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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.11.1883
- Erscheinungsdatum
- 1883-11-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188311146
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18831114
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18831114
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1883
- Monat1883-11
- Tag1883-11-14
- Monat1883-11
- Jahr1883
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.11.1883
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Erschetrrt täglich früh 6'/, Uhr. Lr-artisn und Expedition JohanueSgasse 33. Sprechstunden der Lr-action: BormitlagS IO—12 Uhr. Nachmittags 5—6 Uhr. »t» Nti«I»»dr rmqrjrndln M,»»icr>i>r« »u iiarocu»» mchl »«rvultllä» «nnatwe »er für »ie >ächfit»l,e,»e N«««er brstimmteu Inserat, a» S-cheutaaen bis 2 Uhr Nachmitta«», «u San«- un» -csttagen früh bi» '/,S llhr. 3n den /Malen snr 3ns.-Anaahme: vtt« Klemm. UniverütLitstraße 21. Laut- Lischt, Kaiharinenftraße 18, v. nur bis '/,» vhr MchMcr.TaMM Anzeiger. Organ fnr Politik, Localgeschichte, Handels- nnd Geschäftsverkehr. Nrrflage IS,LEE. Ldonnnnratsprris vierrelj. 4'/, Mt. iucl. vriuaerloh» 5 ML. »«ach dir Voft bqo^n « Mt. Jede ringln« Nummer 20 Ps. Lrlraerrmptar 10 Ps. Gebühre» für Extrabrilaae» «tznc Pokbelürderuug 3S ML «it Poftbejördrnlng 48 ML Inserate Sgespaltme Petitzeile S^/Pf. BrSbere Schriften laut uujerem V^ei-. verzelchuitz. Tabellarischer ». Ziffernja» uach HSHee Tarif. Leclamen unter dem tlr-a^ttonostrich die Spalkzeile 50 P'/. Juferate sind stcis an die Er Me»iti«» z» senden. — Rabatt wird n« »« gegeben. Zahlung prueouiaenmäo ode r durch Poft- uachnahme. ^ 318. Mittwoch den 14. November 1883. 77. Jahrgang. Amtlicher Theil. AuS Anlaß der Einschätzung zur Einkommensteuer auf daS Jahr 1884 werden den Borstauden von juristischen Personen und Vereinen aller Art, sowie den Arbeitgebern rc. gegen, wärtig Formulare zur Anfertigung von Gehalt«- bez. Lohn- nachweisungen behändigt, welche nach Maßgabe der Bestim mungen in tztz. 3K und 37 deS Einkommensteuergesetzes rrom 2. Juli 1878, verbunden mit tz. 28 der dazu erlassenen AttS- sührungS-Verordnung vom ll. Oktober desselben IahveS, auSgesülll binnen 8 Tage«, von der erfolgte« Ve- handigung ab gereechnet, bei Vermeidung einier Geldstrafe bis zu SO Mark, die bet Versäumung deS Termin» unnaebsiehtlich betaetrirbeu »erden wird, an die Filiale unserer Ttabtsteaer-Ein nahme, Obstmarkt -kr. S, 8. Etage (Stadthaus-, abzuaeben sind. Sollten die betreffenden Vorstände, Arbeitgeber :c. For mulare in ungenügender Anzahl oder bis zum 15. dieses Monats überhaupt nicht erhalten haben, so könne» dieselben dergleichen Formulare an gedachter ExpeditivnSstelle entnehme«. Leipzig, den 6. November 1883 Der Rath der Stadt Leipzig. vr. Georgi. Gvhlitz. Gesucht Ziezelstre ch r Gustav Adolf Schütze, am 28. Juni 1847 zu Döl>» geboren, welcher zur Nebev- nahme seiner in Waisenpflege befindlichen Kinder anzuhalten ist. Leipzig, den S. November >883. Der Rath her Stadt Leipzig. (Armenamt.) Ludwig-Wolf. Mr. Vtbmilmchimr. In unserer Verwahrung befinde» sich emr parke g«l»e«e veile «rt Geraden Bügel» (wie solche von Frauen getragen zu werden pflegen), welche am 3. d. Mts. ein Mädchen, anscheinend ein Dienst, müdcheu, bei einem hiesigen Pfandleiher hat verletzen wollen, und als fit zur Beschaffung einer LegitttNatw» ausgesordert wordeu ist, im Stiche gelassen hat. Wahrscheinlich ist die Brille et, Ltrllstahlsobject, und ersuchen mir de» unbekannten Ligen thümer, sich ungesäumt bei unserer Lrimlual-Adiheilung zu melden. Leipzig, am 11. November 1883. Das Polizei«»« »er Stadt Leipzig. Brctschneider. K. Luctio«. Mittwach, den 14. Ravcmber 18»3, S Uhr Nachmittag». Fortsetzung der Versteigerung Ariminaischcr Steinweg Nr. 3. 