I. nlängst hatte ich eigenartige Gäste bei mir zu beherbergen. Kleine, unscheinbare Gesellen waren es in schlichten braunen oder schwarzen Röcklein. Einer sah dem anderen zum Per wechseln ähnlich. Einer wie der andere lebte in der Erinne rung an die Vergangenheit und sprach gern von den Tagen, von denen es heißt: „Es war einmal." In stillen Abendstunden erzählten sie mir eine lange Geschichte — die Lebensgeschichte eines Fünfzigjährigen. — Beinahe wäre ich um den Anfang der Erzählung gekommen. Der älteste der kleinen Gesellschaft war nämlich viele Jahre lang verschollen gewesen. Niemand wußte, wo er sich aufhielt. Da — zu guter Stunde — tauchte er plötzlich ans. Und mm kennen wir sie lückenlos, die Geschichte unseres lieben Jubilars, unseres ältesten Dresdner Jungmädchenvercins. Die sie uns schlicht und schmucklos, aber anschaulich und lebensfrisch berichten — jene kleinen Gäste, die bei mir einkehrten: es sind die sorgfältig und liebevoll geführten Tagebücher des Vereins. Lassen wir sie ein wenig plaudern. II. Am 12. April 1874 — es ist der Sonntag Quasimodogeniti-- versam meln sich sechs nenkonfirmierle Mädchen in der Wohnung von Fräulein Klara von Thermann. Beim Abschied von der Sonntagsschule — der Vorläuferin unseres kirchlichen Kindergottesdieustes — hat man ihnen gesagt, daß sie allsonntäglich die Nachmitlagsstnnden von drei bis sechs Uhr bei einer der Sonntagsschulhelferinnen znbringen können. Zu Beginn singen alle: „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend'." Hierauf bespricht Fräulein von Thermann mit den Mädchen den am Vormittag in der Sonntagsschule behandelten Text, Matth. 28,11 —18. Dabei tauen die Kinder sichtlich auf. Die Sonntags- schnle haben sie alle lieb gehabt, und es heimelt sie an, daß der gewählte Bibelabschnitt in der ihnen von dorther vertrauten Form durchgesprochen wird. Nach der Kaffeepause wird gesungen und vorgelesen. Das gemeinsam gesprochene Vaterunser und der Gesang des Segensgrußes: „Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi" beenden die Zusammenkunft. Der älteste Jungfrauenverein Dresdens ist an diesem Tage ins Leben getreten. Seine Gründerinnen sind Fräulein Anna und Bertha Grüner, Fräulein Johanna Francke — die als Frau von Wirsing noch in unserer Milte lebt. — Fräulein von Thermann und etliche andere Helferinnen der Sonntagsschule.