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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.09.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-09-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188809207
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880920
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880920
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-09
- Tag1888-09-20
- Monat1888-09
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.09.1888
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Erste Geilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger. ^ 2K1. Donnerstag den 20. September 1888. 82. Jahrgang. Der gute Voctor. ErzLhlnug von I. Isenbeck. Aschdru» »ndctei. (Fortsetzung.) .Fragen Sie nicht, wa» ich will, mein Lieber. Ich gehe nicht mehr in de» „Stern". Damit können Sie sich be» ruhigen. Es wird Zeit, daß ich aus strenge Innebaltunq der Amtsstunden batte. Das lasten Sie sich bei dieser Gelegen heit auch für Ihre Person gesagt sein! Gewissenhafte Pflicht» ersllllung, Ausopfern der eigenen Interessen zum Woble de» Gemeinwesen», da» ist eS. waS ei» Bürgermeister täglich und stündlich bethätiqen muß, wenn er als ein leuchtende- Vor» bild dasteben will. Ein leuchtende» Vorbild will ich werden — ja — ein leuchtende» Vorbild — verstehen Sie, mein Lieder?" Der Schreiber schob, statt zu antworten, den großen Lebn» festet noch weiter in die Mitte deS Zimmers. „Haben Sie sonst noch Befehle. Herr Bürgermeister?" fragte er. .Nein, nein", enkgcgnete dieser und versuchte seiner Stimme einen vertrauliche» Ton zu geben. »Aber Sie können mir den AmtSdiener schicken. Oder noch bester, sagen Sie e» ihm, daß er mal hinüber in den .Stern" geht und rin paar Schoppen holt. Man muß sich doch die Kehle an feuchten können!" Ter Wein kam, aber er schien dem Bürgermeister ohne Gesellschaft nickt zu munden. Bei dem zweiten Glase ries Brand seinen Schreiber zu sich. Mir wichtiger Miene fragte er ibn, ob alle Acten und Vorlagen für die Magisiralsntzung am folgenden Tage in Ordnung seien. Auf die bejahende Antwort folgte eine Einladung de» Bürgermeisters, ein GlaS mitzulrinken. Bald mußte der AmtSdiener zum zweite» Mal in tc» „Stern" geben. Brand kam zu der Einsicht, daß er bei seinem Entschluß, kein Wirthshau» mcbr besuchen zu wollen, gar nicht schleckt fahre. In bei» bequeme» Lehnstuhl saß eS sich entlchicdc» bester als aus einer Bank im „Stern". Der Schreiber konnte unterhalte» und wußte von dem Svndic»» Blomeyer und den übrigen Sladtbänplern so viel Spaßhaftes zu erzählen, daß der Bürgermeister befriedigt erklärte, er habe sich seit Wecken nickt so gut amüsirt. Ein» machte dem Letzteren Sie Gesellschaft seine» Untergebenen noch angenehmer: der Mann widersprach ihm nie. Dafür durste er auch un gehindert seinen unlöschbaren Durst besriediaen Zuletzt zog der AmtSschrciber gar ein Spiel Karte» auS der Rocktasche. „Ein Partiechen Rnmmelpiquet, Herr Bürgermeister?" fragte er. Nun war Brand ganz befriedigt. Nnmmelpiquet spielte er für sein L ben gern. Im „Stern" hatte er aber diese Art der Unterhaltung schon lange ausgegebc», da er immer verlor; in seinem Hause litt Frau Beatrix nur einen Whist, um de» aristokratischen Ton zu wahren. Die Mittagsstunde batte schon