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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.05.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-05-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188805040
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880504
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880504
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-05
- Tag1888-05-04
- Monat1888-05
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.05.1888
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Erste Geilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger. 125. Freitag den 4. Mai 1888. 82. Jahrgang. verstoßen. Historische Erzählung von Ludwig Habicht. »!-4truck »erboten. l An einem heißen Julitage deS Jahre- 1506 wanderte eine hochgewachsene junge Frau durch den gräflichen Schlcßparr, dessen riesige Bäume den prächtigsten Schatten gewährten. In einiger Entfernung folgte ihr ein junge- Mädchen mit einem Knaben an der Hand, der sich plötzlich von seiner Fiihrerin io-riß und auf die erste Wanderin mit den Worte» zustürzte: „Ich will bei Dir sein, Mutter!" Die junge Frau war so in Gedanken versunken gewesen, daß sie bei der unerwarteten Annäherung ihre- Kinde- heftig erschrak. „Du sollst bei der Grete bleiben", sagte sie etwa» unwillig. „Ach, die pufft mich immer heimlich." „Frau Bnrggräsi», da- ist nicht wahr!" suchte sich da- Märchen sogleich zu entschuldigen. „Da- junge Hcrrlein lügt wieder einmal, wie so oft." „DaS mußt Du nicht, Heinrich. Wer einmal ein echter Edel mann werden will, der darf nicht lügen," mahnte seine Mutter, die Burgräsin von Reuß. „Woher weißt Du denn, daß ich gelogen habe?" ent- geg»ete der Knabe; wen» Du der Grete immer hilfst, dann bin ich Dir auch nicht gut", und aus dem Gesicht des Kleine» zeigte sich ein trotziger, beinahe finsterer Zug, der weit über seine Jahre ging. Die Mutkcr stieß einen leisen Seufzer au-; wie stürmisch sie auch ihr einzige- Kind lieble, sein Charakter, der schon so früh eine Menge Schroffheiten zeigte, machte ihr schon jetzt Viele Sorgen. Von Alle», die mit dem jungen, kaum vier jährigen Burggräslcin zu verkehren hatte», liefen beständig Klagen über seinen unbändigen Charakter ein, und selbst die liebevollsten Ermahnungen seiner Mutter fruchteten nichts; der Knabe wandte sich dann trotzig auch von ihr und man konnte ihm schon jetzt anmerkcn, wie lästig ihm die guten Lehren waren. Wenn die Burggräsin die Sehnsucht empfand, ihren Erstgeborenen mit mütterlicher Zärtlichkeit an ibr Herz zu drücken, dann sträubte er sich mit knabenhafter Wildheit dagegen, und wenn sie einmal nicht geneigt war, sich mit ihm zu beschäftigen, drängte er sich plötzlich an seine Mutter Hera», doch sobald sie ihn liebkose» wollte, zog er sich wieder scheu zurück. DaS Multerherz der Burggräsin fühlte sich schon jetzt durch die Eigenthümlickkciten ihres Sohnes umsomehr beun ruhigt, als die Umgebung de- Knaben nicht müde wurde, da- Wesen und den Charakter des kleinen Burggrafen im ungünstigsten Lichte erscheinen zu lasten, und besonder- war eS die Grete, die beständig sich über den Knaben beschwerte, und dies geschah wohl nicht ohne triftigen Grund, denn die Burggräsin konnte zugleich bemerken, daß die Dienerin augen scheinlich ihrem Kinde mit aufrichtiger Zärtlichkeit zugethan war Wie oft standen der Dirne Thränen in Len Äugen, wen» sie nothgedruiigen über eine Unart Heinrich'- berichten mußte! Während der Knabe förmlich grollend sich wieder von ihr abwandte, ließ sich die Burggräsin wie ermüdet aus einem Baumstumpf nieder und blickte, in trübe- Sinnen versunken, vor sich hin. Plötzlich wurde sie durch ein leise- Geräusch au- ihrem Hinbrüten geweckt; ein phantastisch gekleidetes alte- Weib stand vor ihr und starrte ihr mit freundlichem Grinse» in- Antlitz. „Fort, was hast Du hier zu suchen!?