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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.06.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-06-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188806025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-06
- Tag1888-06-02
- Monat1888-06
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.06.1888
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Erste Leilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger. .1° 154. Tonnabend den 2. Juni 1888. 82. Jahrgang. Der Fichlenhoser. »rzähluag au- der Gegenwart von Rndols Elch». »Ia»dru» »erd.ien. (Fortsetzung.) 2. Spielkameraden. Marieti» Götz und Franz Martin waren alte Bekannte. Der letztere hatte bis zu seinem dreizehnten Jahre des Bauern Vieh gehütet. Sein Bater war ein armer Musikant gewesen, der zumeist aus Jahrmärkten und Tanzplatzen herumzigeunerte und geigte, zuweilen auch als Tagelöhner aus dem Fichten- tzosc arbeitete. Marieiis hatte als kleines Mädchen eme be sondere Zuneigung zu dem braunen barfüßigen Hirtenjungen bekundet Wenn »er kraushaarige Knabe mit der Schleuder i« der Hand auf der Haide erschien, kam er ihr immer vor wie der Golialhbesieger David. Es lag etwa- Träumerisches in dem bräunlichen Gesicht und auch wieder etwa« Kühne«; seine stahlarauen Augen konnten so scharf blicken, wie die de- AdlerS. Seine Gestatt war ungemein biegsam und elastisch. ES gab keinen Burschen seines ÄlterS, der so hohe Bäume erklettern und so breite Bäche überspringen konnte, wie er. So ost MarieliS in jenen Kindertagen zu ihm gekommen war, batte er eine Ueberraschung für sie; bald zeigte er ihr ein Bogelnest, bald schenkte er ihr einen Feldblumenstrauß, bald schnitt er ihr Pfeifen, bald producirte fein Hund ein neuer Kunststück. Am liebsten war eS ihr, wenn sie sich zu ihm uiedersetzen und seinen Geschichten lauschen konnte. O. er wußte so prächtige Märchen zu erzählen! Den kleinen Konrad batte er derzeit auch angclockt und zwar durch sein Geigen- spiel, da» er vom Bater erlernte. Die Geige war de- Hirtcububen unzertrennlicher Gefährte und al» er ans dem Fickteiil'ose Dienst als Knecht genommen und der Bauer ihm das Spielen untersagte, ging er bald davon, verdingte sich erst bei einem andercu Bauer und trat dann in die Armee ein. Jetzt stand Fra»; wieder vor der alten Spielgefährtin und dieselbe rcichklingende Stimme, die in der Kinderzrit so «ft ihren Zauber auf sie auSgeübt, fragte: „Kennst Du mich niicü noch. MarieliS? Ob sie ihn kannte! Sic streckte ihm beide Hände wie zum Gruße entgegen und sah ihn mit dunklen, im feuchten Glanze schimmernden Augen so innig an. daß ihm da» Herz lackte Sie dankte ihm für die geleistete Hilfe und fragte, warum er sich aus dem Fichtenhofe nicht habe sehen lasten. Franz, der sie bis dahin mit strahlenden Augen angesehen, kam bei dieser Frage in Verlegenheit. „Bor drei Tagen", entgegnete er zögernd, „sprach ich im Doiie Deine» Vater, und der .... ha, daß ich» nur grad' heran» sag', behandelte mich so kühl und abweisend, al» sürcklc er, ich könne ihn anbetteln." Jetzt schoß MarieliS der Gedanke durch den Sinn, daß der Bursche den Vater verloren, und daß ihr eigener Bater uickl einmal mit zum Begräbniß gewesen sei. „Du dachtest doch nicht, daß ich Dir ebenso begegnen wurde?" „O nein. MarieliS!" stotterte er, und wurde kirschroth bor Verlegenbeit. Sie drückte ihm ihr herzliche» Bedauern über den Ver lust auS, der ihn getrosten, und fragte, ob er sich nach deS BalerS Tode nicht sehr verlassen und unglücklich fühle. „Nun freilich Ihut'S weh. den einzigen Menschen zu ver lieren, der unS Liebe schenkte, und das lhat der wortkarge Mann redlich. Er hat mir die Mutter, die ich früh ver loren. völlig ersetzt. Bor seinem Tode noch gab er mir