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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-06-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188806078
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880607
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880607
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-06
- Tag1888-06-07
- Monat1888-06
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1888
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Erste Geilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger. .V- 158. Donnerstag dm 7. Juni 1888. 82. Jahrgang. Der Fichleuhofer. Erzählung aus der Gegenwart von Rudolf Elcho. Nachdruck Verbote». 10. (Fortsetzung.) AIS daS Abendbrod verzehrt war und Marielis bemerkte, tag der Batcr i» Jostmüllers Gesellschaft bei der Flasche scheu blieb, raunte sie diesem i»S Ohr: „Sei vorsichtig, ich traue dem Müller nur Schlimmes zu!" Der Ficktenhoser lächelte und sagte mit der Miene geistiger lleb.rlegeuheit: „Geht zu Bett. Ihr WeibSlcul', ich komme bald hinaus." Eine Stunde nach der anderen verging, aber das Ver sprechen wurde nicht eingelöst. ES hatte sich bei der Flasche roch ein Deutscher als Gesellschafter cingesunden, welcher sich a!S Handelsagent Drossel vvrstellte und der bald de» Josiinüllcr im Erzählen lustiger Schnurren überbot. Der Fichtenhofer lächle auö vollem Halse über die amüsanten Geschichten, welche die beide» Gesellschafter austischten, und dabei wurde eine Flasche »ach der anderen geleert. Es mochte wohl Mitternacht sein, da trat plötzlich Trine herein, nahm nach kurzem mürrischen Gruß den Fichtenhoser zur Seile und raunte ihm in gebietendem Tone zu, er möge der Sitzung ein Ente machen. „Recht so. Jungfer", rief der Jostmüller spottend, .wer die Herrschaft führen will, der commandirl schon bei Zeiten!* Trine drehte dem Spötter verächtlich den Rücken zu und sagte: „Ich bleibe dort im Schäiikzimmer sitzen, b>8 Ihr Innaufgkht, Pormulid!" — Damit schritt sie in das offene Nebenzimmer, nahm ein Zeitungsblatt zur Hand und setzte sich neben daS Bussrt. Der Fichtenhoser wollte sich von den lustigen Geselle» verabschieden, da ries der Zostmüller: „Hall, Götz! Hier z» b'ande beschließt man den Tag nicht, ohne eine Nachtmütze z» nehme».* „Was ist das?* „DaS sollt Ihr gleich schmecken. Setzt Euch, Fichtenhoser. setzt Euch. Drossel, erzählen Sie Ihre Geschichte zu Ende. So recht. Was geht unS das Weibervolk a». Ich braue eine Nachtmütz'! Ganz recht. — Wartet!" — Taumelnd trat der Müller in das Schänkzimmcr, in welchem Trine sich befand, ließ sich von dem Kellner, der ei,»geschlafen war, zwei Flaschen reichen, mischte beständig den Trank und wankte damit in den Speisesaal. Als der AdschiedStrunk genommen war, schüttelten sich die drei Zecher die Hände, der Jostmüllcr ließ sich vom Fichten- boser ein feierliches Verspreche» geben, daß er ihn besuchen werde, und endlich trennte man sich. MarieliS hatte, als der Vater nicht kam, ihr Lager aus gesucht. Sie schlief fest und erwachte erst, als die Sonne durchs Fenster blitzte. Ein heilerer Frühlingstag war an gebrochen. Aber sellsam, ihr schien cs fast, als sei sie durch einen Schrei geweckt worden. Sie schaute sich um, da sie aber nichts ivcitcr hörte und nur die tanzenden Sonnenlichter aus der dunklen Tapete sah, lächelte sie heiter und sprang mit einem Satz aus dem warmen Nest. Eben öffnete sie VaS Fenster, um die frische, würzige Morgenluft cinzulassei,, da hörte sie, wie die Thür in den Angeln kreischte; sie drehte sich um. und ein Laut des Ent setzens entfuhr ihren Lippen. Der Vater stand aus der Schwelle. Ja, war daS auch ihr Vater, der Manu mit dem zer wühlten Haar