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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188806176
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880617
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880617
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-06
- Tag1888-06-17
- Monat1888-06
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1888
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Werte Beilage zum Leipziger Tageblatt und Anzeiger. Kitt. Sonntag den 17. Juni 1888. 82. Jahrgam, Zu spät. Skizze von Karl Krüger. Kaittruck verbeten. Der Arzt schüttelte das Haupt, druckte de» goldene» Knopf seines StockcS fester an taS stattliche Kinn und wandte sich dann von der Kranke» ab, die regungslos, mit geschlossene» Augen, aus dem Bette lag. Sie mochte etwa süusunvdreißig Jahre zählen. Der Mann, welcher an ihrem Bette gesessen, war etwa siins Jahre älter. Hastig sprang er ans und eilte aus de» Arzt zu. Nu» kounle mau sehen, daß er etwaö unter Mittel große und daß seine rechte Schulter dicker und höher war alS die andere. „Keine Hossnung mehr. Herr Doctcr?" ächzte er. Der Arzt schüttelte abermals daS Haupt. „Nein, Herr Geheimrath — ich glaube nicht, daß irgend eine menschliche Macht Ihre Cousine noch zu rette» vermag. Meine Knust ist Z» Ende. I.'. zwei Stunden komine ich wieder." Ci» erstickter Schrei drang von der andere» Seite teS Bette- her. Hier kniete ein vierzehnjähriges Matche». Jkr Haupt sank aus die Bettdecke. Der Arzt aber schritt der Thür zu. wo eine barmherzige Schwester stand, und sagte derselben leise einige Worte. Die Schwester begleitete ihn hinaus. Der Geheimrath aber war zu dem jungen Matche» ge treten. Diese erhob ihr von Thränen liberströnites Gesicht. .Ach Onkel," schluchzte sie, „muß Mama de»» sterben? Und wir hatten so viel von der Kunst der Berliner Aerzte gehofft!" Der Gebeimrath küßte sie ans die Stirn. „Math, theurcS Kind!" sprach er. Aber auch seine Wimpern wnrten seucht. Tan» sank er in einen Korbstuhl und bedeckte sein Antlitz mit den magere» Händen. lind während er so, taS Gesicht in den Händen ver borgen, da saß, zogen die Jahr- seiner Jugend a» ihm vorüber. Cr erinnerte sich, wie er Cäcilie zum erste» Male gesehen. Damals war er vierzehn, sie nenn Jahre alt. Sei» Vater, ein höherer Beamter i» Schlesien, batte mit ihm die Ver wandte» im Poscnschcn besucht. Und während die Eltern »» Speisezimmer beim Frühstück saß'», war der Knabe mit Cäcilie i» ken Garte» gegangen und hatte sie dort geschaukelt. Ihre braune» bocken flogen. „Höher, Richard, Höher!" Und er stieß die Schaukel aus allen Kräfte», sich selber daran bängend. „O Richard, wie schön, wie herrlich!" Endlich hörte er auf. „O. schaukle mich doch noch!" bat sie. „Ich — kann nicht mehr!" antwortete er leise und preßte sich die Hände. Sie wars eine» Blick aus ihn, bohrte die Sp'tze ihrer Stieselche» in de» Sand und sprang dann a»S der Schaukel. .Setze Dich jetzt hinein!" forderte sie ihn aus. Cr gehorchte. „Wovon hast Du denn den Buckel?" fragte Cäcilie dann. „Ich habe keinen Buckel", antworlcte er gekränkt, „son dern »ur eine dicke Schulter." „Ja. — sie ist höher als die andere — wovon hast Tu daS?" „Mama sagte, mein Kindermädchen sei daran Schuld gewesen." „Siehst Tu, Tn hättest keinS haben müssen", bemerkte sie weise. „Ich habe auch keinS gehabt — wir sind nicht reich genug dazu — aber Ihr seid es, ich weiß cS, Mama hat cs gesagt." Und dann bemühte sie sich, die schwere Schaukel zu schwingen. Das war seine erste Bekanntschaft mit Cäcilie gewesen. Die Jahre verginge», und er sah sie nicht mehr, wohl aber erhielten er und sei» Vater — die Mutter war in. zwischen gestorben — ei» paarmal Photographien von ihr uud auch einige Briefe. Die Photographien waren aus ihrem dreizehnte» und achtzehnten Jahre. Cäcilie ward immer hübscher, auch sein Vater erkannte eS mit Wohlgefallen an. WaS aber Richard cmbetras, so schickte er keine Photographie. „WaS soll sie noch einmal meinen Buckel sehen!" dachte er voll Bitter keit. Seine Gemülhrstimiiumg war überhaupt durch den WuckSfehler beeinträchtigt worden. Er war melancholisch, ja menschenscheu. Wen» Fremde kamen, mochte er sich nicht zeigen; war er genölhigt, durch daS Zimmer z» geben, worin sie sich auslneltc», so schlich er mit verlegenem Lächeln an der Wand dahin und suchte seine dicke Schulter zu verbergen. Aber taS gelang selten und nur zu oft mußte er anhören, wie zu seinem Vater Worte deS Bedauerns geäußert wurden, dir, so wohlgemeint sie waren, doch Beide schmerzten. „Lieber Sohn", sprach der Vater oster tröstend, „eine e'.waS dicke Schulter ist doch »och lange kein Buckel — D» mackst diese Kleinigkeit aber gerade auffällig, indem Du sie verbergen willst." Doch diese Worte waren in den Wind geredet — Richard blieb verschüchtert n»d empfindlich. Mit der Zeit verlor er schließlich alles Selbstverlraucn. Er bezog die Schulen, die Universitäten, machte sein Staatsexamen, eine ehrenvolle Laufbahn öffnete sich ihm, wobei es an Forderung nicht fehlen würde. Aber er suhlte sich unglücklich. Er Halle ein wcichcS Gcmiith, daS sich nach weiblicher Thcilnahme sehnte. Doch er Halle keine Mutter mehr, die für ihn leben, keine Schwester, die ihm ihre Liebe widmen, ibm immer ein Plätzchen in ibrci» Herze» bewahren konnte. Eine Familie war ibm einst freundlich entgegen gekommen — ihr großes Vermöge» bürgte dafür, baß eS nicht auS Berechnung geschah. Zwei schöne erwachsene Töchter waren im Hause. „Äck. sie sind bloS auS Mitleid freundlich mit Dir", sagte er sich. Fahr die Familie auS und bot ihm einen Platz im Wagen an, dann ließ er sich immer zweimal bitten. Und, in der Gesellschaft der liebenswürdigen Damen sitzend, meinte er in seinem Innern: .Du bist ihnen eigcnilich eine Last!" Und dann wieder kränkte es ihn, wenn er aus den Waldspaziergängen mit einer der Töchter Zurückbleiben durste, ohne daß die Ändern sich nach ihm umsahcn. .Du bist ja gar nicht gefährlich — Tu hast ja einen Buckel!" Endlich hielt er eS nicht mehr auS. „Ich muß reisen", sagte er sich, „lange und weit reisen ... ich habe noch zu wenig von der Welt gesehen, ich bin eingerostet, ungelenk, kleinstädtisch. Eine große Reise wird mir den Horizont össnen, mir VaS Gleichgewicht der Seele wiedergeben." Sein Vater war mit bei» Plane einverstanden. „ES ist Sommer", sprach er. „Uebcrall ist eS jetzt herrlich. Reise in die Alpen, nach Tyrol und der Schweiz und im Herbste nach Italien. DaS Herz wird Dir dabei ausgehe» " So ward eS beschlossen. In E>le wurde Alles hergestekkt. WaS zu einer solchen Reise nölhig war: der Schneider brachte ein paar neue Anzüge, ein paar Mäntel: der Schuh macher neue Stiesel, der Hutmacker einen Filzyul und eine seidene Reiseinütze; der Sattler besserte den Handkoffer aus und lieferte ferner einen neuen, »msangreichen. Und endlich blieb Richard nur noch übrig, Abschied z» nehmen. Mitten darin begriffen, erhielt er einen Blies von seiner Cousine Cäcilie. Sie theilte ihm mit, daß sie mit ihrer Mutter seit ein paar Tagen in Mönchgut aus Rügen in dem kleinen Bade orte L. wohne. D>e< Schreiben — daS erste seit drei Jahren — wars all« NeiseplSn« Richard'« über den Haufen. Tyrol, die Schweiz. Italien, sie kamen ihm plötzlich öde und langweilig vor. Wieder tauchte daS Bild seiner Cousine vor ihm auf. Wie all war sie nun? Er rechnete. Sie war süns Jahre jünger als er, mußte also jetzt zwanzig Iahte zählen. Eine mibe» zwittgtiche Sebiisuchl, an« Meer zu eile», übersiel ihn. Ec hörte eS rauschen und locken, daS Gewässer der Ostsee, er glaubte daS Geinurmel ihrer Wellen zu hören . . . u»v dort, an Rügens waldigem Strande, wandelte die liebliche Cousine. Sie hatte ihm geschrieben — nach drei Jahren wieder. Dachte sie noch seiner? Und mit welchen Empsiiidungen? Der Entschluß stand fest—er reiste nach Rüge». Aber warum cS den Leuten verrathe»? Prograi»mäßig reiste er nach Berlin -- von kort auS aber eilte er, stall nach Süden, nach Norden. Em «chiss brachte ib» vonSteltin »ach Saßnitz. Hier nahm er einen Wagen mid fuhr »ach Mönchgut hinunter, dem Bade orte L. zu. Es war spät Abend als er anlangte, die Sonne war purpurn im Westen untergegangen, DaS Meer plätscherte... diese Wellen, hatten sie auch Cäcilie umschmeichelt? War ihr kleiner F»ß vor deren neckischem Spiel geflohen, balle sie laut ausgckreischt, als diese Welle hier ihren Fuß berührt? Die Dämmerung war in Dunkel überaegangen, als Richard daS WirtbshauS erreicht. Und kaum halte er ein Zimmer erhallen, als er auch schon i»S Dorf ging. Nicht eindringc» wollte er bei seinen Verwandten, dazu war eS schon zu spät; aber das Bild ihre- HauseS in seine Seele ansnehmc» — dann, wenn er wußte, wo eS lag, verlor er morgen keine Zeit mehr mit dem Suchen. Der Mond leuchtete Richard aus seinem Wege. Einem Hanse, an besten Fenstern Licht schimmerte, näherte er sich. Ein Fischermätchen stand vor der Thür. Er fragte sie — sie deutele in eine Schlucht hinein. „Tort, immer weiter, HerrDer junge Mann eilte in den Wald. Kaum konnte er seinen Weg sehen. Er lief und lies — der Wald schien kein Ende zu nehmen. Sollte er umkehrcn? Nein, »och nicht, erst noch weiter. Er lies und lies — und plötzlich sah er wieder Felder vor seinem Blick anSgcbreitet. Mehrere Häuser staiidcn längs eines WegcS. Er eilte denselben zu: zwei weibliche Gestalten wan delten langsam dahin, und Nichard's Herz sing mir einem Male au zu pochen. Nun batten sie seine Schrille gehört — eine von ilmen wandte sich um, und er schaute in ein paar dunkle Augen. „Richard!" „Cäcilie!" „Richard, Du hier? Du bist also gekommen? Und ... Tu bist cS wirklich? O wie groß bist Du geworden! Laß Dich koch betrachte»!" Sie schaute ihn fest an, er aber schlug den Blick zu Boden. „Gleich wird sie deinen Buckel sehen!" sagte er sich verbittert. Ihre Stiiyme aber klang unbcsaiigcii wie zuvor: „Ja, Du bist es noch." „Ja — den Buckel habe ich noch." Sie schien ihn nicht gehört zu haben. „Mama, cS ist Richard." Seine Tante hatte bisher still dabei gestanden, jetzt gab sie ihm die magere, knochige Hand. „In, D» bist cS . .. ich habe »ur meine Brille nicht bei mir. Willst Tu auch hiiieiugeheil?" fragte sie, sich einem Hause zumcildenv. „Nein, liebe Taute — ich wollte auch heute nicht eigent lich. zu so später Stunde, einen Besuch macheu. Ich wußte nicht, daß eS so weit vom WirthShans ist." „Wohnst Du da?" fragte Cäcilie. „Dann findest Du Dich nicht allein hin — ich werde Dich führe», Minne wird mich begleiten. Sie ist die Tochter unserer Wirlhsleute." Minne kam und war bereit. Richard nahm Abschied von seiner Tante, nin, von seiner Cousine geführt, den Wecz durch den Wald wieder zuriickzumachen. Die Dunkelheit darin war eine fast vollkommene, so daß Cäcilie einmal ihre Hand in seine» Arm leglc, die er dann nicht wieder lobließ. Lange, glückliche Minuten fühlte er sie so.. . I» der Nacht träumte er von Cäcilie. Von fern tönte da« Meer. „Auch zu ihr dringe» diese Töne", sagte er sich. Di» Bäume rauschten im Winde. „Auch sie vernimmt dieses Rauschen jetzt." ES war eine Reihe schöner Tage, die nun für Richard anbrach. Die wenigen Badegäste deS Ortes machten sich kaum bcincrklich, die Dable «i'büto deS WirthShauseS zählte kaum anderthalb Dutzend Gäste. So konnte er mciiicn, die ganze schöne Natur gehöre ihm allein, um darin mit Cäcilie zu wandeln, ihm der prächtige Buchenwald, taS Meer, da zu ihren Füßen sich breitete, ibm der feste sandige Strand. Und Vas Wetter stand im Einklang mit der srvhcn Bewegung seines Innern. Blauer, lachender Himmel, glänzender Sonnenschein am Tage, purpurnes Abendglüben.vor der Tämmerung, Millionen Thauperlen, blitzend wie Diamanten, an GraS, Bäumen und Sträuchern am Morgen. Der Badeort war nur klein und besaß nur einige Hütten am Strande, die den Herren und Damen zu verschiedenen Zeiten zum Baden dienten. Zum Strande führten zwei Wege: einer direct zur Badestclle. ein anderer weiter süd wärts. wo ein Vorsprung deS AbbangS die Badenden de» Blicken entzog. Dorthin schritt Richard jeden Vormittag, »m Cäcilie z» erwarten. Ter Weg wurde ihm nie lang. Ueberall im Moose fand er reise Ectzbeeren, die er sorglich in einem Gläschen samnielte, um sie seiner Cousine darzu bringen. Er war eS gewohnt, mit ihr an dieser Stelle zu- saminenzutresscn und hier zu srübstücken. Dann war er allein mit Cäcilie. Die Mutter war »ur einmal »iitgckomme», hatte sich bas Plätzchen angesehen und war dann weggcbliebcn. Ein paarmal hatte der junge Mann »ach ihr gefragt. Cäcilie ward etwas verlege». „Mama badet doch nickt", antwortete sie. „Sie bleibt also lieber bis zum Mittagessen zu Hause." So war eS in der Thal. Im Grunde war eS Richard so ganz recht. Allein mit seiner schöne» Cousine, suhlte er nach anderer Gesellschaft keine Sehnsucht, kein Verlangen nach anderer Unterhaltung. Der Geheinirath seufzte. Ach. »och immer war sie lebendig i» ihm. die Erinne rung an jene Tage aus Rügen, wo eS ihm vergönnt ge wesen, mit der, die er liebte, zusammen z» sein in einer Umgebung, wie sie idyllischer kaum gedacht werden konnte, ui einer Natur. deren Anblick daS Gnniitb weitet, es hinauShcbt aus den engen Schranken der Ge wöhnliche». Und er — er war §umm geblieben! Er liebte Cäcilie — und brachte doch kein Wort von Liebe über seine Lippen! Eines TageS erinnerte er sich besonders — eS war der vorletzte seines Aufenthaltes aus Rügen. Er war ihm nachher merkwürdig geworden wegen des Benehmens, da» Cäcilie an demselben zeigte. Der Tag war warm und windstill; kaum ein Lüftchen rührte sich, um Richard'S heiße Stirn zu trockne», als er auS dem Buchenwalde bcrauStrat, taS Gläschen mit Erd beeren in der Hand. Das Sammeln hatte schon mehr Mühe gemacht, denn die Erdbeerzeit nahte ihrem Ende. So suhlte er sich erhitzt, als er den Strand betrat. Seine Cousine war schon da. Sie halte sich an einem Abhänge auSgestreckt, den Sonnenschirm zum Schutze vor de» Strahlen der Sonne aus- gespannt. und rührlr sich nicht. Ihr Haar war »och seucht. Vorsichtig trat er näher, sich die Stirn trocknend. Da gewahrte er. daß Cäcilie ihn mit ihren großen, ru.ikle» Augen anblickte. '> « „Du hast schon gebadel?" fragte er. „Seit einer Weile schon", antwortete sie. Sie nahm daS Gläschen: „Wie sie düsten — e« ist entzückend." „Bald wird eS keine mehr geben", bemerkte er, ihr «inen silbernen.Lössel reichend. Sie kostet« von den Erdbeeren und reichte ihm dann eine» Lössel voll. Er hatte sich neben Cäcilie gelagert. „Ich bitte Dick. Cäcilie" wehrte er ab. „Nein, D» mußt essen!" ries sie. Und sie schob ihm den Löffel in de» Mund. Bald aß sic. bald er. Noch nie Hallen ihm Erdbeere» so gut geschmeckt. Er hatte auch Wei» mitgebracht, und sie Frühstück. Und hier, am MeereSslraude, de» blaue» Hiinnirl über ihnen, ge nösse» sie ihr Frühmahl. „Wcnn cS dock ewig so bliebe!" Kachle Richard, aber er wagte nicht, eS auSzusprechen. Endlich sprang Cäcilie empor. „Wir wollen spaziere» gehen!" ries sie. Sofort vergrub er die leere Weinflasche im Sande und sie stellte daS FrühstückStörbchen in «in Dickicht. Alsdann wandelten sie am Meercsstrande dahin. WaS hatte Cäcilie nur? So eigenthümlich hatte er sie noch nie gesehen. Heute schien sie in eigenthümlicher Stimmung zu sein — ihre Bewegungen waren hastig, ihr Lacke» laut, sie schien sehr vergnügt z» sei», und dennoch fühlte eS Richard, daß Alle» nur erzwungen war. Sie bückte sich und faßte ein paür Hände voll kleiner weißer Muscheln und wars damit nach ihrem Vetter. Und dann wieder war sie ganz still, wandte sich dem Meere zu, und daraus bückte sie sich, um mit der Spitze ihres Sonnenschirm» schweigsam den Seetang zu kurchwühlc». „Was suchst Du?" fragte er. „Bernstein." „Ich werde Dir eine Bernsteinkette und Armband schenken, Cäcilie." „Danke." Und dann sah sie ihn an. „Warum?" „Weil... weil Bernstein Dir gefällt. Du sagtest cö einmal." „Co — sagte ich eS?" sprach sie mechanisch, wie in tiefen Gedanke». „Tu basi Recht — daS gcsälll mir — wer Bern stein hat, kann hexen. Aber »nie heißt der Edelstein» der seinem Besitzer Zuneigung erwirbt?" „Der Opal." „Siehst Du — de» möchte ich haben." Und sie blickte ihn an — so lange und fest, wie noch »ie . . . Er aber schlug de» Blick zu Boden. Eine Pause teS Schweigens folgte. Richard wußte gar nicht mehr, waS er sagen sollte, lind endlich platzte er heraus: „Bist Du müde, Cäcilie? Wollen wir um- kehrc» ?" „Ja", erwiderte sie mit klangloser Stimme. „Nach Hause". Und dann schrill sie schnell und eilig vorwärts, ohne sich »ur ei» einziges Mal uinzublickeii. Er ging hinter ihr — ihre Schritte aber wurden immer schneller. So näherten sie sich dem Vorsprung, über den hinaus der junge Mann jetzt, währenv der Danienbadezeit, nicht geben durste „Hast Du kort etwas vergesse»?" fragte er. Sie nickte hastig mit dem Haupte, ohne ihm daS Gesicht zuzuwenden, und winkte ihm mit der Hand, stehen zu bleiben. Er gehorchte. Als er am Nachmittag seine Tante besuchte, ward Cäcilie nickt sichtbar. Sie sei nicht reckt wohl, tust sie sagcn. Am nächsten Tage waren Mutter und Tochter abgcrcist — plötzlich, unerwartet. Die WirthStocbter Minne über reichte Richard ein Briefchen. Darin standen nur wcnigc Zeilen: „Lieber Vetter? Wir haben Nachricht von zu Hanse erhallen und müsse» schleunigst hennkehrcn. Lebe wohl! Ich wollte nur diesen schriftlichen Abschied. Nächstens schreibe ich Dir." Richard starrte aus daS Papier. Er konnte nicht fassen, WaS da stand. Am andern Tage reiste auch er heim und langte uner wartet wieder zu Hause an, zur große» Verwunderung seines VaterS. Acht Tage später kam wieder ein Brieschen von Cäcilie — eS enthielt die gedruckte Anzeige ihrer Verlobung mit einem Baumeister. Richard ersuhr erst im nächsten Jahre, daß eS ein Man» von ziemlichem Vermögen war, aber zwanzig Jahre älter alS Cäcilie. Eine Hanv berührte den Geheimralh. Er blickte aus und sah daS junge Mädchen vor sich stehe». „Mama ist wach", sprach sic. Der Geheimrath eilte zum Bett. Cäcilien'S Auge» blickten ihn an. .Ich habe Dir etwas zu sagen", flüsterte sie. »Schick Marysia weg". „Richard gab ihr einen Auftrag und neigte sich dann zur Sterbenden nieder. „O Cäcilie!" rief er voll tiefer Bewegung. „Zn spät!" flüsterte sie. „O Richard — denkst Du noch an Rüge»?" Er nickte. „Ich habe Tick geliebt, Richard!" „Cäcilie!" schrie er. „Ja. Ick dachte schon damals an Dich. Ich sollte mich verloben, Mania verlangte cS . .. ich aber ... wollte nicht. Ich reiste nack Rüge» .. . cS war ei» Aufschub — ich schrieb an Dich ... Du kamst... Und ich redete nicht — ich blieb siumin . . ." „Cäcilie. Cäcilie!" „Und ick legte eö Dir so nahe!" flüsterte sie mit er greifendem Lächeln. „Denkst Tu an Len Bernstein, den Opal? Als ick dann sortcilte, weinte ich immerzu — Du solllcst meine Thränen aber nicht sehen." Er hatte ihre Hand ergriffen und bedeckte sic mit Küsten, lind sie sah ihn an. lange, still „Ich liebte Dich!" fuhr sie mit erschöpfter Stimme fort, „aber es fehlte Dir au Selbstvertrauen . . . Damals wußle ich eS noch nicht . . . erst später!" Eine Pause. Tann seufzte sie tief. >.Z» spät!" hauchte sie. Die Thür öffnete sich und die barmherzige Schwester er schien in Begleitung eine» katholischen Geistlichen. Auch Marysia war wieder cingctrcten und warf sich schluchzend über den Körper ihrer Mutter. Diese murmelte wirre, ab gerissene Worte. „Der Bernstein ... nein, nein .. . Richard, der Opal... der Opal . < . ach! Zu spät, zu spät!" Königliches Landgericht. IV. Strafkammer. Ter Knecht Joses Grund aus Cazumitzsch. welcher in Breiten- seid in Diensten stand, war eine» TageS mit Anderen in einer Schänkwirthschast in Lindemhal anwesend und, nachdem er tüchtig gezecht hatte, mit einem ander-» Knechte nach Hause gegangen. Grund, durch den Genuß geistiger Getränke i» eine» erregten Zustand versetzt, band mit seinen, Begleiter an und schlug schließlich, m. Gekäste des Gutsherrn angekommen, aus seinen College» mit einem starken Stock. VllS der Gutsherr den Verwalter beaujtragte, Grund sestzuhalten und Potizei lerbetzuholen, eilte der Bcrwalier dem Grund, der sich z»m Fortgehen anschickie, nach. Daraus hin stieß Grund dem Verwalter gegenüber, falls derselbe ihn sestnehmen würde, schwere Drohungen aus, io daß der Angeklagte sich alio außer wegen Körperverletzung auch wegen Bedrohung vor Gericht z» verantworten hatte. Es erfolgte die Bermtlieilung des Ange klagten zu 4 Monaten 3 Wochen Gesängnißstrase. Ter Gei-chtshos bestand aus den Herren Landgerichlsdireetor Bartsch (Präsld). Landgerickls-Räthea Bielitz, Siegel, vr. Franz« und Wolfram; die Anklage führte Herr Staatsanwalt Meißner. IH. Strafkammer. k. Der als Handlungsaehilse i» hiesigen kaufmännischen Geichäste» augestellt gewesene Atircd Karl Kruhmer war beschul digt, in einer größeren Anzahl von Fällen Unterschlagung von Geichästsgeldera, sowie Urkmideiisälschung begangen zu hohen. In Rücksicht aus die fortgesetzte strafbare HanLlnngsm-iso des An geklagten und Len nicht unbeträchtlichen Betrag der Veruntreuungen erkannte der Gerichtehof unter Zubilligung mildernder Umstände aus 40 Monate Gesängnißstrase. II. Die wegen Betrugs schon wiederholt bestrafte Dienstmagd Auguste Emilie Naumann aus Prießnitz hatte sich abermals wegen Betrug? vor Gericht zu verantworten. Die Angeklagte hatte sich in drei verschiedenen Fälle» zu Gesinbedicnstcn verdungen und das üb liche Draufgeld von je 3 empfangen, in keinem Falle aber den Dienst ongetrcten. Die Angeklagte machte allerhand Entwände und will darnach die Absicht gehabt haben, wenigstens in dem einen Falle den Dienst anzutreten, jedoch durch Krankheit ihrer Angehörigen daran verhindert worden sein. AlS sie wirklich zu dem betreffenden Dienstherr» gekommen sei, habe derselbe sie jedoch schon angczeigl gehabt. Bezüglich dieser einen Falles vermochte daS Gericht nicht zur Uebersuhrung der Angeklagten zu gelangen und erkannte inso weit aus Freisprechung, vcrurtheilte dagegen die Angeklagte im Uebrige» zu ü Monate» Gesängnißstrase. III. Der Prodiictenhündlcr Karl Eduard Rudolph aus Wörmlitz, welcher des i» 8- 476.3 des N.-Str. G. angegebenen Vergehens an- geklagt war, wurde »ach dem Ergebnisse der nicht üsfcntlichea Ver handlung unter Annahme mildernder Umstände zu 1 Jahr Ge- sängnißstrase und 3 Jahren Verlust der Ehrenrechte verurlhellt. Der Gcrichtshoi bestand aus den Herren Landgerichtsdirector Jiistizrath von Bose (Prüsid), LandgcrichtSräthe» Lehman», Adam, -Barth und von Commerlati; die Anklage südrte Herr Staatsanwalt vr. Nagek, die Berlhcidigung zu I und HI Herr Rechtsanwalt Frrytag I. H. Strafkammer. Der Handarbeiter Friedrich Ferdinand Heuberer aus Deutzen, welcher nur einmal wegen Eigcnldumsvergehcn 1 Tag Gesängiiiß- strosc erlitten hat, diente früher aus dem Rittergut« Gessersdors und besaß in Deutzen auch ein Hänsche», scheint aber durch Trunk und Arbeitsscheu heruntergekommen zu sein. Eine» Tages schlich er sich in das Rittergut Gessersdors ein und enttvendcle den dort bienenden Mägde» die säumülichen Kleider. Die Taillen ver- brannlc er aus seinem Felde, und späler verfielen die Nücke dem gleichen Schicksale, nur niit dem Unterschiede, daß der An- gcllagtc sie in seiner Wohnung dem Feuer überlieferte. Der Angeklagte w ll zur Zeit der Thal völlig betrunken gewesen sein und bcniilhle sich Überhaupt in der Verhandlung, die Rolle eines etwas rinsältigen Menschen anzunehnien, allein nach den Feststellungen in den Verhandlungen hat der Angeklagte den Berbrennungsproceß mit den Kleidern höchstwahrscheinlich nur deshalb vorgenomnien, weil ihn die Angst vor der Entdeckung übcrmannt hatte. ES cr- salgte die Vcrurlhcilung Heubcrer's zu 1 Jahr 3 Monaten Gesang uißst rase und 5 Jahren Verlust der Ehrenrechte. Der Gerichtshof bestaub aus den Herren Landgerichtsdirector Sieber (Präsid), LandgerichlSräthen Sachße, Mctich und Adam und Prof. l>r. Biiiding; die Anklage führte Herr Lber-StaatSanwalt Häntzschek. Literatur. Tic Quadriga. ihre Zeit und ihre Meister, von Elise Schmidt. Berti», 1888. R. v. Dccker's Verlag (G. Schenk). — Daß die bildenden Künste f.cgni da-S Ende de? vorigen Ja rhunderls in der picußiichrn Hauptstadt keinen sondirlichc» Schutz fanden, ist eine bekannte Sache. Der Vronzcgiiß war ganz »i Vergessenheit gc- rathcn und Schlüter's Gußhaus lag verödet da, so daß Schadom sein« vom König sür das Brandenburger Tbar bestellte Quadriga in Kupferblech treiben lassen iiuißle. Selbst Rauch's Blucherstatue uiußle »ach vergeblichen Bemühungen, den Slaincnguß vo» Stock holm und St. Petersburg wieder nach Berlin zu verpflanzen, endlich »och i» Paris gegossen werden. Die ganze Entstchungsgeschichtc und die Schicksale der Berliner „Quadriga" sind übrigens sehr interessant. Sie ist niit der Geschichte einer der srnnzösijchcn, vom großen Kurfürsten ousgenoiiimeuc» FluchtlingSsamilie» innig verknüpst, der der Familie Jury nämlich, die durch mehrere Geschlechter durch Hoikuvser- schmicdc Ware». Scho» der AtlaS mit der Weltkugel ans dem Pots damer Nathhause, der schöne Wolsohund vor dem Marmortciiipel im Park zu Sanssouci, die beide» Genie» aus den beiden, den Marienkirchen aus der römischen Piazza des Popo!» nachgcbildcten Thürmeu des Berliner G iidariueiimaiktcs wurden von Gliedern der Familie Jury i» Kupfer getrieben. Den glänzendsten Punct aber dieser durch zwei J chrhuudcrte sich sortspimiiilden Künstler lausbahn dieser