eine» Trost mit. der Dir zeigen mag, wie er mich liebte. „Franz", sagte er zu mir aus dem Sterbebette, „eS ist gut für mich und für Dich, daß ich schlafen geh'! Wär' ich ein eingesessener Bauer, der HauS und Hof hätl', so klammerte ich mich au'S kleben um Deinetwillen, denn ich leb' nur, wenn ich Dich dab'. aber wir sind arme Teufel. Du mußt in die Welt hinaus, denn nicht um meine Seligkeit möcht' ich, daß Du ein armer Knecht und Bierfiedler würdest, wie Dein Bater Bersuch's, tvie weit Du fliegen kannst, an mir sollst Du keine Last haben, die Dich niederzieht. Mein Leben hat einen Knacks, ich sehn' mich nach Ruhe. Behalt' mich lieb, Franz. „So hat Dein Bater zu Dir gesprochen? O, da» ist tapfer. Auf einen solchen Bater kannst Du stolz sein. Wie ist Dir'« beim Militair ergangen?" „lieber Erwarten gut, als ich in die Militair-Capelle trat. Denk' Dir, ich habe die Geige mit dem Violoncell ver tauscht und daS Instrument macht mir so viel Freude, daß ick zuweilen meine, c» sei ein Stück von meiner Seele drin. Dock, da» intercssirt Dich wenig! Nur so viel will ich Dir erzäbten, daß ich drunten am Rhein einen ausgezeichneten Lehrer fand, der sich'S in den Kops setzte, einen tüchtigen Musiker aus mir zu macken. Der meint. eS rolle echte» Mnsikantenblut in meinen Adern und ich müsse Dinge lernen, die kein Anderer könne. Ich Hab' zu Köln in Concerten gespielt und viel Beifall erhalten, und ein reicher Musik freund hat mir ein Instrument geschenkt, daS über zwei, hundert Thaler kostet. Meine Schulkcnntniste, die recht durstig waren, Hab' ich auch tüchtig gemehrt, und so kann ick wohl sagen, die drei Jahre in der Armee haben einen ankeren Menschen auS mir gemacht!" „Kommst Du nach Unterndors zurück, wenn Deine Dienst zeit »m ist?" „Nein. In drei Wochen zieh' ich den blauen Rock au» und trete als Cellist in die Theatercapelle zu Köln!" „Ei. da wünsch' ich Dir Glück", sagte MarieliS lächelnd. Die jungen Leute waren bei der Achte angelangt, von welcker der Weg abwärts zum Hose führt. Beide drehten sich liier mechanisch um und blickten von dem erhabenen Standorte au» über die dürre Haide und die bewaldeten Höbcnzüge, welche in westlicher Richtung den Lauf der Mosel bestimme». Die Abendsonne übcrgoß mit ihren Gluthen die farbige» Laubwälder, die raaenden Fetsen, die Dächer ein samer Bancrnhöse und rin Fleckchen Wasserspiegel, der wie Helles Gold flimmerte. Der Purpurschrin de» Abendlichte» fiel auch aus da» bräunliche Gesicht des jungen Manne-, beste» belle Adleraugen dem sinkenden Balle nachschauten. MarieliS sagte fick in-geheim, daß ihr Spielgefährte, dem sie ein treues Andenken bewahrt hatte, ein schöner Mann geworden sei. ES lag etwa» Fremdartige» i» seiner Erschei nung. da» sie mächtig anzog. Er war so grundverschieden von allen Burschen de- Orte- und erschien ihr viel v nehmer, freier und edler. „Also morgen schon gehst Du?" fragte sic nach einer kleine» Weile. „3a." „Und wann kommst Du wieder,?' „In einem Jahre — oder später!" „In einem Jahre erst?" Franz schaute verwundert auf. „Da» klang ja fast, al» »b D» ein Interesse daran nähmest, wie lange ick sortbleibe", sagte er, und Marien» senkte crröthend die Blicke. »Wir sind ja alte Freunde," sagte de» Fichtenhofer» Kind zilgernd; dann, als sein Blick aus die Fichte siel, fehle e« hinzu: »Weißt Du noch, wie Du auf den Baum hinauf- geklettert bist? Droben i» der Krone sahen wir ein Krähen nest und Du wolltest e» für mich auS»ehi»en. Anfang» machte cs mir Spaß, al» ich Dich wie rin Eichhörnchen höher und höher klimmen sab. wie Du aber aus den schmalen Ist Dich hinaussckwangst und in der schwindelnden Höhe den Kopf in den Wipfel stecktest, da flimmerte e» mir vor den luge» und ich hatte da- Gefühl, als wankte der Baum »ter Dir und stürzte zur Erde." „Ille