111., und kommen Futterkatlun, Leinewand, Leder, Naturvorsotzpapier. 1 Partie Achat, und Thuqrin-Papier. Beschneidebretter, Pressen, Taseln, Regale, Schriften, Platte». 8 Ttr. Pappen, 12 Ltr. Spähnc und andere Gegenstände zur Auction. Leipzig, de» 13. November 1883. Thierbach, Eericht-vollzieher. Nichtamtlicher Theil. Line merkwürdige parallele. In der letzten Zeit beschäftigen sich die Preßorgane der RcickSregierung in ausfallender Weise gern »nt den, Thema der Miltclpartcien und einer aus den gemäßigte» Elementen der Liberalen und Eonservaliven gebildeten ParlamentS- majcrität. Wo immer an irgend einer Stelle mittelparteiliche Accorv« angeschlagen werden, sofort tönt die Stimme der gouvernemeutalen Presse mit hinein, widerwillig und doch sehnsuchtsvoll nach einer Wiederkehr jener Tage, da die Ne gierung ihre Politik auf eine starke und uneigennützige national- liberal-sreiconservative Majorität stützen konnte und nicht bei jeder Gelegenheit mit dem Centrum einen unvortheilbasten Handel um dessen Stimmen abzuschließen brauchte. Woher kommt diese plötzlich so stark auftretende mittelparteiliche Sehnsucht bei den Inspiratoren der officivsen Presse? Dafür giebt eS mancherlei Erklärungen. Daß diese Sehnsucht kommen würde, wußten wir und haben es auch wiederholt ausgesprochen, daß d,e Sehnsucht aber so schnell, daß sie schon jetzt in einem solchen Maße sich zeigen werde, da» haben selbst wir zu hoffen nicht gewagt. Indessen die Nachrichten über die kirchenpolitischen AuSgleichSverhandlungen lauten sehr trübe. Herr v. Scblözer hat in Rom wieder mit einem kirchenpclitischcn Nepressivsystem drohen müssen, ui» die Eminenzen der Curie zu einiger Nachgiebigkeit gegen den Staat, nicht i» Grundsätzen, sondern nur in Personensragen, zu bewegen. Aber selbst diese Drohung ist ohne Erfolg ge blieben. Mit eiserner Festigkeit verlangen die vatikanischen Diplomaten immer weitere Zugeständnisse, ohne ihren starren Standpunct auch nur um eines FingerS Breite zu verlassen. In Düsseldorf hat Herr Windlhorst Aller Welt verkündet, welche Gesetze er der staatlichen Svcialpolitik vorzuschreibcn gedenke, damit sie vor Allem den klerikalen Interessen diene und mit der Unterstützung de» EentrumS zu Stande komme. Wer sollte es da den leitenden Politikern verargen, wenn sie die Fehler ihrer bisherigen Politik einsehen, wenn sie die klerikal-conservative Majorität im Herzen verwünsche», wenn die Sehnsucht nach einer gemäßigten nationalen inneren Politik in ihre», Herzen erwacht und bei jeder sich darsticten- den Gelegenheit sich laut vernehmbar macht? Wir sind gewiß die Letzten, welche darüber betrübt sein können oder daraus einen Vorwurf herleiten möchten. Nur di« Art und Weis«, in welcher da» mittelparteiliche Verlangen der Rsgierungsorgane sich kund giebt, hat khr sehr Bedenk liches und nötbigt unS zur Abwehr. AlS vor einigen Tagen die .Nationalliberale Correspondenz" in einer Art von tznio- rischem Rückblick die begründete Behauptung aufstellte, daß nur de-halb daS frühere enge