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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.08.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-08-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188808149
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880814
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880814
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-08
- Tag1888-08-14
- Monat1888-08
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.08.1888
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227. Erste Beilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger. Dienstag den 14. August 1888. 82. Jahrgang. I» Dievenow. Humoreske voa Earl Krüger. A«ch»ruS »rriolk». „Ra. alter Freund?" „Was, alter Knabe?" „Ich habe Dir nun die Reize von BumShagcn lang und breit gepriesen — erräthst Du noch nicht, wo da» Alle- huiau- Will? kurz und gut: kommst Du mit?" .^kürzer und noch besser: Nein." „Dort findest Du ja Alles, wa- Du brauchst: An der See liegend, ländliche Abgeschiedenheit . . „Hatte ich auch in Dievenow." „Idyllische Natur . . „In Dievenow auch." Unterhaltung durch Jagd und Fischerei die Hülle und Fülle..." -» „In Dievenow ganz ebenso!" „Und dann die Ruhe ... der tiefe Friede. . kaum alle drei Tage mal kommt ei» Dampfer daher . . „Da- ist eS ja gerade, Mensch!!" „Wie Du das sagst — eS patzt Dir wohl nicht? Zwei Dampfer per Woche find Dir wohl »och z» viel? Tröste Dich — zuweilen, wenn die Witterung ungünstig ist, bleibt da» fällige Schiff auch wohl auS." „Und da- soll mir ein Trost sein? Freund, Du weist nicht, welche Empfindungen Du da in mir ausrührst! Eben komme ich auS Dievenow —ich danke dem Himmel dafür." „Du machst mich neugierig! Hier, nimm diese Cigarre Und erzähle!" „Meinetwegen — zu Deiner Belehrung und Warnung Will ich eS thun. Also — ich war in Mi-droy, waS eine sehr hübsche Gegend ist — man neunts bekanntlich die deutsche Mosgnitoküstc — da kündete der Dampfer „Neptun" eine Extrasahrt nach Dievenow an .. ." „Ein Wort, bevor Du — in doppeltem Sinne — fort fährst: Ist Deine Geschichte auch wahr? Sonst ... Du entschuldigst, ich bin pressirt. . . mutz de» Koffer packen. „Beruhige Dich — meine Erfindungen behalte ick wohl weislich für mich. Basta! Auch ich packte den Koffer und begab mich an Bord des „Neptun". Wir stapelten davon, in die blaue Ostsee hinein. ES war wundervolles Wetter „Du säugst ja gleich an zu flunkern, aller Freund! Schönes Wetter im Juli 1888!" „Mein Ehrenwort daraus! Es regnete ausnahmsweise nicht, und der Wind war flau. Nachher, wir mochten eine Weile gefahren sein, wurde er freilich ungestümer und warf krause Wellen aus, gerade unS entgegen. Mein Nackbar Ward daS erste Opfer seiner Tücke: er ritz ihm den Hut vom Kopse und schleuderte ihn i»S Meer.. „Deinen Nachbar?" „Nein dock — den Hut. Mein Nachbar schrie, der Capilain mochte anhalten und ei» Boot auSsetzen — wurde natürlich auSgelacht und erstand schließlich von einem Ma trose» dessen Mütze. Endlich langte» wir in Dievenow an. Es »ahm sich wahrhaftig schon vom Meer recht idyllisch auS. ES hat zwei große Badeanstalten mit einem Steg i»S Meer hinein, aber keine Landungöbrücke für die Boote, die unS übersetzten. Ich wollte a» den Strand springen und sprang — bis an die Knie inS Wasser unter der Heiterkeit der Badegäste. Dainil batte ich mich in Dievenow eingesübrt und wanderte nun die Strandgasse hinauf, erst zwischen auf- gespannten