Wetter, und ich hatte davon keine Ahnung. Bei dem herrlichen Anblick, der mir da vrobcn wurde, ries ich Hurrah. Ich sah den Fluß, der sich in weiter Ferne verlor, ich sah die Burgruine aus den Höhen und die Dörfer im Thal . . . ." „Weißt Du noch, wa» Du sagtest, al- Du wieder herunter kamst?" „Nein, da» Hab' ich vergessen!" „Du sagtest, Du hättest den Weih beneidet, der in den Lüften kreiste, weil der ungehindert um den ganzen Erdball jagen könne." .Da» sagte ich? Ei, da seh nur Einer an. ich war also ein Hochflieger von meinen KindeStagen an!" Warum blickte da« Mädchen bei dieser scherzhaften Be merkung ihre» Begleiter» so wehmllthig in die Ferne? ver mißte sie da» warme Sonnenlicht? Der heraus dämmernde Abend mag wobt ein Menschenherz wehmllthig berühren, denn der scheidende Tag nimmt der Erde den heiteren Glanz, die lichten Karben, allein bei MarieliS hatte die Schwcrmnth einen tieferen Grund. Al» ihre Blicke über da» stille, fried liche LandschastSbild hinschweisten, über die Baumgruppen, die sich schwarz und mit silhouettenartiger Schärfe von der mattblauen Himmelsdecke abhoben, über die Bauernhöfe, die in den dunklen Thalmulden lagen, wie schlummernde Kinder im Schooße der Mutter» über die leichten Rauchwolken, die wehenden Schleiern gleich über die Baumwipsel hinzogen, da ging ein Gefühl durch ihre Seele, da» im Einklänge stand mit ver Abendstimmung in der Natur. In ihrer Seele ging auch eine Sonne unter bei dem Gedanken, daß Franz die Heimath wieder verlasse. E- wurde dunkel um sic her und Furcht beschlich sie, die Furcht vor der Vereinsamung. Wenn doch ein wenig Licht, etwa» von dem rosigen Schimmer der Hoffnung in ihrem Herzen zurückbliebe, dann wollte sie stark sein und allen bangen Ahnungen trotzen. Sie fragte sich, wa» ihr Licht und Hoffnung gebe und al» sic den träumerischen Augen de» Burschen begegnete, ries e» in ihr auf: Die Liebe! Ja, die Liebe; bei dem Bewußtsein rieselte ihr ein Schauer über da» Herz, wie sie ihn nur einmal im Leben, in der Kirche empfunden, aber süßer noch war er jetzt, viel heißer — und sie mußte die Häudc auf die Brust legen, um da» aufwallende Gefühl zu ersticken, denn e» blitzte ihr der Gedanke an den Bater durch den Kopf, und der — da» wußte sie — würde nie ihre Liebe billigen. .Du bist ja gar nachdenklich geworden", sagte Franz, und al- da» Mädchen zusammenschrak, sagte er hinzu: .Hab' ich Dich wohl zu lang' schon hingehalten mit meinem Geplauder über vergangene Zeiten. Du trägst selber die Schule. Weil Du so lieb zu dem Musikantenfranz warst, Hab' ich'» ganz vergessen, daß zwischen Sonst und Jetzt eine weite Kluft liegt. Nimm» nicht krumm und lebe wohl für lange Zeit — vielleicht für immer!" Mit einer energischen Bewegung streckte er dem Mädchen die Hand hin. Die» war von der plötzlichen Wendung so überrascht, daß e» kein Wort zur Entgegnung fand. MarieliS wollte ihm sagen, daß die Erinnerung an frühere Tage sie beglückt, daß er die schöne Stunde noch verlängern möge, daß .... Ja. wa» wollte sie ihm noch Alle- sagen, aber ihre Zunge stockte und ehe sie sich'» versah, hatte Franz ihre Hand gedrückt, Kehrt gemacht und schritt von dannen. Ob sie ihn zurückrufen sollte? Sie stand da mit Weit aufgerissenen Augen — unschlüssig, wa» sie thun sollte. Ach, ihre Sonne ging unter, e» wurde Nacht.... Oder doch nicht? — Er verlangsamte seine Schritte . . . Jetzt hielt er an und schaute sich um . . . Wenn er doch zurückkäme! Aber er blieb stehen und sagte au» der Entfernung: .MarieliS, mir fährt da ein curiofer Gedanke durch den Sinn. .Wa» ist'-, Franz?" .Nach einem Jahre —" hier fühlte da» Mädchen, daß die Stimme de- Sprecher» trotz de» Lächeln», da- seinen Mund umspielte, zittere — »nach einem Jahre bist Du am Ende nicht mehr MarieliS Götz . . ." „WaS könnte ich