und dem erdfahlen Gesicht, mit den wilv- blickenden, umherirrenden Augen, jener Mann, dessen Zunge Laute stammelte, die sie nicht verstand, besten Hände durch die Lust fuhren, als suchte» sie einen Halt, und dessen Kniee schlotterten? „Vater, um GotteS willen. waS ist Dir?" schrie daS Mädchen aus und sprang hinzu, um den Wankenden zu stützen. Dabei bemerkte sie daS Gesicht dcS blöden Konrad, der mit allen Zeichen heftiger Beunruhigung dem Vater kolgte. Der Letztere richtete sich an der Thür aus, fuhr sich init der Hand über die schwcißbedeckte Stirn und stammelte: „Wo ist Trine?" „Trine ?" — Marielis folgte den Blicken dcS VaterS und sab. daß daS Lager ihrer Gefährtin unberührt war. „Fort!" schrie der Alte, und seine Stimme klang hohl und heiser, wie der Schrei eines Raubthiers. „Fort ist sie, und mein Geld nahm sie mit!" „Vater, Du redest irre*, entgegnete Marielis, aber auch ihr Gesicht entfärbte fick; „wie kannst Du solch' einen schreck lichen Verbackt hegen?" „Wie ich daS kann? Nun. weil meine Brieftasche gestohlen und Trine nickt mehr da ist. Laus' hinunter, Kind, in oie Wirthschast, stink und frag', ob die Trine noch im Hanse ist. Lauf', oder ich werde irre. Du sichst ja, daß ick nicht gehen kann, meine Beine zittern. Laus' — so isi's reckt!" . . . Mit keuchender Brust hatte der Bauer die Worte hervor gestoßen, und feine Hände flogen vor Erregung. Jetzt, als sein Kind die Treppe hinablies, brach er in einen Sessel zusammen, richtete dann de» Oberkörper seufzend aus und wie daS Lallen eines Trunkenen kam eS von seinen Lippen: „Denk' nach — alter Sckwackkopf denk' nach: wo warst Du gestern? Drunten — bei dem Satan, dein Jostmüller, der für ei» gutes Trinkgeld ei» Dutzend falscher Eide schwört. Spät am Abend kam dann die Trine? Ja, ganz recht .... die saß am Buffet, als der Kerl den Schnaps cinschcnkle, der so widerlich schmeckte. Der Jostmüller blieb lang' in ihrer Näh' »r.d ja, wie ist mir denn? — war nnr'S nicht, als ob die Beiden »lilsammcntuschelten? O, ich Narr, warum sperre ick Auge» und Ohren nickt auf, statt zu trinken und über die Späße deS ander» da deS Agenten zu lachen? Aber Ruhe. Ruhe! Wie kam'S weiter? Die Trine brachte mich hinaus, mich Elende», der ich mir die Sinne benebelte. Wo ich hätte wachen müsse». Mir war der Kgz>f wüst, und die Augenlider sielen mir zu vor Schlaf. Eine Nachtmütze batte mir der Schuft gereicht — ganz recht, so nannte er eS O, ja, das war die rechte Nachtmütze; der Trank war mit einem Scklaspulvcr versetzt . . . . o, gewiß! Droben nahm mir die Trine 1>eu Rock ab. Ich selber legte die Brief lasche unters Kvpskisten .... ja, ja. daS weiß ich noch ganz genau, und dann küßte mich die Schlange und ich alter Narr . . . . o, Marielis!" — Hier breitete der Fichtenhoser die Arme aus, als suche er Rettung vor seinen eigenen Er innerunge» am Herzen der eintretenden Tochter. „Was hast Tu erfahre», Kind?" „Ruhig. Vater", erwiderte diese, und schlang zärtlich ihre Arme um seinen HalS. „Wir müsscn die Dinge tragen, komme, was da wolle." „Wo ist Trine? Red' um GotteS willen!" ..Entstehen!" Der Alle stieß einer wilden Sckrei aus und schlug die Hände vors Gefickt wie ein Verzweifelnder. „Um Gottes willen, Vater", ries LaS Mädchen, willst Du daß die Leute aus der Straße unseren Jammer hören? Laß uns der Gefahr trotzen und dem Schlimmste» mit Fassung begegnen. Wen» wir verzweiseln. ist Alle- verloren!" Der Fichtenhoser richtete sich langsam ans, schaute in da» Gesicht seine- tapferen Kindes, in besten Augen zwei große Thräneu glänzte», und sagte: „Hast Recht, Marielis, hast Recht! Wir müsten un» ausrichlen, vielleicht ist noch Rettung zu erhoffen, sprich, was hast Du