Berhältniß der nationalliberalen Partei zur Regierung anfhöre» mußte, weil die letztere »rer- süllbar« Forderungen an die Nachgiebigkeit und Opferwillig- keit unserer Freunde stellte, weil f>« nicht eine der wirksamen parlamentarischen Unterstüimng entsprechende Rücksicht aus den liberale« Charakter der Partei nahm, und als da< aemästigte Parteiorgan daraus den Schluß zog, daß zur Wiederherstellung deS früheren Verhältnisses eine Amderung deS einstigen Ver fahrens der Regierung cintreten müsse, da sah sich .die Nord deutsche Allgemeine Zeitung" veranlaßt, diese» Ausführungen in einer ganzen Serie von Artikeln entgegenzntrete». Man kann nicht gerade sagen, daß da» ossiciöse Blatt bei diesem Beginnen besonders glücklich gewesen wäre. E» vermochte weiter nichts als die uninotivirte Behauptung enlgegenznstellen. daß die Nationalliberalen die Regierung nici>t genügend unter stützt, sich nutzlosen OppositionSgclüsten hingegeöen und dadurch eine Trennung nothwendig herbeiaesührt hätten. Jede- Blatt unserer parlamentarischen Geschichte von 1800 bi- znm Eintritt der neuen rückschrittlichen Acra zeigt, wie wenig be grüntet dieser Vorwurf ist. WaS unS heute veranlaßt, aus diese allbekannten That- sachen zurückzukommen, ist die auffallende Erscheinung, daß da« leitende gouvernementale Blatt plötzlich mit einem neuen RechtsertiqungSartikel für den Bruch mit der nationalliberalen Partei anstrilt, ganz spontan, von Niemandem provocirt. Der neue Artikel kleidet sich zwar in daS Gewand einer väterlichen Lebre, einer wohlwollende» Ermahnung, er tritt in der Form einer historischen Parallele aus. aber »wischen den Zeilen ist deutlich der eigentliche Zweck, die Entschuldigung und Recht fertigung deS Geschehene», zu lesen. Man wird dabei unwill kürlich an den alten Gcniciuplatz erinnert, wonach derjenige, welcher sich entschuldigt, sich anklagt. Die Anklage ist denn auch auS der Unbegründetheit der Ermahnungen, au» dem hinkenden historischen Vergleiche Iclchl heran» zu finden. Den deutschen Nationalliberalen wird vfficiöS die unga rische Deak-TiSza-Partci al- nachahmenSwertheS Muster vor- gebalten. Es wird von der letzteren behauptet: „Die liberale Partei in Ungarn, welche einst den Namen Deal trug, hat eine glückliche Nöetamorphose durchgemackt und steht heute als Partei TiSza'ö vor unS, gleich liberal, gleich stark und mächtig und gleich treu den Traditionen, in welchen die geheininißvolle Kraft der ungarischen Politik ruht. Warum hat sich eine übnlicbe Metamorphose weder in Teulschtaod noch in Oesterreich vollzogen?" Die Erklärung soll nachdem ossiciösen Blatte darin liegen, daß die ungarischen gemäßigten Liberalen niemals so mit der extremen Linken ihre» Parla mentes gerechnet hätten, wie angeblich die Nationalliberalen in Deutschland mit der Fortschritt-Partei. Wir wollen an dieser Stelle nicht untersuchen, inwieweit der hier gegen unsere Freunde im Parlament erhobene Vor wurf begründet ist. Wir wolle» nur constatiren, daß jede» Mal, wenn die regierungsfreundliche nalionallibrrate Partei von der «mservaliven Regierung für ihre Unterstützung^»»» Parlament eine mäßige liberale Coacession verlangte, die gouvernementale Presse siels bemüht war, eine solche For derung unter den, Vorwände zu discrekitiren, dieselbe werbe uur au» Koketterie »»it den Link-liberalen erhoben. Wir baden bi-ber zu jeder Stunde unsere politische Selbstständig keit gegenüber de» Extremen gewahrt