sonst fein?" „Die Frau eine» — eine» Unbekannten!" Eine lange Pause trat ein, dann sagte sie — aber so leise, daß die Worte vor dem fernen Ruse einer Wachtel saf unverständlich wurden: „Und wenn da» wäre?" „Dann möcht' ich lieber nicht mehr hierher zurückkommen, sondern in die weite Welt gehen. Um Eine» möcht' ich Dich aber noch bitten sei mir nicht bös« d'rum." ..Wa» ist'», Franz?" Zögernd und mit gesenktem Blick trat er näher: „Ich Hab' in der Stadt ost an Dich gedacht, MarieliS. Sieh, Du warst ja außer meinem Bater und meinem Hund — o, wa» für dumme» Zeug red' ich da! Ich wollt' sagen: außer meinem Vater warst Du da» einzige Wesen aus der Welt, da» mir Freundlichkeiten erwie» Da ist'» denn ganz natürlich, daß sich alle meine Gedanken und Träume um Dich drehten. Wenn ich an Euren Hof vachte und an die sausenden Fichten, die ihn umhegen, kam mir immer der Gedanke an Dornröschen. Ich meinte. Du lägest im Schlaf. — so lang', bi» ich wieder- käm', um Dich zu wecken. Weil ich Dich nun nicht vergessen konnte. Hab' ich mir Geld gespart und Dir ein kleine» Andenken gekauft, bevor ich die Stadt verließ. Schau — da ist'» — ein kleine» Medaillon. Aus der Goldfläche bemerkst Du ein Kreuz, ein Herz und einen Anker. Weißt Du. wa» ich mir dabei dachte? „Sag'S." „Daß MarieliS Götz da« herzigste Geschöpf aus Gotte« Erde — da» ist mein Glaube." „Welch Aberglaube!" warf da» Mädchen scherzend ein. „Daß ich für sie in den Tod ging — so groß ist meine Lieb'zu ihr " „Welch ein Götzendienst!" ..Und daß —" „Na. sprich, wa« ist Deine Hoffnung?" „Ja, da» ist da» Schlimme an der Sache", antwortet« Franz, „mir fehlt die Hoffnung. Na, ich hoffe, daß Du da kleine Geschenk annehmen und durch dasselbe von Zeit zu Zeit an mich gemahnt, meiner gedenken wirst, gelt?" MarieliS nahm da» zierliche Schmuckstück, betrachtete e» lächelnv und erwiderte nach einer Weile „Wenn ich aber eine- Tage» die Frau eine- Anderen würde, dann könnt» leicht kommen, daß der Andere sagte: „Frau, leg' da» Ding ab, ich mag» nicht sehen." „O weh. Du verschmähst e» also?" „Nicht gerade daS," hier zuckle ein schalkhafter Zug den Mund der Sprecherin, „ich nehm'», aber ich geb Dir ' dafür!" „Du giebst mir 'wa» dafür?" Befremdet sah Franz da» Mädchen an; sie aber erwiderte mit einem kühnen, ent schlossenen Ausdruck: „Ja, da», wa» Dir sehlt: die Hoffnung!" „MarieliS!" ries Franz, „treib keinen Scherz mit mir Wa- soll ich hoffen?" „Daß ich über Jahr und Lag nicht die Krau eine» Anderen bin!" „Aber, wen« Du mir da« versprichst, dann scheint'« ja gewiß, daß .... daß ich Dir nicht gleichgiltia .... dann darf ich hoffen — Ach, Marirli», wenn da» wahr, wen» da denkbar wär', ich stürd' vor Freud'! Sag'« — sprich'« au», darf der arme Musikantenfranz den Blick zu Dir erhebe», dars er hoffen, daß er Deine Lieb' erwecke» könnt'? Wenn Du ja sagst, dann steig ich höher hinauf al» in di« Krön' der Fich? da, dann reiß ich Dir em Stück Seligkeit vom Himmel herunter. O, Du lieb'» Mädel, an da» ich immer gedacht, im Wachen und im Traum, sprich, ist ein Schimmer von um wa» Hoffnung für mich da? Sprich ein Wort und e» soll mein Unter sein für» ganze Leben. Sprich doch!!" S>e hatte lange und schwer gerungen, als aber der Bursche in seinem HerzenSjubel ihre Hand ergriffen, al» seine Augen in seltsamer Glutb leuchteten, als die Worte in heißer Flnlh über seine Lippen strömten, da schwanden ihre Bedenken dabi», da brach da» Wehr unter der Hochfluth auswallcnder Gefühle. Fast jauchzend erhob sie die Arme und, indem sie einen Hals umschlang und den Kopf an seiner Schulter mrg, raunte sie ihm zu: .Ach. Franz, ich liebe Dich!" Da hatte er seinen Anker für die Zukunft und er schrie auf vor Freude und preßte La» zitternde Mädchen an sich und küßte ihre Stirn. DaS Sausen der Fichte über ihnen