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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.08.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-08-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188808187
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880818
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880818
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-08
- Tag1888-08-18
- Monat1888-08
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.08.1888
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Zweite Beilage zum Leipziger Tageblatt und Anzeiger. ^ 231. Sonnabend den 18. August 1888. 82. Jahrgang. Ein Ausflug nach Tunis. Bo» Jenny Norder-Ney. »!l>4dni<r verlöte». (Schluß) Ich kam nun zu einem hübschen mit Lnenl^ptas und Weißen Pappeln bepflanzten Platz Eine Moschee au« dunkel braunen Steinen erhebt sich in der Mitte. Die Fatzade wird aus zwei Reihen bemalter Boxten gebildet, die aus schlanken Säulen ruhen. Der große viereckige Thurm eine« MinaretS endet in eine Glocke, die von drei goldenen Kugeln und einem Halbmond überragt wird. Ein Dutzend Araber saßen und lagen aus den Stufen herum. Sie übten sich in der Rhetorik. Ein ehrwürdiger Greis in grünem Kastan und weiß-grünem Turban la« einen BerS au« dem Koran vor, über den Jeder seine Meinung zu äußern und in gebundener Form vorzu tragen hatte. Ich habe mir die Stelle geben und übersetzen lassen. Sie lautete: „Die wahre Heiligkeit ist ein göttliche« Gleichgewicht zwischen der Verherrlichung und der Verachtung de« LeoenS. zwischen der Strenge und Nachsicht, zwischen der Gewalt und der Liebe. Ein wenig Freude ist aus dem Grunde aller Dinge, und die Hoffnung ist die Tugend der Tugend." Tun,« ist im Osten durch einen salzigen See. über den eine Brücke führt, vom Meer getrennt. Derselbe ist stet« belebt von kleinen Segelschiffen, welche die Waaren von La Goulette nach der Stadt führen. DaS Zollhaus stebt an feinem Ufer. Rosa Flamingo« halten sich viel in der Nähe auf. — Ein anderer See, der Sebkha-Seldjoum, liegt hinter der Stadt. Sein Master ist bleigrau. Seine User sind sandig. Man sieht weder Boote noch Vögel. Es ist ein ganz schweig samer Ort. Ein Felsen springt weit ins Master binein. Er ist mit Disteln überwuchert. Das Grab emeS Marabouts (Heiligen) erhebt sich aus seiner Spitze: Vier weiße Mauern sind von einer Kuppel bedeckt. Inschriften bilden den einzigen Zierrath. Hier ruht der Weise Amru-Ben-Kamia. Verse auS seinen Gedichten schmückten den steinernen Sarg. Man laS z. B. zu Kopsende: „Wehe mir. der ich meine Jugend verloren habe! Als ich sie verlor, habe ich Alles verloren. Ich ging früher heiter zur benachbarten Schänke und ließ mein Haar im Winde wehen. Ick trug goldgestickte Kleider und blickte in die Augen meiner Geliebten. Beneide nickt den Mann, von dem ma» sagt: „Er ist mit der Zeit vernünftig geworden! Vernünftig sein, heißt todt sein!" Gegenüber war zu lesen: „Der Mensch gehört dem Schicksal, und daS Schicksal ist phantastisch. Reich oder arm, glücklich oder elend. Alle« waS lebt muß sterben. Der Tod nimmt dem Einen seine Kraft, dem Andern seine Armuth. Jung oder alt, er trägt un» Alle hinfort!" Die Einwobner des Lande« besuchen diesen Ort als Wall fahrtsstätte. Sie erbitten von dem Heiligen die Genesung eines kranken Kindeö, oder den Gewinn eines schwebenden ProcesteS, oder daS beste Mittel, den Gerichten die gestohlenen Gegenstände verbergen zu können. Hinter diesem Grabdenkmal dehnt sich eine weite Ebene auS, die von Bergen begrenzt wird. Ein römisches Aquaduct entrollt in der Rolle von mehreren Kilometern seine doppelten Bogenreiben. Sie waren noch so gut erbalten, daß man sich ihrer hätte jeden Tag bedienen können. Arabische Häuser standen herum. ES waren reich geschmückte Billen, bei deren Ver zierungen