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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188405207
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18840520
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18840520
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1884
- Monat1884-05
- Tag1884-05-20
- Monat1884-05
- Jahr1884
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1884
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2722 Die Vorlage«. mV deren der Reichstag sich zur Zeit ,» de« fchSsttgeu hat, dal Pension«- und da« Relictengcsetz, sind >a momentan aus Gegenforderungen gestoben, für welche unsere Partei immer ein. getreten ist und auch in» vorliegenden Falle eintretcn mußte, es ist die Forderung nach Beseitigung der viel zu weitgehende» und selbst aus da» Privatvermögen auSgedthntea Befreiung der acttven Milikair- Personen voa den kommunalen Lasten, und wenn man vielen Stimmen der Presse glaube» dürste, so stände un« eia unlöslicher Loaflict in Aussicht. Ich theile diese Ansicht nicht, sondern hoffe, daß die den wahren Interessen auch der Bethciligten selbst ent- sprechend« Forderung auch bei den verbündeten Regierungen selbst Anerkennung finden wird. Und wena erst darüber eine Verstän digung erzielt ist, dann wird auch der formelle Streit, in wie weit «i» zulässig ist, Forderungen faktisch i» der Gesetzgebung zu verwirk- liche», kein Hinderniß sein. Wo« daou die Zollgesetzgebung betrifft, s» habe» wir ia unserer parlamentarischen Thätigkeit es immer von stSrnem erfahre», wie richtig der Satz unserer Erklärung von 1881 st-, daß ma» die Meinungsverschiedenheit zwischen Freihaudcl und S'ichntzzoll nicht zur Grundlage politischer Partrrbildunqeu machen seckl und kauu. (Beifall.) E» ist uoS, wenu Fragen dieser Art zur Sprach« kamen, ge- ln.ngeu, uuS uutereinander mit seltenen Ausnahmen zu verständigen u» d gerade da. wo da< nicht der Fall war. da überzeugten wir uns do,h Alle, wie tief wir da» parlamentarische Leben herabdrückcn würden und müßte», wenn wir den Antheil an Macht, den jede Pwrtei hat, in deu Dienst materieller Interesse» stellen wollten. (Beifall.) Meine Herren, die allgemeine Auffassung nuferer Partei aber holten wir sest und haben immer daran sestgehalten (und ich hoffe mit all- seiti. her Zustimmung), daß der 1879 nach so schweren Kämpfen zu Stande geko mmene Zolltarif voa uns gegen versuche der einen wie der and« reu Seite bis aus Weitere- zu vertheidigen ist, weil die Ruhe, Sicherheit uud Stabilität in dieser Beziehung wichtiger und der Gesa mmtheit nützlicher ist, al« irgend eine kleine Besserung und Aend «rung, di« man erziele» könnte. (Beifall.) Dagegen, meine Herren, werden wir die auch ia unserem Programm von 1881 au«g, 'sprachen« Hoffnung bezüglich der Steuergesetzgebung ferner nicht sestha >lte» können, daß für die Ucberweisung eine» TheileS der Grund- und Gebäudesteuer in Preußen, den Lommunen und Comn runalverbänden die 1879 bewilligten ReichSstcuern in ihren nochw irkenden Erträgen unter normalen wirthschastlichen Ver- hältuiiffe» die Mittel bieten werden. Wenn wir ferner daran sesthak ten wollten, würden wir die Zusage, die unsere Partei wieder holt gegeben hat, nicht erfüllen können — die Zusage, Mit wirken zu wollen zur Erleichterung de» Grundbesitzes in Stadt und .Land und namentlich de» ländlichen kleineren Grund besitzet . einer Erleichterung von seiner Ueberlastung mit Rcalabgaben. Ich gt aube, daß von allen den vielen bunten Verheißungen, mit denen jetzt von ollen Seiten um die Guust des Grundbesitzer- und namem ilich de- zahlreichen kleinen Besitze» geworben wird, die wirk- lich re, ilste, praktisch durchführbarst« immer sein wird die Bemühung, einen erheblichen Theil der aus dem Grundbesitz lastenden Abgaben an die Lommunalverbände zu überweisen, und dafür die Mittel zu beschaffe», und wir dürfen un« nicht verhehlen, daß diese Mittel dazu gegen» Irtig nicht vorhanden find. S» wird immer der Vorwurf erhoben, daß die Bewilligungen von 1879, an denen auch unsere Partei einen sehr bedeutenden Antheil hat, dem Volke unnöthigerweise «ad drurch falsche Versprechungen eine Mehrbelastung auserlegt Hütte»; da» muß aber immer und immer wieder von Neuem al« uawahr und durch«»» ungerechtfertigter Vorwurf bezeichnet werden. Jener tBewilligung ist nicht allein die Versprechung vorausgegangen, damit awdere Lasten z» beseitigen, sonder» auch da- ausdrückliche Bekennt, lit. Staaten z» daß die Matricularbeiträge säst in allen , hrt hoben, die mau nicht mehr einzeln mit Anleihe,« decke» konnte and decken wollte, nnd e» ist die Sicherheit gegeben, daß, wa» nicht in dieser Weise znm Staatshaushalt durch- au» »ötlhtg verwendet »erden müßte, daß da» nur mit Zustimmung der La>ide«vertrktnugen z«r Erleichterung voa anderen Steuern o»d anderen Lasten verwendet werden dürfe. Ja, grtiuscht ist vielleicht unsere Hoffnung, ober ohne daß des halb irgend Jemandem eine besondere Schuld beigemeffcn werden konnte, -«täuscht vielleicht war die Hoffnung, e» würde eine größere O»»te z»r Entlastung verwendet