erstarb wie der Schlag der Wachtel. Verloren, versunken war sür sie die Welt, nur daß ihre Herzen pochten, empfanden sie »och. Ein starker Peitschenknall und da» ferne Rollen eine» Wagens schreckte sie au» dem ersten, überwältigenden Liebe»- taunirl. Sie standen wieder aus der Erde. Da» Mädchen chaute aus und stieß einen leichten Schrei a»S, dann zog e» Franz hastig mit sich fort. „Da drunten kommt de» Vater» Wagen." „Laß un» ihm entgegentreten und alle» bekennen." .O, jetzt nicht, Franz, er müßte allein sein." Wie ein ansgescheuchle» Taubenpaar flohen sie den Hohl weg hinab in den dunklen Forst. Hier athmeten sie auf, hier chritten sie langsam und kosend weiter, hier fühlten sie sich geborgen. Sie waren allein im Schooße der trauten Natur. Die Tannen bogen sich und summten im Abcndwinde ein Schlummerlied, die ticshängenden, nimmer rastenden Birken- weige flüsterten ihnen holde, neckische Glückwünsche zu, die Sterne am Nachthimmcl leuchteten im doppelten Glanze und Meteore schossen in feurigen Linien von Stern zu Stern! — Welch' eine wunderbare Nacht! Wußte die Natur um ihr Gehcimniß, daß der Wald lebendig wurde und der Nacht- Himmel sich in seiner strahlenden Glorie zeigte? Ein selige» Schauern ging durch ihre Herzen und ein Schauern ging durch die umnachtete Welt. ... AlS der Pfad sic zum Weiher hinableitete, den der Mond lleglänzte, sahen sie in den Fichten halb versteckt die letzten Reste einer MooShütte. „Weißt Du noch, wie wir die Hütte hier bauten und ein inkenncst in die Birkenzweige hier setzten mit zwitschernden ungen —" „Die armen Dinger starben und ich weinte", sagte MarieliS. Im Walde wurde e» lebendig. Hunde schlugen an, eiue Stimme wurde gehört und plötzlich tauchte Konrad mit seinen vierbeinigen Gefährten au- dem Dunkel. Er riß die Augen weit aus, al- er die Schwester im Arm eine» Fremden sah. Er kam au» dem Walde und wollt« gerade aus den Hof zurückkehren. MarieliS umarmte den blöden Burschen mit ungewöhnlicher Innigkeit und rief: „Konrad, ich lieb' den Franz und der wird Dir ein Bruder sein." Dieser begriff nicht ganz, wa» die Wort« und die Zärt lichkeit der Schwester bedeuteten, aber er erkannte allmählich den Geiger von der Haide wieder, und al- jener ihm die Hand bot, nahm er den Gruß an und ließ eS geschehen, daß er seinen Arm um die Hüfte der Schwester legte. Die Glücklichen schauten auf die mondbeglänzte Wald- fläche und aus da» Schilf, durch welche» zwei Schwäne leise hinruderten. Und Franz sprach von seinen Hoffnungen. Er wollte ein Künstler werden, und wenn er sich einen Name» und eine Stellung errungen, dann wollte er vor den Vater hintreten und ihm da» Jawort abringcn. Und MarieliS gelobte ihm treu zu sein und sich durch nicht» wankend machen zu lassen in ihrer Liebe. Und al» sie sich begeistert die Hände reichten und flammende Küsse auSlauschlen, da versteckte der silberne Mond sich hinter leichtem Gewölk, die Wasser plätscherten, da» Schiff raschelte und der Wald rauschte. Es war» als fühle die Natur da» Zittern nach, da» die in Liebe erglühenden Menschenkinder überflog. 3. Nach dem Feste. Der Fichlenhoser hatte beim Vogelschießen den ersten Preis gewonnen, eine Pendeluhr mit geschnitztem Gehäuse. Der Gewinn war nicht billig erkauft, denn ersten» erweckte derselbe den Neid de» Förster» Junker, der e» seit Jahren al» eine Art von Privilegium betrachtet hatte, daß er den ersten Preis nach Hause trage. Ter Freundschaft diese» Manne- konnte aber der Fichtenhofer schwer entbehre». Weiterhin mußte aus den Sieg ein» getrunken werden, die Musikanten empfingen ihn mit einem Tusch, eine Ehre, die er mit drei blanken Thalern honorirte, und endlich hingen sich ihm, al» er da» Fest verließ, zwei alte Freunde in» Schlepp tau. wa» ihm sehr fatal war. da er aus der Rückfahrt mit