erfahren?" „Die Leute drunten sagen, die Trine habe, etwa eine halbe Stunde, nachdem Du den Speiscsaal verlassen, sich die Hau» thür ausschließcn lasten, unter dem Vorgeben, sie fahre mit dem Nachtzug nach Boston und kehre morgen wieder hierher zurück Sie trug nur einen Handkoffer in der Hand und hatte ihren rothen Shawl um den Kops geschlungen. Der Hausknecht sagte ihr, sie könne doch unmöglich allein in der Nacht »ach dem Bahnhose gehen, woraus sie erwiderte, Du hättest ihr einen Wagen bestellt, der sie abholen solle; e» hielt auch richtig ein Wagen an der anderen Seile der Straße, in den sie hineinsprang und davonsuhr." „So ist'» klar am Tage", ächzte Götz, „die nicht-würdige Creatur hat mich beraubt und ist mit dem Jostmüllcr entflohen. O, ich blöder Narr, wie konnte ich glauben, wie konnte ich —" Einem Rasenden gleich lies er in den beiden Stuben um her. wühlte die Betten und Schränke um, kehrte die Taschen einer Kleider heraus, und als alle« Suchen vergebens war, wüthete er gegen sich selber, b>4 er, in ein wilde» Schluchzen auSbrcchcnd, vor einem Lehnstuhl zusammenbrach. Wieder beugte sich Marielis über ihn wie ein Engel de» Trostes, und mit bebender Stimme sagte sie: „Sind Dir denn Deine Kinder gar nicht« werlh, daß Du so um da» Geld und die Trine jammerst? Bleibe ich nicht bei Dir, Vater, Deine kleine Marielis, die Du vordem so lieb hattest, die Dich herzlich wiederliebt und die ordentlich glücklich ist, daß die falsche, gewissenlose Person nicht mehr zwischen un» leht?" Der Fichtenhoser kam langsam wieder zu sich selber, lohnte, richtete sich halb aus und ries dann in herzzerreißen, dem Tone: „DaS ist'- ja, waS mich halb wahnsinnig macht, mein Gewissen schreit mir zu: Du hast Deine Kinder miß handelt um einer Dirne willen. Das Geld, daS man Dir gestohlen, war auch ihr Erbe. Fluche mir. Marieli», um aller Barmherzigkeit willen, schilt mich aus, aber red' nicht so mild zu mir, denn jedes Trostwort schneidet mir al» die bitterste Anklage in die Seele und zeigt mir, wie schwer ich Dich verkannte und wie schlecht ich gegen Euch gehandelt. O. ich bin nicht Werth, daß mich die Erde trägt. Ha, wenn ich nock einmal mit dem elenden Weibe, mit der Trine zusammen- träs' —" ,Still, Vater", beschwichtigte daS Mädchen den Fassungs losen und zog seine geballte Faust nieder, „laß unS in dieser chweren Stunde nickt an Rache denken, sondern an Liebe, nicht an Das, waS Du verloren hast, sondern an DaS. WaS Dir geblieben ist. Schau, die falsche Trine hast Du verloren, aber un». Deine Kinder, wiedergesunde». Damit hatte die kleine Trösterin Konrad in die Arme deS zebrockenen ManneS geführt. Alle drei umschlangen sich und ihre Thränen stoffen ineinander. Sie glichen drei Schiff brüchigen, welche aus der wildbewegten See mit einem Wrack unter den Füßen dahintreibcn und sich fest aneinander klammern. ll. Nachtgedanken Wie nach der Entladung dcS Gewitters sich die Vegetation kräftig emporrichtet, so steigen nach großen GcmüthS bewegungen neue Impulse in der Menschenbrust aus, sobald nur die Thränen geflossen sind. „Laß uns handeln", sagte Marielis und streichelte dem Vater die Wangen „Wir müssen sehen, ob die Verbrecher noch einzuholcn sind. Hast Du noch Geld?" Der Alle öffnete seine in der Hosentasche befindliche Börse Es waren nur noch zehn Dollar« darin. „DaS reicht nicht einmal auS, um die Zeche zu bezahlen", ägte Götz trübe. „Wenn eS Dir recht ist, Vater, so entdeck' ich dem Wirth, der mir ein braver Mann zu sein scheint, offen unsere Lage. Er kann ja unsere Koffer, die un» zum Glück noch geblieben "md. zum Pfand nehmen. Es sind die Betten, Geschirre, Kleider und Wäsche darin, Dinge, die auch hier zu Lande großen