lange geschlagen, alö der Amtsdiener die beiden Spieler daran erinnerte, daß eS nun die höchste Zeit sei, die BurrauS zu schließen. „Morgen müssen Sie sich aber ranbalten, Secretaircken l" lackte der Bürgermeister, sich schwerfällig auS seinem Sessel erhebend. „Heute haben Sie nicht ein einziges Mal hundert Augen gemacht. Apropos — morgen werde ich auch ver» suchen, ob ick nicht eine kleine Extra-Remuneration für Sie ,n der NathSsitzung beantragen kann. Aber — reinen Mund halten — AmtSgebeimniß bewahren! Sie verstehen mich dech, Sccretairchcn!" In all ihrem Aerger fühlte sich Frau Beatrix Brand durch daS Gefühl gehoben und befriedigt, daß ihr Mann sich wieder einmal ihrem Willen gefügt hatte und ben „Rothen Stern", sowie allen Verkehr mit de» Malfeldern mied. Tag für Tag wurde Lisette zu verschiedenen Zeilen von ihr auf Kundschaft anSgeschickt, und stets brachte sie die Nachricht, daß der Herr Bürgermeister aus de», Nalbbause sei. Wie sich Brand für die Verzicklleistung auf den WirlhSbauSbcsuch schadlos hielt, davon erfuhr Niemand etwas, seine Mitschul digen. der Amtöschreiber und der AmtSdiener, waren ver» schwiegen. Von allen Maiscldern hatte nur Einer wieder Gnade ge» sunden in den Augen der Frau Beatrix Brand und ihrer Tochter Iustiane: Heppler. Er kam täglich in da» bürger» meisterliche HanS. schien es nicht zu fühlen, wenn er un« freundlich empfangen wurde, und fügte sich in alle Launen der beiden Damen. Heppler sah in Iustiane Brand nur die reiche Erbin der reichen Gräfin WolsSeck. Al» er auS den Mitlheilungen deS EyndicuS Blomeyer erfahren batte, daß Frau Brand eine Nichte der Gräfin sei. war er sogleich nach der Residenz gereist, um dort genaue Erkundigungen einzu- zicbeu. E» war ihm auch gelungen, die sichersten Beweise dafür zu erhalten, daß die Gräfin im Besitz eine» großen Vermögens sei und keine anderen Verwandle» habe, als eine alte Cousine ihres Mannes und die Tochter einer ver storbenen Schwester derselben, die verehelichte Bürgermeister Brand. Heppler handelte mit der Ueberlegung eine» geschulten Diplomaten. Er verschaffte sich unter dem Vorwand, Wäsche stücke nähen lasten zu wollen, Eingang bei dem Fräulein v. WolsSeck. der Tante der Bürgermeisterin. Geschickt wußte er da» Gespräch auf die kümmerliche Lage der Näherin mit dem aristokratischen Namen zu bringen, hörte geduldig die Lamentationen der geschwätzigen Alten mit an. welche die Witlwe ihres BetterS und die Tocklrr ihrer Schwester ol» die hartherzigsten und erbarmungslosesten Geschöpfe schilderte, und überzeugte sich, baß in der Tbat mit ihr nur die Brand'» Anwartschast aus den WolsSeck'jchen Besitz batten. Ans der Rückreise legte er sich seinen Plan weiter rurecht. Als Grund seiner mehrtägigen Abwesenheit von Maiseld gab er wichtige Geschäfte an und erzählte besonder» seiner Haushälterin, daß e» ibm gelungen sei. eine schon lange verloren geglaubte größere Summe Gelbe» zu retten. Er wußte genau, das; Frau Gcrtruvi» für die Verbreitung dieser Neuigkeit sorgen würbe. Dann machte er seinen ersten Besuch bei Frau Brand. Diese hatte durch Lisette auch schon erfahren, daß Heppler'» Vermögen sich verdoppelt bade. In de», Augen der Bürgermeisterin gab ihm die» einen Reiz, der den bürgerlichen Namen, die ungelenke lange