- ries die Burg- gräfin und machte eine befehlende, abweisende Handbewegung. Die Alte ließ sich jedoch durch diesen heftigen AuSruf nicht einschüchtcrn. „Hohe Frau, wollt Ihr nicht auch einmal die Zukunst wissen? Ich kann sic Euch verkünden, Ihr dürft mir nur Eure schöne weiße Hand reichen, und ich will Euch Alle» sagen, wa- für Euch »och im Schoß der Zukunst verborge» ist." Die Burggräsin war nicht ohne Aberglauben; sie halte schon oft von Zigeunern gehört, deren Prophezeiungen wört- Uch in Erfüllung gegangen sein sollten, und wer sehnt sich nicht einmal, einen Blick hinter den dunklen Schleier zu Wersen, der unsere Zukunst verbirgt? Wohl zögerte sie noch einen Äugenblick; aber Grete war mit dem Knaben weiter in den Park hineingewandert, sie war mit der Zigeunerin allein, und als diese jetzt ihre Bitte wiederholte, schwankte sie nicht länger, sondern hielt dem braunen Weibe ihre wirklich schön geformte weiße Rechte hin. Aufmerksam betrachlcte die Zigeunerin die ihr dargebotene Hand, dann begann sie mit langsamer, eintöniger Stimme: „Ihr werdet sehr glücklich werden. Frau Burggräsin, und ein lange- freundliches Leben steht Euch bevor. Der Himmel wird Euch noch mehrere Kinder schenken, die Euch viel Freude schaffen werden, nur Euer Erstgeborener" — die Wahrsagerin stockte und blickte wie erschrocken auf die Hand der Burggräsin „Ich habe bisher nur den einen Knaben — sagt, waS wird au- ihm werden?- rief die junge Frau voll Unruhe, in deren Jnnerm sich all die Bcsorgniß zu regen begann, die ihr Mntterherz schon längst beimlich erfüllte. „Zürnt mir nicht, hohe Frau." begann die Zigeunerin demülhig, „aber ich kann nur sagen, WaS die Linien in Eurer Hand deutlich verrathen." „Co sprecht", entgcgnete die Burggräsin fast gebieterisch „Ihr habt befohlen und ich muß gehorchen", erwiderte da- braune Weib mit allen Zeichen der Unterwürfigkeit „Euer Erstgeborener wird Euch viel Kummer machen, hohe Frau, ja, ich sehe noch mehr, er wird mit seinem wilden Trotz seinen Geschwistern, die Euch noch erblühen werden, nach dem Leben trachten nnd über da- burggrasliche Hau- wie über die ganzen reußcschcn Lande viel Unheil bringen. Ihr werdet noch einmal bitter seufzen, daß es bester wäre, wenn er nie geboren wäre." „Weib, wie kannst Du Dich unterstehen, solch' freche Reden zu sichren!" ries die Burggräsin entrüstet; trotzdem irrte zu gleicher Zeit der Gedanke durch ihren Kops, die Zigeunerin könne doch wohl mit ihrer Prophezeiung Recht haben. Der Knabe war so trotzig und unbändig, daß sie schon immer gefürchtet, er werde ihr einst viel Sorge machen * „Ich deute nur die Linien Eurer Hand, und in zwöt Jahre», da werde ich wieder vor Euch stehen und Euch an mein Wort erinnern, und Ihr werdet dann leidvoll bc kennen müssen, daß ich in allen Stücken die Wahrheit gesagt.' Noch ehe die Burggräfin eine Antwort finden konnte, war die Zigeunerin verschwunden. Durch die Brust der geänqstigten Frau zitterte eine nanienlose Unruhe, denn die merkwürdige Prophezeiung hatte anf sie den tiefsten Eindruck gemacht, da da- damalige Zeit alter ja ohnehin abergläubischen Vorstellungen und Vor spiegelungen nur zu sehr geneigt war. Wenn sich die Ver kündigung de- braunen Weibe- wirklich bestätigte! — An den unruhig funkelnden Augen de- Kleinen schien ihr schon jetzt ein unheimliches Feuer zu lodern; sie durste eS nickt ge schehen laste», daß der Knabe über da- ganze burggrasliche Haus Unheil verbreitete, und doch — wie konnte sie da- Ber hängniß abwenden und dem wilden Sinn ihre- Erstgeborenen eine andere Richtung geben? „Mutter, bist Du noch böse aus mich?" flüsterte jetzt dicht