Fischernetzen, daun durch eine hübsche Allee inS Dorf. Fand dort gleich einen Bekannten auS Berlin „Selbstverständlich — wozu das erst erwähnen? Wo fände man die Berliner nicht?" „Ha, dieser kam mir zu Paß. Er sollte mir ratbeu, wo Wohnen. — „Im Hotel du Nord müssen Sie Quartier nehmen!" ries er. — „Ich we tz aber nicht, ob ich hier in Berg- oder in Ostdievenow wohnen soll", bemerkte ich schüch tern. — „In Bergbicvenow niüssen Sie wohnen, wo anders kann man nicht existire»!!" — „Und wo wohnen Sie?" Er schien mich nicht gehört zu haben. „Lassen Sie unS ein GlaS Vier trinken", forderte er mich aus, indem er mich am Arm packte und in einen WirthSgarlen führte. Dieser dehnte sich vor einem Hanse aus, a» dessen Front die Worte „Hotel du Nord" standen. Während ich mein Bier trank, begab sich kaltwasscr — so heißt mein Berliner Bekannter — ins Hotel. AlS er zurückkam, sprach er: „Ich habe eS abgemacht — Sie wohnen hier in Pension."" „Aber erlauben Sie mal. . ." „Wo anders können Sie doch nickt wohnen — hier speisen Sie sein! Ich bin seit 5 Iabren Stammgast in Dievenow, ich weiß mit den Verhältnissen genau Bescheid. Heute speise ich mit Ihnen hier zu Mittag, aber nicht drinnen an der tadle ckdüto. . ." „ES wäre nur aber dock lieber. „Ich habe eS schon so abgemacht. AllonS, da kommt die Suppe . . . sehe» Sie, konsommö ä In jaräiuiöre . . . und dann gicbtS Blumenkohl mit Brisolettcs. . . dann junges Huhn, eine Schüssel voll ttirschcucompot, EiS. WaS sagen Sie dazu?" „Tcnijoui'8 la möme cliose!" seufzte ich. „Nicht wahr?" ries Kallwasser, der offenbar kein Französisch Verstand, voll Selbstgefühl. „Kellner, eine Flasche OdLtoau IL Ko3e!" Der Wein kam. „Willkommen in Dievenow, in dem herrlichen, idyllischen Dievenow, dieser lieblichen Fischermaid mit dem Kranze von grünem Schilf im Haar!" Gerührt that ich Bescheid. „Ich bleibe aber nur bis morgen Abend!" bemerkte ich dann. ..Nanu???" „ES thut mir ja sehr leid — aber schauen Sie hier den Fahrplan de- „Neptun". Capitain Backofen: Morgen, Mitt woch, Nachmittag 5'/, Uhr: Fahrt nach MiSdroy von Die venow!" „Morgen? . . ." „Oder ich müßte bi» nächsten DienStag, also acht Tage bleiben!" „Dann bleiben Sie eben acht Tage!" rief Kaltwasser mit «utzerordentli.ber Aestimmtheit. „Was in aller Well wollen Sie in MiSdroy?" „Es ordentlich kennen lernen." „MiSdroy ist langweilig." „Und dann nach HeringSdorf fahren .. „Heringsdorf ist auch langweilig!" „Kennen Sie MiSdroy und HeringSdorf??" „Ob ich sie kenne! Ich sage Ihnen, da» ist nichts gegen Dievenow! Dieser Ort hier liegt aus einer Landzunge, zwischen dem Meer und dein Frischen Haff — rechts Salz-, links Süß Wasser ... sehen Sie dort daS Schilf? DaS ist der Dievenower Bodden." Als das Mitlagsesscn zu Ende war, verabschiedete sich kaltwasscr und ich begab mich aus mein Zimmer. Bald vernahm ich durch das offene Fenster, daß man im Garten plaudere. Ich schaute hinaus und erblickte drei junge Damen. Der Kellner sagt, nicht einen Bisten hat er übrig gelasten, er hat für Kaltwaster mitgegesten", erzählte eine hübsche Brünette. „Denkt nur! Ich glaube, der ist Herrn Pampel «nann noch über!" »Wie kannst Du nur so reden, Justine I Es ist ein netter junger Mann!" so verthcidigte mich eine Blondine. „Du wirst e- sehen, Emilie — er macht e- wie alle jungen Männer hier!" „Nein, nein, das glaube ich nicht I" „Da- wäre ja schändlich!" fiel die Dritte eia ,Bah — wir werden eS ja sehen", meinte Justine. „Laß ihn mal erst sehen, wie