Figur, da» pockennarbige Gesicht und die von der früheren Beschäftigung mit Heringen und schwarzer Seife noch immer groben und rothe» Hände fast vergessen machte. Sie sah in dem reichen Heppler eine Versorgung für ihre Iustiane aus alle Fälle und beschloß, ihn zu ihrem Schwiegersohn zu macken, wen» jede Aussicht schwände, die Gräfin zu beerben. Heppler'» Bemühen, den früheren Um gang wieder anzukaüpsen. bewies ihr ja zur Genüge, daß derselbe jetzt anderer Ansicht geworden sei und Iustiane be- gehrenSw-rth finde. Um ihn ans die Probe zu stellen, um sich zu überzeugen, wie fest da« Band sei, da» ihn zu ihrer Tochter zieh-, zeigte sie sich unfreundlich und abstoßend und stellte e« al< e ne UnmbglichleN bin, daß Iustiane jemal» einen Mann ohne Adel, obne kNel oder Würden hriratben könne. Sobald sie aber sah. daß Heppler Miene machte, die anscheinend unnützen Bewerbungen «.uszugeben. leukte sie wieder ein und «rltärte in thräneurrickem Patbo», daß sie uud ihre Tochter viel zu edel und gemüldvoll seien, um die Stimme de« Herzen» wegen äußerer Rücksichten zum Schweigen zu bringen. Wenn Iustinchen erst wirklich gemerkt habe, wa» Lieb« sei, so werde sie nie nach Rang und Stand oder 'ragen, sondern nur dem Zuae ihre» Herzen» » iyra, — da» »ah« Ebenbild Mutter Al» ein würdiges Ebenbild ihrer Mutter behandelte Iustiane den schon irübcr ersehnte» Bewerber um ibre Hand ebenso wie jene. Wenn Heppler kam. zeigte sie sich bock- »ilitlng und erwiderte kaum seinen Gruß; bald daraus sab ie ihn wieder mit einem traurigen, bittenden Blick an, al» ob sie ihre Unfreundlichkeit bereue; sie schmollte und kokettirte. mar voller Laune und veränderlick wie da» Weller im April. Diese Art. sich gebe» zu können, gefiel Iustiane ganz besonder». Abgesehen von dem Hauvlzweck, den sie zu erreiche» hoffte, wenn sic aus H'ppler wirke wie die beide» Pole de« Magnete», staubte sie auch, ein solches Benehme» sei der beste Beweis, ihrer jugendliche» Schüchternheit und jungfräulichen Scham.. Bei alledem war und blicb Hepplcr von der gleichen s zuvorkommenden Freundlichkeit. Nur daS entscheidende Wort' kam nicht über seine Lippen, da» Iustiane täglich erwartete, auf das sich Frau Beatrix schon eine Antwort präparirt kalte, in der sie sich zu nichts verpflichtete, ohne aber Heppler frei zu gebe». So spielten die Drei täglich eine Scene ihrer Komödie. Jeder blieb seiner Nolle treu und Keiner ahnte, daß er zu den betrogenen Betrüger,, gehöre. Heppler'S Besuche im Brand'scbk» Hause blieben in Mai» seid nicht unbekannt; man sprach von ihm und Iustiane schon al» von einem verlobten Brautpaar; an hämischen Bemer kungen über die Gründe, welche die Beide» zusamincngesübrt balle», ließ eS dabei Keiner fehle», und fast alle trasen daS Nichtige. Der Bürgermeister nur schien von all den Vor gängen nicht« höre» und sehe» zu wolle», ebenso wie Frau Gertruds». Heppler'S Haushälterin; wenn sie auch durch Lisette immer genauen Bescheid über jede» Wort, über jeden Blick ihre- Herrn erhielt, so blicb sic dock fest davon über zeugt, daß er ohne ihre Zustimmung niemals sein Jung, gesellenleben ausgeben würde. Wer dann Frau Heppler werde» würde, daS ballen ihr die Karlen, die sie sich jeden Abend legte, schon lange v-rratl>en, und an die» Orakel glaubte sie noch mehr als