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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.08.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-08-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188808046
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880804
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880804
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-08
- Tag1888-08-04
- Monat1888-08
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.08.1888
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Erste Beilage rum Leipziger Tageblatt und Anzeiger. .N 217. Sonnabend den 4 August 1888. 82. Jahrgang. „Lo ist's am besten." Erzählung vou Theodor Schmidt. Nachdruck »irboicn. I „Also heirathen willst Du, Karl? Nun. so lag Dir von ganzem Herze» Gluck dazu wünschen. Sei versichert, daß sich Niemand mehr darüber freue» kann, als ich." Diese Worte sprach Arthur von Wehrbach zu feinem jüngere» Halbbruder Karl Vordeck. Beide waren die Söhne einer Mutter, die, nachdem sic ihre» ersten Manu nach kurzer Ehe verloren hatte, dem Rittergutsbesitzer Hugo Vordeck ihre Hand zu einer zweiten Heiralh reichte. Ihrem damals dreijährigen Söhnchen Arthur gab sie damit einen neuen Vater. wie sie keinen besseren hätte wählen können. Derselbe überschüttete seinen Stiefsohn mit klebe und Zärtlichkeit, die sich auch nicht verringerte, ais ihm selbst ein ttnabe geboren ward. Arthur und Karl wuchsen heran, die gleiche Erziehung, die gleiche Liebe von beide» Ellern genießend, und reisten zu Männern. Arthur sollte nie einpsinden. daß er den: Bater minder nabe stand, als sein jüngerer Bruder, uie — bis zu de) Vaters Tode; sür diese» Fall aber gebot cs besten Pflicht gefühl, kein eigenen Sohne volle Gerechtigkeit widerfahren zu lai>en. Kart sah sich nach dem Tode seines Vaters !m Besitz eine- bedeutende» Vermögens, während Haupkmann von Wehr- bach nicht an die Zukunft seines SöhnchenS hatte denken können. Doch das batte in dem innigen Verhältniß der beiden Brüder zn einander nichts geändert. Karl Halle das Gut seines BaterS übernommen, während Arthur — zu stolz, des Bruders Anerbieten, Veste» Besitzung gemeinsan! zu brwirthschasten. anzunehmen — bis vor Kurzem Verwalter eines bedeutenden Gutes in Schlesien gewesen mar. Als aber ihre Mutter, die bei Karl gelebt halte, dem Vater in das Jenseits gefolgt war, ließ Karl nicht mit Bitten ab, bis der Bruder uachgab und zu ihm zog. Das war vor kaum einem Jahre gewesen. Damals war Arthur dem Bruder ernst, sorgenvoll, ja ein wenig bitter erschienen — so ganz anders als früher. Anfangs schrieb er diese Stimmung dem Verlust der Mutter zu; aber die Zeit, die solche Wnnde» ja allinälig lindert und heilt, verstrich, und Arthur blieb jo ernst wie zuvor. Karl batte mehrmals eine Frage darüber hingeworsen. aber er sah wohl, wie sein Bruder einer direkten Frage auswich, und er kannte ihn zu gut, um zu misten, daß derselbe bei seinem Schweigen beharrte, wo er schweigen wollte, ebenso wie er Karl unninwunden zu seinem Vertraute» machen würde, wenn es ihn »ach einer Aussprache, nach einer theilnehmendcn Seele verlangte. Darum schwieg Karl und wartete geduldig, bis sein Bruder auS freien Stücken zu ihm kommen und ihm er schließen würde, was ilnn aus dem Herzen lastete. - Heute saßen die Brüder nach einer scchSwöchentlichen Trennung zum ersten Male wieder beisammen. Vor kaum einer Stunde war Karl von einer Badereise auS Eins, wohin der Arzt ihn eines leichten HalSleivens wegen hingeschickt hatte, hcinigekehrt und da hatte er bei einem Glase Wein und einer gute» Cigarre dem Bruder die kurze, glückliche Geschichte seiner Liebe erzählt. Er halte in Ems die Bekanntschaft einer jungen