daß Gold nicht gespart war, aber sie lagen ver wüstet. Die Mauern waren geborsten, die Fenstern zerschlagen, die Tbüren aus den Angeln gerissen. GraS wuchs zwischen dem Mosaikfußboden, und Skorpione kriechen aus dem Stuck der Decken. Die« ist echt arabisch. Die Erbauer wußten, daß menschliche Launen und Liebhabereien einem bestimmten Zeitmaß unterworfen sind; daß ihnen bald nicht mehr gefällt. WaS heute ihre Begeisterung erregte. Sie bauten darum nur für einen Tag. während die Römer der Ewigkeit Denk male ihre» Daseins hinterließe». Der Pessimismus drückt allen Handlungen dcS Orients und Südens sein Siegel aus. Ich wollte nicht Tunis verlassen, ohne Carthago besucht zu haben. Die« nimmt eine Tagereise in Anspruch. Die Eisenbahn brachte mich bis La Marso, von wo aus ich zu Fuß Bou-Said erreichte. Der Gols war türkisenblau, die Berge schienen von einem silbernen Schleier bedeckt, die schroffen Spitzen des Zaghouan hoben sich im Süd-Osten von einem leichtbcwölkten Himmel ab, alle Linien waren wie zu geheimnißvollen Accorden ver bunden. Alle Farben hatten einen malt absterbenden Ton, Kne ihn nur die Sonne Afrikas Hervorrust. Sie ist eine eigenartige Zauberin, eine mächtige Magierin, welche die dichtesten Schatten durchdringt, den Gemälden eine unverbältnißmäßige Tiefe und flüchtige Grazie verleiht. DaS Ganze ist leuchtend, und alle Einzelheiten sind sanft. Aber diese lichtreicke Lust bringt eine Krankheit gar seltsamer Natur hervor; eine tiefe Traurigkeit, der jeder Europäer verfällt, und von der die Araber nicht ausgeschlossen sind. Die große Hitze entnervt den Körper, das grelle Licht ermüdet die Augen, die feierliche Stille bedrückt die Seele. DaS Leben ist nur eine Last, die niederdrückt: man bofft, man wünscht, man strebt nicht mebr. Diese afrikanische Melancholie, der traurigste Spleen, der mir je begegnet, nennt sich „Souda", weil sie auS dem Sudan stammt, wo sie die Neger zum Selbst mord treibt. Ich schritt so mit meinen Gedanken allein am User de« MeerrS. Ich besuchte in allen Einzelheiten die zahlreichen Buchten und stand staunend vor den beiden Häsen, welche im Drama der Weltgeschichte eine so bedeutende Rolle gespielt haben. Verkrümmte Feigenbäume, mit glänzendem grau weißen Stamm, warfen ihre Knospen aus die blühenden Iris zu ihren Füßen, deren purpurrothe und gelbe Blumenkelche einen betäubenden Dust ausströmten. Die Hütten einiger arabischer Hirten lagen zerstreut umber. Einzelne Sol daten gingen nach dem Fort. Em Neger bewegte träge die Ruder in einem schmalen langen Boot. daS müde aus den Wellen schaukelte: gewiß ein Vorposten der Seeräuber, welcher auf daS Borüberziehen der Beute wartet, um es den Genossen melden zu können. Der forschende Blick gewahrte sonst nicht«, als einiges Steingervli, auSgedörrte GraSflächen, Absynth- sträucher und Thapsiagebüsche. DaS war Carthago, das Britannieu der alten Welt! Die Vorstadt Megara weist noch die meisten Schutthaufen aus. Hier lagen die von Citronenhecken umgebenen Villen der Handelsaristokraten. Jeder Stein, den man hier aushebt, ist ein Stück seltenen Marmors, Serpentin. Giallo, Rasso, Verdantico, JaSpiS oder Porphyr. Der Tempel de» Aesculap stand am AuSgang. Von den 60 Stufe», die zu ihm empor führten, ist keine mehr vorhanden. Die Burg bietet den An blick eine« Geröllhügel« dar. Man glaubt eS nicht, daß ihr Untergeschoß Quartier für 27 000 Mann, Stallung für 800 Pferde und 400 Elephanten bot, und daß die Magazine Raum batten für die LebenSmittel von 200 000 Menschen aus zwei Jahre. Der Krieg von anderlhalb Jahrhunderten, den Carthago mit Rom geführt, hat gründlich verheerend gewirkt. Eaju« Gracchus erbaute zwar aus den Trümmern Junonia, von der noch eine Wasserleitung und ein Massengrab übrig ist, Lugnstu«, Marc-Aurel und Gardian schufen wohl die Ooloui» Oarttiagiiuensj«, aber