Werth haben. Laß unS gleich hinuntcrgehen." Eine halbe Stunde später hatte das tapfere Mädchen mit dem Wirlhe bereits ein Arrangement getroffen und ein deutsch redender Geheimpolzist war zur Hilfeleistung herbeigeruscn worden. Der Criininalbeamte erkannte sofort, daß der Jost müller der Anstifter deS Verbrechens sei. Der Fichtenhoser hatte die Karte vorgezeigt, welche ihm sein Landsmann Tag» zuvor eingehändigl, und eS stellte sich jetzt heraus, daß weder daS HauS, in welchem der Jostmüller zu wohnen, noch die Firma, bei der er Beschäftigung gesunden zu haben vorgab, epistirten. Es lag hier ein zwischen Trine und dem Jostmüller abgekartetes Spiel vor, und für Marielis stand eS ganz außer Zweiscl, daß die Fäden der Jntrigue bi- nach Deutschland zuriickreichten. Jede»' all» wußte Trine die Adresse ihres Geliebten und hatte denn selben sosort nach ihrer Landung in Newyork Nachricht znge sandt, wo sie zu finden sei. Der Fichtenhoser fuhr mit dem Detective zu allen Bahn höfen und Landungsplätzen. aber die Spur der Entflohenen war nicht auszufinden. Mt der Erkenntniß, daß nur der Zufall zur Entdeckung der Verbrecher führen könne, kehrte Götz am Abend lodtmüde in den Gasthof zurück. Er fand Marielis arbeitend bei der Lampe sitzend. Konrad schlief bc reits. AlS er der Tochter berichtet hatte, wie resultatlos seine Bemühungen gewesen, erhob sich diese lächelnd und sagte in munterem Tone: „DaS dacht' ich mir. daß wir einem Fuchs, wie dem Jvsi- müller, schwerlich den Raub wieder abjagen. Sehe» wir also die Sache für erledigt an und handeln wir unserer Lage gemäß. Wir sind arme Leute, Vater, und ich kann Dir daher nur ein bescheidene- Abendbrod bieten. Sie enthüllte einen Teller mit belegten Bulterbröden, entkorkte eine Flasche Bier und füllte ein großes Glas mit dem schäumenden Ger stensaft. — „Wenig, aber gut", sagte sie in scherzendem Tone „Iß nur; laß alle Sorgen fahren !" „Esten? Ich sollte essen in meiner Lage? „Natürlich mußt Du essen, denn wenn wir nicht essen und fortwährend an dieses Unglück denken, verhungern wir Ans eine bessere Zukunft, Batcr!" — Da» Mädchen nippte an den Schaum, drückte dann Götz da» GlaS in die Hand und sagte in heiterstem Plaudertone: „Wenn Du tapfer zu greifst. erzähl' ich Dir auch eine Neuigkeit." Der Bauer küßte sein Kind und sagte: „Du hast em goldencS Herz. Marielis! O. daß ich je an Dir zweifeln konnte, ich verdiente den Strick dafür! Du hast ganz Recht, da» Rückwärtsschauen bringt u»S nicht wieder auS der Grube heraus, in die ich Blinder hineintappte. Also, vorwärts geschaut!" „Da» ist ein mannhafte» Wort, Vater, nun greis' zu und höre, waS ich im Lause de» Tage« auSgerichtet. Mil Frau Schneider, der Wirlhin, sprach ich gleich am Morgen. Diese charmante Frau gicbt un- ein kleines Stübchen, da» nach dem Hos hinausführt, und wir haben dafür wöchen'lich nur zwei Dollar» zu zahlen." „Wie bezahlen wir die?" warf der gehabten Strapaze Speise und „Da» sollst Du gleich hören, gefunden." „Wo?" „Hier im Gasthos. Ich belse in der Küche und Wirth schast und erhalte dafür freie Kos« und zehn Dollar- monatlich. „WaS?" ries Götz, und daS Messer entsank seiner Hand, „de- Fichtenhoser» Tochter soll als Magd diene»? Nie mal». — Daran» wird nicht»!" „Vater", mahnte Marielis ernst, aber ihre Augen blickten gütig und bittend zu ihm aus, „Du mußt bedenken, daß wir die Leute vom Fichtenhof waren. Jetzt sind wir nicht» weiter al» arme Schiffbrüchige, die da» nackte Leben retten müssen. der Alte ein, dem nach Trank wieder mundeten Ich Hab' Beschäftigung Der Bauer erhob sich, die alte Leidenschaft flammte in ihm aus. „Ist denn da» armselige Leben so viel wcrtb, daß wir un» darum zu Lumpen und Knechten