Suche löschen...
Dresdner Nachrichten : 24.07.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-07-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192707244
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19270724
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19270724
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Nachrichten
- Jahr1927
- Monat1927-07
- Tag1927-07-24
- Monat1927-07
- Jahr1927
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 24.07.1927
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
vleränes Nachrichten ö>ern Alltag Zonnlag, 24^ ^uli 1927 Der Korporal von Leulhen. Historisch« Skizze vo« Gerhard v Gottber» Dumpf und rollend wurde« die Trommeln geschlagen; lein Scherzwort flog durch die Reiben der frtdertztantschen Soldaten. Der Kapitän an der Spitze schritt stumm und ver. Men einher. Er kam von dem Gedanken nicht loS. daß sich im ersten Bataillon der Garde des groben Königs ein Deser teur befunden. Teufel und HölleII Bet Robbach und Seuchen, bei Ltognttz und Torgou hatte man gekämpft, und beute der Schimpf, der dadurch noch schlimmer wurde, daß sich ein Kamerad -er eigenen Kompagnie gefunden, der den stabnenflüchttgen um der Geldprämie willen verraten. Der eigene Bruder war eS gewesen. Dumpf und rollend klang der Trommelwirbel. Im Viereck trat das Bataillon an. Ltchrot stieg die Frühsonne wer die Heide enepor, warf goldfrohe Strahlen über die schwarzen Schollen eine- offene» Grabes. Der Regiments, «uditeur trat vor, verlas mit unbewegter, eintöniger Stimm« dem Uebelttlter das Todesurteil. Doch der ge- sangene Deserteur schien nichts davon zu vernehmen. Stumm sab er hinaus in die tauperlende Heide, ein mitleidsvoller vltck traf den Bruder, der zum Juda» geworben, blab und zitternd am Flügel de» ToüeSpelotonS harrte. Der alte Hauptmaun sah nicht auf. grübelnd starrte er M Boden, dacht« au die Stunde, da jener ihn auf seine» Armen au» -er Hölle von Prag getragen, ihm die blutenden Kunden verbunden, dachte an den Tag von Leuchen, da jener die Pauduren-Fahne aus dem dichten Feindknäuel ge- holt. Korporal war er damals geworden, der König hatte tbn belobt, und jetzt... ein Deserteur, besten letzte Stunde geschlagen. Raffelnd wirbelten die Trommeln, überbröbnten daS Knarren der Ladestvcke im Rohrlauf. Die Mannschaft -es Pelotons trat vor. Der Leutnant meldete: „Fertig!" Aufgerichtet stand der Verurteilte vor der offenen Grube, bi« Augenbinde batte er abgelehnt: ein loderndes Feuer brach aus seinen leuchtstark blauen Augen. Hell tönte seine Stimme: „Seht Kameraden! So stirbt ein Preusten- kvrporal. wenn König Friedrich es befiehlt!" Doch der alte Hauptmanu hob den Degen nicht. Bleiern er- schien ihm der Arm. der jenem den Tod bringen mutzte, zu- geschnürt der HalS. der das vernichtende Kommando nicht hervorbrachte. DaS Rollen -er Trommeln verstummte. Eine atemlose Stille schwoll schwül und drückend empor, krallte sich in die Herzen. Ein Schrei ertönte . . . markerschütternd . . . zer- wühlt von Jammer. Des Verurteilten Bruder warf die Kaffe weg. umschlang des HauptmannS Knie: „Erbarmt euch. Herr! Er ist kein Deserteur, wie ich kein Judas bin!" Doch mit dem Futze schob der alte Kavitän den Verräter von sich Er glaubte ihm nicht, empfand Abscheu und Ekel gegen de«, der fein eigen Blut um Goldes willen verraten. Und noch immer diese stumme, schier atemlose Schwüle. Weit vornübergebeugt steht der Hauptmann. Er. der im Kugclsturm bet Prag und Leuthen nimmer gezaudert, die Seinen in den Tob zu führen, er zögert jetzt bet diesem einen! Bom Kieferurand weit fern nähert sich eine Kavalkade, in