MaxentiuS zerstörte sie so gut. daß auch kein Stein auf dem andern blieb. Genserich schlug seine Hauptstadt in Ruinen auf. Bon der Tbäligkeit Belisar'S und der Pracht der Justiaua. de» Kaiser« Justinian'S, zeigen einige Thorbogen in byzantinischem Stil. Da« sind die stolzen Reste der von Hassan Bey. dem Felbherrn de» Kalifen Ben Merwan, verbrannten Stadl. Seitdem hausten die Araber darta. St« mußtr» zweimal de« Christen weiche«: Ludwig von Frankreich und Karl V. von Deutschland. Beide Fürsten >ekUmmerten sich nicht um die Herstellung der allen Herrlich» keil, sondern waren nur ängstlich besorgt, zwischen Carthago und Ulica, der 900 Jahre v. Chr. gegründeten phönizische» Niederlassung, der Mutterstadt de« Didokönigreicks, eine» KriegShasea für ihre Flotte zu bauen. Der spanische Abmiral- Bauweister Gi»6z Pörvz de Hita hatte in wenigen Jahren da« Meisterwerk vollendet, und wen» heute die französische Flotte sicher in der Bai von Tunis vor Anker liegen kann, o hat sie e« einem der größten Feinde Frankreich« zu danken! Die Capelle de« hl. Ludwig steht in der Nähe. Sie ist aus den Grundmauern beS Eschnounlempel» errichtet. Sie ist sehr einfach gehalten. Einige selten schöne FreScomalereien, Sceuen aus den Kreuzzügen darstellend, zieren die Wände. Arabische Bettler hatten sich am Eingang ausgestellt, um einigen Nutzen von den Besuchen der Fremden zu baden. Ein Kloster erhebt sich der Capelle gegenüber. Es ist ein kunst loser viereckiger Steinbau mit niederen Fenstern, einem kleinen Glockenthürmcken und von einem Gärtchen umgeben. Die Merkwürdigkeiten Carthago'» werden in den unteren Räumen ausbewabrt. Ein älterer französischer Abbü ist der Hüter diese« Museums Alles ist darin wohl geordnet. Krüge und Vasen von seltenen Formen stehen aus Regalen nebeneinander, die ältesten i» den hintersten Reihen aus erhöhten Untersätzen. Die Tische sind mit Tellern und Geräthschaften bedeckt. Schaukästen bergen Münzen und Gewebe, welche durch die Berührung leiven würden. Ein vergoldete« Ruhebett nimmt die Mitte eine« zweiten Zimmers ein. Es entstammt sicher einer vornehmen Haushaltung. Der Goldstofs der Polster ist verblichen, aber die metallenen Haut-relies-Figuren zeigen noch beute in kunstvoller Ausführung SemirannS. welche den NinuS tödtct. Welch ein Zeitroman ließe sich nickt an dieses Möbel a»k»üpsen! Warum wurde gerade solch eine Scene zur Verzierung gewählt und keine andere? u. s. w. Der Phantasie ist weiter Spielraum gelassen auch bei dem Wagen, aus dessen Dorkertheil zwei Hände abgebildet sind, die nach einer Palme greisen, eben so bei der Halskette, zwischen deren goldene Nmge sich eine eiserne Stange zieht und dem heiligenscheinarligen Kopfschmuck. Ein massiv silberne» Kästchen, dessen Deckel so blank polirl wurde, vaß man sich darin spiegeln konnte, enthält silberne Flaschen und Büchsen, die einen eigenthümlichen Geruch auSströmen. Dies waren wohl die Toilettenrequisiten einer „Uarda", die sich in einer Sänfte, wie sie dort in der Ecke steht, znm Wcttrennplatz tragen ließ und ungeduldig wartete. biS der Wagen de» Ge liebten vorüberrollte, und er den Sieg errang, den die Ver zierung andeutet — und den ander», welche ihre Blicke ihm verheißen Und die Tragödie erfüllt sich denn die Astarte von Carthago heißt Tanit. das ist die Liebe, welche lödtet und die Mutter jenes Stammes der ASra, die da sterben, wenn sie lieben. DaS Bildniß der Göttin steht in einem Zimmer für sich. Die Büste erhob sich aus einem mit schwarzem Sammt be kleideten Sockel. Der Ausdruck de« wunderbar schönen Ge sichts ist tief schmerzvoll. Eine unnahbare Hoheit lagert darüber. Das mildert daS Grausame. Starre des Blickes. So schaut nicht die Venu« von Milo, noch die nordische Freya: das ist ein agrippinenhaster Zauber! Ich weiß nicht wie, der Gesang