e» die andern Männer treiben, und er macht e- ebenso!" „Die drei Damen begaben sich in eine verdeckte Glasveranda und ließen mich sehr neugierig zurück — so daß ich nicht schlummern konnte. WaS triebe» denn die andern jungen Männer hier so Abscheuliche-? Ich sann hin und her und ward immer verwirrter. Endlich stand ich auf und beschloß, mir den Ort anzusehen. Ich will Dir keine topographische Beschreibung desselben liefern." ..Danke." „Aber denke Dir, ick fand da- nicht, was ich am meisten suchte: Ich traf keine Herren, weuigstenS keine junge», un- vcrheirathete, dagegen Damen fchaarenweise . . . und diese trugen sich so nachlässig . .Merkwürdig!" „Noch merkwürdiger war daS Aussehen, da» ich machte! Wo die Damen meiner ansichtig wurden, reckten sic sich höher, ihr Gang bekam mehr Schwung, ihre Haltung mehr Grazie, aus die gelangwcilt auSschauenden Züge legte sich rasch ein anmuthiges Lächeln, ja einige der jungen Damen wurden rolh, drückten sich enger aneinander . . ." „Nanu!" „DaS sagte ick auch! Ich bilde mir zwar ei», ein ganz netter junger Mann zu sein — die schöne blende Emilie hatte es ja vorbin selbst gesagt — aber so waS von Eindruck war mir noch nicht vorgekommc». Ich begab mich an den Meercssiranb. legte mich in den Dünensand hi» und be schäftigte mich damit, über daS Rätbsct nachzudenken. Ich konnte daS ungestört, denn ich erblickte säst keine Mcnschen- seele als in weiter Ferne ein paar Damen, die Muscheln suchten. Wie lauge ich so gelegen habe» mvchle, weiß ich nicht mehr ... als ich endlich die Augen anfscklug, war die Sonne dem Horizont schon nahe. Aber was erblickte ich? Ich war nicht mehr allein — wohl anderthalb Dutzend Damen hielten sich in meiner Nähe auf, alte nud junge; einige saßen zehn Schritt von mir ii» Sande, ankere aus dem Rande eines ausS Trockene gezogenen Fischer bootes. ja. drei von ihnen ans einer Bank, die, wie ich mich be stimmt entsann, Vorher uiindesiciiü sechzig Schiiit weiter abseite» gestanden hatte. Die Damen beschäftigten sich tbeilS »i>t Handarbeiten, tbeils mit Lectüre, aber das war gewiß nur ein Vorwand, denn als ich eine Bewegung machte, wandten sie alle sofort ihre Gesichter mir zu. Ich richtete mich empor — und stieß an einen rothseidcnen Sonnenschirm, der über mein Haupt gespannt worden war. Wem dieser Schirm gehörte, darüber sollte mir auch keine Sccnndc Zweisel bleiben, denn ich sah sofort eine junge Dame einen ganz ähn lichen ostentativ bewegen, und schaute in die süßlächclnden Gesichter zweier reize»der Mädchen von etwa zwanzig Jahren, die mit ihrer Maina unfern von mir im Sande saßen. Ich dankte mit einer böslichen Verbeugung, was zur Folge batte, daß die übrigen fünfzehn Danieu gehässige Blicke auf meine gütigen Schaltenspenderinnen warfen, ja ich vernahm etwas von dreister Zudringlichkeit. Ich habe niemals Sultanslaunen Emilie war zu un» getreten. schmollte sie, ».da« finde ich gar nicht passend von Der, sich hier hereinzu- drüngrn und mit ihrer Kunstfertigkeit zu paradiren. Nein, da« gefällt mir gar nicht." ' Sie war verstimmt: nach der eben gehörten Meister leistung wollte sich keine Dame mehr an» Pianino setzen. Ich begab mich mit Kaltwaster in den Garten. Nun, wie gefällt eS Ihnen hier?" fragte mich mein Berliner Bekannter. „O — recht gut .. . aber sagen Sie mal. wo haben Sie nur den ganzen Nachmittag über gesteckt?" „Ich war auf dem Wasser." „Aus dem Meer?" „Nein, aus dem Dievenower Bodden. Ich segle und angle den