Dame gemacht, deren Schönheit. Anmuth und Liebenswürdigkeit er mit den glänzendsten Farben eines Verliebten schilderte. Marie von Dedenhofen war, obgleich erst zweiundzwanzig Jahre, bereits Wittwe. Gänzlich verwaist in der Welt stehend, eltern- und mittellos, hatte sie einem Fünfziger, eine:» fei» gebildeten, vermögenden Mann, der nicht nur den äußeren, sondern auch den Adel der Seele besaß, die Hand gereicht, in der Hoffnung, damit i» einen ruhigen, sicheren Hafen einzu lausen. Aber dieser Schritt sollte sie erst recht aus die hohen Woge» dcS Lebens treiben. Ihr Galle ward ihr nach wenigen Monde» durch einen plötzliche» Tod entrisse», und Marie stand wieder vereinsamt wie zuvor, nur mit dem Unterschiede, daß sie früher arm und unbeachtet war, während sie jetzt, im Besitz eineS stolze» Namens und eines bedeutenden Ver mögens, Aller Augen auf sich zog. Ihre einsame Stellung in der Welt war bei ihren jungen Jahren um so bedenklicher. Aber ehe die Gefahr an sic hcrantrat, durch Schmeicheleicii falsche Vorspiegelungen und leeren Schein sich bethören und blenden zu lasten, lernte sie den edlen Karl Gordeck kennen und lieben, dessen Liede ebenso rein, selbstlos und unberechnct war, wie die ihre. Bei d i» engen» zwanglosen Verkehr des BadelebcnS war ihre gesellige Liebe rascb gereist, und bevor Karl Ems verließ hatte er den ersten Kuß aus ihre Lippen gedrückt und den VcrlobungSring am Finger. DaS AlleS hatte Karl seinem Bruder gleich nach seiner Rückkehr voll Eifer und glücklicher Erregung erzählt Artbur war ihm schweigend, doch voll Interesse gefolgt Wohl legte sich bisweilen ein halb mitleidiger, halb bitterer Zug um seine Lippen, der Bruder aber, ganz in sein eigenes Glück verliest, bemerkte davon nichts. Noch weniger ahnte er, daß — als er selbst sich bereits zur Ruhe begeben hatte und seine glücklichen Gedanken anfingen, in süße Träume Überzugehe» — Arthur, den Kops in die Hand gestützt, in seinem Zimmer bei einer mattbrcnnenden Lampe saß. Seine Stirn war in finstere Falten gezogen, um seine Lippen lag rin schwermülhiger Zug, seine Augen blickten düster ins Leere Woran mochte er denken? Sehnte er sich darnach, auch ein geliebtes Wesen zu finden, daS ibn mit gleicher Hingebung lieben könnte? — oder batte er dies Glück bereits gekannt und verloren? War eS daS vielleicht. waS ihn seit zwei Jahren so ernst, so verschlossen gemacht hatte? Ja, in der Thal, Karl'S lebhafte Schilderung seiner jungen Liebe halte eine Wunde in dcö Bruders Brust getroffen, dir nicbl berührt werden durste, wenn sie nickt von neuem bluten sollte. — Auch er hatte geliebt, mit derselben, wenn nicht mit noch größerer Leidenschaft als sein Bruder, ein Mädchen, o lieb, so stolz, so schön — wie hätte Karl'S Braut schöner ein könne»? — Konnte er sich doch nicht erinnern, je ei» chönercs Mädchen gesehen zu haben. Auch sie hatte Marie geheißen. Sie wohnte mit ihrem Vater, einen: Kaufmann der sich vom Geschäft zurückgezogen hatte unv von seinem Gelde lebte, in der Nahe des GuteS, aus welchem er Ver, Walter gewesen war. Ein Freund hatte ihn eingesührt und bald war er in dem Bonnett'scken Hause ein gern gesehener Gast. Seine Besuche wurden häufiger und mit jedem Male lernte er Marie's Schönheit und edle Eigenschaften höher schätzen. Er verschloß die Liebe zu ihr stumm i» seiner Brust vis auch tausenderlei Kleinigkeiten ihm verrietheu, daß auch er ihr nicht gleickgiltig sein kon»te. Al- er ihr nun sein Herz erschloß, sie sich mnig an ihn schmiegte und ihre zitternde Hand in der seinen ruhte, da fühlte, da wußte er, daß sie mit ganzer Seele die Scinige war. Herr Bonnctt nahm seine Werbung mit Freuden an; der alte Herr war kränklich und hinfällig; der Tod konnte ihn unerwartet ereilen. WaS wäre dann auS seiner armen Marie geworden? Die Verlobung sollte jedoch geheim gehalten werden, bis eS Arthur gelingen würde, mit seinen geringen Mitteln ein Gut zu übernehmen, um das er bereits in Unterhandlung stand. Bis dahin sollte auch seiner Mutter und seinem Bruder die Verlobung geheim bleiben. Inzwischen verlebte Arthur herrliche, glückliche Tage bei seiner Braut. Aber ach! diese Tage waren von nur kurzer Dauer. Marie besaß bei all' ihrem Liebreiz zwei gefährliche Eigenschasten: sie war stolz und, wie Arthur bald erfahre» mußte, eifersüchtig aus ihn. ihre» Verlobten, der nicht- Höhere- kannte, alS seine Marie. Diese Eisersnchl sollte aus ihr junges LiebcSglück bald einen Schatten werfen, der sich schnell zn einer schweren drohenden Wolke zusainnienzog. Arthur halte eine» Freund am Ort, der viel leidend war und oft wochenlang daS Zimmer hüten mußte. So sehr eS nun auch Jenen jede freie Stunde zur Geliebten zog. ver nachlässigte er darum dock den Kranken nickt. Daß aber dessen Schwester, die seit Kurzem zu seiner Pflege gekommen war, schön sei. daS vernahm Arthur erst auS Marien'S Munde. Er sah cs nicht, außer sür seine Braut hatte er kein Auge mehr sür weibliche Schönheit. Er sab die junge Dame ja auch nur selten; Fräulein Selten uabm, wenn er kam, dem Kranken eine Weile Gesellschaft zu leisten, gern die Gelegenheit wahr, inzwischen DaS und Jenes zu besorgen, in Folge besten war sie bei seinen Besuchen nur selten an wesend. Dieser Versickerung aber schenkte Marie keinen Glaube», als sie Arthur vorwarf, daß er sic um einer Anderen willen vernachlässige. Beide waren heftige Naturen, ein Wort gab das andere, und das Ende war, daß zwei Mensche» in bitteren Groll von einander schiede», die uichlS Höheres kannten, als ihre gegenseitige Liebe. Diese Erinnerungen waren es, die durch Karl's Er zählung wieder so rege in Arthur geworden waren, daß er an jenem Abend lange, lange keinen Schlaf finde» konnte. Und den größten Schmerz sollte er erst nach mehreren Tagen erfahren. Es war ani dritten Tage nach Karl's Heimkehr, alS Arthur, gegen Abend in daS Wohnzimmer tretend, von diesem lebhaft begrüßt wurde. Endlich!" ries Karl ihm entgegen, „ich erwarte Dich cho» lange voll Ungeduld, um Dir meine Marie vou An gesicht zu Angesicht zu zeigen. Sieh, hier ist ibr Bild!" snhr er lebhaft fort, indem er Arthur ein Medaillon mit einem eine» Miniaturbild seiner Braut entgegenhielk. Arthur nahm das Medaillon und trat damit an daS Fenster, um das Portrait bester sehen zn können, denn im Zimmer herrschte schon abendliche Dämmerung. Karl war in der Mitte des ZimnrerS sieben geblieben und blickte voll stolzer Erwartung zu seinem Bruder bin. waS dieser wobl zu seiner Wahl sagen werde. Aber was war daS? — Er wartete ei», zwei Minuten auf ein Wort der Bewunderung, aber er wartete vergebens. „Nun?" sprach er endlich mit fragendem Blick. „Sie ist schön," lautete die kurze Antwort. Zum Glück war cs schon zu dunkel im Zimmer, als daß Karl hätte sehe» können, wie dcS BruderS Antlitz erbleichte und wie seine Lippen sich fest auseinanterpreßlen, alS sein Auge ans das Bild siel, auch entging eS Karl, in welch' nnllhsani gepreßtem Tone die lakonische Anlworl gegeben wurde. Nur die Kürze derselben verletzte ihn, und näher zu Arthur tretend und „ach dem Medaillon greifend, sagte er in leicht erregtem Tone: „Ich hätte von meinem Bruder ein herzlicheres Wort der Bewunderung sür meine Braut erwartet. Doch ich denke, daS wird noch kommen, wenn Du sie erst siehst" Und Arthur? WaS war ihm beim Anblick des Bildes so plötzlich überkommen? Hatte» ihn die lebhaften blauen Angen, daS dichte schwarze Haar, der kleine Mund a» seine eigene Marie erinnert? — Nur an sie erinnert? — Nein, daS war äe selbst, das war nicht eine bloße Aeknlichkeit. das konute keine Täuschung sein! Es war Marie, seine Marie, die er in der Tiefe seines Herzens noch immer liebte; sie war eS und keine Andere! Nur waren die Wangen etwas blasser, das Gesicht etwas schmaler geworben, und die Augen hatten ein wenig von ihrem Mnthwilleu verloren — sonst aber war sie dieselbe geblieben „O Gott, wie soll ich daS ertragen!" stöhnte Arthur, alS er in später Abendstunde wohl noch der Einzige war. der noch keine Nachtruhe fand. „Wie kann ich sie, meine Marie, als Frau meines Bruders sehen? Und er ahnt in seinem Glücke nichts von dem Vorgesallenen! Sie also ist die junge Wittwe? — sie, von der ich trotz alledem und alledem wähnte, sie verzehre sich ebenso wie ich in LlebeSgram. Sie hatte sich in wenigen Monaten soweit getröstet, »in einem Andern Liebe heucheln zn können?" knirschte er in tiefer Erbitterung. „Und jetzt soll auch Karl, der edle Karl, Dir zum Opfer fallen? auch den hast Du mit Deinem süßen, falschen Lächeln täuschen uud bestricken können?" Arthur erging sich in bitteren Vorwürfe» über die einst so Heißgeliebte, und er gelobte sich, nie zugeben zu wollen, daß auch sein Bruder durch sie unglücklich werde. Solche Gedanken marterten ihn die ganze Nacht; erst mit dem nahenden Morgen legte seine Aufregung sich ein wenig, und er vermochte ruhiger darüber nachzudenken, was er thun solle. Warum sollte er das Glück seines BrnderS stören? Konnte derselbe nicht doch durch Marie glücklich werden, trotz deren Untreue gegen ihn selbst? — Ja, er wollte nicht Lara» rühren, durch ihn sollte kein Weh in Karl's Brust einziehen, aber er — er mußte fort; sür ihn war hier keines Bleibens mehr, — er konnte, er durste sie nie Wiedersehen! Als die Brüder wenige Tage später deS Abend- beisammen saßen und von den Vorbereitungen zur Hochzeit sprachen, nahm Artbur die Gelegenheit wahr, und sagte, möglichst u»- besangen sich zu einem säst scherzenden Tone zwingend: „Dem Leben, lieber Karl, liegt jetzt glatt und eben vor Dir. WaS aber wird nun auS nur Vereinsamten, nun Du, meine bisherige bessere Hälfte, mir untreu geworden bist?" „Was auS Dir werden soll?" versetzte Karl, „wunderbare Frage! Meinst D», daß sich. Dein Leben durch meine Heirath nicht auch zum besseren umgkstalten wird? Marie liebt Dich alS meinen Bruder schon jetzt, und ich zweifle nicht, daß Du von ihr entzückt bist, wenn Du sie siehst." „Wie?" siel Arthur ihm hastig ins Wort. „Du meinst, daß ich alS Dritter, alS Störenfried hier im Hause bleiben soll? — nun und nimmermehr! daS lhut nicht gut. Ein junges Ehepaar muß sich selbst überlasten bleiben, am aller wenigsten darf ein angehender alter Junggeselle mit seinen Grillen und Launen ihre Ruhe stören." „Aber lieber Arthur," ries Karl ein wenig ungeduldig, — „wie kommst Du nur plötzlich aus den sonderbaren Einsall. nicht hier im Hause bleiben zn wollen, wenn ich heiralhe? Wie sollte daS Gut fortbcstehen, wenn ich Dich nicht mehr hätte? Du weißt am besten, wie eS für uns Zwei vollauf hier zu thun giebt. Willst Du, daß ich mir statt Deiner einen Fremden zur Seite nehme, durch den daS Gut vielleicht rückwärts geht? — Nein, nein, Arthur," fuhr er ruhiger fort, „gieb zu, daß eS nur eine vorübergehende Schrulle von Dir war, uns verkästen zu wollen. Jetzt könnte ich Dich am allerwenigsten misten, wo ich Dir wohl eher »och DaS und Jenes überlasten werde, um nicht so viel fern von meiner Marie zu sein." Trotz aller Einwürse uud Vorstellungen von Seiten Arthur'- blieb Karl dabei, er könne seinen Bruder um keinen Preis misten: nur soweit gab er endlich nach, daß eS diesem frcistehen solle, zu gehen, wenn ein sech-monatliches Zu sammenleben mit Marie ihnen gezeigt haben sollte, daß sie nicht zu einander paßten. Dabei blieb eS, trotz Arthur'- wiederholter versuche, Karl zur Erfüllung seine- Wunsche- zu bewegen. II. Die Zeit verstrich, und der Tag der Hochzeit nahte. Arthur's batte sich i» den letzten Woche» eine seltsame Reizbarkeit bemächtigt. Lange halte er hin und her über legt. wie er sich verhalten sollte. Wie die Verhältnisse lagen, »iiißle er sie jrüher oder später Wiedersehen, und war eS da nicht am beste», eS geschah bald? — AnsangS war er fest entschlossen gewesen, der Hochzeit nickt beizuwohncu, ihr unter irgend einem Vorwände anS dem Wege zu gehen; doch »ach reiflicher Ueberlegung sagte er sich, daß gerade dieser Tag vielleicht der geeignetste zu einem solchen Wiedersehen sei; da würde seine Aufregung am ersten »»bemerkt bleibe», »nd die ihrige — wenn sein Anblick ihr Herz überhaupt noch höher 'chlagen machte — nur für die Erregung einer glückliche» Braut gehalten werde». Der Hochzeitstag war gekommen, die Gäste waren alle in den gastlich geschmückte» Räume» von Marie von Deden- hoscn'S Villa versammelt, nur einer fehlte noch: Arthur von Wehrbach. Er halte geschrieben, er sei verhindert, wie er versprochen, schon tagS zuvor auznkomnie», er werke sich aber ;'ünctlich am Hochzeitstage eiustellc», »in der Trauung bei- uwohnen. Daß er Wort bielt, bewies der soeben vorsahrende Wage». Wenige Minuten daraus wurde die Thür deS Salonö ge öffnet und Arthur von Wehrbach trat ein. Sein Gesicht war ruhig wie inimer, nur etwas bleicher als gewöhnlich, und festen, sicheren Schrittes ging er aus Karl z», der ihm lebhaft entgegcukai», ihn seiner Braut zuznsühren. AlS die beiden Brüder sich ihr näherte», erhob sich die chlanke Gestalt; sie kam ihnen einen Schritt entgegen und reichte ihrem Schwager mit mattem Lächeln aus dem heule geisterbleichen Gesiebt, doch mit ruhiger Würde die Hand. Der weiße Handschuh verbarg, wie eisigkalt ihre Finger waren, und Nieinaub sab, wie ihre Brust unter dem lang herabivallenden Schleier heftig auf- und niederwogle. Niemand hörte die bange» Schläge ihres Herzens. Die Zwei, die seit lange heule znm ersten Male einander wieder gegenüber stauten, hatten nur Zeit zu einer kurzen Begrüßung; eS war nur auf Herrn von WA-rbach's Er- 'chciucn gewartet worden, >nn n»t der Cclemonie zn beginnen. III. Acht Monate waren verstriche», seit Marie Gordeck in ibr neues Heim eingezogen war. und allem Anscheine nach gab eS kein glücklicheres Paar alS sie und ihren Gemahl. Karl trug sic aus Händen, und sie that, was sie ihm a» den Augen absehen konnte. Bon Arlhur'S Weggehen war »!e wieder die Rede gewesen. Anfangs halte» Schwager und Schwägerin einander schroff gegcnübergestanden; Karl wunderte sich, woran eS wohl läge, daß seine Marie, die dock sonst stets sür Jedermann cm rkinidlichcS Wort halte, seine:» Bruder so kalt und abge messen begegnete, und ganz nnbcgreislich schien eS ihm, daß dieser ganz unempsindlich sür Marie's Reize schien. Doch allinälig ward daS Verhältniß der Beide» zu einander ei» besseres. Sie mieden sich nickt mehr, gingen sich nicht mehr, wen» irgend möglich. a»S dem Wege, und sprachen auch freundlicher miteinander, wo eS nicht nur die Rücksicht aus Karl oder die Anwesenheit Fikinder gebot. Halten sie ihre einstige Liebe überwunden? — vielleicht gar vergessen? Ter Eine sicherlich nicht. Wer hätte daran zweifeln können, der gesehen hätte, wie Arthur bisweilen von fern im Schalte» stank, wen» daS junge Paar Arni in Arm im muntercm Geplauder die geschlängelten Wege im Park dahiii- schritt, uud Marie oft mit glücklichem Blick zn dem Gatten ausschaute, oder dieser den Kops zu ihr neigte und ihr einen Kuß aus die Stirn drückte — warum glitt da oft ein so un endlich wchmütbiger Zug über Arthur's Antlitz? warum ent rang sich da oft seinem Inner» ein tiefer Seufzer? WaS war eS. das ih» da oft die Hand aus daS Herz legen machte, alS wolle er diesem Ruhe gebieten, als wolle er die wilden Schläge hemme»? WaS war das anders als Liebe, immer noch Liebe sür sie, die ihm für iinmcr verloren war? Und Marie? War auch in ihr die einstige Liebe »och wach? — Wer hätte daS ergründen können! Der schärfste Beobachter hätte nichts als eine gewisse Unruhe entdecken könne», die sich ihrer stets bemächtigte, wenn sie Arthur allein in ihrer Nähe wußte. Das war aber auch alles. Acht Monate waren verstrichen seit jenem Augusttage, a» dem Arthur die einst Geliebte im Brautschmuck wieder- gesehen hatte. Wieder kehrte der Frühling ein, der Schnee war von der Erde geschwunden und einem frischen Grün gewirben; au den Bäumen und Büschen zeigten sich die ersten Keime und Blättchen; hier und dort streckte auch schon ein Veilchen neu gierig den Kops unter den Blätter» heraus, uni zu sehen, ob eS wohl Zeit sei, hervorzukommen, die Menschen mit seinem Dust zu erfreuen. Der Wald belebte sich >»>t tausend munteren Pogelstinimen und auch aus Schloß Gordeck herrschte seit einigen Tagen ein regere- Leben. Hedwig Wolzogen war der Einladung ihrer Freundin ge folgt und weilte seil Kurzem als Gast in deren Hause. Sie war ein munteres, liebenswürdiges Geschöpf; ohne schön zu sei», sprach doch Jeden ihre Jugendfrische an; ohne besonder- klug zu sein, konnte sie mit ihrem natürliche» Witz und ihrem lebhaften Temperament doch eine ganze Gesellschaft animiren und unterhalten. Auch aus Arthur verfehlte ihr munteres Wesen nicht seinen wohllhuenden Einfluß; mit jedem Tage ihres Besuchs ging er mehr auS sich heraus, bald konnte er wie andere mit ihr scherzen und lacken; ja, allinälig schien eS. als habe sie die srübere, sorglose Heiterkeit wieder i» ihm wachgernscn. Er nahm Theil an ihren Spaziergängen, er durchstreifte mit ihnen Wald und Flur und war bei den wiederholten Gondel- sahrtcn oft der Lustigste. Freilich sah Niemand, wenn er wieder allein in seinem Zimmer war, wie der alte schwer- müthigej Zug sich um seine Lippen legte und wie nichts mehr von dem soeben gezeigten frische», frohen Muth zu sehen war. Hedwig Wolzogeu dagegen war so natürlich, zeigte sich so frei und offen, daß eS ein Leichtes war, in ihr ahnungsloses Herz zu schauen und da den zarten Keim der erwachenden Liebe jzu entdecken, der sich schnell entfaltete. Auch Karl entging derselbe nicht, und mit Freuden dachte er daran, daß sein Bruder sich nun doch vielleicht entschließen werde, einen eigenen trauten Herd zu gründen. Auf seine biSweiligen Anspielungen erhielt er von Arthur stets eine kurze, aber doch keine direct zurlickweisende Antwort; die Zeit, hoffte Karl, werde noch daS klebrige thun. Aber die Zeit verstrich, Hedwig Wolzogcn'S Besuch ging »u Ende, die Drei waren wieder allein, und Arthur versank »n feinen früheren Trübsinn. Eine- TageS, wenige Wochen nach Hedwig'S Abreise, alS Arthur von einer weiteren Tour heimkehrte, nahm der selbe, alS er sich dem Hause näherte, eine außergewöhnliche Unruhe war; am Thore stand der Wagen de» Arztes aus dem nächsten Orte. Besorgt, eS müsse Jemand im Haufe plötzlich erkrankt sein, eilte er schnell näher. „WaS ist geschehen?" ries er hastig einer alten Dienerin zu, die soeben mit der Schürze die thränennassen Augen wischend, aus dem Hause trat. „Ach, unser armer, guter Herr!" schluchzte die Alts „da liegt er oben, kalt und steif und rührt sich nicht." Kaum hatte Arthur die erste» Worte vernomiuen. so stürmte er in taS Haus, eilte die Treppe hinauf und stand in der nächsten Minute in Karl's Zimmer. Welcher Anblick bot sich ihm da dar! Da lag Karl, se», einziger geliebter Bruder, aus dem Bett hingestreckk, mit todtenbleichem Gesicht, blauen Lippe» und geschlossenen Augen; unter dein Tuck, daS um seinen Kopf geschlungen war, rieselten langsame Blutstropfen hervor. An seiner Seite kniete Marie mit schmerzlich gerungenen Händen, nicht minder bleich, als der Ohnmächtige selbst. Ihre Wangen waren »och naß von de» eben vergossenen Thräucn, aber jetzt hasteten ihre trockenen Auge» voll Spannung und Erwartung aus dem Bewußtlose», best n Lippen leise zu zittern ansingcn; ein leiser Seufzer hob seine Brust, im nächsten Moment schlug er die Augen auf und blickte um fick, aber nur, um sie gleich wieder zu schließe». Daraus verfiel er in einen tiefen Schlaf, von dem der »och anwesende Arzt da- Beste hoffte. Nun erst erfuhr Arthur, was geschehen war. Karl war auSgcritteu. und am Abend war statt seiner nur sein Brauner schweißtriefend in den Hos gejagt. Marie hatte — ein Un- glück fürchtend — nach allen Richtungen hin gleich Bote» »ach dem Fehlenden anSgesandl, aber erst mit Hilfe b-S treuen HundeS, der »ach einiger Zeit heulend und wi»s>l»o heinikam, war eS gelungen, den Verunglückten auszusiiiden. DaS Pferd hatte ihn abgeworsen, und auS einer tiefe» Wunde am Kopfe blutend, lag der Arme bewußtlos am Fuße eines Bauinstaunic». (Schluß folgt.) Zur Fage. * Berlin. 2. August. Der „Kamps um die Schule" ist von Herrn Windthvrst bereits angekündigt worden, als vor mehreren Jahren durch die Bemühungen der Staats- regierung und das verständige Entgegenkommen der durch Papst Leo geleitete» Curie der Culturkampf seinem Ende entgegen ging. Denn das volle Ende deS Culturkampses bringt das Ende des Cenlrums als politische Partei mit sich, und mit der Eristenz des Centrums fällt die politische Eristenz dcS Herrn Windthorst. Das wäre dem kleinen Gernegroß dock gar zu schrecklich; es muß also eine neue Parole an gegeben werden zu einem neuen Streit und darum der „Kampf um die Schule". So einfach diese Sachlage ist, so scheint sie von den Männernder „Kreuzzeitung" und des „Reichsbotcn" nicht erkannt oder wenigstens ihrer ganzen Tragweite nach nicht gewürdigt zu werden. Denn daß auch die äußerste Rechte durchaus patriotisch und national gesinnt ist, unterliegt sür uns nicht dem geringsten Zweifel, und daß unsere Reaktionäre mit welsiscken Umtrieben nichts geniein haben, ist elbstverständlich. Also lediglich die Verblendung mackt die Extrem Conservativen zu Verbündeten eines Windtborst »nd Hrücl. Vielleicht aber erinnern sich die Herren v. Hainnier- tein und Genossen doch einmal dessen, waö die Ultramvntanen bisher gegen Preußen und das Reich geleistet, wenn sie nur die Annalen der parlamentarischen Geschickte ausscklagcn — denn die geheimen welsischen Umtriebe auszudecken, wird wohl erst in späterer Zeit ermöglicht werden. Daß mit der katholische,» Kirche als solcher bei beidcr- eitigem guten Willen sich in Frieden leben läßt, haben die letzten Jahre völlig dargethan. Der Staat selbst hat im eigenen Interesse viel mehr Grund, das reine Kirckenthum in emer Entfaltung und Wirksamkeit zu unterstützen alS zu -cininc», und unsere Staatseinrichtungen wie unser Cultur- ustand überhaupt ist der Art, daß von Gefahr sür GewisscnS- reiheit oder von Bedrohung oder Bedrückung deS religiös kirchlichen Lebens gar keine Rede sein kann. Danach ist also ehrlicherweise weder ein katholisches noch ein evangelisches Ccntrum nothwendig, und daS eine muß fallen, das andere darf nickt erstehen. Für alle rein kirchlichen Bestrebungen bieten die kirchlichen Organe genügenden und alleinigen Raum. Das muß Herr von Hamincrstein zugeben und damit zugleich die Möglichkeit eines Bündnisses niit Herrn Windthorst sür immer verneinen. Die Ultra», ontancn haben, so lange Herr Windthorst sie geführt, ernstlichen Krieg geführt gegen das deutsche Reich und sind dabei in der Wahl der Wafscn niemals bedenklich gewesen. Von der Bcrathung der norddeutschen Bundes Verfassung an haben sie mit Ausnahme der Tarisreform Alles negirt »nd darin — das will gewiß viel sagen — sogar die Fortschrittspartei Übertrosse». Sie haben zur Zeit alle An- trcngungcn gemacht, die Justizgcsetze zn Fall bringen, sogar das Landsturmgcsetz, welches doch gewiß nichts Verfängliches enthält, konnten sie sich nicht entschließen zu genehmigen. Sic haben sich jedesmal mit der clsässischen Protcstpartei zusam men gesunden und mit ihr zusammen sür die Beseitigung der dem Reiche dem Reichslande gegenüber Vorbehalte»«:» Reckte gejochten. Man beachte wohl: die Anhänger und Vertreter des Syllabus fanden eS mit der in demselben ausgesprochenen Verurtheilung der Preß- und Gewisscnssrcihcit vereinbar, alle von der Reichsrcgierung vorgeschlagcnen Beschränkungen der Preßfreiheit, selbst solche Vorschriften, die nur eine sichere Bestrafung begangener Preßvcrgehcn bezwecken, nachdrücklich zu bekämpfen. Und sollten unsere evangelischen Reactionairc das außer parlamentarische Verhalten der Ultramvntanen gar nicht be merkt haben? Jahrelang haben die Ultramontanen in Ver sammlungen und in der Presse den Ungehorsam gegen die Gesetze des Staates als Tugend gepredigt, haben sic geradezu den Staat und seine Einrichtungen als verabschcuungöwürdige Gewalt hingestellt. Daß in Deutschland weite Kreise der Bevölkerung einer gewissen Verwilderung verfiele» — all- niälig wird es ja, Dank dem Socialistcngesetze, wieder etwa- besser — ist sicherlich wie von den socialdcinokratischen Wühlern auck zu einem guten Theil durch die ultramontanen syste matischen Aufhetzereien verschuldet worden. Das ist die Partei des Herrn Windthorst, welche wir hier nur mit wenigen Strichen skizzirt haben — wir könnten das Bild mit Leichtigkeit weiter aussühren. Aber, fragen wir und verlangen eine unzweideutige Antwort, kann und darf die Anhängerschaft der „Kreuzzeitung", kann und darf ein Anhänger i>er staatlichen Ordnung und Autorität mit Herrn Windthorst und seiner Gefolgschaft ein Bündniß eingchen? Wir sind überzeugt, die Antwort kann nicht zweifelhaft sein, denn Herr Windthorst ist heute derselbe wie vor zwanzig Jahren. Und darum sehen wir die letzten Ausfälle in der „Kreuzzeitung" als vorübergehenden Jrrthum an. Auch bei den nächsten Wahlen wie be, allen späteren werden die Con- servativcn der äußersten Rechten mit denen der gemäßigten Richtung und den Nationallibcralcn Zusammengehen gegen Centrum, Freisinn und Socialdemokratie, denn auch die extremen Conservativen sind, wie oben bereits betont, national und die Ultramontanen sind und bleiben antinational. kc'1,6. Berlin, 2. August. Im Hinblick aus die bevorstehende Wahtbewegung ist eS vielleicht nicht unerwünscht, sich die stu jam m e n - setzung des gegenwärtig bestehende» Abgeordneten hauses und seine landschaftliche Gliederung vergegenwärtigen zu können. ES zählte, wenn wir die FractionSlose» den ihnen zunächst stehenden Fraktionen hinzurechnen: I. D e konservative Frac- tion 135 Mitglieder. Davon sielen 22 aus Ostpreußen, 5 aus Westpreußc», 28 aus Brandenburg, 21 aus Pommern, 6 aus Posen, 22 aus Schlesien, 13 aus Sachse», 2 aus Schleswig-Holstein, 1 aas Hai nover, ü aus Westfalen, 9 aus Hessen-Rassau, 1 aus die Rheia- vrovinz. II. Die sreicouservalive Fraktion 67 Mitglieder. Davon fielen 3 aus Ostpreußen, 9 aus Wcstpreußen, 8 ans Brande»-
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