Hamerling'S aus seinem „Ahasver in Rom" kam mir in Sinn, wo Nero - Tyonysos in den Gärten de» Lukull sein Nosenfest feiert: („Noch nie hat das Tyrrhener Meer geblaut wie beut" „Voila I'amour!" sagte der Abbö, und als ich stumm blieb, wiederholte er: ,,6'est I'awour!" Ich sah nock einmal in das marmorne Antlitz, VaS einen Schüler deS Praxiteles zum Schöpfer bat, und mnßte mich fragen: „Ist das wirklich die Liebe? Ein verstümmeltes Götterbild, bas einst heilig gehalten wurde und zu Allem begeisterte, was edel und gut. waS gewaltig und erhaben war. das aber jetzt nur auS Neugierde betrachtet wird, dessen Verehrer Mitleid erwecken, dessen Verhöhnung an der Tagesordnung ist und der nur von Priestern gehütet wird, die cS nicht kennen dürfen? Ist die Liebe nichts Anderes mehr? „Das ist wohl nur die heidnische", meinte ich. um doch etwas zu sagen. „Die christliche ist die Barmherzigkeit!" „Und waS ist Barmherzigkeit?" „DaS Bewußtsein eines Ausdruck« de« göttlichen Wesens in der menschlichen Seele." „Wie giebt sie sich kund?" „Sie Ihut eS nicht. Sie läßt sich entdecken von Denjenigen, die sich die Mühe geben, sie zu fühlen, aber, ach! den meisten bereitet das zu viele Schmcrrcn. Sic zieht nach sich daS wunschlose Erfüllen der Wünsche Anderer — und eine tiefe Resignation, die allein daS Herz vor Enttäuschungen be wahrt. So zu lieben ist ein Gnadengeschenk dcö Himmels." „Die Heiden besaßen es nicht?" „Sie erkannten cs wenigstens nicht in dieser Form. Sehen Sie selbst." Der Priester, der in seinem weißen Gewände, mit dem Kranz schneeiger Locken um da- edle Haupt, eben im Eifer der Rede einem Apostel geglichen, war wieder „menschlicher" geworden: Der gelehrte Führer, welcher seine Schätze zeigt. Er wieS bei seinen letzten Worten aus eine Marmortaiel, in welche griechische Sckristzeichen eingegraben waren. „Dies hat man in der Hoble eines Anachoreten gesunden vor dem Bilde dieser selben Tanit." Er lautet in der Uebersetzung: „Göttin der verborgenen Leiden im höchsten Glück! Du hast mich früh in Deine Geheimnisse eingeweiht. Ich habe Deine Freuden, Tein Entzücken gekannt, aber auch Deine Grausamkeiten und Schlechtigkeiten. Du hast ver schiedene Wege genommen, um zu mir zu kommen; Du er schienst mir unter vielen Gesichtern und hast zu mir in vielen Sprachen gesprochen. Aber wie Du auch aussahst und wie Du redetest, eS war Lüge. Du hast mir da« Glück ver sprochen, daS nicht aufhört, und eS ha: einen Tag gedauert. Du hast mir geschworen, daß Dein Reichthum em Meer ohne User sei. Ich habe eS bald gemessen. „Noch einen Versuch und Du wirst gesunden haben!" riefst Du mir jede« Mal zu. Und ich fand nichts Vollkommene». Ich weiß, waS Dein „Immer" uns Tein „Niemals" bedeutet: Trug über Trug! Ich höre jetzt nickt mehr auf Deine Stimme. Ich sage mich loS von Dir. Du wirst mich nicht zurück erobern !" „Das klingt beinahe modern .... Ja, trotz unserer Kirche» und Capellen ist nock viel Heiventhum in der Welt!" Mit diesen Worten entließ mich der würdige Abb6. Ich warf noch einen letzten Blick aus die Trümmer der punischen Herrlichkeit, der römischen Cäsarenmacht» de« Vandalenstolze», der Größe de» byzantinischen Reiche« und der Gewalt de« Jslam's. Ein schlichtes Holzkreu; ragte darüber hinaus, um daS unsichtbar das Heilandwort schwebte: „Meinen Frieden gebe ich Euch, meinen Frieden lasse ich Euck!" — — — Die Rückfahrt nach Tunis ging langsamer von Statten. Ein Trupp Spahi« begleitete den Zug zu Pferde. Der Lokomotivführer wollte augenscheinlich den Reitern da« Ver gnügen lassen, ihre Wette zu gewinnen. Der Gouverneur ritt nämlich in der Mitte. Es war General Boulangtr. Er sah prächtig au« ans seinem stolzen Rappen, wirklich ein glänzendes Schaustück. Vorübergehend« grüßten ihn unterwürfig. Er dankte herablassend und blickte coquctt in die einzelnen CoupSS