Trine gern ein ernste» Wort gesprochen hätte. Gäupchen, der Uhrmacher, und Schmidt, der Winkeladvokat, ließen sich aber nicht abschütteln. Der erstere, der die Uhr dem Schützen comitü verkauft hatte, ließ e» sich nicht nehmen, dieselbe aus zuhängen und in Gang zu bringen, der Winkeladvokat brauchte Geld und ein reichliche« Abendessen. Al» der Wagen an der Haidestrecke vorbeirollte, um deren Besitz der Bauer lange Zeit processirte, fragte Gäupchen, wie e» um den Streit stehe. „Ei, soweit e» den Rechtsverdreher angeht, famoS," ries Jener in sarkastischem Tone, „der hat au» meinem Geldbeutel schon mehr herauSgcpreßt, al» der Bettel Werth ist. Ich wollt' auch, ich hält' wa- Gcscheidtcre» angefangen, al» den Handel." Ohne eine Miene zu verziehen, antwortete Schmidt: „Ja, glaubt Ihr Bauern denn, e» sei so leicht, Unrecht in Recht zu verdrehen? Wär' Deine Klage gerecht gewesen, hält' ich den Proceß durch alle Instanzen gewonnen, um aber einer faulen Sache zum Siege zu verhelfen, dazu gehört Raffine ment und Geduld von meiner und Geld von Deiner Seite, Freundchen!" „Ja, Gott sei'» geklagt, barbarisch viel Geld von meiner Seite, und ich fürchte " „Du hast'» in den Brunnen geworfen," krähte Gäupchen „Mein Neffe, der Assessor " „Ist ein Esel," ergänzte Schmidt im denkbar ruhigsten Tone. Die Unterhaltung stand auf dem Puncte, eine schlimme Wendung zu nehmen, da deutele Trine aus die vom Purpur licht der untergehenden Soune beleuchtete Fichte, bei welcher eine Gruppe sichtbar war, die dann aber rasch verschwand. „Der Musikantenfranz ist'»!" sagte Trine. „Mich wun dert'S, daß Ihr so kurzsichtig seid, Bvrmund." „Nun, aus dem Tanzplatz war ich wenigsten» nicht kurz sichtig," gab jener im scharfen Tone zurück, „und wa» ich da sah, yat mir gar wenig gefallen; '« ist Zeit, daß ich Ordnung mach' in meinem Hau»!" „Mich wundert», daß Euch da» erst heut' einsällt," ent- gegnete Trine schnippisch. Der Fichlenhoser schwieg. Er verstand die Anspielung, welche in den Worten der koketten Dirne lag, sehr gut. Hättest Du mich zu Deinem Weib gemacht, so wollte sie sagen, dann wär« die Scene nicht vorgekommen. — Trine war in dem Alter, wo jede» Weib an« Heirathen denkt. Bei der Vor stellung, daß Trine ibn verlassen könne, zog sich de» Bauern Herz wie im Krampf zusammen. Nein, er konnte die Dirn nicht missen, er mußte sie zu seinem Weibe machen. Wenn er jedoch an die AnSsÜbrung dachte, wurde e» ihm heiß und schwül. Da» Gespött feiner Freunde, die Mißachtung vieler Leute, di« den Herrn traf, der seine Magd heiratbetc, die Lage seiner Kinder, alle» da- erzeugte Bedenken schwerer Art. den» der bcrvorstechende Zug seines Wesen« war der Stolz. Mißmuthig langte er aus dem Hose an und die üble Laune wuchs, al» ihm MarieliS nicht entgegcnlrat. Trine stellte ihre Vorzüge al» Wirthi» bald i»S glänzendste Licht. Während Gäupchen die Uhr über dem Ledersoplia aushing, vertauschte sic blitzschnell ihren Sonntagsstaat mit dem HauS- kleide, zündete die Lichter a», deckte den Tisch, feuerte die Magd >u der Küche zur Eile an und ehe die Gäste sich'» recht versahen, überstrahlten die Kerzen den mit schneeweißen Linnen überdeckte» Tisch, die dampfenden Schüsseln, die laug» balstgen Flasche», die geblümten Teller und geschliffenen Gläser. Trine selbst stand »lit geröthetem Gesicht am untc» Ende de» Tische» und lud zum Essen ein. „Ei, ei, kannst Tu hexen, Trine?" ries Gäupchen ver gnügt und kniff ihr in die Backen; dabei lies ihm beim An blick de» Braten» da» Wasser im Munde zusammen. De» Fichtcnboser» Gesicht klärte sich aus bei dem behag lichen Anblicke, den der Tisch und da» trauliche Zimmer boten und sein Blick aus Trine schien sagen zu wollen: Ich bin mit Dir zufrieden. Mau speiste vortrefflich aus dem Zichtenbose und an Festtagen wurde der