1. Sein Lebensgang. Die Nachtigall, so sagt man, singt gerade dann am schönsten, wenn die Nacht sie umfängt. Bei Tage, wenn die Sonne am Himmel steht, da schweigt sie; aber wenn es Abend wird, da läßt sie in den Büschen ihr schmelzendes Lied er schallen, und wenn das Dunkel sich über die Erde lagert, dann klingt ihr Lied so süß und wunderbar in die Nacht hinaus. Es ist einmal eine dunkle Nacht, eine Zeit schwerster Trübsal über Deutschland hereingebrochen, die Zeit jenes Dreißigjährigen Krieges, wo man sich in deutschen Landen ein Menschenalter lang mordete und nicht nur die Saaten und Garten, die Städte und Dörfer verwüstet wurden, sondern alles Edle und Gute mit Füßen getreten ward. Und in dieser Zeit lebte und sang unser Paulus Gerhardt, und gerade weil in dieser bösen Zeit sein Herz so gedrückt war und die Anfechtung aufs Wort merken und die Not beten lehrt, hat er so rührend und innig gebetet und gesungen. Paulus Gerhardt ist ein geborener Sachse. Wenn man von Halle nach Wittenberg reist, kommt man über ein kleines Städtchen Gräf e nhainichen; die ganze Gegend ge hörte bis 1815 zum alten Königreich Sachsen, heute ist sie preu ßisch. Dort wurde der Dichter am 12. März 1607 als Sohn des Bürgermeisters Christian Gerhardt geboren; seine Mutter war die Enkelin des Hofpredigers Döbler in Dresden. Sie hat die Erziehung des Sohnes geleitet, dessen Herz schon früh auf das Ewige sich richtete. Elf Jahre war der kleine Paulus alt, als der furchtbare Dreißigjährige Krieg begann, und fünfzehn Jahre alt, als er auf eine gelehrte Schule gebracht ward. Seit der Reformation bestanden im Sachsenlande drei bedeutende Lan desschulen zur Heranbildung von Gelehrten, Meißen, Grimma und Pforta. Jede von ihnen hatte namhafte Männer gebildet, auf welche Deutschland stolz sein kann, Meißen: Geliert und Lesfing, Pforta: Klopstock und Grimma unfern Paulus Ger hardt. Dort im anmutigen Muldentale hat er fünf schöne Jahre verlebt und einen guten Grund in den Wissenschaften gelegt; aber auch nicht ohne Trübsal war diese Zeit, hat er doch in Grimma den Ausbruch der Pest mit durchgemacht. Wenn damals ein junger Mann Theologie studieren wollte, dann wandte er sich meist nach Wittenberg, wo Martin Luther gewirkt hatte und wo tüchtige Professoren seine Lehre unverfälscht zu bewahren suchten. Dorthin ging denn unser Paulus Gerhardt und hat sich nicht weniger als fünfzehn Jahre in der Lutherstadt ausgehalten, zuerst als Student, später als Kandidat. Gern hätte er nun bald seinem Gotte im Predigtamte gedient, aber die Anstellung verzögerte sich aus mehreren Gründen. Zunächst war damals eine ungemein große