hin und wieder eia kcckeS Wort hineinrusend. Ich sah ih, am Nbeud wieder. Er kam vierspännig «ach dem Cat Oriental gefahren. Eine elegant gekleidete Dame faß in sehr nachlässiger Haltung neben ihm. Eie hielt feine Rechte zwischen ihren beiden Händen und sprach, den Kops dicht an seine Schulter gelehnt, eisrigst zu ihm. Ich erstaunte nicht wenig, in ihr meine Reisegefährtin, die russische Prinzessin zu erkennen. DaS wird wobl da» französisch- russische Bündniß gewesen sein, von dem die Pariser Blätter so viel zu berichte» wußten! Die schöne Witlwe hat wahr scheinlich in Frankreich sortsehen wollen, waS sie erfolgreich in Rußland begonnen. Nach Livadio, Tunis. Ich mußt« bi» zum NeujahrStag warten, um den nominellen Herrn de« Landes, den Bey. zu sehen. Er kam der GratulationScour der Europäer wegen nach der Stadt. Se. Hoheit steht bereit« in hohem Greisenalter. Ein weißer kurzgeschniltener Vollbart umrahmte da- milde Gesicht, dessen Hautfarbe ein matte« Braun ist. Tie Augen blicke» sehr freundlich und ungemeine» Wohlwollen liegt in seinem Gruß. Er trug einen schwarzen Kastan mit einem OrdenSstern aus der Brust. Ein rother Fez mit goldener Quaste bedeckte daS Haupt. Der Wagen war reich vergoldet, mit rothen Polstern Acht Schimmel zogen ihn. Zwei Neger aus dem Dienersitz hielten Schirme au» Straußenfedern über ihren Gebieter. Ein Trupp fast schwarzer Araber in weißen, goldgestickten Burnussen begleitete mit vielem Geschrei den Wagen de» Bev Französische Lbsvkmr - legers bildeten den Schluß de» Zuges. General Boulanger an der Spiye seine« Stabe« erwartete den Fürsten aus der Rampe de« GouvernementSgebäudeS und geleitete ihn in den Thronsaal, wo Gesandte, Ossiciere, Consuln und andere Beamte versammelt waren. Kanonenschüsse dröhnten zur Begrüßung von den Fort« und di- Fahne de« Bey flatterte neben der Tricolore. Tie Feierlichkeit dauerte nicht lange. Sie war auch nur die Erfüllung einer lästigen Form, wie die ganze Regierung deS angestammten Herrscher« von den Franzosen an sich gerissen ist. Sie sind hier mehr Meister wie in Algier selbst. DaS giebt ihnen die Kraft, die Geschicke NordasrikaS allein bestimmen zu wollen. Sie dehnen schon ihren Einfluß bi» Marokko auS. Dorthin begab ich mich, als ich von Tun!» abreiste. vermischtes. — Potsdam, 15. August. („Bossische Zeitung.") In Anbetracht der Bedeutung, welche König Friedrich Wilhelm I. für unsere Stadt, die ja auch seine sterbliche Hülle in der Hof- und Garnisonkirche unter der Kanzel mit der feine- großen Sohnes vereint birgt, gewonnen hat. haben die städtischen Behörden heute einen prachtvollen Kranz an seinem Standbild« im Lustgarten niedergelegt und die könig liche Commanbantur stellte zu Ehren de« Tage« einen Wacht posten im Paradeanzuge an dem Denkmal auf. Die Stadt hatte die Absicht kunvgegeben, wie sie es in Betreff König Friedrich Wilhelm'S Hl. gethan, so auch dem Urgroßvater desselben eine Statue zu errichten; Kaiser Wilhelm aber behielt sich diesen Act der Pietät selbst vor, und so ist da von C. Hilger« mobellirte Werk, in Bronze gegossen, am 18. August 1885 enthüllt worben. Unter König Friedrich I. war Potsdam bi« aus einen Flächenraum von 174 Morgen erweitert worden; olS Friedrich Wilhelm I. aber starb, betrckte e« 568'/, Morgen, also weit über daS Dreifache jener Fläche, und die damaligen drei Kirchen der Stadt, die 1795 durch Brand verwüstete Stadt« oder St. Nicolai kirche, wie die noch stehenden, die Hos- und Garnison- und die Heiligegeistkirche, sind von ihm erbaut worden. Dazu zog er Handwerker aller Art heran und gab ihnen, freilich nur in Fachwerk gebaute, neue Häuser, wie solche noch in mehre ren Straßen der Stadt sich reihenweise finden. Auch daS große ExercirhauS, der Lange Stall genannt, rührt von ihm her, dazu stiftete er daS Große Militair-WaisenhauS, dessen jetziger Bau seinem Nachfolger angehört, und stattete c« königlich aus. Ferner verdankte ihm daS sogenannte Hollän dische Viertel aus dem nun wieder auSgesüllten Bassin und dem noch stehenden sogenannten TabakShäuSchen seine Anlage u. a. m. WaS aber Potsdam vor Allem auSzeichnete, war nickt, wie gewöhnlich zuerst hervorgehoben zu werden Pflegt, daß er hier seine Riesengarde ins Quartier legte, sondern, daß er die mit jenen Stadtvcrarößerungen vermehrte Gar nison unter seiner eigenen Aussicht und Leitung zu einer KriegSpflanzschule benutzte, von der au» jener echt militairische Geist sich über die Armee aiiSgebreitet bat. der e« seine« Nach folgers Genie ermöglichte, die großen Tbaten zu vollbringen, welche Preußen zu einer Macht ersten Ranges erhoben und seine jetzige Geltung vorbereitet haben. -- Schwarzenbek, 15. August. Gestern Nachmittag gegen >/,4 Uhr erschien Fürst Bismarck in einem von zwei Füchsen gezogenen zweisitzigen Wage» in Schwarzenbek, lnspicirte seine zum Sacksenwald gehörige Begüterung und fuhr sodann aus daS Feld, um seinen bei der Erntearbeit befindlichen Oekonomie-Jnspector Sparig aufzusuchen. Bei der ReimerS'schen Ziegelei ries er den Besitzer zu sich heran, ließ ihn, so wie er ging und stand, in seinem gewöhnlichen WerktagSanzuge zu sich in den Wagen steigen und fuhr mit ihm durch da« Tors, um sich den Weg zu den Erntearbeitern zeigen zu lassen. Man war mit Mähen beschäftigt, und alter Sitte gemäß machten sich zwei der arbeitenden Frauen daran, den Fürsten mittelst zweier Strohbänder festzubinden. Der Reichskanzler ließ sich die« in bester Laune gefallen mit den Worten: „Bindet ja recht fest. DaS will ich mit nach Hause nehmen", und spendete, um sich aus den Banden zu befreien, den Arbeitern ein Lösegeld, wie sie eS nicht oft er halten. Die Strohbänder am Arm, fuhr der Fürst, nachdem er in Begleitung seine« Inspektors die Felder besichtigt hatte, sodann nach Schwarzenbek zurück, von wo er gegen 7 Uhr den Heimweg nach Friednchsruh antrat. Der Fürst sah recht wohl aus und schien reckt guter Stimmung zu sein, war bekleidet mit schwarzem Schlapphut, weißer Halsbinde und dunklem Anzug. — Die „Schlesisch«Zeitung" bringt folgende«„Ein gesandt" : BreSlau. 14. August. Luqeflchis der Nachricht, daß Se. Majestät der Kaiser deu Beueral-Feldmarichall Grasen Moltke seiner Functionen als Chef de« Beaeralstabe« der Armee entbunden haben, als welcher derselbe sich unsterbliche Verdienste um unser Vaterland erworben hält Unterzeichneter diesen Zeitpunkt für geeignet »u einer allgemeinen Danke«.Ovation des gesammien vreußi- scheu und deutschen Volke», ähnlich der dem Fürsten Reichskanzler zu dessen SOjährigem Dleustjubiläum dargebrachten. Die Ursache, weshalb bi« jetzt derartige« noch nicht geschehen, um die Befühle der gefammten Nation dem großen, hochverdienten Manne zu docu« mentiren. liegt wohl in der großen vefcheidenhelt de« greisen Strategen. Al. L.*) *) Zuschriften in gleichem Sinne sind un» In gröberer Zahl zu- gegangen. Wir haben die vorstehende auSgewäblt, weil dieselbe aut dem Kerne unsere» BürgerthumeS hervorgegangen ist. Redaktion der „Schlesischen Zeitung". — Die Aufgabe der Jagdstatistik Böhmen« für da« Jahr 1887 ist nunmehr für sämmtliche Jagdgebiete der 89 Bezirkshauptmannschaften vollendet. An nützlichem Wilde wurbeu erlegt: 2189 Edelhirsche und Kablwild, 1588 Dam- Hirsche und Kablwild, 11 759 Rehe. 749 Wildsauen. 512423 Hasen, 25 797 Kaninchen; lOlO Auerhühner, 3872 Birkhühner, 528 Haselhühner, 46 018 Fasanen. 499 935 Rebhühner. 15 343 Wachteln, 2612 Waldschnepfen. >607 Becassiaeu, 405 Wilbgänse und IS 856 Wildenten. An Raubwild wurden erlegt: »060 Füchse, 27»8 Marder. »VS« Iltisse. r»2 Fisch« ottern. 23l Dachse, 242l Wiesel, 59 Uhu« und 48 739 diverse lkaudvvgel. DaS erlegte Wild rcpräsentirt einen Werth von 1 080 000 fl. — London. 