Moselwein nickt ge- part. Bald gab sich in dem kleinen Kreise die animirteste Stimmung kund. Gäupchen, eine durch und durch ideale Natur, stieß aus da» Wohl de- gastfreien Fichtenboser» an. den er al» den Tel! von Unterdors prie». „Er bat de» Vogel abgeschosseu," rief der Redner im höchsten Patho«. ,u»d meine Uhr gewonnen, er wird ein zweite» Geschoß ab- enden auS AmorS Köcher und damit ein Herz treffe». Dann giebtS Hochzeit und meine Uhr wird die glückliche Stunde anzcigen, die eS sür Sterbliche gicbt. Es lebe die znknnslige Herrin vom Ficbtcnhose. hurrah! hoch!" Trine und der Fichlenhoser sahen sich verlegen an, ver Üinkeladvocat aber sagte: „Gäupchen, Du rasest! Der Tell 'choß, um frei zu werde», und Du willst, daß der moderne Tell von Unterdorf schießen soll, um ein geplagter Ehemann u werden? Da müßt' er toll sein. Ich habe nach drei- ähriger Ehe meine Frau verloren, und diese- unverdienten Glücke» Hab' ich mich würdig gezeigt und nie wieder gr- lcirathct. Ich denk', der Fichlenhoser wird'» ebenso macke». >ier ist die Frau, mit der ich'» halte, die Flasche. Ein geschenkt!" (Fortsetzung folgt.) Aus Württemberg. * Der württembergische Ministerpräsident v Mitt- nacht hat vor seinen LandtagS-Wählern in Weiter»- heim eine Rede gehalten, a»S welcher Folgendes hcrvor- zuheben ist: Wenn man ln gegenwärtiger Zeit von der Lage de» Lande- und einen Angclegenheilcn redet, ist man fürwahr veranlaßt, zu beginnen ' mit dem Ausdruck der Erleichterung und deS Dank,- dafür, daß der Friede bi- jetzt erhalten geblieben ist. ES würde nicht- nützen, nachträglich zu untersuchen, ob in diesem oder jenem Augenblick, be« diesem oder jenem Anlaß der Krieg näher gerückt war und ob der Line mit mehr Sorge oder, wie inan zu sage» pflegt, Angst eiuem möglichen Kriege entgegen sieht al- der Andere. Der Krieg, den wie >n gewärtigen hätten, wäre ein solcher, daß auch der Muihigste ha nicht leicht nehmen dürste; und daß der Friede in den letzte» Jahre» gesichert gewesen oder jetzt aus absehbare Zeit gesichert Ware, daß ein Krieg nur ein Gebilde der Angst, alS leeres Schreckens. Phantom betrachtet werden dürfte, wird doch im Ernste kaum Jemand behaupten wollen. Die Lage ist eine unsichere, wir werden nniner wieder daran erinnert, und wird, .a die zn Grunde liegenden Ver- hältnisse und Stimmungen keine augenblicklichen, rasch vorübergebenden ind, wohl noch längere Zeit eine unsichere bleibe». Deulichland kennt übrigens seine Gegner und weiß, wo eS seine Freunde und Verbündete zu suchen hat, e» weiß, wa- eS zu vertheid'grn hat und was aus dem Spiele steht; e» kennt die Macht und die Hiljsmntel der Gegner und vermag die Aussichten bei einem möglichen Zn- annnenstvß und da» Maß von Rüstung zu bemessen, dessen wir bedürfen, um auch dem Gegner jenen Zusammenstoß nlS bedenklich erscheinen und uns de» endlichen Obsieg crhossen zu tasse». Deutsch land sucht keinen Streit und hat keinen sehnlicheren Wunsch, al- mit Jedem im Frieden z» leben. Vielleicht wird dies doch an erkannt oder eS wird aus der anderen Seite die eigene B.-rant- Wortung und Gesahr gescheut. Wir haben das abzuwarlen und wollen ruhig weilerlcbe» und den Werken deS Friedens nachgehen. käme eS doch noch zum Aeußersten, so hätten wir nach Gründung und Befestigung des Reichs doch die Beruhigung, daß unsere Landes- kindcr dem großen kriegSgeübtcii deutsche» Heere angehüren und baß nicht ein Friede geschlossen würde, in dem sich die Großen aus Kosten der Kleinen vcrsübneii. Deutschland wie eS jetzt gecmigt dasteht, kann in ruhiger Kraft der Zukunft entgegensche». lieber die Verfassung-durchsicht änßcrle sich der Redner dahin: Schon im December 1882 habe ich über diese Frage hier mich ausgesprochen. Ich habe damals dem Revisionsverlangen, da- haupisächtich eine Aenderuug