und werben das auch sernerhin thnn. Ader der Unterschied zwischen den deutlchen und den ungarischen Verhältnissen liegt doch so klar zu Tage, daß auch die ossiciösen Journalisten ihn hätten bemerken müssen. In Ungarn ist eben ein Ministerium TiSza am Ruder, eine liberale Regierung, welche eine gemäßigt liberale, aber doch immerhin «ine liberale Politik treibt. Dort braucht die gemäßigt liberale Partei nickt um liberale Concessionen zu ringen, braucht sich nicht zur Erzielung solcher nach Bundes genossen umzusehe», sondern kann unbekümmert um weiler- gehcnde Forderungen von links die Regierung unterstützen. Das Gleich- wäre mit Erfolg in Deutschland geschehen, wenn ickir eine gemäßigt liberale Regierung hätten. Einem rück schrittlichen Regimente gegenüber, in welchem die extrem-conser- valive Richtung übcrwiegt, mußte nothwendig der liberale Charakter der nationalliberalen Partei schärfer oppositionell gcgrnilbertreten, mußte zu einer Anlehnung an die weiter link» siebende» Liberalen sichren. Fürst BiSmarck hatte eS lange Zeit in der Hand, um in der Sprache der osfi- cibsen Parallele zu reden, sich eine deutsche Drakparlei zu schliffen, eine starke, geschlossene, »ilttclparlelticbe Parlaments-Majorität, indem er ein auS gemäßigten liberalen: und conservativen Elementen zusammengesetztes MinisterHum nach dem Muster de- Ministeriums Tisza berief. Der dctltsche Koloman TiSza, Rudvls von Bennigsen, hat deshalb mit dem Kanzler unlerhandelt, er beanspruchte nicht einmal die leitende Stellung im Eabinet, wie sie TiSza in Ungarin inne hat. sonder» er verlangte in den Barziner Unterhanlslungeii nur die Mitbcrusuna einiger politischer Freunde an LaS Ministerium. Seine berechtigte Forderung wurde abgewiesen. Wie recht Bennigsen darin hatte, ein vereinzeltes Portefeuille in einem rein conservativen Cabinet zurückzuweilsen, erhellt auS der unhaltbaren Stellung, welche seiner Zeit Herr Hobreckt in einem solchen einnahm. Die beabsichtigte ossiciöse Entschuldigung de» gouverne- mentalen Bruches mit den Nationalliberalen durch die ungarische Parallele ist also vollkommen mißlungen, die Anklage geyen unsere Freunde zurückgeschlagen. Die Lehre daraus ist vielmehr für jeden Unheil-fähigen klar. Fürst BiSmarck aber möge sich an die Spitze einer gemäßigt liberalen Regierung L la TiSza stellen, und man wirb auch wieder eine deutsche Deal« Partei, «ine gemäßigt liberale, starke und fest geschlossene ParlamentSmajorität haben. Leipzig, 14. November 1883. * Die als unmittelbar bevorstehend angekündigte Abreise deS russische» Minister» Herrn v. Gier» auS St. Peters burg ist inzwischen bereit» zur Thatsackc geworden. Ob die selbe au-schlivßlich oder vorwiegend durch Familienrücksichten bedingt wird, ob der beabsichtigte Besuch in FriedrichSrnh« beim Reichskanzler nur ein Act der Courtoisie ist, dürste sich bald berau-stallen; jedenfalls wäre eS nicht zu verwundern, wenn die politische TagcSckronik sich bei ihrer Commentiruna der jetzigen Fahrt de» russischen Staat-manne- unwillkürlich an die Deutungen anlehnte, die sie dem letztmaligen Besnch« Mittel- nnd SiidenropaS durch Herrn v. Gier« gegeben. Wie ein Blick auf die internationale Situation, ins besondere der Balkanhalbinsel zeigt, hat Rußland dafür gesorgt, daß die Bedeutung und di« Tragweite seine» Einflüsse- ans die Lösung der dort noch zu voll bringenden Ausgaben so leicht nicht unterschätzt werden wird. Zugleich aber haben die autorisirten Organe der auswärtigen Politik de- Zarenreiche» keine Gelegenheit un genützt verstreichen lasse», ebne der aufrichtigen Friedens liebe und dem tiefen FriedenSbedürfnisse der nordischen Groß macht beredten Ausdruck zu geben. Da« Spiel de» Zufalls will eS nun. daß in demselben Augenblick, da Herr v. G>erS St. Petersburg verlassen hat. rin hervorragende« politisches Journal Wien- — da- „Fremdenklatt" — in einem sehr lichtvoll und überzeugend geschriebenen Artikel nachweist, wie ungleich wichtiger und zahlreicher die zwischen Oesterreich- Ungarn und Rußland obwaltenden verbindenden, als die trennenden Momente sind. Dem Artikclschreibcr ist eS sebr wohl bekannt, wie mächtig die in Rußland gegen Oesterreich- Ungarn hetzende Clique ist, und welche Mittel sie anwenvet, um ihren Bestrebungen an leitender Stelle Eingang zu ver schaffen. Bedeut'-»»» spricht er e« auS, daß die Gefahren der Friedensstörung immer ganz wesentlich in dem Mangel fried fertiger Gesinnung liegen, und daß die beste Art, bedenklichen Controversen die Spitze abzubreche», sei. sie überhaupt nicht anszuwerscn. Zum Beweise dessen, daß nickt Oesterreick- Ungarn sich de« Mangels friedfertiger Gesinnung schuldig mache, werden die serdiickcn und bulgarischen Angelegenheiten citirt, und wird im Anschluß an diese Argumentation aus volle Gegenseitigkeit seiten- Rußland- gedrungen. Die Sprache der St. Petersburger Ossiciösen scheint Gewähr dafür zu bieten, daß die Autsübrungen deS Wiener „Frvdl." ^eiiseit» der Grenze volle Würdigung finden werden. Auch die von dem bulgarischen Minister, Herrn Balabanow, über daS Resultat seiner St. Petersburger nnd Wiener Mission gegebenen Auf schlüsse bewegen sich durchaus in concilianter Richtung und lassen erkennen, daß Rußland nicht gesonnen ist. seine Position in Bulgarien zu provocaloriscken Zwecken zu mißbrauchen. Und wenn endlich auch die serbische Krise auS Mangel an NahrnngSstoff in sich zusammensällt, so wird daS Fehlen jedweder russischen Ermutbigung nickt außer Anschlag bei der Beurtheilung diese- ersprießlichen AuSgangeS bleiben dürfen. Die ZukunllSauSsichten de» allgemeinen Frieden- scheinen daher von der Orienlseile her sobald keiner Bedrohung au-gcsetzt. * Die kritischen Enlscheidungen. vor denen der Reichs tag in seiner nächsten Session stehen wird, lassen e- wohl at» acrechlfertigt erscheinen, wenn in der Presse aus die Mög lichkeit einer ReickStagSaustösung im Frühjahr hingewicsen wird und auch die Parteien sich bereits mil dieser Eventualität befass m, zeitig daran denken, die nöthigrn Vor bereitungen zu treffen, um nicht vo» Uederraschungen ereilt zu werten. Die socialpolitische Gesetzgebung und etwaige militairische Anforderungen bergen die Möglichkeit schwerer E-nflictc zwischen Regiyung und Volksvertretung in sich. »Indessen, da da» Mandat de« Reichstag« ohnehin im Herbst irächsteu Jahre) abläust, so würde« Zurückweisungen von Vorlagen tc4 angegebenen Inhalt- selten« de« Reichstag« bie Negierung doch schwerlich veranlassen, frühzeitiger an die Wähler zu appellircn, al- eö iin regelmäßigen Verlaus der Dinge sich ergiebt. So wichtig diese Fragen sind, so kann eS auf eine Beschleunigung von etlichen Monaten dock nickt gerade ankommen. Anders aber liegt die Sache beim Socialistcngesetz. Daß dasselbe wieder vor gelegt werken wird, ist wohl über allen Zweifel erhaben und die Entscheidung deS Reichstags ist außerordentlich