neben ihr eine Kinderstinime; e- war ihr Knabe, der ganz leise zurückgekommen war und sich an ihre Knie schmiegte. In der letzten Aufwallung preßte sie ihn zärtlich an sich — dann aber tauchte plötzlich da- Schreckbild der Zukunft vor ihr au da- die Zigeunerin ihr entworfen hatte, und mit einer heftigen Bewegung stieß sie den Knaben von sich. „Unglück-kind, wirst wirst Du wirklich so schlimm und böse fein!?" rief sie mit bebenden Lippen au- und blickte dem Kleinen angstvoll in diel seltsam funkelnden Augen. Der Knabe verstand ihre Worte nicht; er sühlte nur die Kränkung, die in ihrer heftigen Zurückweisung lag, und seine trotzige Seele empörte sich von Neuem: „WaS Hab' ich Dir gethan, daß Du mich sortschiebst wie cine» Ball? Wenn ich einmal groß bin, dann laß ich mir das von Niemand m.ebr gefallen", und er warf keck die Lippe» auf und blickte beinahe finster aus seine Mutter, die seine Zärtlichkeit so übel ver-! gölten hatte. Die Burggräsin antwortete nicht, sic winkte die Magd I herbei, übergab ihr den Knaben, der sich nur widerwillig von dem Mädchen hinwcgführen ließ, und dann wandelte die hohe Frau dem Schlöffe zu. * » Wenige Monate später genas die Burggräsin wieder eines Knäbleins und ein Jahr daraus schenkte sie ihrem Gatten eine Tochter. Nun war der Erstgeborene nicht mehr da- einzige Kind und die Sorge verschwunden, daß der Himmel ihr weitere Erben versagen werde, wie sie selbst und der Burg graf schon gefürchtet. Deshalb allein war wohl der kleine Heinrich elwaö verzogen und ihm jeder Wille gelasten worden — jetzt fand selbst der Burggraf, der bisher an der Wildheit und dem Eigensinn seines Erstgeborene» die größte Freude gehabt, weil sie ihm einmal einen energische» Charakter versprachen, daß eS Zeit sei, den kleinen Trotzkops ein wenig n beugen. E- war jedoch schon zu spät — der Junge zeigte ich desto widerspenstiger, und die Klagen über sei» unbändiges Lesen wollten kein Ende nehmen. Die ehemalige Kindermagd Heinrich'- verstand eS besonder-, das Herz der Mutter von ihrem Erstgeborenen abzuwcnden. Grete war inzwischen die Wärterin ber jüngeren Kinder ge worden — es war ihr gelungen, sich in die Gunst der Bnrg- gräsin einzuschmeicheln, die ihr auch den Inhalt der ihr ge wordenen Prophezeiung anvcrtraut hatte. Nun war da- Mädchen unermüdlich, in der Mutter die dingst und Sorge ;u steigern, daß die Worte der Zigeunerin einmal in Er- iillung gehen würden. „Ja, ja, ich lese eS in seinen unruhigen Augen, er wird chon wahr machen, waS da- braune Weib gesagt.- — Daraus kam Grete bei jeder Gelegenheit immer wieder zurück, und Wie sehr sich auch bas Mntterherz gegen diese Anschauungen 'tränkte, aus dem Grunde ihrer Seele selbst ruhte schon dieFurcht, die Zigeunerin werde mit ihrer düsteren Verkündigung Recht behalten. Und da- Benehmen ihre- Erstgeborenen mußte sie darin noch bestärken. Seitdem er Geschwister bekommen hatte, 'chien in seiner jungen Brust noch eine häßliche Lcidenschast wach zu werden — der Neid. Wenn er sah, wie seine jüngeren Geschwister jetzt weit mehr gehätschelt wurde» als er selbst, dann empfand er darüber die heftigste Erbitterung; aber so jung er war, zeigte er dennoch nicht, waS eigentlich in seinem Innern vorging, daß er sich über die vermeintliche Zurück etzung tief gekränkt sühlte. die ihm jetzt widerfuhr, sondern er wandte sich nur desto scheuer und finsterer von den Scinigen ab, ohne den Grund zu verrathen, der ihn vollends seinen Eltern entfremdete. Wenn auch da- Herz der Burggräsin von ihren jüngeren Kinder» mehr erfüllt wurde, sie cmpsand dock über die Zu rückhaltung ihres Erstgeborenen einen tiefe» Scbmerz; aber ihre Bemühungen, den trotzigen Knaben wieder näher an sich zu fesseln, schlugen gewöhnlich in da- Gegentheil