erniedrigen sollen?" ries er in heiserem Tone und ging, heftig gesticulirend, aus und nieder. Marieli» regte sich nicht. Nach einer Weile blieb der Ausgeregte vor ihr stehen, sah sie mit brennenden Augen an und sagte: „Marielis, wär's nicht bester, wir machten ein Ende? E» gehört wenig Muth dazu, sich den Tod zu geben." „Ja. Vater", entgegnete sie ruhig, „e- gehört freilich mehr Muth dazu, dem widrigen Schicksal zu trotze», als zu sterben, aber den stärkeren Math müsten wir haben. Dick soll mau nicht der Feigheit zeihen und eine» TageS von Dir sagen: „Der stolze Fichtenhoser hat sich ertränkt oder erschossen." Nein, Vater, solche Schmach darf unseren Namen nicht treffen. Komm' her, setz' Dich ruhig und iß", setzte sie lächelnd hinzu, „Selbstmordgedanken kommen stet» au» einem hungrigen Magen." Der Bauer rührte sich nicht, sondern frug weiter: „N»d wa» soll au» mir werden?" „Ich Hab' für Dich etwa» gesunden, da» wie ein Nvth- bchelf aussieht für die ersten Tage, bi» wir unsere Rechnung bezahlt haben." ,,Wa» ist?" „Hundert Schritte von hier liegt eine Lampensabrik; am Thore derselben sah ich ein Plarat mit der Inschrift: „Hier werden deutsche Arbeiter gesucht." Ich war aus dem Bureau. Der Fabrikherr ist ein Deutscher; er hörte mich freundlich an und sagte, er wollte Dir Arbeit geben, könne aber sürS Erste nur fünf Dollars Wochenlohn zahlen. Nimm'» an, Vater, vielleicht findet sich bald etwas Besseres." „Gut. Kind, ich will'S tbun", antwortete Götz. — „Geh' jetzt zu Bett, geh'!" „Willst Du denn »icklS mehr essen?" „Nein, ich bin müde. Morgen müssen wir gleich an die Arbeit, drum geh' schlafen. Gute Nacht!" ,Jck denke, der Schlaf wird Dir gut thun; gute Nackt, Vater! Und keine trüben Gedanken mehr, verscheuche sie, hörst Du? Wir arbeiten uns schon wieder herauf. Gute Nacht!" — Sie lächelte, umhalste den Vater und trat ins Nebenzimmer. Der Fichtenhoser ging noch eine Weile sinnend auf und nieder, dann verlöschte auch er da» Licht und ging zur Ruhe. Er wollte schlafen, um all den wüsten, wirren Gedanken zu entfliehen, die in seinem Gehirn herumwirbeltcn wie sahleS Laub im Herbstwinde. Er schloß die Augen, aber der Schlaf kam nicht. Wohl ei» Dutzend Mal Halle er seufzend die heißen Kisten binausgeschoben, aber immer noch lag er hart und unbequem. Ein seltsames Singen und Sausen iu den Ohren bennrnhigte ihn, er wußte nicht, daß die ungeheure Aufregung diesen Zu stand herbeigcführt habe. Mit offenen Augen lag er da und starrte inS Dunkel Ring» um den stillen Raum, in dem er athmete, lag da» weite, gewaltige New-L)ork — eine fremde Welt. Hundert tausende von Menschen lebten in dem Häusermeer, aber unter ihnen b-fand sich kein einziger Freund. Die Mcnschcnflnth, welche am Tage die Stadt durchwogte. war für ihn so kalt und mitleidslos wie der Ocean, welcher sich mit seinen dunklen unermeßlichen Wastcrmassen zwischen ihn und die Heimath ge legt halte. Hörte er nickt aus der Ferne feine Wogen donnern? Nein, es war das ei» anderes Rauschen und Brausen. Tausende von Wagen rollte» noch durch die Straßen der City, und von nah und fern flössen die Geräusche in einander und vereinten sich in einen Hall, wie man ihn an der MecrcS- brandung hört. I» der umnachtcten Kammer war'» still, so still, daß der Schlaflose daS Pochen seines Herzen» hörte. „Wenn ich das unruhige, heiße Ding in meiner Brust zum Stehen brächte", sagte sich der Fichtenhoser, „dann käme der Schlaf — ein tiefer, ewiger Schlaf — ein Schlaf ohne Traum." Jetzt zuckte ihm die Frage durchs Hirn: „WaS Hab' ich noch vom Leben zu erwarten?" Er war alt geworden. Viel leicht ries ihn schon nach wenigen Jahren der Tod ab. Sollte er, der fast ein Menschenalter