werde» können; aber heute, da wir da» Gesa imntresultat der Bewilligungen so ziemlich genau übersehen können, >»üssc« wir sage», daß keine Ersparnisse erheblicher Art »«der im Reiche »och in den Einzclstanten möglich sind, die etwa daz« gewügen könnten, außer den jchoa vorhandenen Mitteln die erwähnte» Erleichterungen ia den großen Abgaben herbeizusühren. I» Ist »icht Ansgabe der Volksvertretung» auch nicht Aus- gab« eiuer solchen Versammlung, wie wir c» find, mit Stenrrprajectea e»tgegenz»kommeu, daran wollen wir weislich festhakten: aber daraus darf ich Hinweise», daß schon wiederholt ouf gewisse Eiaaahmequellen von unserer Partei hingewiesen worben ist. Unser Freund v. Bennigsen, der za unser aller Freude heute auch an nuferem Parteitage wieder theilnimmt (lebhafter anhal tender Beifall), hat schon vor eia paar Jahren hingewiesen aus die im eigene» Interesse der Betheiligten liegende Rothwendigkeit einer korrekt« der Rübenstener, die unzweifelhaft sehr bedeutende Mehr en würde, und e» ist auch hingewiesen worden aus der Linaahme» an» der Branntweinsteuer. Meine Herren, ich weud« mich endlich zu den Ausgaben, die doch einna eine hreu uasere ganze kauft beherrschen werden, zur beherrscht haben ocialpolitik. Wir tu den letzte» u»d i» nächster , . . alle noch unter dem Eindruck der mehrtägigen Debatten im über die Verlängerung de- Gesetzes gegen die gemein- jährlich«» A»»fchreituogen der Socialdemokratie. Unsere Partei hat dieser Verlängerung ohne weitere Bedingungen zugestimmt, sie hat in dieser für die lausende Session unzweifelhaft wichtigsten Frag« von vornherein und «inmüthig ihre Bereitwilligkeit zur Mit- ordert erklärt. Mit besonderer Freude natürlich kauu e» Nie- manden erfüllen, die Rothwendigkeit einer Ausnahmegesetzgebung auerkeune» z» müssen. Wir hieltea uuS aber sür verpflichtet, di« Aaerke»»ang dieser Rothwendigkeit nach den gegenwärtigen Ver- hältnisse» anSzufprcchc». Da« Gesetz ist nicht ein sür die Dauer bestimmte« »nd würde ol« ein dauernde« unzulässig sein. Aber wer behauptet, daß e» auch al» eia vorübergehende« seinen Zweck nicht erfüllt hat. zweckwidrig gewesen sei, der verkennt seinen Zweck. Ja, e« ist gewiß, wäre daS die Absicht gewesen, die Irrlehren der Socialvemotratie zu bekämpfen, dann hätte man der Polizei «ine Ausgabe gestellt, die sie nicht lösen kann. Die Beschichte giebt ja Beispiele, daß eS der Gewalt auch gelungen ist, mißliebige Lehren zu «lnterdrücken und auSzurotten. Mau mußte sich dazu aber außer ordentlicher Mittel bedienen, zu deren Durchführung wir unseren ganze» kult»rz«stand um ei» paar Jahrhunderte zurückschrauben müßten, man müßte mit den mißliebige» Lehren auch die dazu gehörigen Meuschea gleichzeitig sauSrottea. Wenn e» gilt, da«, wa« ia den Lehre» der Socialdemokratie falsch ist, zu bekämpfen, so muß man da» dem freie» Ringen der Geister überlasten, muß vertrauen aus die siegende straft der besseren Lehre, der wir uns nur im freien Kampfe der Meinungen zu nähern vermögen. Wäre da« die Auf- gab« de» Socialdemokrateugesetze« gewesen, die freie Meinung zu beeinträchtige», so wäre eS allerdings ein Mißgriff gewesen, un« an die Polizei zu wenden. Aber, meine Herren, dazu hatten wir da» Ausnahmegesetz nicht. Ein Ausnahmegesetz, eine Unterbrechung de« allgemeinen Recht« ist unzulässig, wo es sich um eine» Ausnahmezustand handelt, de» man als einen vorüber gehenden und nicht dauernden ansehen muß, aber ich wage nicht zu behaupten, daß die Lehren der Socialdemokratie vorüber gehende sind. Wena sie auch ia verschiedener Gestalt ausgetreten sind, sie sind darum doch eben so alt, wie die Institutionen, gegen welche sie gerichtet sind, so alt, wie die Ehe, wie der Staat, wie die Familie, wee die Gesellschast, wie das Eigeathum, und sie werden auch in verschiedenen Formen und Gestalten wiederkehren. Rein, meine Herren, e» war in der That ein Ausnahmezustand, den da- mal« 1878 der Reich-tag uud die verbündeten Regierungen vor Augen hatten, e» war «ia ia den weitesten Kreisen der Arbeiter bevöllernag verbreiteter tief kranker GemüthSzustand, eineGemüthS krankhett, welche e» jedem gewissenlosen Agitator leicht machte, die Menge zu wahnsinnigen Excesjen auszuregen und sie zu verführen. Und wie dieser Zustand durch ganz exceplionelle Vorgänge her- vorgernse» war, dürste man auch annehmcn, daß er allmälig einem normalen wieder weichen würde. Meine Herren, e» ist wichtig, sich dieser Vorgänge zu »inner», denn in ihnen wurzelt nach meiner Ueberzeugung der Snloß, der un« die sorialpolitijchen Fragen aus- aedrängt hat, denen wir nicht mehr au« dem Wege gehen können. Meine Herren, wir müssen un» erinnern, daß wir in der Mitte unsere« Jahrhundert« eine Umgestaltung in unserem verkehrsleben dnrchgemach« haben, wie sie di« Menschheit durch Jahrhundert« nicht erfahren ha». Ia. die ganze Lullurgeschichte kennt keine Umwälznna der BerkehrSverhältnisse, wie sie in unseren lagen durch die Ausbeutung und Au-nutzung voa Dampf und Elektricitä« hervorgetrrte» ist, in der kurzen Spanne eine« halben Menschen- leben» und sie mußte erst überwunden