bezüglich der sogen. Privilegirten in der Abgeordnetenkammer anstrebt, eine gewisse Berechtigung »ich! abgesprochen, davor aber gewarnt, von einer solchen zuviel Gule- zu erwarten. Ich habe nachgewiesen, daß nirgends i» Deutschland eine parlamentarische Versau»,ilung mit Diäten besteht, zusammen- gesetzt nur aus Gewählten de- allgemeinen gleichen direkten g-hcimen Stimmrecht-, und habe deshalb betont, daß die Frage offen bleiben müsse, ob nicht im Falle de- Ausscheiden- der Privilegirten ei» andere- geeignete-, einen gewissen Eonscrvati-niu- verbürgende- Element Zutritt in der Abgeordnetenkammer finden sollte. Im Februar 1886 hat die Regierung dem Landtag erklärt, daß sie aus ein solche- Element in der Abgeordnetenkammer nicht ver zichten , daß sie zur Umwandlung der Abgeordnetenkammer in eine sogen, reine Volkskammer die Hand nicht bieten töune. Be, ihren Erwägungen darüber, wie ein solches Element zu gewinnen wäre, mußten die Blicke der Regierung zunächst sich richten aus eine größere Berücksichtigung der Steuerkrast. so daß die Höherbesteuerten eine der bisherigen Stärke der Privilegirten entsprechende Zahl von Abgeordnete» in die Zweite Kammer zu entsenden hätten. Eine solche Berücksichtigung der Steuerkrast läßt sich aus inneren Gründen wohl rechtfertigen, namentlich sür die Finanzsragcn. Sie findet sich in verschiedener Gestaltung auch ru anderen deutschen Gesetzgebungen, von Preußen, Bayern. Königreich Sachse», während in Baden indirekte Wahlen bestehen. Rach unserer Verfassung von 1819 bestanden der Wahlmänner aus den böchst- besleuerten Bürgern, während da- letzte Driitherl der Wahlmänner vo» den übrigen Steuercontribuenten gewählt wurde. Der Gedanke ist also weder unnatürlich, noch unerhört, er würde auch von der Mehrheit der Abgeordnetenkammer nicht verworfen werden. Be- svrcchungen aber, die in diesem Jahre zwischen der Regierung »nd Vertrauensmännern der Abgeordnetenkammer stattsandcn, habe» ge zeigt. daß wohl bezüglich deS Grundgedanken», nicht aber ebenso hinsichtlich der Gestaltung im Einzelne» Ilebrrcinstimiiiuiig zwischen der Regierung und der Abgeordnetenkammer in Aussicht genommen werden kann. Die Vorschläge, welche die Vertrauensmänner an Stelle der obgelehnten Propositivnen der Regierung gemacht haben, werde» sich, glaube ich, durch da- angesammelte statistisch« Material al- un- au-sührbar erweisen; sie leide» überhaupt daran, daß schließlich zwischen den Gewählten de- allgemeinen Stimmrecht- und denjenigen der Höchstbesteuerlca so wenig Unterschied vorhanden sein dürste, daß mit Recht die Frage zu erheben wäre: wozu eigentlich die ganze Complication? Die Gewählten der Höhcrbesteuertea, obwohl sie selbst zu den Höherbesteucrtea nicht gehören müßten, würde» doch al- neue Privilegirte wieder ongesochtea werden und würden viel leicht Angriffen diejenige Widerstandskraft nicht entgegensetzen, welche den b>-h«r Privilegirten tnnewohut. Fragt man mich hiernach nach meiner persönlichen Ansicht über die Aussichten einer Verständigung über eine einschneidendere Aenderung in der Zusammensetzung der Abgeordnetenkammer, so kann ich sie al- vielversprechend nickt be zeichnen. ES kommt dazu, daß der gegenwärtige Landtag, besten Mandat dem Ende zugedt, vielleicht selbst mit einer weiter aa-seheuden Angelegenheit von großer Bedeutung, bet deren Erledigung man aus lag und Stunde beschränkt wäre, sich nicht mehr würde belasten wollen. Für dw Regierung aber kommt e< nicht daraus an, um jeden Pie>S mit dem jetzigen Landtag noch etwa- zu Stande zn bringen; sie muß wünschen, daß etwa- geschaffen wird, wa» arvß-re Kresse befriedigt »nd längere Dauer verspricht. Wenn selbst Dir- lcn gen, welche den Ginndgedanken nicht verwerfen, die Abgeordnete»
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