14. August. Vor dem Polizeigericht«, »ose in Bow-Street erschien gestern OScar Möller au« kostet unter der Anklage, die minderjährige junge Amerikanerin Elsa Elia« entführt zu haben. Letztere befand sich eben zu Kassel in einer Erziehungsanstalt; der Vater starb im Februar zu New-Hork, und da infolge Vesten die junge Elsa nach er reichtem 2l. Lebensjahre in den Besitz eine« großen Ver mögen- kommen sollte, traf eS sich, daß Oscar bei ihrer Mutter osort um ihre Hand anhielk. Tie Mutter wies ihn ab; al« lntwort daraus verschwand Elsa im April aus einige Wochen; und al- die» noch nicht wirkte, riß sie mit Oscar nach Amerika au», ward aber in QueenStown an Bord eines nach New-Uork fahrenden Schiffe- mit ihrem Entführer abgesaßt. Es scheint, als wenn die deutsche Regierung Oscar Möller's Auslieferung beantragt habe. <— Am vorigen Freitag ist die sogenannte Teufelsbrücke Über die Reuß im Canton Uri eingestürzt. Mit dieser Brücke ist. wie die „Neue Züricher Zeitung" schreibt, ein bistorifch denkwürdige« Bauwerk verschwunden. Die alle TeuselSbrücke de« ehemaligen SaumwegcS Uber den Gotthard lag etwa 8 m unterhalb der jetzigen Brücke im düsteren Schlunde der Schöüenen. Die Bogenössnung der älteren Brücke betrug 75 Fuß. Die neue TeuselSbrücke der Gotl- bardstraße wurde im Jahre 1830 au« Granitquadern erbaut. Seit jener Zeit ist dir alle Brück- nicht mehr begangen und dem allmäligen Verfalle überlassen worden. Unmittelbar hinter der jetzigen TeuselSbrücke windet sich die Straße zum Urner Loch hinaus, jener 64 m langen, durch den TcuselSbcrg ge triebenen Galerie, an deren AuSganoe sich daS grüne Urseren« Tbal öffnet. Vor der Herstellung dieses Durchbruches, der schon im Jahre 1707 hergestellt wurde, führte der Gvtthard-Sauniweg von der TeuselSbrücke über die „stäubende Brücke", einen lange», an Ketten am Felseu hängenden Holzsticg, der. vom Sprüh regen der Reußsälle beständig bestäubt, den TeuselSbcrg um ging. AlS Suwarow mit 25 000 Mann und 5000 Pserden über den Gotthard in die Schweiz zog, war der Bogen der alten Brücke von herabgestiirzten FelSblöcken zertrümmert, aber die Russen legten Balken über die Lücke und drangen hinüber. Ter Bau der kunstreichen neuen B.'ücke (1828 bis 1830) war mil großen Schwierigkeiten verbunden. ES mußten Sprengungen vorgenommen werden und die Arbeiter, um die Granitquadern zu versenken, sich an Seilen i» die Tiefe hinab- lassen. Unter und vor der Brücke stürzt die Neuß mit Donner» getöse über mächtige Felsblöcke, und der hochauswirbelnde Schaum benetzt den Hinübenvandclndcn. Ein naheliegender, fast würfelförmiger großer FelSblock wird der TeuselSstei» genau»! und spielt in der Legende von der alten TeuselSbrücke. die der Satan selber erbaut habe» soll, eine wichtige Rolle. ----- Ueber die Geschichte des Trojka-GeschenkS, welches Kaiser Alexander dem Kaiser Wilhelm gemacht hat. wird in St. Petersburg, wie die „KönigSbcrger Hartuna'sche Zeitung" berichtet. Folgendes erzählt: Als Kaiser Wilhelm und sein Bruder ihren Besuch in Mickailowka, dem Landsitze des Großfürsten Michail Nikolajewitsck, abstatlcten. benutzten sie zur Fahrt ein kaiserliche« Dreigespann. Der Jämschtschik (Kutscher) ließ die herrlichen Pferde, drei Schimmel, gleich bei der Abfahrt die volle Gangart nehmen, das Mittelpferd unter dem Krummholze wie üblich scharfen Trab, die Pferde zu beiden Seiten gestreckten Galopp. Voll Jntcrsse hatte Kaiser Wilhelm sich im Wagen crboven »nd schaute, indem er sich mit der einen Hand ani Kutscherbock hielt, aus die weit ausgreifenden prächtigen Tbiere. Hierbei entfuhr ihm der Ausruf „ganz famos", was zur Folge hatte, daß der Jämschtschik, den ihm unbekannten Ausdruck ziemlich richtig deutend, sein „Täubchen" durch sreunklicbe Zurufe ru noch weiteren Anstrengungen