Seit 1914 kann sich der Deutsche nur noch für deutsche Helden begeistern. Es gibt Persönlichkeiten, in denen sich alle Züge deutschen Wesens bildhaft zusammenfassen, Männer, in denen das deutsche Volk wie in einem Spiegel sich selber anschaut. Solch ein Mann ist Martin Luther. Er ist das Hochbild eines kern deutschen Mannes vom Wirbel bis zur Sohle, eines Mannes von deutschem Denken, Wollen und Empfinden. Wie sein Äußeres, so ist sein Inneres, seine ganze Art eine Offenbarung deutschen Wesens. Ein Mann, in dessen Seele alle Seiten deutschen Geistes, der deutsche Freimut, die deutsche Geradheit, das deutsche Gemüt und der deutsche Humor, harmonisch zusammenklangen, mußte wohl auf das deutsche Volk von tiefstem Einfluß sein. Daß gerade dieser Deutsche das Herz seines Volkes in einzig artiger Weise sich eroberte, liegt in dem Umstande, daß der Kreis, in dem er wirkte, das denkbar zarteste Gebiet gewesen ist, das Gebiet des Innenlebens, des religiösen Lebens, des Glaubens. Auf Kaulbachs großem Bilde des Reformationszeitalters steht in der Mitte einer Wolke großer Geister, sie alle überragend, Martin Luther. Er war der Führer dieser Geister. Aber er steht vor ihnen, hoch über dem Haupte die aufgeschlagene Bibel. Das ist das Große an ihm, 0aß er der Säemann himmlischen Samens ge wesen ist, daß er uns nicht bloß Kulturgüter errungen, sondern das höchste Gut wieder erschlossen hat, den wahren, rechten christ lichen Glauben. Luther wars, der die verlorene köstliche Perle des Evangeliums wieder ans Tageslicht gebracht und das verblaßte Christusbild im Heiligtum wieder in seiner ursprünglichen Schöne hergesteüt hat, der einem Kolumbus gleich die neue Welt der An betung Gottes im Geiste und in der Wahrheit entdeckt hat, der das uralte Glaubensbekenntnis der apostolischen Zeit wieder erneut hat. Wenn wir uns das vergegenwärtigen, dann gewinnt die Dankbarkeit und Liebe zu diesem unfern Wohltäter den Charakter pietätvoller Hingabe: wir verehren diesen Mann, der uns das Beste gebracht hat, was wir brauchen und erstreben können. Die Liebe und Begeisterung für Luther war schon in den Tagen seines Erdenwallens im deutschen Volke eine außerordent liche. Er zog die Herzen magnetisch an. Man verschlang seine Schriften; wenn er in eine deutsche Stadt kam, so war es, als wenn der Kaiser Einzug hielte; wenn er in einer Kirche predigte und die Menge der Hörbegierigen keinen Einlaß fand, da legte man von außen Leitern an die Fenster und drückte die Scheiben ein, um nur etwas von seinen Worten zu vernehmen; ihn gesehen,