jLhem Jagen scheint sie heranzupreschen. Allen voran . .. Einer ... auf wcitzem Pferde . . . königlich in Wuchs und Haltung... er ist es .. . Frtdertcus. der Unbezwingbare! Stumm steht die Kompagnie... von wett herüber, da auf »iirkiicher Heide noch andre Truppen Waffenhanbwerk üben, ttllt verschwommen ein Trompetenruf. Ter König ist heran. Streng glüht sei» Feuerbltck. Der da uv ungun tritt hervor und meldet: „Die erste Kompagnie Garde, zwei Offiziere mtt 8ö Mau« zur Exekution zur Stelle." Der König hört'». Ein strenger Zug -nrchfaltet seine Stirn, der kein Erbarmen kennt und kein Verzeihen. Schon will der Hauptmann seinen Degen beben, als jener, -er den raschen Tod erwartet, mit Heller Stimme ruft: „Gebt Feuer. Kameraden! Der Korporal von Lenthe» fürchtet Kugeln nimmer! Und unser König liebt das Warten nicht!" Sin Wink. Held Friedrich reitet ins Karree, fragt drohend, hart: „Was willst denn du?" .Ten Tod erbitt' ich. Euer Maicstätk" „Du bist der Korporal von Leuthenk" fragt der König wester: „Derselbe, -er die Treuksche Fahne stürmte?" „Derselbe. Euer Majestät!" „lind bittest nimmer um Pardon?" Da richtet sich der Verurteilte auf: „Mit Nichten. Euer Majestät! Was wird an- euren tapferen Truppen, wenn ihr die Lumpendeserteurs mit Pardonnieren lobet? Der Teufel auch, das wäre üble Art, wen« nicht ein Peloton sie übern Haufen knallte. Da würd' ein jeder desertieren!" In -aS bartgefurchte Gesicht des König» tritt Staune«: .Er scheint ein braver Bursch! Auch wenn er sterben mntz! Hat er denn keine Mutter, die den Sohn beweint?" Stumm steht der Korporal, sieht auf de« Bruder. Daun vretzt er hart hervor: „Die Mutter lebt! Doch damit st« lebt, strrb' ich als Deserteur!" Der König will weiterfragen, -och der Verurteilte starrt düster zu Boden, scheint nichts z« hören. Eine Schmach er scheint ihm Mitleid, ein Frevel an preutztscher Ehre. Er will den Tod erleiden, er ist Korporal, hat stets die Deser» teurs gehatzt. Und nun er selber ihr Genoste, gilt ihm der Tod al« Pflicht. Doch König Friedrich hat den blaffen Burschen drüben im Karree erspäht, winkt ihn heran. Von ihm erfährt er. was der Delinquent verschweigt: datz beider Mutter um weniger Taler willen Not gelitten, um sie zu retten, ward -er Kor. voral von Leuthen ein Deserteur: denn 15 Taler gibt» für den. der einen Flüchtigen zu Straff und Urteil seiner Truppe bringt, und 1k Taler stnd'S, die einer alten Fra« ver- lorne Heimat retten. Da floh -er eine Bruder vo» der Truppe, der andere ward zum Juda». — Dröhnend rollten die Trommeln, al» da» Bataillon nach Potsdam zurttckkcbrte. Neben seinem Hauvtmann schritt -er begnadigte Deserteur... ein Lachen de» Glück» in den blauen Augen: und ein Singen und Lachen war auch in der ganzen ersten Kompagnie deS ersten Bataillons Garde König Friedrichs. AIS die Trommler und Qnerpfeifer just am Gchlotz mit des alten Fritzen LicblingSmarsch einsetzten, bellten drüben in Sa.iSsouci die Windhunde. Doch Friedrich wies sie zur Ruhr, schrieb mit grotzen Zügen unter da» Todesurteil de» nuuinehr Begnadigten: „Feldwebel wird der Korporal von LeuthenI Der Alten 20 Taler zum Pläsier! Doch weil der Korporal den König selbst und seinen eignen Kapitän so gröblich arg düpieret und fast des Todes bei gestorben, so exerziert er eine Stunde nach!" Aberglaube. Skizze an» der Fltegeret von Konrad Peer. Hoch steht die Sonne über dem Flugplatz. — Mitten auf der grotzen Rasenfläche steht, eilt, läuft ein lustiges, flinkes Völkchen um ein Flugzeug. Eine Sport» sltcgerschulc nützt das herrliche Flugwetter, ihre Jünger in die Geheimnisse des KunstflicgeiiS z» führen. Nnermüblich