werden, von un«, die wir hente tu diesem Saale versammelt sind, erinnern sich manche »och deutlich der Zeit, wo mau aus dem Lontinrut Eisenbahnen nur vom Hörensagen raunte. Ja, domak», al» ich Schüler ia einer Stadt Ostpreußen» war, da war eia Mann, der über Berlin hinaus gereist war. schon eia« aufsällig« Erscheinung nnd wer so leichthin von eiuer Reis« nach Berlin sprach, war rin wohlhabender Maua oder ein Windbeutel. (Heiterkeit.) Wen» ma» 10 Meilen weit fahren wollte, nach Elbing oder Tilsit, dann mußte ma» Tag« vorher aus die Post gehen, um sich einen Platz zu sichern, und der Postbeamte fragte: wie heißen Sie? Vorname! (Heiterkeit.) DaS waren die Zustände — eS ist wichtig, sich daran zu erinnern — die noch vor gar nicht zu langer Zeit bei mi« in den gebildetste» und wohlhabendsten Kreisen vorhanden waren. Und für die Llass« der Arbcfterbevölkeruug, meine Herren, da gab e» eine Ortsvcränderung überhaupt nicht, außer ia die nächste Gemeinde. Wenn eine Familie au« einem Gut aus da« andere, an« einer Gemeinde in die andere umzog, so war da« eia Lebens, ereigniß. Di« arbeitende Bevölkerung war thatsächlich an die Scholle gebunden, wenn auch die gesetzliche Gebundenheit freilich im Wesentliche» gefallen war. Und wie hat sich da» geändert! Meine Herren, e« giebt kaum ein entlegenes Grenzdors, au« welchei» nicht viele Männer und Weiber Hunderte von Meilen weit gereist wären, um Arbeit und Verdienst zu suchen: dazu kommt, daß in dieser selben Zeit die letzten Schranken der Freizügigkeit beseitigt worden sind. Dazu kommen nun die Kriege, trotz ihrer stürze, mit der unvermeidlichen verwildernden Einwirkung, uud nun bemächtigte sich der Menscheuwelt, — die so aufgeregt und aufgewühlt war, wie sie eS kaum je gewesen, die wildeste Sveculation. die Spekulation der Gründerzeit im Anfang der siebziger Jahre. Tausend« und Hundert- tausende von Arbeitern wurden vom Osten nach Westen, vom Norden nach Süden fortgesührt, Agenten durchzogen die entferntesten Provinzen, versammelten große Arbeitcrmasscn und führte» sie in die große» Städte, dort lerutcu dies« Genüsse keuneu, von denen sie kaum geträumt hatten. Sie bekamen Geld in die Hand, al« wenn sie im Märchenland« wären; eia Unternehmer machte sie dem andern mit versprechen abspänstig «nd eine« schönen Tage« hatte die ganze Herrlichkeit ein Ende. WaS nun sür die hilfsbedürftigen Massen den Krach so schwer machte, da« war auch die ungeheuere Bedeutung, di« ia der Zwischenzeit die Entwickelung der Actieu- gesevschaslea — auch einer neuen Erscheinung — gewonnen hat. Die brodloien Arbeiter sahen sich nicht einem Arbeitgeber gegen- über, einem Herrn von Fleisch und Blut, der unter Umständen auch ein Herz hat, sondern einem Haufen Papier. Ja, meine Herren, da» werden wir Alle zugeben, daß die Nachwirkungen dieser un geheuren Umwälzung auch in den gebildeten und wohlhabenden Kreisen noch heute deutlich erkennbar sind, wa- Wunder, wenn sie in der Maste der arbeitenden Bevölkerung noch nicht überwunden werden können. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern. DaS waren die abnormen Zustände, die wir vor Augen hatten, Regierung und Reichstag, al« das Gesetz zuge- standen wurde und die wir nicht so leicht vergessen dürfen. Ange sicht« der Gefahren und der schrecklichen Erfahrungen, die inan eben gemacht hatte, durfte man e« nicht daraus ankommen lassen, daß diese irritirten Masten erst durch Erfahrungen klug wurden, nian mußte vielmehr frevelhafte Excesse verhüten; man konnte eS nicht aus die Predigt de« verbrechen« ankommen lasten in dem vertrauen, daß dasselbe nachher bestraft werden würde, man mußte so weit als möglich sie verhindern. Unter diesen exceptioucllc» Zuständen war die Gefahr eine» Mißbrauch« diScretionärer Polizeigewalt ia der That weit geringer gegenüber der Gefahr trauriger wahusinuiger Excesse der Massen. (Zustimmung.) Nun, täusche ich mich darüber nicht, e» wird auch an diesen Entschluß, so sorgfältig er auch erwogen ist, der Vorwurf reaktionärer Gesinnung oder vielleicht einer Neigung zur Polizeiwillkür, wie eS schon der Fall gewesen ist, angeknüpft werden. Wir dürfen da« überhaupt nicht scheuen, und ia diesen Fällen haben eS auch die Re- gierungen nicht einmal zu scheuen. Ich kann dafür Zeugniß ob legen; eS wäre im Jahre 1878 keine große Ausgabe gewesen. eS hätte geringer Anstrengungen bedurft, um unter Benutzung der damaligen Strömung eineu sehr tiefen Eingriff in unsere verfassungsmäßigen Rechte, in unsere Preßfreiheit, unser ver- ein«- und versammlung-recht zu machen. Gerade in der Ab- sicht, der Gesammtheit die verfassungsmäßigen Rechte ungeschmälert zu erhalten, griff man zu einer ihrer Natur nach vorüber- gehenden Au-nahmegesetzgebung, aber daS sagte sich damals die Regierung, da» sagte sich der Reichstag, diese Erfahrungen, die wir nun vor Augen hatten, enthielten eine schwere und ernste Mahnung, um durch positive Acte der Fürsorge für die arbeitende Bevölkerung die Gefahr einer Störung de« Frieden» und der Sicherheit der Gesellschaft zu beseitigen, soweit e« gesetzgeberisch irgend