um, und er zog sich desto finsterer von ihr zurück. An einem srcuudlichen Herbsttage befand sich die Burg gräfin mit ihren beiden jüngsten Kindern auf der Rampe deS Schlöffe», uni den Sonnenschein zu genießen, der trotz der vorgerückten Jahreszeit Uber dem Lande ruhte. Sie hatte ihr Töckterchen auf dem Schoß, während Grete sich mit ihrem jüngsten Söhnchen herumlumuiclte. das sich jetzt schon im dritten Jahre befand und durch sein freundliches, gutiuüthigcS Wesen allen Leuten ebenso sehr gefiel, als der Aelteste durch einen finstere» Trotz Jeden von sich abstieß. Da trat Heinrich aus dem Schloßgarlen, wo er ganz allein nach seiner Gewohnheit umhergcstrichcn war. Al- er die Gruppe erblickte, wollte er augenblicklich wieder zurück chleichen, aber die Mutter ries ihn an: „Heinrich, komm ein mal her, ich Hab Dir wa- zu sagen.- Der Knabe blieb stehen und zögerte, sich zu nähern. Er mochte jetzt sein neuntes Jahr erreicht haben und war, trotz seiner düsteren, fast abstoßenden Züge, ein hübscher, stattlicher Bursche. Auf seinem länglichen, etwa- schmalen Gesicht prägte sich deutlich ein fester Wille aus. „Komm nur, Heinrich", wiederholte die Burggräsin, und ihr To» war weich und bittend. Dennoch schien er nur widerstrebend ihren Wunsch zu erfüllen, denn er näherte sich nur langsam und zögernd. „Sieh Dir doch einmal Dein kleine- Schwesterchen an, wie lieb und freundlich eS ist", begann die Mutter und sie hielt ihm init freudestrahlendem Gesicht da- Kind näher. Heinrich warf keinen Blick auf seine Schwester und wollte vorübergehen, um so rasch wie möglich i»S Schloß zu eilen. Die Burggräsin hielt ihn aber am Arme zurück „Nein, Heinrich, Du darfst nicht länger Deinen Geschwistern ein finstere» Gesicht machen. Du mußt sie lieben, und sieh nur, wie gut und artig sie sind." Sie wieS dabei aus den Kleinen, der aufgchört hatte, mit Grete zu spielen und sich zärtlich an die Knie seiner Mutter schmiegte. Ein Gefühl deS bittersten Neide- nagte in der Brust Heinrich'-; ihn liebte Niemand und er durste Niemand wicder- lieben — so grollte eS in seinem Innern und er preßte die Lippen fest zusammen, während sein düsterer Blick aus dem kleinen Blondkopf ruhte, der ihn nach seiner Meinung auS der Gunst seiner Mutter völlig verdrängt hatte. „Ja, Ihr müßt gute Freunde miteinander werden", fuhr die Burggräsin fort und zog Heinrich noch näher an sich Du darsst Dich nicht länger von Deinen Geschwistern ab wenden, sonst muß ich denken, daß sie einmal in Dir ihren schlimmsten Feind zu fürchten haben." „DaS denke nur immer, da wirst Du nickt sehlgchen", entgcgnete der Knabe mit fester Stimme und sah ihr keck in die Äugen. „Nein, Heinrich! Da» darfst Du nickt sagen!- ries die Mutter und starrte erschrocken in da» Gesicht ihre» Erst geborenen, der ihr noch niemals so hart und trotzig erschienen war. AuS seinen Augen loderte deutlich ein blinder Haß. „Du bist der Aelteste, Deine Geschwister müssen an Dir einmal ihre beste Stütze und ihren Berather finden; wenn ich oder Dein Vater zeitig sterben sollte, dann mußt Du ihnen Alle- ersetzen, deshalb darsst Du ihnen nicht länger grollen. Sich dock, wie lieb und gut sie find", und sie strich sanft über da- blonde Haupt ihre» jüngeren SöhnchcnS. „Nicht wahr, Heinrich*), Du bist Deinem Äruder aut? G>eb ihm die Hand, Heinrich", wandte sie sich zu dem kleinen, der auch wirklich dem Geheiß der Mutter Folge leistete und sein kleine- Händchen dem Bruder hinhielt. Der Aelteste aber stieß eS mit einem AuSruf de» bittersten Grolle- so heftig zurück, daß der Kleine taumelt« und zu weinen begann. Die Burggräfin war außer sich Uber diese Rohheit, die an dem heimtückischen und gefährlichen Charakter ihre- Erst *) Nach d-m Lebrauch de» Hauie- führen olle Neuß nur de» einen Name, „Helnrah , vle die- noch heute t» den beiden regierenden Fürstenhäusern Reuß der Fall ist. »ur daß dir ältere Linie bis 100 zählt und bona wieder mit 1 oegiau«, während die jüngere nur bi- zum End« eiue« Jahrhundert! sort-ählt «ad hierauf wieder mit 1 beg nnt, und so hatte auch der zweite Soh» de! Burggrasen den Vornamen Heinr ich. geborenen nicht mehr zweifeln ließ. „Hinweg. auS meinen Augen!- herrschte sie ihm zu, „ich werde tasür sorgen, daß Dem wilder Sinn ein wenig gebrochen wird." Der Knabe entfernte sich mit derselben finsteren Miene, mit der er gekommen war, er schien durchaus nicht gewillt, sein Unrecht eiuzusehen. Wirklich schwankte nun die Burggräsin nicht länger. Sie mußte dafür sorgen, daß der Knabe in andere Verhältnisse kam und sein harter Sinn ein wenig gebeugt wurde. Ihr Mann war dazu nicht geeignet; er kümmerte sich nicht viel um die Erziehung der Kinder und ging gern seinen eigenen Weg; aber als ,hm jetzt seine Gemahlin ihre Besorgnisse hinsichtlich de» ältesten Knaben auSeinandcrsetzle, war er sogleich damit einverstanden, daß derselbe aus dem Hause müsse. „Mein Bruder mag ihn zu sich nehmen, der wird ihn schon zügeln", erklärte die Burggräsin. und ihr Mann, der in solchen Angelegenheiten ihr gern freie Hand ließ, fand diesen Gedanken ganz Vortrefflich. Wohl war ihm der Trotz deS Knaben weniger bedenklich al- seiner Frau, auch sah er in der sichtbaren Abneigung deS Aelteüen gegen seine jüngeren Geschwister keine wirkliche Gefahr; aber der Bube war eben falls nicht nach seinem Geschmack, denn er hielt sich auch von »hm entfernt und zeigte sich über jede- strafende Wort sehr cmpsindlich. Wenn einmal der Burggras guter Laune ivar und sich mit seinem Erstgeborenen beschäftigen wollte, dann durste der Vater nur irgend einen derben Scherz mit ihm treibe» und der kleine Bursche zog sich grollend zurück und war selbst durch Drohungen und Schläge nicht zu einem andern Benehmen zu bewegen. Du hast Recht, Barbara", stimmte ihr der Burggraf zu, „der Bube muß auS dem Hause. Dein Bruder soll ihn nur streng Hallen, dann wird schon etwa» Tüchtiges auS ihm werden." „DaS wolle Gott", sagte seine Gattin mit einem schweren Scuszcr. Heinrich wurde wirklich zum Fürste» Wolsgang von Anhalt geschickt und die Burggräsin empfahl diesem in einem eigen händige» Schreiben dringend, das junge Herrlein kurz zu ballen. Lange aber sollte der Knabe auch dort nicht bleiben. Der Oheim hatte nicht Lust, sich viel mit seinem Neffen zu befassen und ihn zu zügeln, nnd da die einmal zum Miß trauen gegen ihren Erstgeborenen aufgestachelte Mutter be fürchte» mochte, daß ihrem Sohne der Aufenthalt an dem üppigen Hose ihres Bruders nicht zum Heile gereichen werde, so wurde Heinrich schon nach einiger Zeit einem anderen Erzieher übergeben Gras Wilhelm zn Henneberg, ein treuer Freund der Burggräsin, übernahm die schwere Ausgabe, den jungen Bursche» kurz zu halten und feinen trotzigen Sinn zu brechen. Aber auch von dort liefen nicht immer die besten Nach richten über das Betragen Heinrich's ein; eS kamen die alten Klagen über seinen heftigen, aufbrausenden Charakter, seine Störrigkeit, und Gras Wilhelm berichtete mehr als einmal, daß er mit seinem cigenthümlichen Zögling seine liebe Nolh habe. Dennoch sühlte sich die Burggräsin ein wenig beruhigt, seitdem ihr Erstgeborener nicht mehr mit seinem finsteren, ab stoßenden Wesen sie beständig daran erinnerte, daß in ihm anscheinend ein unerbittlicher Feind seiner übrigen Geschwister hcranwachsc. Gräfin Barbara hatte inzwischen ihrem Gatten noch Mehrere Kinder geschenkt; zwar starb ein Söhnlcin sehr früh; aber eS waren jetzt noch zwei Söhne und zwei Töchter vor handen, und da- Herz der Mutter wandte sich >»it um so größerer Liebe diesen Kindern zu, je weniger der Aelteste ihr Hoffnung gab, daß er je die Üblen Eigenschaften ab legen werde, die er schon so früh gezeigt hatte. Und immer wieder war es die Grete, die da- Gemüth ver Burg- gräsin zu bennruhigc» und ihre Herrin an die Prophezeiung der Zigeunerin zu erinnern wußte. Schon war ja deren Voraussage theilweise in Erfüllung gegangen — die hohe Frau war ja noch mit süus Kindern beglückt worden, und nun schwatzte die Magd beständig davon, daß sich die Worte de- braunen Weibe- ganz gewiß auch hinsichtlich de- Erst geborenen bestätigen würden. ES war überhaupt cigenthUmlich, welch' seltsamen Einfluß da- Mädchen über die Burggräsin besaß. Grete war häßlich, ein wenig verwachsen; da» schmale, von Pockennarbe» zerrissene Gesicht mit den eingesunkenen, unruhig sunkeliiden Augen konnte nicht gerade Pertrauen erwecke», und doch hatte die schlaue Dirne eS verstanden, sich völlig in die Gunst ihrer Herrin cinzuschmeicheln. die in ibr die treueste und hingebendste Dienerin sah. Wirklich wußte sich auch Grete für die Kinder der Burggräsin säst unentbehrlich zu machen; sie legte für dieselben eine Anhänglichkeit an den Tag, die allein hingereicht hätte, daS Herz der Mutier für sich zu gewinnen; aber je älter die Magd wurde, je mehr wußte sie auch ihre Herrin mit ihrem kriechenden, unterwürfigen Wesen zu umgarnen, die keine Ahnung davon halte, daß sie zuletzt ganz unter dem Einflustc ihrer Dienerin stand. In dem grenzenlosen Vertrauen, daS die Burggräsin ihrer Magd entgegcntrug, entging ihr völlig daS boshafte Lächeln, daS zuweilen ganz verstohlen um die Lippen der Dirne zuckte. Der Burggraf War durchaus nicht mit der Vorliebe ein verstanden, die seine Gemahlin für Grete sichtlich an den Tag legte, und in seiner heftigen, etwas rücksichtslosen Sprache sagte er oft: „Ich begreise gar nicht, was Du für einen Narren an der windschiefen Dirne gefressen hast, ick kann sie nicht leiden"; aber gerade diese Abneigung ihres Gatten be- stärkte die Burggräsin, Grete um so lieber zu gewinnen. Sie behandelte sic niehr wie ihre Vertraute alS wie ihre Dienerin, und die schlaue Magd wußte sich immer fester in die Gunst ihrer Herrin einzunistcn. Auch heut« hatte Grete die Burggräfin auf ihrem Au», gange ganz allein begleitet. ES war am Morgen de- Johannistage-, und da» Mädchen batte ihrer Herrin ein- geredet, daß man da cine Menge Kräuter pflücken müsse, die zu vielen heilsamen Dingen gut zu gebrauchen seien. Die ohnehin immer mehr zum Aberglauben hinneigende Gräfin war sogleich bereit gewesen, sich an dieser Wanderung in den Wald zu betheiligcn, um mit eigener Hand die wunder baren Kräuter heimzutragen, die so viel gehcimnißvolle Kräfte besitzen sollten. Estrig mit ihrer Angabe beschästigt, hatte die Burggräsin ihre Dienerin au» den Augen verloren; sie bückte sich eben wieder nach einem Kräutlein, da» ibr Grete als wundcrkrästig bezeichnet hatte, und al» sie sich ausrichtete, stand die Zigeu nerin ganz plötzlich vor ihr. Sie prallte erschrocken zurück, und daS braune Weib sagte mit freundlichem Grinse»: „Ver zeiht, Frau Burggräfin, daß ich Euch störe; aber die zwölf Jahre sind nun um, und ich wollte nur mein Verspreche» von damals rinlösrn." „Warum schleicht Ihr hier herum?" raffte sich bi-Burg gräfin zu einer Frage auf und zeigte eine größere Entrüstung, al» sie wirklich empsand. „Zürnt mir nicht, hohe Frau, ich meine c» gut mit Euch", fuhr mit kriechender Dcmuth die Egyptcrin fort, die sich dabei den Anschein gab, al- sei sie durch den Zorn der Burggräsin eingeschüchtert. „Ihr werdet wohl längst wissen, wie wahr ich damals gesprochen habr.