schreit, tobt und brüllt der Chefpilot, von einer baumlangen Figur — mit Breeches wie ei» paar Fesselballons und mit einem sabelhakten Ledermantel — eifrig unterstützt. Bei dem Ge räusch eine» aus Leerlauf gedrosselten Motors tu «»mittel- barer Nähe soll sich am- «tu Mensch verständlich machen, und ausgerechnet einem Auditorium, da» unruhig wie Quecksilber und flüchtig wie Benzin ist. Der Chefpilot erläutert wiederholend die Stenerbewegnng und ihre Wirkung bet Looping» und Rolling». Dann steigt er tn die Maschine, nm seinen Jungfltegern diese Flugarten vorzufltegen. — Heinz Scholl steht etwa» abseits mtt seinem Freund« Ehrhard Rülow. Sie find die ältesten der Jungflteger und haben sich bereit» al» geschickt veranlagte Kunstflteger er- wiesen. Sie sind dort angelangt, wo sie der Fluglehrer sich selbst überlaste» kann, um Erfahrung und Uebung zu be- kommen. Der Doppeldecker de» „Alten" kreist über dem Platz und wirb in sichere Höhe gezogen. „Heinz, hast du ein Stäbchen?" Der Angeredete mihi die Entfernung zwischen sich und dem tn den Lüften kreisenden „Häuptling", nickt und zieht seine Zigarettcndose aus der Lederjoppe. „Herr von Friedenau!" Die lange Gardefigur — Oberleutnant a. D. und Flug lehrer — dreht sich mtt ihren Fesselballons an den Oberschenkeln um. „Bor einer Zigarette ist doch der „Alte" nicht wieder unten, rauchen Sie eine mtt?" Der lange Fluglehrer schüttelt den Kopf, lacht nachsichtig und zteht sich den dicken rechten Wollhandschuh aus. um bester fasten zu können. Ehrhard Rülow zteht eine Streichholzschachtel aus seiner Hosentasche, streicht ein Hölzchen an und bietet Friedenau die Flamme, dann Scholl. Als er selbst seine Zigarette tn die hohle Hand senkt, um sie zu entzünden, sagt Scholl mit ernsten Augen: „Mensch, Ehrhard, puste doch aus. aus das eine Streich holz kommt's doch nicht an." Rülow zeigt setne gesunden Zähn«: „Abergläubisch, Heinz?" — Dann senkt er seine Zt- garette in die hohle Hand, kurz vor seinen Augen sieht er die Flamme des Streichhölzchens — — übergroß erscheint sie ihm .bann zieht er sie saugend in die Zigarette, datz sie knistert. Mtt lässiger Bewegung wirft er das Streichholz fort. Rülow stützt den blauen Qualm aus der Lunge und sagt: „Heinz, glaubst du ernsthaft daran, datz man nicht dreimal von einem Streichholz Feuer nehmen darf, ohne datz ein Unglück passiert? Glaubst du, datz die kleine Klamme des Streichhölz chens, die bereits erkaltet ist, noch etwas anrichten kann?" Der lange Friedenau nimmt dem Angeredeteu die Ant- wort ab: „So etwas mutz jeder mtt sich abmachen. Wir im Felde sind alle mehr oder weutger abergläubisch geworden." Rülow lächelte. — „Tja, lachen Sie nur. Sie sehen nur daS Kleinliche darin, aber wir sogen daraus Ruhe und Kraft. Jeder hat einen Talisman, ein Bild oder ein Andenken oder einen Teddy bären, in welchem er eine Art Schutzengel sah. Auch ich hatte einen kleinen Teddy an dem Stenerrad meiner Fokker v VII Als wir mal alarmiert wurden und unsere Staffel in aller Eile einem herannahenden feindliche» Bombengeschwader ent. gegengeworfen wurde, hatte ich tn der Aufregung meinen Teddy vergesse«. Ich merkte da» aber erst, al» ich bereits 10V Meter hoch war. Ich wurde unruhig — mir fehlte etwas. Kurz entschlossen nahm ich Gas weg — landete nochmal, ließ mir meinen Teddy tn die Maschine reichen und brauste bann mtt Vollgas hinterher. Nun war ich beruhigt, die Nerven halten ihren ruhigen Punkt, die Auge» sahen den kleinen, lteben Bekannten, der schon bei jedem Luftkamps und Schla- maffel dabei gewesen war. Ich hatte das Gefühl: nun kann mtr nichts passieren! Und Liese