ganzen Tag." Ein „Ah!" de» Verständnisse» entfuhr mir. „Und die anderen Herren?" fragte ich weiter. „Die segeln und angeln ebenfalls. O, Sie glauben nicht. waS eS für große Barsche hier giebt. Man sängt sie mit Regenwürmern." „DaS weiß ich seit meinen Schuljahren", lehnte ich die Belehrung ab. „Und auch aus die Jagd gehen kann man hier... es giebt hier kolossal viel Schnepfen. Der Wirth de» Hotel du Nord ist Iagdpächter — befreundeten Herren giebt er Er- laubniß .. ." „Ah!" rief ick. „Also hier segelt, angell, jagt man?" „Gewiß — Dievenow wird deswegen da» Paradies für Junggesellen genannt!" „Aber die Damen?" „Die könne» sehen, wo sic bleiben!" „Ach, Herr Kaltwaster"', tönte die Stimme von Fräulein Emilie hinter un», „wollen Sie nicht ein bischen rudern?" Gnädige» Fräulein, ich bin den ganze» Tag aus dem Master gewesen!" Damit entfernte sich Kaltwaster eilig. Fräulein Emilie seufzte. „Sehen Sie, so sind die Männer! Würden Sie cs auch so thun?" „Nein, gewiß nicht — ich würde Ihnen mit Begeisterung meine rudernde» Dienste weihen. Darf ich bitten einzusteigen?" Fräulein Emilie erröthete tief. „Nein, nein — daS wäre unpassend! WaS würde» die Leute dazu sage»?" „Daß wir u»S einem gemcinsamen Schifslein anvertrauen wolle», um zusammen die Fahrt durchs Leben zu machen!" ries ich, die Hand der hübschen Blondine ergreiteno und die Grübchen derselbe» küssend. „Eine reizendere Reisegefährtin vermöchte ich mir nicht zu denken." So sprach ich keck, obgleich ei» ganz anderes Bild aus dem Dunkel austanctle und vor mein innere- Auge trat. Ach wenn man nur wüßte, ob Sie cs auch so meinen!" sprach Fräulein Emilie. „Die Männer sind so gewissenlos!" „Emilie, Emilie!" drang der Ruf vom Hause her. „Hören Sie — man ruft mich!" En Händedruck, zart >n»d vielsagend, und ich war allein. „Vom, vicki, viel hinaus. Ueberall im Schilf erblickte ich Kähne und daria äugelnde Junggesellen. Plötzlich schwenkte einer derselben seine Mütze — ein Haupthecht hatte angebisten. „Gratulirel" schrie ick hinunter. Der glückliche Angler schaute auf — e» war kaltwaster. gehabt — dieser Kranz von achtzehn Damen verwirrte mich maßlos; rasch ergriff ich meinen Hut, machte eine ungeschickte Verbeugung und stolperte davon, nicht ohne daß meine Ohren ein mehrstimmiges „Ach" der Enttäuschung vernahmen. „Karl!" sagte ich mir aus dem Wege zu meine», Hotel, „Du bist ja ein Mordskerl! Die Damen haben ja alle eine» Narren a» Dir gefressen . . . solltest Du Dich aus Denier Reise so vvrtheilhast herauSgcniustert babeu, sollte Dir daS verbrannte Gesicht so gut stehen, daß Du damit Furore machst?" Meine Eitelkeit wisperte: ,.Ia, ja, natürlich!" „Jedenfalls", überlegte ich, „mußt Du doch wenigsten» Einer sein, der sich sehen lasten kann — würden die Damen sonst so viel Aufhebens von Dir machen?" In sehr gehobener Stimmung betrat ich das Hotel, wo Wirth, Hausknecht und Kellner mich mit so zärtlich-stolze», zart-ehrerbietigen Blicken begrüßten, wie etwa ein Theater director seinen MierczwinSly oder Botel betrachten würde, der ihm ausverkauste Häuser verschafft. Ich begab mich auf mein Zimmer — das während meiner Abwesenheit uni einen Spiegel und verschiedene andere, allerdings be scheidene Toilettengegcnstände, die vorher gefehlt halten, be reichert worden war. Ich stellte mich vor den Spiegel, blähte mich aus und betrachtete mein Bild voller Selbstzufrieden heit — ich bitte Dich, laß da- Lachen sein!" „Entschuldige!" „Du bist entschuldigt! — Nachdem