- Dir Zigeunerin achtete nicht aus die abweisende Hand bewegung der Anderen, denn sie fügte rasch hinzu: „Ja, ich habe Euch die Wahrheit verkündet, und ich kann Euch jetzt noch mehr sagen: Euer Erstgeborener haßt Euch im tiefsten Herzen; er hat erst jüngst keck verlauten lasten, daß er als "nstigi künftiger Burggras schon Allen heinizahlen werbe. - Bctroffcn starrte die Burggräsin in da- braune Antlitz der Eghpterin. Woher wußte sie Dinge, die ihr Graf Wil helm erst kürzlich voll Besorgniß mitgetheilt? — Heinrich halte sich wirklich mit jugendlichem Uebcrmuth in ähnlicher Weise geäußert. Der Zigeunerin entgingen nicht diese Zeichen der Be stürzung und sie fuhr mit triumphirendcr Miene fort: „Ich sehe noch Schlimmere- für Euch in der Zukunft — den Unter- gang Eures ganzen Hause-, den Euer Erstgeborener bewirken wird. Er haßt Euch Alle, er übt sich zn dieser Stunde im Fechten, fragt an, ob eS nicht wahr sei. — Er sinnt aus Euren Untergang — er wird ein Brnder-- und Mutlerinörder, wenn Ihr ikm nicht bei Zeiten die Hände bindet." Die ver- bängnißvollen Worte kamen so langsam, mit solch niiheiinlicber Betonung auS dem Munde de- Weibe-, daß sie aus die Bnrg- gräsin den furchtbarsten Eindruck machten. Als ob sie bereit» von dem Schwerte ihre- eigenen Sohne- getroffen würde, prallte sie entsetzt zurück. wiederholte sie mit bebenden Lippcn. DaS kann nicht sei». Du Miittermördcr?" „Nein, »ein, das ist nicht möglich! willst mich nur erschrecken." „ES wird geschehen, so gewiß wie dort der Falke aus daS arme Vöglein niederstößt", und da- braune Weib zeigte ans eine Waldcölichtuiig, über die soeben ein Raubvogel blitzschnell niederschoß. Die Burggräsin war der Hand der Zigeunerin mit den Auge» gefolgt, sie sab, wie jetzt schon der Falke mit seiner Beute sich wieder in die Lust erhob, und ein Schauder rieselte durch ihre Brust. So blitzschnell und grausam würde ein mal ihr Erstgeborener über sie selbst und seine Geschwister hersallen. Glaubt nur meinem Wort", begann die Egyptcrin von Neuem. „Ich sehe so deutlich Eure Zukunft, al- siche sie dort in den Wolken geschrieben: Ihr und alle Eure jüngeren Kinder sterbe» von der Hand Eure» Aelteste», trenn Ihr nicht bei Zeiten dem jungen Falken die Flügel und Klauen beschneitet." „Und WaS soll ich dagegen thun?!" ries die geäugstigte Frau ganz außer sich und mit bebenden Lippen. „Ich kann ihn doch nicht tödten lasten wie ein Stück Wild?!" „Aber unschädlich machen", grinste die Zigeunerin. „Ich versteh' Dich nicht. Wie meinst Du daS?" Die Züge de- braunen Weibe- verzerrten sich »och mehr; ihre tieseingesunkencn Auge» funkelten voll heimlicher Bosheit, und sie antwortete nach einigem Zögern, als sänne sie selbst erst über den Rath nach, den sic geben wollte: „Wenn Euer Gemahl und Ihr selbst bestreitet, daß er Euer ehelich geborene» Kind sei, dann ist er für immer beseitigt." Die Burggräsin stutzte über diesen seltsamen Rath. In ihrer furchtbaren Angst und Aufregung entging ihr völlig die Herzlosigkeit und llnmenschlichkeil desselben; sie würde ihn zu ändere» Zeile» empört zurückgewiesen haben, jetzt entgcgnete sie nur: „O. mein Gemahl wird dazu nie seine Einwilligung geben." „Eine kluge Frau vermag viel durch säusle klebcrrcdung und Schmeichelei über ihren Mann", erwiderte die Egypten», und ibre Blicke hesleten sich dabei stechend auf die Burggräsin. „Weib, wie räthst Du mir!?" ries die Burggräsin. der l»»ner mehr die dingen über die Schändlichkeit de- Plane- ausgingen, nach einer kleinen Pause und wollte nach dem braunen Weibe schlagen; aber die Zigeunerin war schon m.t einem Hohngelächtcr verschwunden. Als Grete jetzt zurückkehrte, fand sie ibre Herrin in einer Aufregung, wie sie dieselbe noch nie gesehen. In daS Herz der treue» Dienerin legte auch jetzt wieder die Burggräsin all die Angst und Besorgniß nieder, die soeben