Beruhigung, diese Kraft und daS sichere Draufgängertum war vielfach der Erfolg des Talis mans. Ich glaube bestimmt, daß die Piloten des Weltkrteges nicht so viel Nervenkraftproben hätten abgebeu können, wenn sie nickt den Aberglauben gehabt hätten!" — Rülow steht zu Boden,- setne Augen suche« de» Rest d«S Streichholzes. Der Doppeldecker vvllfllhrt t« »00 Meter Höhe di« Loopings, Rolling» und Tnrn» t» alle» mögliche» Som- btnattonen. — Scholl fragt plötzlich: „Sagen Sie mal, Herr von Frte- denau, wie mag das eigentlich entstanden sein mit dem Streich hol, und dem dreimaligen Anzünde»? Der Dritte sollte doch ", er hält tune und setzt Ludernd fort: „es sollt« doch etwa» Unangenehmes eintretenl" Friedenau entgegnet: „Dieser Aberglanbe ist von den eng- ltschen Piloten zu uns gekommen. Und t« der englischen Armee ist er tn Südafrika zur Zeit der Burenkriege entstan- den. Damals gab'S noch kein« Echützengrabenkämpfe. Man lag t» Schützenlinien ans ebener Erde, nur durch Gelänbebtl- düng oder Buschwerk gedeckt. Kam die Nacht und somit dte Kampfpause, so zogen dte Engländer thre geliebte Ghagpfetse aus der Tasche, stopften sie und setzten fie tn Brand. Einer, höchstens zwei konnten an einem Streichholz ihre Pfetfe ent- zünden. Dann war e» allerhöchste Zeit, wteder tm Dunkel der Nacht ,« verschwinden. Sin Dritter, der da» brennende Holz «och benutzen wollte, fiel meistens mtt tödlichem Kopf schütz von den auf der Lauer liegenden gefürchtete» Scharf, schützen der Buren." Frtedena« zteht an seiner Zigarette «nb fährt fort: „Diese sicher damals öfter eingetretenen Fälle haben sich eben als Aberglaube erhalten, datz dem Dritten, der stch von einem Streichholz Feuer nimmt, etwa» passiert." — Dte beide« Jungflteger habe« still zngehvrt. Plötzlich verstummt der Motor, der ständig «nd gleichmätzig während der ganzen Zeit über ihnen sein Lied gesungen hat. Dte Drei blicken auf «nb verfolgen die Looping» ihre» Lei- terS, die er mtt auf Leerlanf gedrosseltem Motor anSfübrt. In SVV Meter Höh« hält er die Maschine wagrecht, senkt den linken Flügel «nd rutscht tm Slip bi» ans VO Meter, nimmt de« Flügel wieder wagrecht, schwebt an» «nd setzt leicht ans. Rülow überlegt. Er fühlt, daß er «nruhig geworden ist. Plötzlich lacht er hell auf «nb ruft burschikos: „Ist ja alle» Mumpitzi" Damit läuft er der anrollenben Maschine entgegen. Er will sich mtt einer Gewalttur beruhigen. „Hallo, kan« ich fliege« —ff brüllt er seinem Lehrmeister in der Maschine z«. Dieser nickt. Ihm ist e» recht, wenn jetzt nach ihm einer der fortgeschrittene« Schüler, «t« e» Rülow «st. fliegt. Der Motor läuft auf Leerlanf. Rülow Hilst dem Piloten au» dem Sitz «nd schwingt stch leicht hinein. Schnell schnallt er stch fest, dreht stch noch etnmal zu Scholl nm und lacht, datz setne weitzen Zähne unter der Schutzbrille hervorleuchten, dann gibt er BollgaS. Der unverwüstliche SiemenSmotor knattert und schimpft, daß er stch von einem jungen Piloten beherrschen lasten mutz, aber was hilft »? Ihm bleibt nur da» Brummen. Rülow zteht das Stenerrad hart an. datz die Maschine in steilem Winkel tn die Höhe schießt. Fliegen will er, wie er noch nie bisher allein geflogen ist, er will zeigen, datz er stärker ist al» der Aberglaube, und daß dte Flamme tot ist. Höher und höher zieht er den flinken Doppeldecker. — ba — 1500 Meter zeigt der Höhenmesser. DaS Häuflein der Flugschüler auf dem Platz steht aus wie kleine schwarze Punkte auf einer grünen Fläche. „Ist genug für heute", murmelt er für sich, und drückt sanft -aS Stenerrad. Die Maschine neigt sich nach vorn und schießt in rasender Fahrt vorwärts. Mtt