unsicher, vo» der schwer be>echc»baren Haltung namentlich dcS CentrumS und der Seccssionisten abhängig. Wird eine Erneuerung de» Gesetzes in der FrühjahrSsession abgelehnt und glaubt die Regierung, der augerordenltichen Vollmachten noch nicht entbehren zu können, so kann sie nickt warten, bis ein unter normalen Umständen gewählter Reichstag nochmals sein Votum über den Fortbestand deS Gesetzes abgegeben haben wird, denn daS Locialistengesetzcrttscht am 1 Oktober 1884, ein nach dem natürlichen Ablauf der Legislaturperiode gewählter Reichstag aber könnte frühesten- gegen Ende de« Jahre- seine Entscheidung abgcbcn, cS würde also ein Zwischenraum von etwa einem Vierteljahr entstehen, während dessen die gesetzlichen Vollmacklen erloschen wären. DaS geht ohne große Unzuträglichkeiten nicht an, wenn überhaupt daS Gesetz »och nickt für entbehrlich gehalten wird. Verweigert der gegenwärtige Reichstag die Zustimmung und c« soll an einen neuen appcllirt werde», so muß dies vor Ablauf de- Socialiste»- gesctzc» geschehen, cS muß eine Auflösung erfolgen und die neuen Wahlen müssen im Frühjahr oder Sommer vorgenomme» werden. ES mag ja an und für sich ziemlich gleichgiltig sein, ob die nächsten ReichStagSwahlen ein paar Wochen oder Monate früher oder später stattfindcn Immerhin aber scheint jetzt schon die Mahnung am Platze, sich auf alle Eventualiläten cinzurichlcn und organisatorische Fragen, die ja naturgemäß einer längeren vorbereilenden Arbeit bedürfen, frühzeitig in Erwägung zu nehmen. * Die Motivirung der mitgetheiltcn Entscheidung deS Reichsgerichte», betreffend die päpstliche Unfehlbar keit, stößt auf mannichsachc Bedenke». So veröffentlicht Professor Beyschlag der „Südd. Pr." zufolge einen Aussatz, in welchem er an derselben folgende Kritik übt: „Die Frage, ob da- UnsehlbarkeitSdogma die unbedingte Folge der ganzen römisch-katholischen Lehre" ist, so daß dies Dogma bcscknnpfcn eine Beschimpfung der Kirche selbst wäre, ist zunächst eine solche, zu deren Beantwortung der Ncchtswisscnschast die wissenschaftlichen Mittel fehle»; sie ist eine theologische Frage. DaS Urtheil der Theologie über Liese Frage aber ist sehr getheilt: je nachdem man von den beiden Seelen, die in der Brust der rvmisch-katbolischen Kirche wohnen, der katbo lischen d. h. gcmeinchristlichen, und der römischen oder päpst lichen, die eine oder die andere für die legitime hält, wird man daS Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit entweder für die Krönung des Gebäudes oder aber für die Umstürzung de« FundainentS halten .... Gesetzt aber, da« vaticanische Dogma sei wirklich und unbestreitbar »die unbedingte Folge der ganzen römischen Kirchenlehre — hätte eS in der Thal schon darum Anspruch auf den Rechtsschutz deS Reichsgericht»? „Unbedingte Folge" der römischen Kirchen lehre ist dann auch die Lehre, daß der Papst Ober Herr aller Obrigkeiten sei, daß die römische Knckc Juri» diction auch über die Protestanten, über alle Ketzer habe, daß die Inquisition etwa« dem Reiche Gotte« aus Erden Wesent ticke«, die religiöse Toleranz dagegen etwa« BerfluckungS würdige« sei; all« diese Lehren sind nicht nur logische Con sequenzen gewisser römischen Grnndlehrcn. sondern sic sind auch durch ausdrückliche KalhebralauSsprücke „unfehlbarer Päpste" als „unbedingte Folgerungen" de- vaticanischen Dogma« mit demselben solidarisch gemacht. Will daS deutsche Reich-gerickt auch diese „unbedingten Folgen der ganzen römischen Kirckenlehre" fortan unter den Sckntz de» Straf- aesetze» stellen? Wir denken: für deutsche Gerichte und in sonderheit für da- Reichsgericht sei nicht da- die entscheidende Frage, ob die römische Kirche irgend e'me Lehre oder Ein richtung für eine „unbedingte Folge" ihrer Grnadlchren erklärt, mit der sie stel>e und falle, sondern ob das deutsche Reich und die deutschen Gesetzgebungen sie al« solche anerkannr haben. Letzteres ist be kanntlich mit dem vaticanischen Dogma nicht der Fall: keine deutsche Regierung hak eS anerkannt, keine kann eS anerkennen, so lauge sie bei gesunder Vernunft ist. weil sie eben damit autorisircn würde, in ibrcu Schule» religiöse Lehren vorzntragen, die, mit diese,» Dogma zu Kirchenlehrei, gclvorden, alle Staatsordnung uiiter- zraben. Die Regierungen dulden nur die vaticanischen Lehren, weil sie meinen, nickt anders zu können, aber sie haben auSdrücklick den Katholiken, welcke dieselben ablehiie», die principielle Gleichberechtigung init denen, welche sie an nehmen. zucikannt, also eö ihrrrsciks abgclehnt. die Frage zu entscheiden, welche der dritte Strafsenat de« Reichsgericht« zu gelassen bejaht. Diese unsere wirkliche Rechtslage gegenüber den vaticanischen Dekreten bat der dritte Strafsenat de» ReichSgerlckts an seinem Tdeile zu verdunkeln begonnen, und da heißt eS: ?rinoipÜ8 obsta. Man begreift vollkommen, daß die ultramontanen Blätter die fragliche UrtkeilS- motivirung bejubeln und in Eonseguenz derselben die Ans- kebung der Attkalholikengesetze fordern. Gottlob schasst daS Urtheit oder Urtheüüinottv eines Gerichtshöfe» »och kein neue« öffentliches Recht; aber daS ist zu wünsche» und dock wohl auch zu hoffen, daß daS RcickSgericht einen solche» Fehlgriff nicht bloS nickt wiederhole, sondern denselben auch bei nächster Gelcgenhät aus un mißverständliche Weise eorrigire." * Am Dienstag finden die St iclnvahlcn zur Berliner Stadtverordnetenversammlung statt. Es sind deren bekanntlich zcbn vorzunehmen. und zwar 7 zwischen Fort schrittspartei und Bürgcrpartei. 3 zwischen Fortschritt-Partei mid Socialdemokraten. An und für sich ist das Resultat dieser Wahlen, daS aus die Zusamiiiensetznng der Versamm lung von ganz verschwindendem Einfluß ist, ziemlich gleich gültig. Wenn den Wahlen gleichwohl ein lebhafte- Interesse zugcwendct wird, so ist es vornehmlich darum, weil sie ans die Stärke und gegenseitige Stellung der belbeiligten Parteien ein Licht werfe», das auch sür künftige ReichStagSwahlen von Bedeutung sein wird. Wenn man die Kundgebungen der verschiedenen Parteien au» den letzten Wochen verfolgt hat. so ergiebt sich alS ui,zweifelhaft, daß sowohl die Bürger- alS die Fortschrittspartei in den Stichwahlen sür* die Socialdemokraten eintreteii werden. So hoch ist die Parteiwuth unter den bei aller Gegnerschaft doch auf dem Boden der Staats- „nd Gesellschaftsordnung stehenden Parteien gestiegen, daß sie ans ihrem Entschluß, für die Socialdemokraten einzntrcten, gar kein Hehl mehr macken. WaS bei den letzten RcichStagöwablcii »och mit einiger Ver schämtheit geschah, wird jetzt ganz offen ausgesprochen. Die Socialdemokraten ihrerseits haben consequenl Wahlenkhaltung verkündigt und mil Kn»dgebn»ge„ ibreS Hasses gegen die beiden andern in Betracht kommenden Parteien nicht gespart. Thatsächlich werden sich viele Socialdemokraten der Wahl enthalten, andere sür die Fortschritts-, noch andere