hindurch zu herrschen gewohnt war. jetzt am Abend seines Lebens sich in das Joch beuge», als Knecht arbeiten, um karge» Lohn z» erwerben? lind wenn er fick gar für die Arbeiten in der Fabrik nicht eignete, wenn seine Marieli» ihn miternähren sollte, ihn und den Konrad? Die Nacht vergrößert und verzerrt alle Dinge, und die Bilder unserer Phantasie nehmen, wie die Erscheinungen im Hohlspiegel, ungeheuerliche Formen an. So sah der schlaflose Mann bald eine entsetzliche Zukunft vor sich, er sah sich und die Seinen in einem elenden MicthShause aus Stroh gebettet, er sah sich im Geiste als Bettler, in Lumpen gehüllt an der Straßenecke stehen, er sah, wie an Marieli» die Versuchung herantrat, sah sie vor der Wahl zwischen der Schande und dem Elend Ein Stöhnen rang sich au- seiner Brust bei diesen unge henerlichc» Vorstellungen, und der kalte Schweiß perlte ihm aus der Stirn. Eine namenlose Angst vor der Zukunft überkam ihn. Er wollte nicht weiter leben. Im Dunkel erhob er sich. In seinem Koffer lagen zwei Pistolen, beide scharf ge laden. Ein Schuß — und er war allem Elend entronnen, da» ihn bedrohte. Marielis konnte vielleicht noch glücklich werden, wenn er starb, aber niemals, wenn er sich als ein Bleigewicht an ihr Leben klammerte. Zitternd tastete er im Dunkel nach dem Koffer, dann lauschte er mit angehaltenem Odem, ob sich kein lebende» Wesen rege, und al- Alles still war. öffnete er den Koffer, warf die Kleider zur Seite, welche die Waffen bedeckten, und zog diese heraus. Al» er die kalten Läuse befühlte, war e» ihm, als halte er den Schlüssel zur Befreiung au» einem entsetzlichen Kerker in der Hand. Er zauderte nicht, er hatte nur da» Gefühl der Erlösung. Schon wollte er hastig den Hahn spannen, da fühlte er, wie ein nasser. kalter Gegenstand seine Hand berührte Erschreckt fuhr er zusammen. Linda, die vor dem Bette Konrad'» geschlafen, hatte sich erhoben und beschnüffelte eben die Hand de» Herrn. Dieser streichelte den Kopf de» treuen Hunde», der sich jetzt wieder aus seinen Ruheplatz »iederkauerte. Die Unterbrechung ries bei dem fieberhaft erregten Manne den Gedanken an seine Kinder wach Noch einmal wollte er sie sehen, noch einmal ihre Stirn küssen und dann sich fort stehlen au» der trostlosen Well. Behutsam zündete er ein Licht an und schritt in da» Nebenzimmer. Vesten Thür nur angelehnt war. Die Linke vor die brennende Kerze haltend, beugte er sich über da» Bett seiner braven Tochter. Marieli» war bang und zagend zu Bett gegangen DeS Vater» Trübsinn hatte sie beunruhigt; auch war ihr Muth bedeutend geschwunden, al- sie sich allein in der Kammer befand. Ihre Gedanken wandten sich Franz zu, und eine tiefe Sehnsucht hatte sich ihrer bemächtigt. Ach, wenn er jetzt in ihrer Näbe weilte! Sie hätte ihn umsaffen und ihm zurufen mögen: „Franz, rette un«I" Da aber der Geliebte fern war, hatte sie sich >>n Gebete ru Gott und zu ihrer Mutter ge wendet, und betend war sie vom Schlafe Überwältigt worden. Aber ihre Seele mußte noch im Traume beim Gebet sein, denn al» Götz jetzt aus die blonde Schläfer!« sah und ein Lichtstrahl aus da» Gesicht derselben fiel, bewegte sie im Traume die Lippen Wie gebannt bingrn die Blick: des Leben-müden an seinem Kinde, da» im vollen Zauber der Schönheit „uv Lieb lichkeit vor ihm lag. Er gedachte der Zeit, da Ma iclis ihm unendlich thcner war, da sie aus seine» Knien spulte und er sie allabendlich vor dem Schlafengehen zärtlich betrachtete und küßte. So weich wie Flaum war damals ihre Wange, so rosig ihr Mund, so lieb und war», ihr Hauch .... Er mußte sie küssen, wie in früheren Tage», und als er cs tbat, fiel eine Thräne auS seinen brennenden Auge» aus ihre Stirn herab Unter der Berührung bewegte die Schläfen» wieder die Lippen und flüsterte im GebeteStone: „Tröste — Du den ar — men Va — trr. Gott, ver — laß uns nickt!" Der Fichtenhoser hatte gespannt auf die Worte gelauscht, Van» rang sich ein Stöhnen au» seiner Brust. Erschreckt trat er tief in den Schatten. Da betete da» liebe Kind im Traume und flehte Gott an, er möge sie nicht verlassen, und er stand im Begriffe, sie preiözugeben! Ec trocknete sich den Angstschweiß von der Stirn und tanmelle aus dem Zimmer. Wie er aber dort eintra!, fiel der Schein dcS Lichte» aus de» schlafenden Konrad, vor dessen Bett sich der Hund ausrichtcte. Bei dem Anblick war eS ihm, al» ruse eine Stimme irgendwo im Dunkel: „Der Hund ist treuer al» Du!" Jetzt mit einem Male kam er sich feige und verächtlich vor. Rasch steckte er die Pistole» weg und trat dann an» Fenster. Seine Augen suchten die Sterne. Er fand den Abend- siern, dessen goldigen Glanz er so osl aus dem Fichtcnbose bewundert hatte. Wie er da« strahlende Gestirn erblickte, kam er sich nicht mehr verlassen vor. Derselbe Himmel wölbte sich über der fremden Erde, und der Stern schien ihm sagen zu wollen: Du. Mntbloser, schäme Dich! Ueberall ist da» Dein Vaterhaus, überall webt der Odem Gotte»! Harre auS, bleib' auf Deinem Posten, bis der Tod Dich abruft. ,Ja, ich will treu sein, mag kommen, wa- da will", raunte sich Götz selber zu, als er die Kerze verlöschte. (Fortsetzung folgt.) Marine. der wir. * De», Nachtrag zur Rang- und Ouartierliste deutschen Marine für da» Jahr 1888 entnehme» daß die deutsche Marine 2 Diceadmirale (Gras v. Mont» und v. Blanc), 5 Contrcadmirale (Freiherr v. d. Goltz, Knorr, Pasche», v. Kall, Deinhard) zählt. Capitaine zur See hat die deutsche Marine 29. Prinz Heinrich ist bekannt lich Ccrvetten-Cap tai». Von den in Dienst gestellten Schiffen und Fahrzeugen befindet sich ange»bl>ckiich eine größere Anzahl in außerheimischen Gewässer». Ans der ost- asiatischen Station sind die Kbt. „Iltis" und „Wols". aus der australischen Station S. M Kreuzer „Adler" »»d S. M. Kbt. „Eber"; aus der ostamertkanischen Station S. M. S. Ariadne" (Schiffsjungenschulschiff für den 3. Jahrgang). Cvmmandant der „Ariadne" ist der Capital» zur See Ba- rando»; aus der ostafrikanischen Station befinde» fick die Kreuzer „Möwe" und „NantilnS", auf der westasrilaniscken Station der Kreuzer „Habicht" und daS Kanonenboot Chklvb"; aus der Mittelmeer-Statio» befindet sich S. M. Fahrzeug „Loreley". Ferner übt daS Kreuzergeschwader in außerheimischen Gewässern; da» Geschwader besteht auS der Kreuzersregatte „Bismarck", die später durch die Krcuzersre- gatte „Leiprig" ersetzt werden soll, ferner an? den Krenzcr- corvetten „Carola", „Olga" und „Sophie". Gescbwaderches ist der Capitain zur See und Commodore HeuSner. * Da» soeben erschienene Aprtlhest der Monatshefte zur Statistik des deutschen Reiches enthält Mittheilungen über die A»mnste< rillig von Vollmatrosen und unbesahrenen Schiffs jungen bei der deutschen Handelsmarine im Jahre 1887. Danach betrug die Zahl der anaemusteilcn Vollmatrosen 13 419 gegen 13 319 im Jahre 1886. In den Häsen des Nortseegebieies hat sich die Zahl dieser Anmusterungen gegen da? Vorjahr im Ganzen nm 2.3 Proc. vermedrt, und namentlich hat sie im Hasen von Altona eine starke Zunahme erfahren (von 723 im Jahre 1886 aus 1065 tm Jahre 1887 oder uni 47,3 Proc.), welcher allerdings eure Ab nahme der Aiiniusterungen >,n Hasen von Hamburg gegeniidersteht (von 5086 im Jahre 1886 ans 4870 >m Jahre 1887 oder »m 4,2 Proc ). Weiler weisen die Häsen von Bremen, Geestemünde und Brake gegen 1886 eine vermehrte Zahl der Vollinaüose»-Anmnste- rungen aus. Im Ostseegebict sind dieselben im