plötzlichem Anziehen des Steuerrades reißt er die Maschine hoch, läßt sie sich über- schlagen , fängt sie geschickt mtt ruhiger Hand wteder. Rülow jauchzt tn den Aether: „Ha ha — die kleine Streich. holzflamme . Viel bester sogar gelingt mir heute ein Looping!" Mtt den Querrudern wirft er die Maschine um, nimmt GaS weg und läßt sie trudeln 1200 Meter — 1000 Meter. — 800 Meter — 800 Meter. Geschickt nimmt er dte Maschine mit dem Seitenruder wteder aus der Drehbewegung und schwebt im Geradeslug. Ein Lächeln geht über seine jungen Züge. Stolzes Siegergefühl über die Flamme beseelt ihn, er hat die Maschine fest in der Gewalt. Blitzschnell kommt ihm der Gedanke, die Maschine eben- falls über den Flügel abrutschen zu lassen und wie sein Lehrer im Slip zu landen. — Schon neigt sich der linke Flügel deS Flugzeuges. — Seitlich etwas vorhängend rutschst die Maschine. — Mit rasender Geschwindigkeit saust Rülow mit dem tu der Schräglinie hängenden Doppeldecker der Erde zu. Plötzlich sieht Rülow dicht vor sich den Erdboden, mtt schnellem Steuerausschlag sucht er die Maschine aufzurichten.— Zu spät. — Er fühlt einen Ruck, hört ein Splittern und Krachen, vor ihm schießt eine riesengroße, grelle Stichflamme empor. „Die Flamme", durchjagt's sein Hirn. Dann schwinden ihm die Sinne. — Setne Kameraden konnten nur den verkohlten Leichnam aus den Trümmern bergen. Kleine Geschichte. Von Walter von Molo. Ich will eine sonderbare Kleinigkeit von einem Manne erzählen, dessen Namen sehr viele kennen, der sich viel tn der Welt nmgesehcn hat, der vieles mitgemacht hat, der Geld und ein festes Einkommen hat, der sogar das, was man Ruhm nennt, besitzt, dem die Frauen und die Mädchen, wie man noch schöner sagt, zu Füßen liegen. Der Mann könnte sich dte teuersten Radioapparate in jedem seiner Zimmer aufstelleu lassen, er könnte sich die teuersten Automobile kaufen oder ein Flugzeug oder irgendwelch anderen Kram, der heute in höchster Wertung steht. Aber der Mann tut das nicht. Er lebt, wenn man das, ohne seinen „Ruhm" allzu sehr »« schmälern, sagen darf, sehr gewöhnlich. Er steht früh auf, er zieht sich an, er frühstückt, er hält pedantisch genau immer zu den gleichen Zeiten seine Mahlzeiten, jeden Abend brennt iu des Mannes Arbeitszimmer Licht, und dann, wenn es dort dunkel wird, ist wohl anzunehmcn, daß er schläft. Wenn die Sonne aufgeht, dann steigt auch der Manu wieder aus seinem Bett, dann frühstückt er und dann geht er iu seinen Garten. Der Manu ist sehr viel in seinem Garten. Er geht langsam längs der Wege herum und bleibt alle Augenblicke stehen, er sieht zu, wie die Primeln jeden Tag größer werden, wie sich dte Rosenstöcke belauben, wie dte Steck rosen kleine rote Knospen zeigen, wie die Stechpalmen» die er neu etnsetzcn ließ, zum Teil verdorren und ganz rote Blätter bekommen, als wäre es schon wieder Herbst, wie fie aus der Wurzel aber doch wteder neu Heraustreiben, in ganz gleichem Grün wie die, denen ihre Arbeit leichter zugefallen ist. Ich habe den Man» oft unter seinem Sastauteubanm stehen sehen, einmal an einem sehr heißen Sonntag stunden- lang, und das Antlitz des Mannes war dabet voll höchstem Interesse und voll leuchtender Ehrfurcht, als er sah, wie dt« dicke», keulenartigen Triebe stch aufblätterten, wie sie platzten, immer mehr und mehr, wte stch die Blätter unter dem nieder» prasselnden Sonnenlicht ausetnanderschoben und glätteten» wte die Flügel von Schmetterlingen, denen man auch zusehe« kann, wenn sie aus den Puppen ins Leben hervorquelleu. Oft steht der Mann vor den Farnkräutern, die tn der Früh« noch mißfarbige braunhaartge Knollen