möglich ist. Damit stellten sich Reichstag und Regierung die Ausgabe, mit der wir jetzt aus socialpoliti schein Gebiet vorzugsweise beschäftigt sind. Meine Herren, an der Lösung dieser Aufgabe hat die nationolliberale Partei von Anfang an sich mit Wärme betheiligt, und die Frage, ob wir da» auch weiter thun werden, ich meine, die wollen wiz heute mit „ja" beantworten. (Beifall.) In der socialpolitischen Frage wird die Stellung aller Parteien auder« bestimmt, al« da« bei den übrigen politischen Fragen der Fall ist, die un« beschäftigen. Aus allen anderen Gebieten, in Zoll- und Steuersachen, in MilitairangclegenHeiken re., sind Ausgaben zu lösen, ia denen sich die verschiedenen Forderungen bestimmt und klar sormuliren und zu eiuem Programm zusammeustellen lasten, wenn man aus ein« solche Zusammenstellung Werth legen will. Die Vereinbarung über die Formel eine- derartigen bestimmten Pro gramms kann ja unter Umständen Hinweghelsen über den Mangel an wirklicher iuaerer Uebereinstimmung in Gesinnung und Denk- weise. Hier aber, in der Socialpolitik, handelt e« sich um Probleme, sür deren Lösung ein« bestimmte Form erst in geringem Umionge ge- juaden ist uud bei deren Weitersührung die Frage, bi« zu welchem Puncte man die Lösung überhaupt als ausführbar hinstellen darf, noch eine offene ist. Wir habeu mit der Krankenversicherung einen Schritt gethau — wir hoffen die Schwierigkeiten, welche der Durch führung der Unfallversicherung eutgegenstehen, zu überwinden, wir halten e« nicht sür au«sicht«loS, Einrichtungen zu schaffen, durch welche in weitem Umfange den Sorgen de« Atter« uud der Invalidität bei der arbeitende» Bevölkerung vorgebeugt wird. Wie weit un« da« gelingen kauu — >a, meme Herren, wer von uns vermöchte da« heute zu sormuliren! Eine neue Erweiterung de« Problem« hat der Herr Reichskanzler in (der jüngste» Debatte augedeutet — er erwähnte dabei da« Recht auf Arbeit, sür welche« schon in dem prcußi- scheu Allgemeinen Landrecht ein Anhalt gegeben ist. ES erscheint dort nur al» eine Au«bildu»g der öffentlichen Armenpflege. Un- zweifelhaft hält der Reichskanzler eine bessere Gestaltung der Pflicht de« Staat-, der Gesellschaft — eine Erweiterung dieser Pflicht sür geboten uud möglich. Uuzweiselhast liegt ihm der Gedanke an die verhängnißvolle Bedeutung, welche von der socialdemokratischen Theorie dem Recht aus Arbeit gegeben ist, fern. Aber wer von un« wollte und könnte die Verantwortung sür die Anerkennung der Lösbarkeit der Ausgabe in irgend einem bestimmten Umfange über nehmen? Je weniger wir uuS ia dem Entschlüsse irre machen lasten, die Bestrebungen de» Kanzler« in der socialen Frage zu unterstützen, um so offener uud bestimmter müssen wir un-die Freiheit unsere» Unheil« über Maß und Mittel wahren. Da« sind wir un- schuldig, als einer »nab- hängigen selbstständigen Partei — das sind wir den Tausenden schuldig, die un» vertrauen. Aber e» sind un« durch unsere politische Ueberzeugung feste, bestimmte Grenzen nach recht» und nach link» hin gezogen. Wir halten daran sest, daß die gerade mit Hilfe unserer Partei für da« deutsche Volk gesetzlich gesicherte Gewerbe- sreiheit, die Freiheft der individuellen ErwerbSthätigkeit nicht weiter beschränkt werden darf, al» e» da« Interest« der Gesammtheit und der Schutz de» gleichen Recht« Aller fordert. Unsere Abstimmungen in den letzten Sitzungen deS Reichslag« haben hierüber keinen Zweifel gelassen. WaS uns noch der anderen Seite trennt, ist, wie ich meine, weniger die Auffassung über die größere oder geringere Fürsorge des Staat« für da» wirthschastliche Fort kommen seiner Untertbanen. sondern die Art, wie wir im poli tischen Leben unsere Stelluug zur Regierung und speeiell zum Reichskanzler aufsaffen. Wir sind zu oft ia die Lage gekommen, Anträgen und Vorschlägen, die vom Buade«rath« kamen, entgegen zutreten. Aber nie sind wir dabei über den besonderen Fall hiua« «gegangen, nie haben wir un- dabei in eine persönlich« Oppo sition gegen deu Reich-kaazler drängen lassen. Wir können und wollen nicht vergessen, wa« der Reichskanzler für unsere Ration ge- tha» hat und wa« er un« heute noch ist — wir wollen nicht ver- gesjen, daß wir in ihm den ersten Rathgeber de» Kaiser» zu ehre» haben, uud wir wissen, daß wir da« deutsche Volk hinter u»S habeu, wenn wir ihn — so weit wir'« al« freie Mäuuer köuueu — unter- stützen. (Lebhafter anhaltender Betsall.) v. Benda (mit lebhaftem Beifall empsaugeu): Meine Herren, ich bin fetten» der Parteileitung beauftragt, Ihnen eine Er- kläruug vorzulesea, welche wir vereinbart haben. Sie lautet folgendermaßen: „Die nationolliberale Partei hält an der Grundlage de« Programme« vom 29. Mai 1881 fest; sie stebt in unser- brüchlicher Treue zu Kaiser und Reich, sowie zu der uu- geschmälerten Ausrechterhaltung der durch die Reich»verfassuug verbürgte» Rechte der Volksvertretung. Sie loahrt ihre »olle Selbstständigkeit und Unabhängigkeit nach alle» Richtungen hi»; die Verschmelzung mit anderen Parteien ist bet der gegenwärtigen Lage der Verhältnisse au»- geschloffen. Sie begrüßt mit lebhafter