ich mich noch gewaschen und gekämmt, begab ich mich hinunter in den Speiscsaal zum Souper, zu welchem eben die Glocke gerufen hatte. Mir war ein guter Platz zugewicsen worden: Zu meiner Rechten und Linken je eine junge Dame, mir gegenüber ebenfalls Damen — darunter eine Mutter und eine Tante — während die Ehepaare mit Kindern weiter ab saßen. Nur ein alter Herr mit einem Sliernacken und stattlichem Körperumsang saß mir schräg gegenüber — wie ich nachher erfuhr, eben der Herr Pampelmann, dem ich heute beim Diner in der Kunst, eine gute Klinge zu schlagen, über gewesen sein sollte. Ich be merkte nicht ohne Verlegenheit, daß der Kellner mich zuerst bediente, hastig rief ich: „Erst die Damen!" Erstaunt blickten diese einander an; sie schienen eine Be vorzugung meiner ganz in der Ordnung gesunden zu habe». Der Kellner präscnlirte die Schüssel meiner hübsche» Nach barin, eben der blonden Eniilie. die sich tieserrötbend bediente — dann aber wandte er sich wieder mir zu. Offenbar hatte er: „die Dame" statt der Mehrzahl verstanden ... „Das war compromittirend ..." „Für mich, ja wohl! Die schöne Emilie mochte glauben, daß von alle» meine» Courmachcrinncn sic die Bevorzugte sei, und unterhielt sich »u» ausschließlich mit mir, wozu sie ge wissermaßen gcnöthigt war, da die anderen Damen Plötzlich nichts mehr von ihr wissen wollten. Sie fragte mich, ob ich die Musik liebe und betreibe; ich verneinte Letztere- erröthenv, gestand aber, daß ick gerne Musik höre. Kaum war daS Souper beendet, so setzte sich Fräulein Emilie an da» Pianino. spielte, und sang dazu: „Da mich traf zum ersten Mal Deiner Augen sanfter Strahl, Fühlt, zum ersten Mal im Leben, Ich mein armes Herz erbeben, Fühlt, ja fühlt ... zum ... ersten Mal Ich mein armes, ja mein arme-, armes Herz erbeben, ja er...be...ben. Endlich verstummte die schwermüthige Melodie. »Bitte, etwas Heiteres, Italienisches!" bat ich. Sofort trat Fräulein Emilie aus die Pedale und ging in ein rasendes Fortissimo über. Zwei fremde, wunderhübsche, schwarzäugige Damen hatten sich unserem Kreise zugesellt; kaum war die schöne Blondine mit ihrem Spiel zu Ende, als die eine Schwarzäugige sich Bahn durch die Umstehenden brach, durch den Saal zum Pianino stürzte, sich vor da» Instrument setzte, ihre Aermel ausstreifte, in die Tasten griff und nun ein Furioso loSließ, wie ich es selten gesehen. Die Hände flogen nur so hin und her, daß man meinen konnte, zehn Hände arbeiteten. Gut zwanzig Minuten dauerte dies Spiel; endlich war die junge Dame fertig, hastig sprang sie aus, warf einen Blick auf mich und stürzte dann auS dem Saale, hinaus in daS nächtliche Dunkel. Ich hatte lebhaft applaudirt; hinter mir that Jemand desgleichen, ich blickte mich um und gewahrte Kaltwaster. „Famoses Spiel da»!" rief er. „Nicht wahr» in Dievenow ist» einzig?" inuriuelte ich und meine Eitelkeit fand sich sehr geschmeichelt. Ich begab mich in den Saal zurück, wo Kaltwaster eben einer Anzahl Damen den Hos machte. Al» er mich sah, zog er mich bei Seite. „Sie sind der Magnet des.Hause»", flüsterte er. „Drei Damen im Hotel haben ihre Abreise, die für morgen ange- setzl war. wieder aus unbesiimmte Zeit verschoben, und die sen»? Clavierspiclcrin wohnt jetzt hier im Hotel " Mehrere Damen stürmten herbei: „Herr Kaltwaster, Herr Kaltwaster — keine Tnscheleicn! Sie wollen wohl Ihren Freund verführen, gleich Ihnen und den anderen Herren den ganze» Tag zu fischen und zu angeln? Wie könnte ich das?" rief ich geschwind, „bin ich doch selber von Ihren zarten Händen gefischt und von Ihren Augen geangelt!" . Die Damen kreischten laut aus vor Vergnügen, und mein AuSsprnch machte die Runde in der Gesellschaft, die ihn sehr geistreich fand. Sehr befriedigt begab ich mich zur Ruhe. Nur Eines machte mir Verdruß: Fräulein Emilie hatte meine Aeußerung über die gemeinsame Fahrt durchs Leben wiedererzählt. Die Folge davon war. daß Jeder unS schon am nächsten Tage als Brautpaar behandelte. Der Kellner servirte uns den Kaffee gemeinschaftlich aus einem Tischchen i» der Veranda und nachher desgleichen daS Frühstück. Aber Fräulein Emilie war diesen Morgen verstimmt und gab mir zu verstehe», sie fände es unpassend, daß ich mit anderen Damen „kokeltirt Hobe. Gereckter Himmel! DaS bischen „Augenangcln" schon Koketterie! Tie Berstimmung ging aber bald vorüber — und der Tag verlies mir im Trubel. Ich schlug aber doch am Nach mittag de» Fahrplan deS „Neptun" auf und fand: Mittwoch Nachmittag 51/2 Uhr: Fahrt ab Dievenow »ach MiSdroy. „Mittwoch?" riesen die Damen schnell, „das war za gestern!" „Ach wie schade!" brummte ich ohne Arg. Und so ging die sechste Stunde vorüber. Wir begaben u»8 an den Strand. „Gesängen, gefangen!" lackten Fräulein Justine und Emilie. „Dort fährt eben der Dampfer ab!" „Welcher Dampfer?" fragte ich verwirrt. „Der Neptun! Heute ist ja erst Mittwoch!" jubelte Fräulein Justine. „Nun müssen Sie noch 6 Tage bleiben! „Na wartet nur!" dachte ich. Aus meinem Zimmer holte ich daS ReichscourSbuch aus dem Koffer. Ich schlug »ach und fand, daß ich mit dem Dampfer »acb Stettin ging, bis Wollin reisen und von dort mittelst der Post »ach MiSdroy fahren könne — und zwar täglich, Morgens um 8 Uhr. Jcb begab mich hinunter in den Speisesaal. „Meine Damen, ich reise morgen früh 8 Uhr nach MiSdroy zurück!" Die Anwesenden erstarrten. Tas Abendbrod wurde schweigsam eingenommen. Ich hielt den Kops gesenkt und plauderte »ur mit Fräulein Justine mir gegenüber. Nach dem Este» bat ich Fräulein Emilie, etwa- zu spielen. Während sie unter den Noten suchte, erschien Kaltwaster. „Freund", sprach ich, „ich reise morgen!" Er sah wie au» den Wolken gefallen auS. „Mor... gen!! Aber — wa ... rum???" „Freund", flüsterte ich, „ich will nicht länger Hahn im Korde sein!" Rasch trat ich zum Clavicr und ergriff den „Trompeter von Eäkkingen". „Bitte, spielen Sie dies!" Und Fräulein Emilie spielte und sang mit sckwermülhiger Betonung: „Es ist im Leben häßlich eingerichtet, Daß bei den Rosen gleich die Dornen stebn, Und was das arme Herz auch sehnt und dichtet, Zum Schlüsse kommt daS Bon^inander-gehnl In Deinen Augen Hab ich einst gelesen. Es blitzte drin von Lieb' und Glück eia Schein; Behüel Dich Gottl Es war so schön gewesen, Behüet Dich Gotl I Es hat... nicht... sollen... sei» k Tief ergriffen wandte ich mich ab. Wie durch einen Schleier erblickte ich kaltwaster, der, wie stet», hinter mir sich ausgestellt hatte. Er drückte mir die Hände und ich verließ den Saal. Al» ich am Morgen meinen Kaffee getrunken, überreichte mir die Wirthin eine Rose. „Zum Andenken!" Ich begab mich aus» Schiff und dieses fuhr die Dievenow Klariue. * Wilhelmshaven, 12. August. Tie kaiserlich japanische Marinecommission, welche, wie bereit» telegraphisch gemeldet wurde, zu InsorniationSzwecken hier eingetroffen ist, besteht au» dem Vicemarineminister Vice- Admiral Vicomte Sukeki Kabayama, den Corvetlcn-Capilaiu« G- Bamamoto, S. Hivaka, k. Hendo, dem Marinecomniistar k. Murakami, de» Capitain-Lieutenant» M. ?)amanoucki und T. Sakamoto, sämmtlich aus Tokio, dem Sitz der japanische» Admiralität. Die ostasiatischen Ossicierc besichtigten gestern unter persönlicher Führung de» Capitain-LiculenanlS und l. Adjutanten der Mariuestation vo» Henk die kaiserliche Werst, die Hafenanlagen, Fort», da- Torpedo-Etablissement. Casernen re. und folgten am Abend einer Einladung de» OssiciercorpS an dem geselligen Abend im Mariueojficier- casino. Heute früh wurde den japanischen Gästen vo» der Capelle der 2. Matrosendivisio» eine Morgeuniusik gebracht, welcher sie mit sichtbarem Interesse und Behagen zuhörten. Um 9 Uhr erfolgte die Abreise der Japaner nach Kiel, woselbst sie ihre Studien sortsctzen werde». Der wiederholte Besuch hoher japanischer Marineossiciere iu deutschen KriegShäfen und bei deutschen industrielle» Etablissement- (bekanntlich war eine japanische Marinecommissiv» unter Leitung des Marine ministers Gras v. Eaiga im Jahre 1886 ebcnsallS längere Zeit in Deutschland anwesend) ist gewiß der beste Beweis für die achtunggebietende Stellung unserer Marine und Werthschätzung, welche die deutsche Technik im fernen Osten genießen. Mit sel tenem Scharfblick hat das hochstehende Cnlturvolk der Japaner die Vorzüge europäischer Einrichtungen und speciell deutscher Militair- und Marinevcrhältniste erkannt und mit der ihm eigenen rastlosen Energie und Intelligenz seit Jahrzehnte be strebt gewesen, sich diese zum Vorbilde zu nehmen. Iu der steten Verfolgung dieses Ziels ist eS den Japanern gelungen, sämmtlichcn cstasiatiscben Culturvölkern mit Riesenschritten vorauSzueilen und speciell ihre Marine aus völlig moderner Höhe zu bringen, so daß man ihr anstandslos die Suprematie in den asiatische» Meeren zuerkenncn kann. Die japanische Marine besitzt ausgezeichnete Schiffe, die allerdings lediglich europäischen Ursprungs sind, obwohl sich aus dem Inselreichc StaalSwerstcn befinden, welche wohl befähigt sind, kleinere Pauzerschisse zu bauen, und verfügt über ein vorzügliche» Personal. Ihre Ossiciere haben zum großen Theil in euro päischen Marinen (auch in unserer Marine) eine gute Schule durchgemacht; Krupp hat ihr Artillerie, Schichau Torpedo boote und Schwarzkops Fischtorpeko» geliefert. ES ist zu er warten, daß dieser neue Besuch de« japanischen Vicemarine- ministcrS Kabayama wiederum zu Aufträgen bei unseren große» technischen Etablissement» führen wird und daß die japanische Marine durch Verwerthung der bei uns neuge wonnenen Eindrücke und Erfahrungen ihrer Delegirten einen guten Schritt weiter in ihrer Entwickelung thun wird. der mit Fünfte sächsische Atpenturnfahrt. VII. I- Diesbar, 11. August. Die Herabsahrt von Rigi unternahmen wir, wie ich schon angedeutet habe, der Zahnradbahn über Staffel und kallbad nach Bitznau. ES ist dieS die ältere der beiden Bergbahnen, indem ihr Bau im Jahre 1869 begann und ihre Eröffnung bis zum Kulm drei Jahre später erfolgte. Der Bau dieser Bahn machte seiner Zeit großes Aussehen und war damit für die Königin der Schweizer AuSsicklüberge eine ganz neue verheißungsvolle Acra angebrochen. Die Bahn Vitznau-Kulm ist nicht ganz so lang, wie die Bah» Artb-Kulm. dock hat sie eine be deuten ecre Steigung, weshalb auch die Fahrgeschwindigkeit »ur 6 Icm in der Stunde beträgt. Das herrliche Wetter, welches die Stunden unserer Änwesenbeit auf Rigi-Kulm u den schönsten unserer ganzen Reise werden ließ, »lieb