waren, dte sich plötzlich tn der Sonne von der Erde aufheben, einen Stengel be kommen, an dem fie aufwärtsrollen, wodurch sie immer kleiner werden, der zackige Blätter entfaltet, und am Abend deS Tages, wenn der Frühltngsdampf und die Luft und dte Erd« redlich mttgeholfen haben, dann hat stch der Knollen um ein« Spanne aus der Erd« emporgestemmt. Wenn der Maun, der alles von dieser Wett haben könnte, was man so eben „Well" und „alles" nennt, das mttangesehe» hat, weil er stch jede Stunde wieder zu seinen Farnkräutern niedernetgt, dann lächelt er still vor stch hin und blickt wägend tn großer Sicher heit z« den blühenden Obstbäumen. Dann stellt er stch unter diese und hört dem Summen und Brausen der emsig arbeiten den Btenenfcharen »n, wte st« dte Früchte erzeugen helfen; sie misten ganz genau, was fie wollen und sind furchtbar emsig. Wenn dem Mann« eine Amsel über den Weg hüpft, bann vletbt er stehen, «m fie nicht z« stören, oder er geht lets« t» einem großen Bogen um sie herum, an ihr vorüber, um st« ja nicht aufzuscheuchen. Auch die Fichten und dte Tannen, bi« von Tag zu Tag hellgrünere Fingerspitzen in die Luft strecken, haben deS Mannes Anteilnahme, ebenso die Tulpen, die grell farbig aus dem Boden prallen, wte durch den unsichtbare» Druck und Schlag der Sonnenhitze zu einem Gericht rufen, z« dem sie sich willig aufjagen und emporwersen lasten. Manch mal sitzt auch der Mann in seinem Garten, und dann hat er ein dickes Buch vor sich, iu dem er hie und da liest, dann schaut er wteder auf das neu gesäte Gras, das dünn überall zu sprossen beginnt, auf dte Stiefmütterchen, deren Same» im Vorjahre auf dte Wiese flog, die violett und grell aus dem allen GraS hervorlngen, daS sich darüber neidlos freut. ES ist sonderbar, der Mann ist modern angezogen, und er sieht eigentlich ganz vernünftig aus, aber er liest eigentlich immer nur in diesem sonderbaren dicken Buch, in dem ganz langweiltge und uns allen reichlichst bekannte Geschichte« stehen, wie die, baß stch dereinst alle Tiere und Pflanzen der Sprache bedienten, baß eine Schlange einmal zwei Mensche« vorstellte, st« könnten unterscheiden lernen, was gut und was böse set, daß die Menschen, die die große Sehnsucht hatten, scharfsichtig und klug zu werden, Früchte von einem Baum« aßen, wodurch sie die Erkenntnis gewannen, was gut und was böse set, und daß dieser anscheinende Fortschritt der Menschen sich tm Fortgang nicht als Fortschritt, sondern sö recht als Elend erwiesen hätte, daß erst seither die Menschen so mühevoll arbeiten müßten, -aß es seither erst Mord und Totschlag gäbe. ES soll den klug gewordenen Menschen durch die vermeintliche Erkenntnis, unterscheiden zu können, rva» gut und was böse sei, sehr vieles versagt worden sein, was sie früher beglückend besessen hätten. Wenn der Mann ein paar solcher Sätze gelesen hat, blickt er immer wieder zu den Pflanzen seines Gartens und zu den Vögeln, bannerhebt er sich wohl wieder tn sonderbarer Unruhe und beginnt neu seinen Nundgang. Uebcrall, bet den Stauden und Johannisbeeren, bei den Stachelbeeren und dem Holun derstrauch, überall ist Ruhe, ist ruhiges Fortschreitcn, Wachse« und Keimen und Entwickeln, nnd auch die Acste, dte dieses Jahr dürr geblieben sind, oder die Pflanzen, die dieses Jahr nicht wteder lebendig geworden sind, auch die sind ruhig »nd gelasten, ohne Jammern nnd Klagen. Kein Gewächs will» da es jetzt Frühling ist, schon seine Früchte reifen sehen ober seine Blätter abwerfen wie im Sommer oder im Herbst. Es ist eben noch nicht Sommer und noch nicht Herbst. All<!S
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder