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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.07.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-07-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188807147
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880714
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880714
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-07
- Tag1888-07-14
- Monat1888-07
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.07.1888
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Erste Beilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger. IW. Sonnabend dm 14. Juli 1888. 82. Jahrgang. ver Graf von Warteck. Novelle von A. Osterloh. Nachdruck Verbote», . (Fortsetzung.) Wenige Tage daraus kam zu ganz ungewöhnlicher Stunde rin Aries von Natalie. Noch ehe sie die Schrill kah, hätte Nina die Absenderin e»ralhen können an dem großen Mono- grannn niil der Krone. daS die Halste de, eisten Sette bc- dcckle. Ta es ihr ziemlich gleichgillig tvar, aus welchem seiner Jagdschlösse! der Prinz zur Zeit weilte und waS sür eine Toilette die Prinzessin zum letzten Balle angehabl hatte, öffnete sie den Aries ohne lebhafteres Interesse, aber bald volle Herr auch nicht war. hatte einmal gefragt, warum der Gras, der doch so wenig Umgang habe, nicht sUr diesen ein zigen Jemand ihm Angenehmeren ausgesucht habe. „Er war schon hier, als ich kam." hatte Kuno erwidert, „und wenn den Bauern seine Predigtweise gefällt, so ist eS mehr werth, als wenn sie meinen Beifall hätte; ich gehe ja doch nickt in die Kirche." Heute war der Pastor in Gemeindcangelegenheitrn ge kommen. und die beiden Herren hatten lange im Zimmer des Grasen conserirt. Am Abend kam Kuno nicht wie gewöhnlich zum Thee ins Wohnzimmer, und bald merkte sowohl die Gräfin als auch Nina, daß der Pastor entweder der Ucber ließ sie da« Blatt mit einem AuSruse dcS Erstaunens fallen ! bringer einer unangenehmen Nachricht gewesen war. oder daß und blickte kopfschüttelnd vor sich hi». l sonst etwas Fatale» Passirt wäre, denn von dem Tage an war Eine unangcnebme Nachricht?" fragte Kuno, der, in ihrer' """ verlt,»,",« l?r der ln»l> d,- Nähe stehend, sie beobachtet hatte. „Meine Schwester bat sich verlobt", erwiderte Nina ruhig. „Oh! dan» gratu'ire ich von Herzen!" ..DurckauS keine Ursache", meinte Nina trocken, immer noch vor sich hinbbckond. al» könne sic sich in etwas ganz Unerwartetem gar nickt znreck»finden. „Es scheint, daß der Auserwählte Ihrer Schwester Ihre Sympathien nicht genießt, Fräulein Nina?" fragte Kuno wieder, indem er mechanisch daS Monogramm aus ccm zcr« rissenen Eouvert betrachtete. „Kennen Sie ihn denn?" .Ob ick ihn kenne!" ries Nma lebhaft, .war er es dock hauptsächlich, der mich aus dom väterlichen Hause wegtricb, weil er mir in seiner derbe» Weise den Hos machte und mich, alS ob er meine Abneigung gar nicht bemerkte, mit seiner Liebe, — er nannte es wenigstens so! — verfolgte. Und nun zu denken^ daß Natalie mit ihrem seinen, zimperlich seinen, einpsinksamcn Wesen diesem Manne angehören will, dessen Manieren allein ihr jcdcSmal einen Stich durchs Herz geben müsse»; ich kann nickt begreifen, wie er unter den Ojficierc». bei denen doch der äußere Scklisf eine so große Hauptsache ist. sorlkomme» konnte; er soll allerdings in seinem Fache sehr tüchtig sein; aber roh und ungehobelt, inncrtick und äußerlich, und daß Natalie das letztere übersieht, ist mir un begreiflich Hören Eie, was sie mir schreibt: „Ich wollte selbst die Erste sein. Dir mitzuthcilen, daß ich mich verlobt habe; mein Bräutigam ist der Major von Wilsdorf, den Tu auch kennst", nur zu gut! „ein schöner Mann aus alladeligcr Familie, als sehr befähigter Soldat bei seinen Vorgesetzten und auch bei Majestät sehr beliebt. Papa ist sehr erfreut über unsere Verlobung. In meinem Alker ist man über die schwärmerischen Neigungen glücklicher Weise hinaus, und ich denke, wir werden sehr glücklich zusammen werden." DaS ist Alles. Sie giebt sich wenigstenö keine Mühe, viel Liebe zn heucheln " „Sie sind sehr streng, Fräulein Nina", erwiderte Kuno, „Wie alt ist Ihr Fräulein Schwester?", „Bald dreißig." „Zürnen Sw ihr nicht", sagte ernst und mild Kuno, „ich kenne Ihre Schwester nicht, aber sie denkt wahrscheinlich nicht, noch viel Aussichten auf eine glückliche Verheiralhung zu haben; und besonders wen» man jüngere Schwestern hat, ist eS so schwer, älter und älter zu werden und zu empfinden, daß Jugend und Schönheit vergehen und man bald zu den „alten Jungfern" gezählt wird. DaS ist sehr hart, und einem einsamen Aller zieht man oft eine leidlich zufriedene Ehe vor." „Aber einen solche» Mann! wer sich dazu entschließen kann!" und Nina schüttelte weder staunend de» Kopf. .Wozu entschließt man sich nicht?" meinte Knuo, „hatte sich einmal dock sogar eine junge Dame — sie war noch jünger als Ihr Fräulein Schwester — aber die älteste von sechs Schwestern, arm, wie Kirchenmäuse, und stolz, wie — nun, wie eS eben nur arme Adelige sein können, auf Wunsch ihres verschuldeten VatcrS entschlossen, Majoratsherrin von Warteck zn wcrd.'U, und schrak sogar nicht zurück, als sie mich wirklich leibhaftig erblickte. Meine Mutter hatte ohne mein Wissen und Willen eine Entrcvue arrangirt, sie halte eS gut gemeint, aber ich war ihr sehr böse; das einzige Mal, daß ich einen ernstlichen Streit mit ihr Halle." „Aber, Herr Gras", prolestirtc lebhaft Nina, „daS ist dock etwas ganz, ganz Andere»; Sic und der rohe, ungebildete Major." „Der schöne Major", crwiderte mit Betonung Kuno. „Verstehen Sie mich reckt!" fuhr er fort, als Nma ungläubig de» Kops schüttelte, „ick weiß recht wohl, daß bei Männern nicht hauptsächlich aus Schönheit gesehen wird; ein geistreicher, ein interessanter Mann darf häßlich sein; — aber — wer so entstellt ist, wie ich, darf sich nicht in der trügerischen Hofs nung wiegen, daß daS übersehen werden könnte. Ich begreife es ja selbst ganz gut, eS würde mir ebenso gehen; ick kann Ihne» sogar einen BcweiS dafür gebe». Denken Sie, ich hatte eine Tante, ein liebenswürdiges, heiteres, ncttcS Fräu lein, mit der ick mick gern unterhielt und die ich gewiß sehr lieb gehabt haben würde, wenn sie nicht an der Nase eine große braune, bcbaartc Warze gehabt hätte. Das störte mich dermaßen, daß ick meine Tante trotz aller ihrer guten Eigen schaften nickt leiden mochte und schon als Kind weder durch Drohungen noch durch Versprechungen dazu bewegt werden konnte, ihr einen Kuß zn geben. Ja, Sie haben Recht. Fräulein Nina, wenn Sie vorhin sagten, daS sei etwas Anderes, nur daß der Vorlheil ans Seiten deS Major» ist. Geben Sic einmal Achtung, wie Wenige sich über die Verlobung Ihrer Schwester wundern und wie Viele, »ein Alle, hätten die Hände über dem Kops zusammen geschlagen, wenn ich damals daS Opfer der unglücklichen Agnes angenommen bäkte. Sie sah aber auch aus wie ein Opferlamm, und ging nur gesenkten Hauptes und mit nieder geschlagenen Augen einher, »ngesähr als wäre sie zum Tode verurtheilt oder zn lebenslänglichem Gefängnisse; und daS rührte mich! Um so mehr alS sie auch gleich drei oder vier Schwester» mitgebrackl halte und einige Cousinen, — der Chor der gefangenen Trojanerinnen — die, so lange ich an wesend war, ebcnsatts die Augen niedcrschlugen, sobald ich aber einmal da» Zimmer verließ, sich mit jammervoll er hobenen Blicken ansahen. Ich sage Ihnen, eS war ein er hebendes Bild; nur fürchtete ick, ich könnte aus die Dauer desselben überdrüssig werden, darum war ick wirklich außer Stande, de» Wunsch meiner Mutter zu erfüllen. Sie gab auch dann ihre» Plan, mich zu verbeiralhe», definitiv auf; eS hätte sich auch Niemand mehr gefunden; ja, wenn ich noch alt und si ch wäre, aber so, jung und kräftig, wie ich bin, hätte die Unglückliche wenig AuSücht, ihr Opfer belohnt zu sehen und fröhliche Wittwe zu wcrden. Nina'S Züge batte» sich versiastert. „Schämen Sic sich, so zu sprechen," sagte sie ernst, „waS habe» Sic für ein Vergnügen daran, von den Menschen immer das Niedrigste und Schlimmste zu denken; Sie haben sich da ein ganzes Gewebe von Schlechtigkeiten zusammen gesponnen." „Sie irren, Fräulein Nina," sagte er, bitter auslachend, „daS habe ich nicht gelhan; mein Bruder bat sich diese Mühe gegeben und mir mit brüderlicher Offenheit die Sache so dargelegt und," fügte er schnell hinzu, „ich zweifle nicht, daß er Recht hat." Nachmittags ein ziemlich seltener Besuch, der Pfarrer; er war früher öfters gekommen, aber die beiden Herren sagten sich gar nicht zu, und ohne je einen ernst haften Streit miteinander gehabt zu habe», wußten sie ganz genau, daß sie um so bester zusammen auSkämen, je seltener sic sich sahen. Nina, deren Liebling der noch junge, aber äußerst salbung- und blieb Kuno verstimmt. Er, der sonst beinahe die Hälste deS TagcS mit ihnen zugebracht hatte, ließ sich selten blicken, und wenn er kam, war er ernst und wortkarg. Verschwunden war der heilere Gleichmuth der letzten Tage und all' seine frühere Bitterkeit war wiedergckchrt. Einen Grund sür diese seltsame Mißstimmung bemühten sick die Beiten vergebens zu finden, und auch er selbst sagte nie ein Wort darüber. „DaS hätte ick wirklich nickt gedarbt," sagte Nina ein mal scherzend, nachdem sie lange der incrkwürdigen Ver änderung schweigend zugescben batte, „daß auch Sie launisck wären; ich dachte, daS wäre ein Privilegium deS schwache» GescklccktS." Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort," erwiderte er parcdirend und fügte dann kurz, beinahe barsch, hinzu, das können Sic gar nicht beurtbcilcn." Nma schwieg verletzt und redete ihn auch nickt wieder an Er aber sprach fast täglich davon, daß sie gewiß Sehnsucht nach Hause habe, daß sie vielleicht zu den Vorbereitungen für die Hockzeit gebraucht werde, daß ein junges Märchen, wie sic, sich nickt in einem einsamen, weltabgeschiedenen Schlosse vergraben dürfe und daß seine Mutter jetzt, wo der Fcühliug wicderkehre, sich gewiß eine Zeit lang ohne sie behelfen könne. Nina hörte diesen seltsamen Andeutungen mit wachsendem Ec staune» zn und fühlte sich schließlich durch die immer deud sicher hervortretende Absicht, sie auS Warteck zu entfernen, beleidigt, daß sie schon längst abgcreist wäre, wenn sie nicht die dringenden Bitten der alten Gräfin zurückgehalten hätten, die das ihr so liebgcwvrdene Mädchen durchaus nickt gehe» und einer ihr unbegreiflichen Raune ihres sonst so ruhigen und guten Sohnes ausgeopsert wissen wollte. He Eines Morgens saß Nina am Fenster deS Wohnzimmers vor ihrem Stickrahmen; sie arbeitete an einer Stickerei, die ein HockzeitSgeschenk sür Natalie werden sollte, und manchen trüben Gedanken hatte sie schon in die rothen Mohnblumen und in die goldenen Aehren hineingestickk, trüb für die Zu knnsr ihrer Schwester, trüb für ihre eigene, denn das sonder bare Benehmen des Grafen machte ihr den Aufenthalt im Hause äußerst peinlich, und sie sah wohl, daß ihres Blcibcnö nicht mehr lauge sein würde, und das machte ihr daS Her schwer, sehr schwer. Da trat der Graf in daS Zimmer. Sonst halte er ihr freundlich die Hand gereicht und mit ihr geplaudert; heute stellte er sich mit einem kurze» Gntenmorgengruß neben sie und begann schweigend die Fortschritte aii ihrer Arbeit zu betrachten. Unter seinem ruhigen, düsteren Blick begann ihre Hand zu zittern, und sie wäre am liebsten aiisgestanden und sortgegangen, aber sie wollte sich die innere Bewegung nicht anmcrkeu kaffen. „Freudige, rcthe Mohnblumen und goldglänzcnde Aehren! Man sollte meinen, eö sei lauter Glück und Sonnenschein, wofür daS lachende Bouquet bestimmt ist. Sie sticke» da eine Lüge, Fräulein Nina!" Nina erwiderte nichts und nähte krampfhaft an dem großen, ausgeblättertc», blaßrothcn Mvhnblatlc weiter. „Wann ist die Hochzeit Ihrer Schwester?" fragte er dann kurz. „In drei Wochen," sagte Nina. „Da dürfen Sie nicht fehlen, das wird ein lustiges Fest." begann er wieder mit lauterer Stimme als sonst; eS schien, als koste eS ihm Ueberwindung zu sprechen, und als kämen gerade deshalb die Worte so laut und deutlich hervor, „eS giebt ja immer viel zu thun zu einer Hochzeit, sagt man: da werden Sie gewiß gebraucht. Sie dürfen Uber die Rück sichten sür meine Mutter die Ihrigen nicht vergessen." „Warum sagen Sic mir denn nicht gleich klar und offen: „Nina gehen Sie, Ihre Gegenwart ist mir lästig und unangenehm." Sie war ausgcstandcn und sah ihm ruhig und klar inS Gesicht, während Purpurrölhe ihre Wangen deckle. „Sie sagten doch immer, daß Sie listige und Verstellung haßten; warum also die Umschweife? warum schicken Sic mich nicht ganz einfach fort? Denken Sie. daß ich Ihre täglichen Andeutungen, die schlecht verhüllten Be leidigungen nicht verstanden habe? Sckon längst hätte ich Ihre» Wunsch erfüllt, wenn nicht Ihre Mutter mich immer und immer wieder gebeten hätte zu bleibe». Sic sagen, daß dies eine unnöthige Rücksichtnahme sei. Gut; ich folge Ihne», Herr Graf. Ich bin sehr gern hier gewesen; Sie wissen es ja, und selbst diese letzte Zeit wird nicht die Erinnerung an die vielen, schönen Tage, die schönsten meines LebenS, auS- zulöschcn vermögen. Ob Sie wohl und recht daran gcthan, ohne Grund — denn ick weiß, daß mich keine Schuld trifft — Jemand zu kränken und von sich zu weisen, der Ihnen in wahrer Fircundschast zugethan war, weiß ich nicht. DaS ist Ihre Sache. Leben Sie wohl." Sie ging ruhig mit einfacher Würde an ihm vorüber und wollte eben zur Thür hinaus. „Nina! Nina!" ries eS so angstvoll, so selig und sehnsuchts voll; sie blieb einen Augenblick stehen, da war er auch schon an ihrer Seite. „Mag kommen, WaS da will; ich kann, ich will es nicht ertragen, daß Sie falsch und schlecht von mir denken. Sic sind hart und grausam und Sie wolle» mich nicht verstehen. Kennen Sie mich denn so wenig, laß Sie denken, eS sei eine Laune, daß ich daS von mir stoße, waS mir daS Schönste, das Köstlichste ist? Ich habe gekämpft und gerungen; ich wollte mir selbst daS Glück Ihrer Nähe nicht verscherzen; aber che jeder Tag. jede Stunde mir von Neuem eine un löschbare Qual bringt, will ich lieber einmal für immer Glück, Hoffnung und Seligkeit, alles vernichten. Warum de», unheilbaren Kranken täglich neue Arzneien geben, um sein qualvolles Leben zu verlängern? Weg damit, laßt ihn in Ruhe sterben! Aber daß Sie so fortgehen, mit dieser falschen, dieser niedrigen Meinung von mir, da-, Nina, er trage ich nicht. Sie gehen, jetzt noch sicherer, noch unwider dringlicher, wie je; nun denn, so wissen Sie alle-: daß ich Sie liebe, wahnsinnig liebe; und da eS denn einmal gesagt ist," fügte er mit leiser Stimme schnell binzu, „vergeben Sie mir und behalten Sie mir ein gute» Andenken." Nina'S Augen hatten sich mit Thränen gefüllt. „Wenn — wenn eS so ist", sagte sie fast unhörbar mit zitternder Stimme, den Blick scheu aus den Boden gerichtet, „warum behalten Sie mich nicht hier? Ich habe e» Ihnen doch deutlich genug gezeigt, wie schwer, vi« sehr schwer es mir wird, sortzugehen". „Nina!" rief er in seliger Freude, „wäre r» möglich? Du wolltest hier bleiben, hier für immer. Du konntest Dich entschließen — wolltest mein fein, mein Weib? O Nina l meine Nina!" und jubelnd bedeckte er ihre Hand mit Küssen. Sie vermochte nicht zu reden und nickte nur leis« >«- stimmend mit dem Kopfe. „Meine liebe Nina! meine schöne Nina! meine Nina!" agte er wieder und auS seinen dunkeln Augen strahlte höchstes, vollstes Glück. Aber dann, wie wenn plötzlich über die Sonne eine graue ! Volke im Vorbcizichen sich lagert und alle», waö hell und glänzend war. düster und farblos erscheint, so verschwand plötzlich die Freude auS seinem Gesicht. und mit tonloser Stimme sagte er, indem er sich schmerzlich mit der Hand über die Stirn fuhr: ,DaS wäre so schön gewesen, Nina! Aber eS ist nicht wahr, eS kann nicht wahr sein, Du hast Dich übereilt, Nma, nicht wahr. Du hast cs nicht so gemeint? Bedenke doch Deine Schönheit. Dein junges blühendes Leben an einen Mann, wie ick, gefesselt, den die Leute nickt anschen können, obue zu chaudern. Wie hatte doch der Pastor neulich gesagt? Die junge Dame hat sich an daS einsame Leben und an Sie ge wöhnt, lassen Sie sie nickt fort, daß sie nicht mehr vom Leben kennen lernt, wenn Sie sie nickt verliere» wollen. Die selben Worte waren eS freilich nicht, aber cs war derselbe Sinn. Siehst Tu, das war'S, was ich seit jenem Nach mittage nicht vergessen konnte; der Gedanke war'», der mich, wie Du sagtest, launisck machte!" Nina sah ernst zu ibm ans. „Und das glaubst Tu? Hältst Du mich sür so ober flächlich. so leichtfertig! Du bist sehr mißtrauisch, Kuno." „Ich glaube, daS Unglück macht mißtrauisch", sagte dieser, .wenn einmal nach lauter Gram und Elend daS Glück wirk lick kommt, so glaubt mau ihm nicht und meint, eS sei nur eine MaSke, die daS Unglück angenommen hat, um uus zu täuschen. Darum macht uns daS Mißtrauen auch nur noch unglücklicher. Sieb. Nina, wenn eS wahr wäre, wenn mir noch das Glück, das wirkliche, wahrhaftige lächeln sollte, so will ich es ganz genießen, will ihm vertrauen, ganz und voll. Glaubst Tn denn, wenn — wenn eS möglich wäre, daß Du mein Weib würdest, ich würde Dich hier cinschlicßcn und abschließcn von der Welt und Dein Ge sängnißwärler sein? Nein! Du konntest, wohin Du wolltest, Tu müßtest sür mich Welt und Menschen sehen, aber dann müßtest Du zu mir zurückkehren und mir berichten und er zählen; und durch Dich sähe, hörte, erlebte ich alles! Wenn Du fort wärst, müßte ich überzeugt sein, daß Dich Liebe und Sehnsucht stets mächtig zurücktrieben, und dazu, Nina, brauchtS Vertrauen, viel Vertrauen. Ehe die Nonne das bindende Gelübde ablegt, muß sie noch ein Probejahr in der Welt bestehen. Eö ist auch kein leichtes Gelübde, daS Du ablegen sollst." „Kuno!" unterbrach ihn Nina vorwurfsvoll. „Gebe neck einmal zu Deinem Vater zurück, zur Hochzeit Deiner Schwester, da siehst Du viel Menschen; da wirst Du auch daS mitleidige Achselzucken sehen, wenn sie von mir sprechen, die tbeilnehmende Neugier, wenn sie Dich nach mir fragen. Kehrst Du dann wieder, sichst Du mich dann wieder, ohne Dich erschreckt abzuwenden, dann, Nma. will ick meinem Glücke traue», meinem großen, unfaßbar großen Glücke!" Wie Kuno gesagt hatte, so wurde eS. Nina kehrte inS Elternhaus zurück. Freilich als daS einmal bestimmt war, suchte er den Tag der Abreise immer Weiler hinauSzusckiebcn, bis schließlich Nataliens Hochzeitstag jeden weiteren Aufschub verbot. Der Abschied fiel ihm unsäglich schwer. .Wenn Du Deiner Liebe nicht mehr sicher bist, wenn Du nicht gern und freudig zurnckkehrst, so erinnere Dich, daß Du durch nichts gebunden bist und komme nicht wieder; versprich mir'S. Nma. Sie versprach es, war sie doch ihrer Sache so gewiß, daß sie den bangen Zweifel nicht begriff, der Kuno quälte. Nun war sic fort. Langsam und träge verrannen dem Zurückbleibcnde» die Stunden und zehn, zwölf Mal täglich trat er ans Fenster und spähte hinaus über die grünen Felder und Wiesen nach der langen Pappclallce, ob sich auf der grauen Landstraße noch kein Wagen blicken ließe, der die Geliebte zurückbrächte. Er wußte genau, sie konnte noch nicht kommen, er selbst hatte sie ja aus Wochen verbannt, und doch trat er immer wieder anö Fenster und doch jubelte er jedesmal aus, wenn ein Wölkchen Staub, zwischen den hoben Pappeln hindurch aufsteigend, daS Herannahen cincS Wagen« ver kündete. Er wußte ja. daß cs ein Ackerwagen sei oder die Post, die um diese Stunde nach Warteck kam, und doch klcpftc sein Herz so ungestüm, spähte sein Blick so ungeduldig — bis der Wagen an der Biegung dcS Weges sichtbar wurde und — wie immer nach der Dorsstraße ablenktc. Daun lachte er sich selbst aus und »ahm sich vor, nicht wieder so thvricht zn sein — und eine halbe Stunde später stand er, er wußte nicht, wie er hingckommcn war, roch wieder am Fenster. Wenn er früh i»S Wohnzimmer seiner Mutter trat, meinte er, Nina müsse ihm cnkgcgcntrelcn und wenn sich die Tbür öfsnete, blickte er sich um, ob nicht ihre hohe, schlanke Gestalt aus der Schwelle erschiene. Dann sprach er mit seiner Mutier von ihr. den gaiizen Tag nur von ihr; sie liebte daS junge Mädchen so herzlich und freute sich von ganzer Seele über das Glück ihres SvhneS; sie sprach ihm Muth zu, sie war fest überzeugt, daß Nina Kuno wirklich liebe und zurückkchren werde. gar » » Nina war untcrdeß in ihrer Hcimath angekommcn. ES beschlich sie doch ein trauliches, hcimatlilichcS Gefühl, als sie vom Waggonsenste, aus in der Ferne die Dächer der kleinen Stadt im Svnncnglanze strahlen sah. Der Himmel hatte ein freundliches Gesicht gemacht zu ihrem Einzuge in die Heimath, und freundlich lächelten ihr auch FinchcnS blaue Augen und ihr großer, rosiger Mund entgegen, alS der Zug in die Wartehalle cinsuhr. Sie war allein gekommen, um die Schwester abzuholen, zu Hause hatten sie alle „so schreck lich viel" zu thun. „ES ist zu herrlich, daß Du wieder da bist." jubelte sie, als sie sick immer und immer wieder an Nina'S Hals warf und ihre Wangen uiit Küssen bedeckte, „nun wird eS auch wieder sckon zu Hause; Du darfst nämlich nicht wieder fort gehen. Nicht wahr, Du bleibst bei uns? Weißt Du, daß ick eigentlich immer dachte, Du würdest ganz dort bleiben aus dem einsamen Schlosse und bei dem armen interessanten Grasen — —, Gott! waS ich da wieder für Dummheiten rede! Ich glaube, das kommt davon, wenn man den ganzen Tag von nicktS alS von Wäsche nähen und Leibwäsche und Tisck- wäscheund Spitzen und Stickerei reden hört; —wir haben nämlich seit vierzehn Tagen zwei Näherinnen, daS kostet furchtbar viel Geld, Du hast keine Idee — schon allein waS sie essen! — Aber eS ist dock immer ein Glück, wenn von vier Döchter» Eine heirathet, und da muß man schon was daran wenden, sagt der Papa. Manchmal aber zankt er auch, wenn ihm d>e vielen Rechnungen gebracht werden, und Gretckcn sagt, sie wisse nicht, woher sie das Geld zum Hochzcitscssen nehmen sollte, — es wird nämlich sein, drei Gänge ohne daS Dessert! Aber Du sagst ja gar nichts?" „Ich habe nicht so viel zu erzählen, sprich nur weiter." „Ja. so ein Brautstand", fuhr Finchen wieder fort, „kostet sehr viel Geld. Denke Dir, sie sind im Zweispänner hcrum- gefahren und haben bei allen Officiercn hier Besuche gemacht — der Bursche vom Major fuhr als Diener mit. Natalie behauptete, zu den Besuchen müsse sie ein neues Kleid haben; blaue Seid«, es hat dreißig Thaler gekostet! Und siehst Du, daS ist sür ein seidene- Klein eigentlich sehr billig, eö war nämlich zurückgefetzt, denn cs hatte Flecke. Natalie hatte es sich aber selbst gemacht — sie ist so geschickt I und da sicht man di« Flecke gar nicht. Aber nun laß Dich nur einmal an sehen. Du stehst blaß an», aber ich glaube, Du bist noch schöner geworden, aber so ernst. Freuest Du Dich denn nickt, daß Du zu u»S zurückkoninist?". Nina konnte diese GewisseuSsrage nicht mehr beantworte», den» die beiden Schwestern waren eben zn Hause angekommen und der Vater und d>e anderen Geschwister begrüßten die Ncu- angekoiunlene. Dahcun herrschte große Unruhe und Geschäftigkeit; alle Welt hatte zu thun uno doch hatte Niemand eine reckte Freude daran. Grctchcn machte ein bekümmertes Gesicht. Natalie hatte ihre ewig gleichmüthige Miene »lit dem saust leidende», vornehmen Ausdruck, und Finchen wurde alle Augenblicke ärgerlick, weil sic immer ausgcscholkcn wurde, denn mit dem besten Willen von der Welt machte sie nun einmal alles verkehrt. Dazwischen kamen die Brüter, i» deren Zimmer wegen deS sehr beschränkten Raumes eine der Näherinnen ihr Dvmicil ausgeschlagen hatte, und suchte» mit knabenhafter Rücksichtslosigkeit unter den Bergen von weißer Leinwand ihre Schulbücher oder vergossen die Tinte über ei» eben erst fertig gestelltes Prachtstück weiblicher Geschicklichkeit. Und darüber kam dann schneller, als man eS gewünscht und bemerkt hatte, der Abend heran; und der Vater kam und zankte, daß daS Abendbrod noch nickt fertig sei, und der Major brummte und schalt, baß die Brautzeit die dümmste Einrichlung sei, die er kenne. Dan» wurde schnell die Näherei bei Seile ge schoben und Natalie ging ins Wohnzimmer. — das einzige Zimmer, daö aus ihren spcciellen Wunsch von der allgemeinen Eonsusion verschont blieb, — und setzte sich zu ihrem Bräutigam, der ihr von seine» Pferden und von Dummheiten seiner Unterossicicre erzählte, während Grctchcn und Finchen in möglichster Este das einfache Abendbrod zurecht machten. Dann setzte mau sich zu Tisch, und der Major erzählte zu Nutz und Frommen der ganzen Familie die Geschickte noch einmal und wenn er besonders gut gelaunt war, Wachlstuben- anckboten, über die er und der Oberst sick dann halb todt lachten, während den klebrigen die Pointe meist unverständlich blieb. Nachher brachte Gretchen Grog und die beiden Herren spielten mit Bruder Kurt Scat. Natalie hatte die Vierte sein sollen, aber da ihre Kenntnisse noch etwas mangelhaft waren und der Major sie cinnial heftig angesahren halte, als sie die AtoutS nicht gezählt hatte, mochte sie nichts mehr davon wissen. Nun war Finchen an ihre Stelle getreten, aber die paßte erst recht nickt dazu und wenn ihr der Major mit seiner lauten, derben Stimme zuries: „Post meistern! Fräulein Finchen, Sic spielen wieder einmal wie ein Sägcbock!" oder „Sic müssen auch immer aus jedem Dorfe einen Hund haben!" so zitterte sie immer so vor Angst, daß ihr fast die Karten aus der Hand sielen; und doch wagte sie nicht Nataliens Beispiel zu folgen und sich, wie ihre Schwestern, mit der wieder hcrbcigchclteii Arbeit in die Ecke deS Zimmers zurückzuziebcn. Es war ihr daher eine wahre Erlösung, alS Nina kam und ihre Stelle einnahm; die hatte auf Schloß Warteck manchmal an den langen Winterabenden Karle gespielt und ließ sich auch nickt so ci>:- scküchtern, so daß der Major sie manchmal im Gefühle höchster Bewunderung am Kinn faßte und sagte: „Famoscs Mädel! Beispiel nehmen, Natalie!" „Nina!" ries Finchen am Morgen des nächste» Tage?, „komm schnell her und sieh, wie schön Natalie mein alle», weißes Kleid zurecht gemacht; es war mir ganz entwachsen und sah schrecklich auS, nun hak sie frische Schleifen daran getban und eS sicht auS wie neu. Sie will nämlich, daß wir zu ihrer Hochzeit anständig gehen; eS komme» doch gewiß viel Leute in die Kirche. Gretcheu'S rosa Kleid, daS sic vor sechs Jahren bekommen hat, hat sie auch geändert. Aber Du, Nina", sagte sic plötzlich erschrocken, „Herr Gott! Du hast ja nicht»; Dein bestes blaues ist ganz verschossen und außerdem sind die Motten darüber gekommen. Was sangen wir nur da an?" „Wahrhaftig, daran batte ick gar nicht gedacht", meinte bestürzt Natalie, die bei dieser Schreckensknnde herbeigeeilt war. Nina öffnete ihren Koffer und nahm einen großen weißen Carton heraus. „Aengstigt Euch nickt I" sagte sie. „ich habe meine Toilette bereit, nur viel zu schön und elegant; ich war ganz im Zweifel, ob ich es tragen könnte. Seht her!" und sie packle unter der staunenden Bewunderung ihrer Schwestern ein zarteS gelblichrosa CrLpekleid aus. das zu ihrem matten Teint und dem lichtbraune» Haar prachtvoll stehen mußte. „Himmlisch! Du wirst auSsehen wie eine Königin!" ries Finchen, „wundervoll! Hat Dir LaS der Gras? —" „Finchen!" fiel ihr Natalie vorwurfsvoll ins Wort. „Die Gräfin hat eS für mich auS der Stadl kommen lassen. Sie sagte, da ich auf ihren Wunsch so lange bei ihr geblieben sei, werde ich keine Zeit mehr haben, für meine Toilette zu sorgen, und ich möge ihr daher die Freude machen und dies annchmcn." „Sehr sein!" nickte Natalie znstimmend und ging wieder an ihre Arbeit. „Weißt Du," sagte Finchen halblaut, „Du wirst noch viel schöner auSsehen wie Natalie. Die hat zwar ein kostbares, schweres Faillekleid; sie hat sich eS selbst gekauft, aber der Major hat ihr daS Geld dazu gegeben. „Ich verstehe von dem Zeug nichts," meinte er, „such' Dir's selbst auS und schicke mir die Rechnung;" aber wie die kam. stuckte er und sagte: .Teufel! waS so ein Lappen thcucr ist!" „Wie gefällt er Dir denn eigentlich? der Major, meine ich." Nina schwieg. .Nickt. Ich weiß eS ja schon. Du konntest ihn nickt leiden, ich eigentlich auch nicht, aber im Grunde genommen ist er doch ein schöner Mann, groß, kräftig und derb, wie ein echter, alter Deutscher oder wie Götz von Berlichingc». Zärtlich kann er nicht sein, er giebt sich auch gar keine Mühe dazu, und Natalie sagt, daS sei nicht cvinnw il tunt. Manch mal denke ich ernstlich, daß sie ihn gern hat, wen» sie auch immer so gleichgültig und unglücklich dreinschaut. Sie Passen zwar gar nicht zusammen aber aber los vxtrvuws so toueliont. Nicht 'war, so heißt eö doch? Sie nimmt ihn auch immer in Schutz, wenn man irgend etwaö gegen ihn sagt, oder wenn die Brüder nachmachen, wie er sich beim Esse» niil dem Ell bogen aufstützt und Geschichten erzählt, wenn er den Mund noch voll hat. Da wird sie sogar sehr böse, und darum denke ich. sie muß ihn dock lieb haben." Nina antwortete wieder nichts. Sie hatte mehr Menschenkennlniß als Finchen, und wußte, daß Natalien- Stolz nie zngeben wurde, daß irgend etwas, daß sie gewählt, schleckt oder unvollkommen sei, wie sehr auck die Mängel auf der Hand lägen. (Fortsetzung folgt.) Sachsen. — Ein in seiner Art interessantes nachträgliche- Ge burtstagsgeschenk ist im verflossenen Monat von Seiten deS Vereins „Sächsische Provinzialpresse" Seiner Maj. dem König überreicht und an höchster Stelle huldvoll entgegengenommcn worden. ES ist dies nämlich eine Samm lung der gesammten sächsischen Tage-- undLocal« presse (also mit Ausschluß der periodischen Fach- und belletristischen Zeitschriften) in einem Bande vereinigt. Diese Sammlung ist in der That hochinteressant. Um unseren Lesern ein vollständige- und klare« Bild vom eigentlichen Zwecke dieses Unternehmens zu bieten, lassen wir nachstehend einige Sätze auS dem Wortlaut der dem Werke beigegebenen Vorbemerkung folgen: Ein Bstd der gelammte» sächsische» Tages- und Lokalpresse (also mit Ausschluß der periodische» Fach- und belletristische» Zeitschriften) in einem Bande zu gebe», hat den Unlerzeichuete» ISngst vorgeschvrb^
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