für die Bürgerpartei stimmen. Die Stiunnung in den Arbeiter kreisen geht in dieser Hinsicht offenbar weit auseinander. Ter verunglücklc Borschlag der „WrlkSzeitung", der Social demokratie die drei zwischen ihr und der Fortschrittspartei streitigen Wabtkreise freiwillig mid olme Kamps preiSzugcbcn, ist bei beiden Parteien ganz unwilLsam geblieben, hat viel mehr nur Spott und Hohn hervorgerufen und war wegen seiner principielle» Bedeutung sehr zu bedauern. * Bei der NeichStagSmahl in Oppeln am 8. d. M. wurde Abg. Graf Ballestrem (Cciitrum), der den Wahl kreis seit 1870 vertritt, mit 8942 von 9033 Stimmen wicdcr- gewählt. Graf Ballestrcm hatte sei» Mandat im Sommer d. I. wegen Differenzen mit seinen Parteigenossen, nament lich über die Haltung deS Partei-Organs, der „Schlesischen Volküzeitung", nicdergelegt, sich dann aber, als jene Differen zen äußerlich ausgeglichen worden, wieder ausstellcu lasse». Ein ernstbastcr Gegencandidat war überhaupt nicht ausgestellt. Bei früheren Wahlen pflegten einige Tausend Stimmen ans conservative oder freiconservative Candidaten zu fallen. * Die Verhandlungen zwischen Anhalt und Preußen wegen Ver- rcsp. Anlauf deS Salzbergwerks Leopolds ball sind nunmehr zum Abschluß gelangt. In Folge dessen ist durch daS folgende Anschrciben deü anhallischen StaalS- ministcrlums an den LandtagSpräsidcnten der Landtag deS HerzogthumS aus Len 3. December zu einer außerordentliche» Sitzung einberuscn worden: „In der Sitzung de« Landlag» vom 6. April d. I. wurde die Vertagung ausgesprochen, in der Hoffnung, daß die VainalS schwebende» Verhandlungen über eine anderweite Gestaltung der Verhältnisse des Salz bergwerks LevpolkSball alsbald zum Abschluß führe» nnv der StaatSregiernng Veranlassung geben werden, den Wieder- zusammenlritt deö Landtags z» wünschen. Nachdem diese Verbandlungen aber wider Erwarten erst jetzt zu einem Ab schluß geführt haben, über welchen dem Landtage »äbcre Mittbritung zu »lachen die StaatSregierung nicht vcrscblcn wird, so ersuchen wir Ew. Hochwoblgebcren mit Höchster Gencbmigung ergebenst, zu diesem Zweck bie Mitglieder de» Landtags am Montag, 3. December, Vormittags 11 Uhr im LandlagSsaulc "erjammel» zu wollen." . * . * AuS Petersburg, ll.November, wird u»S geschrieben: „Seit einiger Zeit haben mehrere deutsche Banken in Warschau und an ankeren bedeutenden Plätzen de« König reichs Polen Agenten engagirt, welche den einheimischen Banken »i der Beleihung länSlichcr Grundstücke bedeutende Concurrenz machen, da sie daS Geld unter erheblich coulan- tercn Bedingungen alS diese hcräeben. Diese Einrichtung, wie sehr sie auch de» polnischen Grundbesitzern willkommen ist, hat nickt verfehlt, in den hiesigen teulschseindliche» Kreisen daS unliebsamste Aussehen zu erregen. ES ist unbeschreiblich, in welcher Weise die ganze Angelegenheit auSgebeutet wird, wie man in diesem rein privaten Unternehmen die Hand der deutschen Regierung erkennen will, die sich ans diesem Wege zu friedlichen Eroberungen in Rußland bereit macht. Natür lich bat c« auch >» der Presse nicht an Stimmen gefehlt, welche dieser harmlosen, rein kausmännischcn Spekulation in der nn- qualificirbarstcn Weise rntgegengetretrn sind. Ganz besonder» giftig sind die Angriffe der russischen „Petersburger Zeitung", deren bisheriger Herausgeber der durch srinen fanatischen Deutschenhaß, wie durch glühende ver-
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