uns aus der Herabsahrt zum Vierwaldstätter See und weiter aus der Uebersahrt nach Luzern getreu. Abermals genossen wir vom Platz im Wagen auS, den wir fürsorglich wieder an der richtigen Seite gewählt hatten, kaleidoskopartig wechselnde entzückende AuSsichtSbilder aus den herrliche», zu Füßen liegenden blaugrünen See und dessen unvergleichlich schöne Umgebung. Auch der Bau dieser Bahn ist ein überaus kühner, es haben die größten Schwierig keiten bewältigt werden muffen, die Bahn ist stellenweise in die Nagelfluhschichlen gesprengt und schmiegt sich dicht an steil abfallende Felsenwände an, so daß tiefe Abgründe und Schluchten darunter sich öffnen und demjenigen, der nicht ganz schwindelfrei ist, wohl ein leise» Grauen verursachen möge». Wir passirten aus unserer Niedersahrt an den Stationen Staffel, Stafselhöke und Kaltbad vorbei. Große, glänzende Hotels und Pcnsionshäuser lade» hier überall die be güterte Menschheit zu kürzerem oder auch längerem Verweilen ein; nächst dem Naturgenuß kann man hier oben auch den Ausgaben der Höhenluftcur, verbunden mit Baden, nachqehen. Es schien nns.al« ob die verschiedenen Etablissement» in Folge deS eingetrcteuen besseren Wetters reichliche» Zuzug erhalten hatten. Aus unserer Fahrt, die unS den blauen Seebecken und grünumgttrtetcn Buchte» immer näher brachte, berührten wir noch zwei weitere Stationen und gelangten alsdann an eine außerordentlich interessante Stelle. Ei» etwa 120 Fuß tief in einer Thaleinsenkung schäumender Gebirgsbach ist durch eine kunstvoll construirte eiserne Brücke, die nur einen einzigen Stützpfeiler hat, iibcrbrückt. Die Brücke schwankte etwas, als der Zug darüber fuhr, indessen eS ist damit nicht die geringste Gefahr verknüpft. Bald waren wir nun in dem freundlichen Dörfchen Vltznau angclangt. Prangende Gärten berühren da» Auge aus daS Angenehmste, überall sieht man reiche Obst plantagen, sehr zahlreich sind die Edelkastanie», sogar Feigen bäume wachsen hier im Freie». Wir begaben uu- sofort an Bord deS zur Abfahrt »ach Luzern bereit liegenden großen und eleganten SalondanipferS „Italia". Zu dem Hochgenuß auf der Rigi kam nun die herrliche Wasscrfahrt aus dem See. der als der schönste in ganz Europa gilt. Nach ihm und seinen sagenumwobenen Usern sind seil Jahrhunderten die Menschen gewandert, sie haben sich im Anblick seiner ent zückenden «Schönheit versenkt, und bekanntlich fühlte sich vor mehreren Jahren auch der verstorbene unglückliche Äayern- könig mächtig zu ihm hingezogen, von dessen Anwesenheit »och heute aus Rigi-Kulm eine Anzahl werthvoller ErinnerungS- geschenke Zeugniß oblegen. Den Vierwaldstätter See zu sehen, daS hatte mir in meinem Leben schon lange als Ideal vorgeschwebt und nun war diese» Ideal erreicht. Wer die Schönheiten deS Vierwaldstätter SeeS in ihrer Totalität genießen will, der muß günstige« Wetter Habers und dessen hatten wir un» zunächst aus unserer Fahrt nach Luzern in vollem Maße zu erfreuen. Der Aufenthalt auf dem Oberdeck des Schiffe» war ein sehr angenehmer und gewährte freien Ausblick nach allen Seiten. Der Ser ist 41 km lang und im Maximum 15 km breit; er hat seinen Namen von den vier ihn umfassende» Cantonen Luzern, Unterwalden, Schwyz und Uri und zeichnet sich durch seine eigenthümliche viclaliederige und buchtenreiche, einem schiefen Kreuz ähnelnde Gestalt au». Dadurch, daß dieser See kräftige Wasserarme nach ollen Seiten weit in«
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