ihre Brust erfüllten. Halte sie doch zu Furchtbare- gehört! Lange sprachen die Beiden eifrig mit einander, und der schlauen Dirne gelang eS. den Keim eines unerhörten Ge dankens zur Reife und Entwickelung zu bringen, den die Zigeunerin in daS tieferschütterte Innere der Burggräsin ge worfen hatte. (Fortsetzung svlgt.) Vom Kaiser. ** Berlin, 2. Mai. DaS Befinden deS Kaiser- läßt gar viel zu wünsche» übrig. ES ist richtig, daß der kranke Monarch die letzte Nacht etwa- bester geschlafen hat, al- die vorhergcgangene und daß heute Morgen die Temperatur auch um einen Grad niedriger war al- gestern. Aber am Sonn tag Vormittag war der Kaiser einige Stunde» fieberfrei, und man gab sich der bestimmten Hoffnung hin, daß daS Fieber beseitigt sei und zunächst nicht wiederkchren würde. Bereit» Montag war man aus das Schmerzlichste enttäuscht. Da» Fieber ist zwar nicht so furchtbar hoch wie vor 14 Tagen, die 40 Grad sind durch die Kunst ber Aerzte überwunden, aber das Fieber ist darum doch noch immer da und verhin dert c», daß die Kräfte sich mehren, daß sie ersetzt werden. Der Kaiser fühlt sich unsagbar schwach und matt. Dabei ist ihm jetzt auch da» Liegen rm Bett bereits beschwerlich, wäh rend eS doch andererseits ihm auch nicht möglich ist, längere Zeit in sitzender Stcttuna zu verharren. Die Kaiserin reist aus einen Tag »ach der Elbe niederung bei Wittenberge, und von mancher Seite wird diese Reise al- ein günstige» Zeichen für da- Befinden de- Kaiser- angesehen. Doch ist diese Äussastung keineswegs begründet. E» licgt eben keine unmittelbare Gefahr vor, wie sie da- Steigen de- Fieber» bi» zu 40 Grad sofort aukündigt. Und da diese Reise aus Wunsch de- Kaisers zugleich mit der in die Provinz Posen unternommenen geplant war und bi» jetzt wegen de» bcdrohlichen Zustande- de- erlauchten Patienten von Tag zu Tag verschoben worden war, darf man keineswegs an- der endlichen Aussührung irgend welche günstigen Schlüffe ziehen, klebrigen- ist auch der Kaiserin von ärztlicher Seite dringend empfohlen worden, sich mehr zu schonen. Die hohe Frau geht völlig aus in der Pflege de» kaiserlichen Gemahl- und dieser selbst hegt den lebhaften Wunsch, daß die Kaiserin Victoria mehr aus ihre eigene Gesundheit bedacht sei. Fast täglich erscheint der Reichskanzler Fürst BiSmarck am Krankenbett de- Kaiser- zu längerem Vortrage. Im klebrigen wünschen die Aerzte, daß zunächst kein Minister empfangen werde. Möglichste Ruhe und Enthaltung von allen (Äeschästcn ist ihr dringende» Verlange». Die Er ledigung der militairischcn Angelegenheiten ist einstweilen lediglich Sache de- Kronprinzen, welcher täglich die Vorträge deS Chef» de- Militair-Cabinet-, General» v. Albcdyll, entgegen nimmt. Aber auch die übrigen „lausenden" RegierungSgeschäste werden durch den Kronprinzen erledigt. Dieser erfreut sich Gottlob des beste» Wohlbefinden», und wenn vor einigen Tagen i» ausländischen Blättern cine gegentheilige Mittheilung Verbreitung gesunden, so fehlt dafür zeder thalsäcbüche Anhalt. Daß der Kronprinz wiederholt den Professor v. Bergmann empfangen, hatte darin seinen Grund, daß er zu diesem bedeutenden Chirurgen ei» ganz besondere» Vertrauen hat. so daß er sich von ihm persönlich nach jeder Consultatio», an welcher Geheimrath v. Bergmann Theil genommen, über da- Befinden de- Kaiser- Bericht er statten ließ Optimistische Schönfärber wissen heute wieder von dem frische» Aussehen deS Kaiser» zn berichten Leider sehr aus Kosten der Wahrheit, denn da» G-gentheil ist der Fall. Der Kaiser zeigt die Spuren de» letzten heftigen Anfall» nur allzu sebr auch in den sonst so freundlichen GesichlSzüge». In den zwei Wochen ist er um Jahre gealtert. Und c» ist rin
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