All >c,neincii zurück- gcgangeii (imGanzen um 2,5Proc.), namentlich i» Flensburg, Memel, Rostock und Danzig: nur i» Pillau, Kiel und Stettin hat eine Zunahme stallgesuiiden. Aus einer Zusammenstellung für die letzten zehn Jahre gehl hervor, daß die Gesanimtzahl der betreffenden Anmusterungen «Nord- und Ostieegcbiet zlisammengenoinmen) von 12 180 im Jahre 1878 aus 14 101 im Jahre 1884 gestiegen, sodann 1885 ans 12 94? heruntergegangen ist, um in den beiden folgenden Jahre» wieder aus die »bei, angegebenen Ziffer» sich zu heben. — Die Zahl der Anniusterunge» von uiibcsahrene» Schiffsjungen (d. h. von solchen, welche Seesabrt n aus Üausiahrteischiffc» noch nicht geinachl hatten) ist von 2260 im Jahre 1878 aus 2629 im Jahre 1883 gestiegen, hat aber von da ab einen beträchtliche» Rückgang ersah en und betrug 1887 nur 1940. Dieser Rückgang siebt zum Theit »nt der Abnahme des Segelschiff-Verkehrs im Zusammenhang, da Segel- schiffe säst stet- Jungen an Bord führen, Dampsschisfe dagegen viel- sach nichi. — Die durchschnittliche» MonaiShcuern berechnete» sich, svw-it Anmusterungen init Beköstigung i» Frage komme», für Voll matrose»: 1878 zu 51,25 .4, 1879 43,63 X, 1880 43 .-k. 1881 43.13 1882 45,13 .6. ,883 47,74 1884 47.61 .« 1885 «6 63 >«, 1886 45,01 .« und 1887 44,30 ^tl; sür Schiff-junge»: 1878 zn 17,72 .< 1879 15 1880 15,06 .1, 1881 14.7t ./t. 1882 15,37 .X. 1883 16,02 1884 15,76 .äl. 1885 14,75 ./l. 1886 14,10 .4! lind 1887 14,25 herou'gegeben Kopenhagen. Mlitairisches. * Die „Dänische Mtlitaert Tidsskrtst' von der KriegSwiffenschafilichen Gesellichast in schreibt im Decemberhest, Jahrgang 1887, über den Stand der Repetirgewehr-Frage tu Dänemark, wie folgt: „Vor 7 oder 8 Jahre» wurden Versuche mit Repetirwaffcn begonnen und seitdem stetig sortgesetzt, so daß dcr überwiegend größere Dheit der bekannte» Modelle probirt wurde. Bei diese» Versuchen hat man mit dem ainerikantschc» 11-mm-Leegcwchr, hinsichtlich leichter uns rascher Bedienung, durchgehend- die besten Ersolae erzielt, auch genügte der Mechanismus desselben allen gestellten Ansoiderungen init Bezug aus Haltbarkeit Es wurde daher dieser Mechanismus weiteren Versuchen bei den Truppen zu Grunde gelegt. Die Versuche mit einem Reculgewehr befinden sich zur Zeit noch in einem wen gcr sortge- schrittenenStadiuni. Seit 1883 experimentirie man mit kleinkalitrigen Gewehren, z» Nnsang mit Gewehren und Patronen von Rubin und Hebler und seit Ende 1884 an-lchließlich mit selbstständigen Co ftructioaen. Ende 1885 waren die Versuche soweit gediehe», das; ein 8-mm-Grwebrlaus nebst dazu gehöriger Patrone vorgelegt weide:, konnte. Späterhin ging man zu einer anderen Pulversorle über, im Uebrigen sind jedoch nur Aendernngen von geringer Bedeut»,,, vorgenommen worden, so daß die Laus- und Patronensrage, wen,,- stens vorläufig, al« »um Abschluß gebracht angesehen werde» kann Im Herbste 1886 wurde ein Gewehr mit 8-wm-Laus und modificirtr», Leemechanismus vorgelegt, und ließ das Krieg-Ministerium da»,:'.' nach diesem Modell 520 Gewehre ansertigen, welche probeweise an die Truppen auSgegeben wurden. Die gemachte» Vnsuche g,b n Bcranlaffuug zu einigen Ausstellungen bezüglich des Mechanismus, und sollen dieselben daher im Lause de- Jahre- 1888 mit de n genannten Gewehr, eventuell auch mit dem Krag-Iörgensen'schen Halbkapselgewehr fortgesetzt werden." Socialpolitilches. * Ltrasaesanaene, mögen sie in oder außerhalb der Gesang, n- j onstalt, in staatlichen oder privaten Betrieben beschästigt werden, > sinv al- Arbeiter im Slnne des Unsallversicherung-qesetzes nicht I anzuseben, mithin nicht verstchernngSpslichtlg Demgemäß
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