anspornte. Jni Nn war so bei dem musterhaften Wege die etwa fünf Kilometer lange Strecke zurückgelegt. DaS gleiche Tempo kam bei der Rückfahrt in Anwendung, und als daraus Kaiser Wilhelm mit seinem Gastgeber zusammcnkam. drückte er ihm sein Entzücken über die Fahrt aus, eine Fahrt, welche er. was die Scbncidigkeit anbetrcffe, noch nicht gemacht zu haben glaube. Kaiser Alexander, über diese Anerkennung des nationalen Gespannes hocherfreut, machte seinem Gaste die Trojka zum Geschenk mit den Worten: „Schon mein Großvater schenkte Deinem Groß vater eine Trojka, gleichzeitig aber auch einen Jämschtschik; letzteres ist nun unter den jetzigen Umständen unmöglich, und so bist Du schon gezwungen. Dir selbst einen Kutscher zu cnaagiren." Letzteren Rath bat denn auch Kaiser Wilhelm befolgt. — Für die Wahrheit der Erzählung steht der Ge währsmann deS genannten Blattes freilich nicht ein. Literatur. Aua dem Lebe» Kaiser Wilhelm s. (1849—1873.) Von L. Schneider, weil. Geh. Hosrath und Vorleser Sr. Majestät de» Kaiser« Wilhelm. Mit dein Bildviß de» Kaisers und eiaem Autogramm. 3 Bände. Berlin. Verlag von Otto Ianke. — Der Verfasser entrollt in diesein hervorragende» Werke in einer Form von Tagebuchbläitern ein Lebensbild von dem hohen Ve» ewigten, wie eS treuer und wcrthvoller wobl kaum noch geboten werden kann. — Er hat in seiner Stellung »na unter Begünstigung von Umständen das wertbvollste Material für die LebcnSgeschickite de« Kaiser« zusammentragen können, und eS dürfte kaum eine zweite Biographie von einem Fürsten existiren, wie eS diese ist, oder viel mehr wie sie entstanden ist. Das Manuskript ist von dem Kaiser selbst durchgeschen und dem Vcrsasser mit der Eilaubniß zur Ver öffentlichung noch seinem Tode zurückgegebcn worbeu. Der Autor, welcher ein Recht zu haben glaubt, unbefangen zu urthcilen, da er besondere Wohlthaten oder Vortheilc nie genossc» habe, schildert in deut lichen klaren Zügen vor Allem die unbedingte Wahrheitsliebe deS Kaiser», welcher jede Ungenanigkeil, Verschönerung oder Verdunkelung zuwider war, und die Beicheideoheit, mit welcher er seine eigene Person oder sei» unzweijklhcste- Verdienst stets dem Zwecke oder dem allgemeinen Interesse untergeordnet haben wollte, jerner seine unzweiselhasten Verdienste um die Reorganisation der Armee und die für Deutsch- land dadurch bedingten unschätzbaren Ersolge, scioe Stellung zur Presse rc. Ferner sind in dem Werke eine Reihe von Dokumenten und Aktenstücken aus der Regierung-Periode de- Kaisers Wilhelm veröffentlicht, die jevem Freunde der Beschichte Preußen» resp. Deutschland» von hohen, Wcrtbe sein müssen und die wohl auf eine andere Weise nie i» die Oeffenllichkcit gelangt sein würden. Leider schließen die Auszeichnungen L. Schneider'« mit dem Jahre 1872, trotzdem er seinen Dienst als Vorleser und Geheimer Hosrath für seinen geliebten Herrn bis zu seinem Tode am 16. December l878 erfüllte. —ä. » » Bon der neuen, vierten Auflage von Meycr'S C«N- »ersatisnS-Lerikoit (Verlag de« Bibliographischen Institut« in Leipzig) liegt uns der soeben erschienene 11. Band vor, bei dessen Durchsicht wir auss Neue die außerordentlich sorgfältige, um« I sichtige und olle Fächer gleichmäßig berücksichtigende Bearbeitung, die sicher« und klare Darstellung »n Text, die reiche und dabei weise Auswahl der io technischer Vollendung gebotenen Bildertaseln und Karteubetlagen und die ebenso solide wi" elegante Ausstattung rühmend hervorheben müssen Boriresslich im Kleinen wie im Großen, im Innern wie im Acußerc», verdient Meyer's Lon- versationS.Lexik»n mit jedem neuen Band mehr und mehr, an die Spitze aller ähnlichen Werke gestellt zu werden. vriestatten. >. L. Der Genannte lebt in Meiningen. ». L. vnlK^rt. »« hiesig, «arkttzlatz «floßt 10 »74 qm.
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