Befriedigung die aas dem Boden jene» Programme» stehend« Heidelberger Kundgebung süd deutscher Parle,genossen vom 23. März d. I. Sie erblickt ia derselben und in dem Aaklange, welche» die Erklärung tu den weitesten Kreisen gesunden, den ersrenliche» Beweis für da» in der Partei mit »euer Kraft erwachte politische Leben und für die Entschiedenheit und Energie, mit welcher die Parteigenossen in die Bewegung sür die bevorstehenden ReichStags- wahleu cinzutrrlen entschlossen sind. Mit den nationallideralen LondcSparteien Süddeutschlaud« theilt die Partei die Ueberzeugung. daß die Ausrechterhaltung des Gesetze» gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Socialdemokratie zur Zeit noch eine Rothwendigkeit war. Um so mehr erachtet sie eS aber sür geboten, die Reichs- regieruug in ihren auf die Verbesserung der socialen Lage der arbeitenden Elasten gerichteten Bestrebungen, vorbehaltlich einer sorgsältigen Prüfung der einzelnen Maßregeln, mit allen Kräfte» zu unterstütze». Sie wird vor Allen« da;ür eintretcn, daß das UnsallversicherungSgesetz noch im Lause dieser Session zu Stande kommt. Sie erwartet seiten« der Gesinnungsgenossen in allen Theile» Deutschland- die gleiche Entschiedenheit und jene, den Gegensatz örtlicher Interesse» ^verwindende Einigkeit, welche den Erfolg verbürgt. Sie fordert aller Orten die Parteigenossen aus, sich zu sammeln und bei deu bevorstehenden Wahlen mit voller Hingebung ihre politische Pflicht zu erfüllen." Die Verlesung der Erklärung rief an zahlreichen Stellen deu lebhaftesten Beifall der Versammlung hervor.) Meine Herren, diese Erklärung ist von den zur Zeit dem Reichstage und dem preußischen Abgeorduetcuhausc angehöreiidca Mitgliedern nach reiflicher Prüfung einstimmig angenommen worden; ie hat Zustimmung gefunden in noch weiteren Kreisen von politischen Freunden auS Süd- und Westdeutschland, welchen wir sie vorgclegt haben. Meine Herrea, ich hoffe und rechne daraus, daß diese Er- kläruug auch Ihre «inmüthige Zustimmung finden wird, und wir bitten Sie, meine Herren, rechte» Sie nicht etwa mit dem einzelnen Ausdruck, rechten Sie nicht mit Erwägungen, ob möglicherweise noch Manches hätte ausgenommen werde» können, was ja einer oder der andere von Ihnen empfindet und wünscht. Denn, meine Herren in der heutigen Stunde und am heutigen Tage kommt es in der That nicht aus die vollständige oder die besondere Form dieser kurzen Sätze an, sondern auf da« Zeugniß, welche« wir oblegen wollen vor unserem deutschen Volke, daß wir, die uatiönalliberale Partei de« gelammten Deutsch land, zusammenstehcn im Vollbewußtsein unserer Beranlwortlichkeit (Beifall), in voller Einmüthigkeit, in verjüngter Kiaft uud in voller Treue zum Reich und zu den durch die Verfassung verbürgten Rechten und Freiheiten unsere« Volkes. (Beifall.) Meine Herren, diese« Zeugniß ist die Bedeutung des heutige» Tage-, und so mannichsach auch die Localintcressen von Provinz zu Provinz ab- weichen mögen: diese« Zeugniß wollen wir. auch »icht durch den leisesten Mißton getrübt, hinauSschallen lassen wett uud laut durch die deutschen Gauen! (Lebhafter Beifall.) Meine Herren, noch ein«: daS, wozu Sie die Erklärung am Schluffe auffordert, ist, daß wir, ein Jeder nah und fern, bei den bevorstehende» Wahlen unsere volle Schuldigkeit thun. Denn nicht deswegen, meine Herren, sind wir zusammengekommen. um unS etwa zu erfreuen an der frohen Stimmung deS Augenblicks — da» wird nicht der höchste Werth unserer heutigen Versammlung sein —, ondern deswegen sind wir zusammen, um feierlich das Gelübde abzulegen, daß wir im Interesse unseres deutschen Vaterlandes, unseres theueren deutsche» Vaterlandes, dem keine Partei doch in höherem Maße, keine doch mit ruhmreichere» Erinnerungen dient, als die uusrige, nun wiederum bei den bevorstehende» Wahlen unfere ganze Kraft einsetzen wollen, um daS Ziel zu erreichen, welche« wir nur durch die Einmüthigkeit, durch da- Opfer, durch die Treue, nur durch die ernste Arbeit jedes Einzelnen von uns sichcrstellcn können. (Beifall.) Und nun, meine Herren, mit diesem Gelübde wollen wir «nS die and reichen und dann getrost den kommenden Tagen entgegenseheu! Lebhafter Beifall und Händeklatschen.) v. Bennigsen (mit Erheben von de» Plätzen, jubelndem, nicht endenwollendcm Beifall und stürmischen Hochrufen begrüßt): Meine Herren, der überaus freundliche Empfang, den ich hier unter Ihnen inde, beweist mir, daß ich Recht hatte, aus den Wunsch verschiedener nir nahestehender Freuade heute in Ihrer Versammlung zu er- cheinen (Beifall) und an ihren Berathungen Theil zu nehmen. Bor alle» Dingen bin ich selbst darüber sehr erfreut, daß eS mir möglich ist, in diesem Augenblick mit meinen Parteifreunden mich zu be ratheu und mit ihnen über wichtige, die ganze Zukunft der nächsten Jahre mitbestimmende Gegenstände zu beschließe», wen» ich hier ehe, wie zahlreich au« alle» Theilen Deutschland« die Abgeordneten und angesehene, einflußreiche Vertrauensmänner hier erschienen sind und welche kräftige und einmüthige uud entschlossene Stimmung unter ihnen herrscht. Meine