Familie bildet das 1794 erscheinende „Licrgelvann der Siegesgöttin" aus dem Brandenburger Thorc, welches der 4756 geborene Hofkupierschiuied Wilhelm Jury »ach einer »ur hand großen Skizze vo» I. G. Schaden» und »ach mir einem Pscrbe- »ivdell von der Hand der Gebrüder Wähler mit künstlerischer Hand in Knpser getrieben Hai. D e Verfasserin des oben genannten Buches „Quadriga", selbst ei» Sproß der Familie Jury, weiß Vieles und Fesselndes über des Meisters Lehr- und Wanderjabre, seine und seiner Familie persönliche Schicksale, sowie Schadow's Denken und Wirke» auf dem Boden seiner viclbcwcgtcu Zeit zu crzäblen, iiatär- lich auch über den Raub des Viergespanns durch die Franzose» und seine Wiederheimsührung im Triumphzuge. Adolf WeiSke. * Reichskanzler Fürst Bismarck hat der hiesigen Volksschrist- stellerin Helene Resch (jetzt KönigSplatz 44, 114.) anheimgeben lassen, auch das letzte, vierte Bändchen der Schrift „Tie Fürstin und ihr LandeSkinS" an ihn cinzusende». Daß sowohl der Kaiser als Königin Carola von Sachse» das Buch angenommen haben, wurde schon mitgctheilt. » » » Die Nr. 24 der „Gefiederte» Welt", Zeitschrift sür Vogel, liebhaber, -Züchter und -Händler, herausgegeben von Vr. Karl Ruß (Magdeburg, Crcutz'iche Leriagsbuchhanblnug, R. L M. Krelsch- maiin), enthält: Amtliche Verordnung zum Schutz des Steppen- Huhns. — Steppcuhühiier in Norwegen. — Von meinen Vögeln. — lieber den Gesang der Vögel (Schluß). — Ueber Fürsorge oder Schlauheit einer Nachligal. — Bilder aus der heimischen Vogel weit IV (Fortsetzung). — Ans Haus, Hos, Feld und Walt. — Mancherlei. — Briefliche Mittheilnngen. — Aus den Bereinen: Katlowitz; Halle a. d. S.; Weißenfils; Magdeburg; Mainz; Essen a. d. R.; M.-Gladbach — Anfragen und Auskunft. Tic „JsiS", Zeitschrift sür alle naturwissenschaftlichen Liebhabe reien. heransgegib.» von I)r. Karl Ruß (Magdeburg. Creutz'sche Verlagsbuchhandlung, R. <L M. Kretschmarin), enthält in Nr. 24: Thierkunde: Meine Meerkatze (Schluß) — Die ersten Schmetter linge ,m Frühling. — Die Lansfliegcn (Fortsetzung). — Pflanzen- künde: Die verschiedenen Verfahren der Pflanzenvermehrung (Fort setzung). — Anleitungen: Ein billiges heizbares Terrarium sür kleine Reptilien und Amphibie» (mst Abbildung). — Nachrichten aus den Naturanstatten: Berlin; Hamburg. — Vereine und Ausstellungen: Magdeburg. — Mancherlei. — Hilfsmittel für Liebhaber und Sammler (mit Abbildung). — Briefliche Miltherlungen. — Bücher- uud Schriftenschau. (Eingesandt.) Es wird so viel geschrieben und gesprochen über den Geruch des Bärlauchs im Rojcnihal — der wohllöbl. Rath hat sich auch bereit finden lassen, viel zu thun, um die Geiuchsnervcn der einzelnen bevorzugicu Spaziergänger davon zu erlösen. Biel schlimmer als dies, dem doch auszuwciche», ist jctoch der Käsegecnch im Innern der Stadt, ja im Innern der Häuser! Manche sogenannte Dclicalkßgeschälte sind in engen kleinen Häusern, mit nach dem Hausflur mündenden Kellern versehen, in denen dieser sür Manch n so köstliche Dust conccntrirt bewahrt wird. Man möge nur NachtS einmal ein solches am Tage sestverschlossenes Käjeheim betrcien und man wird von Mitleid sür die armen Hausbewohner, die diese» gesunden Dust in der Nachtruhe hilflos einaiümen müssen, ersaßt. Ist überhaupt verwester Käse gesund? Eine Revision der Keller, deren Oessnungen »ach dem Hausflur münden, wäre jeden falls, in der heißen Jahreszeit wenigstens, wohl om Platze, ebenso der ost mit Schlamin verstopsten Schleusten, der engen Höfe und der vielbenuhten und schlecht verschlossenen Aborte der selben.
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