriege- und der seither noch drohenden Kriegsgefahr und damit, so Gott will, den Ausgangspunkt einer neuen Zeit friedlicher Ent wickelung und friedlichen Aufschwung- freudig be grüßen wird. Die „Nordd. Allgem. Ztg." bemerkt hinsichtlich der Ergebnisse deS CongresseS: Die Besitzergrei fung CypernS durch England wird überall mit Recht als ein Schritt der englischen Politik ange sehen, sich ihren Einfluß und ihre Stellung in den jenigen Thetlen de- Orient- zu wahren, welche sie für die Macht oder die Interessensphäre Groß britannien- in Anspruch nimmt. Dieser Schritt kann vom Standpunkte der allgemeinen Eivilffation und deS Culturfortschritt« in Klein-Asien nur zu- stlmmend begrüßt werden. Wir glauben in der Annahme nicht zu irren, daß die deutsche Re gierung von der Abmachung vorgiinglg in Kennlniß gesetzt war, ohne daß daber ein Meinungsaustausch von ,hr erfordert wurde. Wie merkwürdig hat sich die Stimmung seit dem Nobiling'schen Mordanfalle geändert! Ueberall ist die Wahlbewegung in vollem Gange, aber kaum ist noch von dem Motive die Rede, auf wel cheS die Auflösung de- Reichstages anfänglich zu rückgeführt wurde. Die Niederwerfung der Social bemokratie, auf die allein cS abgesehen schien, ist im Laufe weniger Wochen ganz in den Hinter grund getreten; eS gehört bereit» eine gewisse An strengung und Selbstbestimmung dazu, um sich zu erinnern, daß die Gesellschaft in einer schweren Gefahr ausgerufcn worden ist, sich mit Hintan setzung aller sonstigen Rücksichten, mit Unterdrückung aller Parteizwistigkeiten zur Abwehr ein,'- allen semeinfamen Feindes zu rüsten. Die „Wcser-Ztg." agt: Im Anfänge de- vorigen Monats bot Deutschland da- Bild eines Schiffes dar, dessen Mannschaft und Passagiere so eben da- Segel eine- Piraten am Horizonte auftauchen sehen. Niemand fragt mehr nach Hader und Gezänk, die kurz zu vor an Bord getobt hatten; Niemand kümmert sich mehr um seine- Nebenmannes Dogmen und Theo rien; Jeder, der rüstige Arme hat und ein an ständiger Mensch ist, wird als willkommener Bun desgenosse begrüßt; Alle sind bei der Munitions kammer und den Geschützen beschäftigt; eS giebt keine andere Sorge mehr als die eine, den Räuber sich vom Leibe zu halten. Und je näher daS un« heimliche Segel herankommt, je näher der Augen blick rückt, wo die feindlichen Kräfte sich messen sollen, desto höher steigt die Entschlossenheit ein- müthigen Widerstandes, die den Sieg verbürgt. Heute bietet Deutschland das Bild eine- Schiffe« dar, welches in sicherer Entfernung von seder Pi« ratengesahr dahinsährt, statt dessen aber die heftig sten Parteiungen im eignen Schooße birgt. Zwar ist das Räuberfahrzeug keine-wegS aus dem Gesichtskreise verschwunden, aber es scheint wenig Sorge zu er regen. Höchstens daß man ab und an ihm einen Buck zuwendet; die Notwendigkeit gemeinsamer Abwehr scheint die Mehrzahl der Passagiere nicht mehr ru empfinden. Ihr Augenmerk ist vielmehr darauf gerichtet, den allgemeinen Tumult zu be nutzen, um sich von den Vorräthen de- Schiffe« größere Quantitäten anzueignen, sich bessere Kajüten zu sichern, den anderen Mitreisenden die Waffen abzunehmen und auf diese Weise daS Schiff allein zu beherrschen. Und seltsam genug, Dieje nigen, welche jetzt am wenigsten um den gemein samen Feind sich kümmern, sind gerade Die, welche beim ersten Aus tauchen der Gefahr am lautesten auf Verbündung Aller zum Kampfe gegen den Piraten drangen, die in überstürzter Hast' zu augen blicklichem Feuern drängten, die nicht genug Worte finden konnten, um die Entsetzlichkeit de- Gegner« zu schildern. Der Berliner Hoftheologe sieht die Herstel lung de- strengen KirchenreannentS alS ein mit Hän den zu greifende« Ziel vor Augen; die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft ist zwar ein schrecklicher, aber nicht in jedem Augenblicke sich aufdrängender Gegenstand. Der große Grundbesitzer, der gern die direkten Steuern loS werden und dafür der großen Menge daS Tabaksmonopol zuschieben möchte, fühlt die pecuniäre Erleichterung, die er für sich hofft, mit solcher Lebhaftigkeit der Phantasie, daß er für Rücksichten auf seine Nebenmenschen wenig Gedanken übrig hat. Der Actionair eine- nothleidenden Eisenwerkes ist von der Aussicht, bei Herstellung der Eisenzölle seine Actien zu höherem Course an den Mann bringen zu können, so ge blendet, daß er nichts Anderes zu unterscheiden vermag. Der altpreußische Reactionair begrüßt die Aussicht auf Erneuerung „der guten alten Zeit" mit solcher Rührung, daß er nicyt merkt, wie er im Bunde mit den ärgsten Feinden seine- Staate eifrig an dem Aste sägt, auf dem er selbst grollend, aber bequem und sicher seit zehn Jahren sitzt. So erklärt eS sich, daß von vier oder fünf Sei ten her zum Angriffe auf da- Bürgerthum und den Liberalismus geblasen wird, in einem Augen blicke, wo daS liberale Bürgerthum sich aufrafft, die Grundlagen aller menschlichen Wohlfahrt gegen radicale Verwüstung in Schutz zu nehmen. So erklärt eS sich, aber die Erklärung macht die Sache nicht ungefährlicher. Im Gegentheil, die Blindheit, die eme so große Rolle in diesen Dingen spielt, ist mehr zu fürchten, als die Mac- chiavellistische Scharfsichtigkeit. Die Leute bilden sich ein, ein guteS Werk zu thun, indem sie ihrer Selbstsucht oder ihrem Vorurtheile sröhnen, und solche Gegner sind die schlimmsten. Nicht« wäre verkehrter, alS wenn wir sie deshalb unterschätzen wollten, weil und allerdings ihr Gebühren thöricht im höchsten Grade erscheint. Thöricht ist da- Programm der Socialdemokraten auch. Ueber konservative AgitationSfriichte schreibt die „Nat. Lib. Corresp ": DaS konservative Bestreben, den ganzen Liberalismus bei diesen Wahlen „an die Wand zu drücken", zeitigt herr liche Früchte. Wohl mag eS in einzelnen Wahl kreisen gelingen, durch die leidenschaftlichste Agita tion und die sonderbarsten Coalitionen der gegen- EAODl
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