Herren, e» ist wohl Keinem von uns entgangen, daß unser Parieileben überhaupt und vor Allem auch die Stellung und die Bedeutung unserer Partei gerade in der letzten Zeit in eine ernste Krisis eingetreten. Gegner, halbe und saltche Freunde haben sich bemüßigt gesunden, in der letzten Woche, nachdem alte Freunde von unS sich der Fortschritt-Partei angcschlosscn haben, die Nothwendig. keit, da« Bedürsuiß, die Zukunft unserer nationalliberaleu Partei vollständig zu bestreiten, un« auseinander zu schlagen, nach recht- und link» zu vertdeilen. Ich hoffe, diese Versammlung, ihre Nach wirkung, die einmüthige Haltung hier und dar entschlossene Auftreten unserer Parteigenossen ,u ganz Deutschland werden den Gegnern und halben Freunde« die Ueberzeugung gewähren, daß unsere Partei noch lebensvoll und kräftig ist. daß sie selbstbewußt noch auf eiue bedeutende Zukunft und eine erfolgreiche Thätigkeit ouf dem Boden ihre» Parteizusammenhanges vertraut (Beifall.) Meine Herren, unsere Partei hat eiue große Vergangenheit in den Zeiten der Gestaltung de» uorddeutscheu Bunde« und deS deutschen Reiche«. Damal« haben wir in der großen Zahl unserer Vertretung, in dem Einflaffe, den dieselbe un» bei den anderen Parteien und bei der Regierung gewährte, aus die Gestaltung unsere« Verfassung«, leben-, aus die Orgauilation der ganzen Gesetzgebung im Reich »nd ähnlich in den einzelnen Staaten entscheidend eingewirkt. Al« dies« erste große schöpferische That erfolgt war, machte sich naturgemäß eia gewisser Rückschlag geltend. Eine Partei, die eben die Verbindung der nationalen Interessen und der liberalen Ausgaben sich al» ihr Ziel gesteckt hatte und dafür organisatorisch und versaffungSgebend thätig war, mußte naturgemäß wenigsten- vorübergehend an Bedeutung verliereu, wem» sür lauge Zeit diese Ausgaben in der Hauptsache erfüllt waren. Nachdem die« geschehen war. mvßte eine gewisse Ernüchterung nicht blo» in unseren eigenen Kreisen eintreten, nein, r« mußten sich überall alle diejenigen Interessen und Parteigegensätzc geltend machen, di« bi« zu einem gewissen Grade zurücktreten konnten uud mußten «nd zurück getreten waren, als e» die Lösung so großer Aufgabe» für die anze Nation galt, bei Welcher so bedeutsam mitzuwicken uasere Zart ei das Glück gehabt Hat. Meine Herren, wie nothwendig aber «ine Partei, zusammengesetzt wie die unsrige, mit den Zielen wir die unsere, di« gleichzeitig die Ratton und ihre Bedürfnisse und die Freiheit und ihre Ausgaben im Auge hatte, wie nothwendig die auch in anderen Zeiten al- in den von mir eben gckennzeichueteu ist, da» hat sich noch in den letzten Jahren mit ganz überraschender Deutlichkeit und am meisten in den letzten Monaten herauSgestcllt. Meine Herren, soll eS denn wirklich in Deutschland und in der Vertretung des deutschen Reiches aus dem Wege wcitergehen, daß die Parteien unter einander sich init Haß und Leidenschaft angreifen «nd zerfleischen, und daß ein richtiges Berhältniß de« Parlament« zur Regierung, auch »ur rin richtiger Einfluß der ReichSregierung ouf eine dauernde Mehrheit im Parlament gar nicht mehr vor Händen ist? Wen» da» eia konstanter Zustand werden sollte, dann müßten wir allerdings irre werden an der so glücklich be gonnenen Grundlage unsere« deutschtn Staate- und an der so glücklich Jahre lang eingeleiteten Entwickelung aus dieser Grundlage. (Sehr richtig!) Gerade die Vorgänge der letzten Jahre, dar Parteiwesen mit alle» seinen Exceffen uud seiner Zerklüftung, alle« da« muß gerade allen ruhigen und besonnenen Elementen de« deutschen Mittelstande« die Nothwendigkeft ausdrängen, daß eia ähnlicher Parteiverbaud, wie der unsere, noch heute für Deulschland ganz »»entbehrlich ist. (Sehr wahr!) Da» muß aber anch diesen Elaffen die Verpflichtung auserlegea, wena sie die Wirksamkeit einer solchen Partei für nothwendig halten, daß sie selbst persönlich mehr aus diesem politiicheo Gebiet thätig werden, al- e« leider vielfach in den letzten Jahren der Fall war. (Zustimmung.) Die große Bedeutung der Partei, zu der wir nn» zähle», liegt eben darin, daß sie kein« einzelne Landschaft, und sei sie auch »och so groß, in Deutschland vorzugsweise vertritt, daß sie keinen ein zelnen Berus vorzug-weise zum AuSgaugSpuuct ihrer Thätigkeit «ad zur Grnndloge ihrer Bestrebungen macht, daß sie nicht bestimmte materiell« Interessen vor anderen begünstigt und ihnen »am Siege verhelfen will. Nein, meine Herren, von Ansang an, wo unsere Partei — die ja schon in ihren Anfängen vor da« Jahr 1866/67 zurückdatirt — ausgetreten ist, hat sie sich höhere Ausgaben gestellt. Sic ist auch glücklicher zusammengesetzt gewesen, al« viele andere Parteien, welche eine» so allgemeinen Boden »iemal« gesunde« haben. Zur nationalliberalen Partei gehöre» Mitglieder aller Berns«, aller Llassen, olle Interessen sind in ihr vertrete», voa den Beamten z» ' de» Grundbesitzern, den Industriellen, den Kauslenten, den Gewerbe treibenden — e» giebt kein große» Jutereffe, r» giebt keine groß« Landschaft in Deutschland, die nicht zahlreiche hervorragende Mit- glieder in dieser