Man darf wohl sagen: Paulus Gerhardt bezeichnet den Höhepunkt in der Geschichte des Kirchenlieds. Der Inhalt seiner Gesänge ist das evangelisch-lutherische Bekenntnis, der biblische Glaube Luthers und der Reformatoren. Was unsre Väter zu Augsburg bekannten, das ist der Gegenstand der Lieder unsers gottbegnadeten Sängers. Und doch sind seine Lieder anders als die von Luther. Die Lieder der Reforma tionszeit sprechen meist das Gesamtbekenntnis der gläubigen Gemeinde aus und reden deshalb gewöhnlich in der Mehr zahl: Wir glauben all' an einen Gott; Ein' feste Burg ist unser Gott,- Es ist das Heil uns kommen her. Paulus Gerhardt aber macht sich nicht mehr zum Dolmetsch der Ge meinde, sondern singt vom Standpunkte persönlicher Glaubensanschauung aus in der Einzahl; nicht wenige seiner Lieder fangen mit Ich an: Ich singe dir mit Herz und Mund; Ich steh an deiner Krippe hier; Ich bin ein Gast auf Erden; Ich Hab' in Gottes Herz und Sinn. Das scheint ein Rück schritt zu sein: das Markige, das Heldenhafte fehlt, was die Lieder der Reformationszeit auszeichnete. Und es ist doch ein Fortschritt: der Glaube der Gemeinde, der Kirchenglaube, ist zum persönlichen Glauben, zum Eigentum des Herzens ge worden, er ist durch das Gemüt des Sängers hindurchgegangen. Was diese Lieder so volkstümlich gemacht hat, das ist die Gcmütsinnigkeit, die Herzenswärme, die aus ihnen spricht. Dazu kommt die Glätte und Feinheit des Ausdrucks, die volkstümliche Sprache, in der sich der Dichter bewegt, und die um so mehr zu bewundern ist, als die damalige Sprache ungemein schwülstig war. Natürlich kommt uns heute bei Gerhardt manches altertümlich vor, so daß man es nur schwer noch in der ursprünglichen Form zu singen vermag: aber wir müssen bedenken, daß diese Lieder vor fast drei Jahrhunderten gedichtet sind. Daß sie Jahrhunderte hindurch frisch und jung bleiben konnten, das ist in der Tat etwas Großes. Da Gerhardts Lieder ursprünglich Gclegenheitslieder sind, so erklärt sich, daß sie die verschiedensten Lagen des Lebens berücksichtigen. Es gibt kaum ein kirchliches Fest, für das wir nicht ein Lied Paulus Gerhardts haben, und kaum eine Lebenslage, wo er uns nicht als Sänger zur Seite stehen könnte. Ohne seine Lieder können wir uns heute unser Kirchen jahr, unser christlich kirchliches Leben kaum denken. Wenn die Adventszeit erschienen ist, da stimmen wir mit Gerhardt in den Gotteshäusern an: Wie soll ich dich empfangen, Und wie begegn' ich dir? O aller Welt Verlangen, O meiner Seelen Zierl