Partei gehabt bat. Meine Herren, wie ist den« »u» da« Berhältniß bei de» andere» Parteien, wenu wir diese ein- mal daraus ansehen. Ich will hier von der ultrainontanrn Partei nicht eingehender sprechen, den» e« ist ja sür Freund und Feind und für sie selbst ein öffentliche« Geheimniß, daß die ultromontane Partei, jo zahlreich sie ist, überhaupt gar keine politische Partei ist. (Sehr richtig!) Ave«, wa« vörkommt, jede gesetzgeberische Ausgabe, jede Parteibildung, die ganze Stellung dieser Partei zu den anderen Parteien und zur Regieruug, Alle« daS beurtheilt die ultramontaue Partei lediglich nach ihren kirchenpolitischen Anschauungen, uach de, berechtigleu und unberechtigten Forderuuge« ihrer kircheapolitische, Grundsätze. (Zustimmung.) Wenn eine Partei dieser Art, die ein ganz fremdartige« Element in jede politisch« Frage hineinmischt, u»d da« nach ihren Grund sätzen und ihrer Entwickelung thun muß, so stark ist, daß sie ein Viertel der Vertretung ausmacht, so muß naturgemäß die Schwierig keit für eine Lösung parlamentarischer Aufgaben, auch für eine richtige Stellung de« Parlament« zur Regierung eine viel größere ein, al« in irgend einem anderen Lande. (Sehr richtig!) Betrachten wir nun die anderen Parteien. Sie werden mir Recht geben, daß dieselben keineswegs aus einer so allgemeinen Gruadlage beruhen, wie da» in unserer Partei glücklicherweise der Fall ist. Nehmen Sie die Aliconservativen im Reichstage: mit wenigen Au«, nahmen wurzeln sie lediglich in den altconservativen Geslallungen uud Ueberlieserungen in den östlichen Theilen von Preußen. Schon sür da« alte Preußen — von Den übrigen Ländern de« Reiche« abgesehen — waren sie eine Partei de« Osten» im Gegensatz zu de» wefllichen Provinzen. Nachdem die neuen Provinzen hinzugckomme» sind, und nachdem im Reiche die übrigen deutschen Länder sich mit Preuße» verbunden habe», ist dieser Gegensatz »och viel Ichärier her- vorgelreten. Sie sind eine wesentljch altpreußische Partei, ja «ine Partei de- östlichen Preuße»«, deren Interessen nur zu verstehe, sind au« den dortigen Verhältnissen, au« der Geschichlc der ganze» dortige» Zustände. Nicht ganz so stark, aber doch ähnlich einseitig ist die Entwickelung der Fortschritt-Partei. Zwar si,d die Mitglieder der Fortschritt-Partei auS den westlichen Provinzen Preußen« und den übrigen deutschen Ländern etwa« zahlreicher al« bei der altconservativen Partei. Aber da« ist doch gar nicht zu leugnen, daß sie die Wurzeln ihrer ganzen Existenz, ihrer ganzen Auffassung der politische» Verhältnisse, ihrer ganzen Stimmung möchte ich sagen, und daher ihrer Taktik ia den alten östlichen preußischen Erinnerungen findet und ia den Parteigegensätze». die dort in der alten ConflictSzeit der sechsziger Jahre bestanden haben. Dazu kommen noch die besonderen Interessen, die in deu Küsten ländern namentlich vorherrschen. Diese alten LouflictSerinnerungeu und die hervorragend sreihändlerischen Tendenzen bilden eine beinah« nothweudige Grundlage oder wenigsten» einen überwiegenden Bestandthcil in dem Charakter dieser Partei, demgemäß auch in ihrer Thätigkeit und in ihren Zielen. Wenn jetzt also unsere alte» Freunde, die im Wesentlichen auS wirthschastlichen Gründen au« uuserem verbände ausgetreten sind, sich jetzt der Fortschritt-Partei angeschloffen habeu, und wenn die Verhältnisse so liegen, wie ich mir erlaubt habe, sie Ihnen kurz darzulegcn. dann ist doch die Bedeutung unserer Partei zu einer solchen Zeit und ihre Roth- Wendigkeit so durchschlagend, daß ich mich nicht scheue zu sagen: wenn eine ähnliche Partei noch nicht bestanden hätte, so wären die jetzige» Umstände dazu augclha», daß eine Partei aus unserer Grundlage ia Deutschland neu begründet würde. (Beifall.) Und da wollen uusere Gegner, unsere halben und falschen Freund« von un« verlangen, daß zu einer solchen Zeit, wo di« Nothwendig- keit und Bedeutung unserer Partei klarer zu Tage liegt, ol» zu irgend einer früheren, daß wir nun unsere Partei auslösen und un« nach Rechts und Link« anderen Parteien anschließen, die jedenfalls keine so entscheidend einflußreiche Vergangenheit haben und die auch eine solche allgemeine Ausgabe nicht sür sich in Anspruch nehmen können? Nein, meine Herren, wenn die Dinge so weit gekommen sind und e« möglich gewesen ist, unter so schwierigen Verhältnissen doch den Zusammenhang aufrecht zu erhalten und immer noch eine ansehnliche Partei im Parlament zu bilden, die trotz der jetzt ge- ringeren Zahl ihrer Mitglieder aus viele Dinge noch eine» bedeu tenden Einfluß au«übt, so können wir au- dieser Thatsache nicht nur den Anlaß, sondern auch die Möglichkeit der Durchführung entnehmen, unserer Partei einen neuen Aufschwung zu gebe», und alle diejenigen, die erwartet haben, wie da« so oft augekündigt wurde, daß jetzt wirklich einmal die letzte Stuud« sür unsere Partei geschlagen habe (Heiterkeit), die sollen sich noch wundern, wenn die Stimmung, die hier ia dieser Versammlung herrscht, in einer Versammlung, die keiue locale ist, sondern eiue Versammlung der angesehensten Parteigenosse» au» allen Theilen Deutschland«, wenn diese Stimmung nur uoch einige Jahre vorhält, zu welcher Bedeutung und zu welchem legitimen Einfluß diese Partei wieder heranwachsen wird. (Lebhafter Beifall.) WaS nun die Ausgaben unserer Partei anlaugt, so ist a» den Berliner Beschlüßen vom Jahre 1881, nach den diesjährigen Heidel berger Beschlüsse» und nach dem. was aus Grundlage der früheren Programme und Erklärungen Ihnen nun heute vorliegt, wohl kaum noch irgend ein Zweifel, daß in solchen allgemeinen Sätzen und Be- zeichimngen der Ziele die Einzelheiten uud ihre Durchführung uiemal« sormulirt werden können. Soweit e» möglich ist, sich bestimmt und deutlich auljusprecheu, ist eS l88l geschehen, ist e» in Heidclberg geschehe», und da« Alle« wird in der Ihnen heute voraelegtea Erklärung zusammengesaßt. Ich Hab« auch di« Heidelberger Erklärung nie ander« ausgesaßt und freue mich, daß mein Freund Hobrecht sie auch so erläuterte; ähulich ist sie in Neustadt von meinem Freuade Miquäl erläutert worden. Die Heidelberger Erklärung ist nichts al» eiue Erklärung national- liberaler Parteigenossen, die aus dem alte» Programm vo» 1881 stehen, di« aber vou diesem Boden au» eine Antwort auf die wich- ttgen Fragen geben, die heute a» uu» herantrete». (Beifall.) Meine Herren, da ist «» klar, daß man vor allen Dingen zu den Fragen Stellung nehmen muß, die sich mit der socialpolitischeu Ge setzgebung beschäftigen. Nachdem mein Freund Hobrecht dies« Diuge schon eingehend erörtert hat, will ich mich aus ein paar Bemerkungen beschränken. Ich weise daraus hin, wa- bi» dahin «och nicht mit der Bestimmtheit hervorgehoben worden ist. daß in diesem Pun-te eine sehr erhebliche Abweichung in der Auffassung, ein Gegensatz in der praktischen Behandlung zwischen un» und der Fortschrittspartei vorhanden ist. Die Frage, oo die demagogische Verführung der Mafien und die Karin liegenden Gefahren revolutionärer Ausbrüche un« für Jahre eine AuSnahmemaßregel ausgenöthigt habeu, bereu Fortdauer wir soeben noch bewilligt — diese Frage ist meiner Meinung nach dabei nicht da« Entscheidend«, da» ist eia Bedürfntß de« Staate«; io lange diese Verhältnisse fortdauern, hilft sich die bürgerliche Gesellschast, wenn e« ander« nicht möglich ist, gegen revolutionaire Umtriebe dadurch, daß sie sie zunächst mechanisch »iederbält. (Sehr richtig!) Die andere Frage ist meiner Meinung nach die viel wichtigere, «nd da sind die Gegensätze tiefgehender, nämlich die Frage bezüglich der Ausgaben, wie sie öffentlich mit außerordentlicher Kühnheit und Großartigkeit in der kaiserlichen Botschaft und von dem Reich», kaazler Fürsten Bi-marck entwickelt sind, daß der Staat mit feiner Gesetzgebung und Verwaltung die Pflicht fühlt »nd sie aussithren soll, für eiue Besserung der nothleidende» großen Mafien zu sorgen. Meine Herren, wir unterscheiden uns ja von der ForischnllSparie!, auch von vielen unserer alten Gegossen, die jetzt zur Fortschritt-Partei getreten sind, darin nicht — da» würde heißen, diesen Männern sehr Unrecht thun —, daß jene glauben, daß man für da« Wohl dieser Llassen nicht zu sorgen hätte, e« ist ia uur nöthig, deu Namen Schnlze- Delitzsch au«zusprechen, der aus diesem Gebiet sich ein unsterbliche« Verdienst erworben hat (lebhafter Beifall) und dessen Schöpfungen ihn hoffentlich lauge überdauern werden. Nein, mein« Herrea, di« Verpflichtung für den Einzelnen, für Genossenschaften, für Vereine, sich der Noih der Bedrückten, in schwieriger Lage Befindlich«», de» wirthschastlichen Kampf um« Dasein Kämpfenden aaznuehmen. Dies« Verpflichtung wird gefunden und in« Werk gesetzt von einzelne» »nd ganzen Lorporatienen, auch im Laaer der Fortschrittspartei »nd unserer alten Genosse». Meiner Auffassung nach liegt vielmehr der wesentliche Unterschied gerade darin, daß di« Fortschrittspartei voll ständig, uusere alte» Frennde znm großen Theil sich scheue», diesem Gebiet der freien Thätigkeit de« Einzelne« und der freiwillig Ber einigte» die Hilfe z» entziehen, daß sie aber nicht anerkr»»»». ja e» sogar principtell ablehnea, daß der Staat mit feine» RrchtSzwang« Hilfe schaffen soll. (Sehr gntl) Den Schloß der Red« de» Herr, v. Bennigsen» somie di« Vorträge der anderen Herren, die »ach ihm anftrate», tragen wir »och nnd berichte» an dieser Stelle nnr noch knrz über de» seruerr» Verlaus der Versammlung: Nachdem sich der begeisterte Applau» einigermaßen genug gethau. der den Worten de« geehrten Parteisührer« folgte, »ahmen »och einzelne Redner da« Wort, um speeiell die Zustimmung ihrer Land»- Mannschaften zu dem Gesagten au«zusprechca, so di« Herren Kiefer au« Baden, v. Wolfs au« Württemberg, MignSl-Frankfnrt a. M-, Frie«-Weimar, vr. Aub, bayenscher Landtag»abge«rdmter. Namen« der rechttrheinischen bayerische» Parteigenossen, nnd vr. Genfrl.Leipzig. Sie alle ernteten lebhafte« Beifall, »»««ntlich Herr Kiefer, al« er de» Wunsch anSfprach, daß Herr ». Bennigsen bald wieder activ im politische» Lebe» auftrete« «erde. Di« Versammln»» »ahm hieranf einstimmig di« dar» geschlagene Erklär»»» am
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