an die Macht ihres eigenen Willens. * * . * Nock eine andere Neuigkeit beschäftigte die Maiseider und ließ alle Gespräche über die Brand'S und ihre Verwandle» in den Hintergrund trete». In dem früher so verrusenen Hause, daS jetzt die Gräfin WolsSeck bcwohnie, batten sich wieder die alten Gespenster gezeigt. Zuerst wellte der Nacht wächter gesehen baden, wie sich ein flackerndes Licht durch alle Räume deS Hauses bewegte und ein Fenster »ach dem andern erhellte, biS eS unten, i» de» Kellern, erlosch. I» der nächsten Nacht nahm er zwei Neugierige als Zeuge» m t, die seine Wahrnehmung bestätigte». Da»» erzählte» auch die Nach barn. baß sich wieder schauerliche Klagerufe in dem Garten höre» ließen, »nd einer von ihnen, c>» Flickschneider, der an Schlaflosigkeit litt, wollte sogar beschwören, baß er an dem großen Gitterlhor eine übermenschlich lange Gestalt, mit eine», schwarzen Bahrtuch bekleidet, gesehen habe, welche den Knochenarin drohend über Maiseld ausstrcckle. Der Glaube an Gespenster war so fest bei de» Bewohner» der Stadt ein gewurzelt. daß sich auch unter de» Stammgäste» i»l „Notben Stern" kein Zweifler fand. Von dem Maler Gronau, ol dem Einzigen, der das Hau» der Gräfin betrat, wellten Alle ausführliche Nachrichten habe». Gronau gab kein Gespenster glauben neue Nahrung. Besonders in ben späten Abend- iiuriden erzählte er von dem beängstigenden Einvruck. den jeder Raum, jeder Winkel des verrufenen Hauses schon auf ihn gemacht. Er betheuerte, daß er um keinen Preis nach Sonnenuntergang einen Schritt in jenen Garten thnn würde. Wenn Gronau am Vormittag mit seinem Freunde Erich Willen zusammentrcif, so schüttelte der Doctor gewöhnlich tadelnd den Kops. „Dn treibst eS bald zu toll, Fritz!" sagte er. als er einer Morgens de» Maler im „Stern" aussuckte. „Ich mag kommen, wohin ich will, zu Kranken oder zu Gesunden, Jeder spricht von Geistern und Gespenstern. Wenn ich den Leuten mit den hanbgreislichsten Beweise» ihren albernen Aberglauben auS- treiben will, kann erklären sie mir ganz einfach. Du wärst auch von ver Existenzbercchkigung eines Spukes überzeugt. Die haarsträubendsten Duminheiten wolle» sie immer von Dir gehört haben, und leider bist Du Jedem «ompctcnt, weil Du auS einer großen Stadt kommst." „WaS schadct's denn, wenn ich die Philister graulich mache, wie eine KnidSfrau die ungezogenen Buben?" fragte der Maler lachend. „Waß cs schadet? Ick habe schon genug und übergenug mit bösen Geistern zu kämpfen, welche die Menschheit zu Grunde richten, mit den Dämonen der Krankheit. deS Hungers und der Noth! Mußt Du nun noch neue Feinde gegen mich werbe»?" »Aengstige Dick nicht, Doctorchen! Deine Maiselder leiden an ihrer Gesundheit nickt, und wenn ich ihnen auch ben Teufel saminl seiner Großmulter leibhaftig vorsllhren könnte. Wen» sie fühlen, daß sich die Haare ans ihren Köpfen sträube», wen» eS ihnen eiskalt den Rücken laug zieht, dann schmeckt ihnen der Wein um so besser. Die Furcht soll ja die Verdauung befördern, denke ich." .Aber die Kinder, — die Kinder!" siel Willen rin. „Meine Lene sogar traut sich AbendS kaum noch in rin dunkles Zimmer!" „Ich verspreche Dir, mich kesser» zu wolle»", sagte der Maler, de», Doctor treuherzig die Hand reichend. „Konnte ick denn c»»iclin>en, daß Du mir die Schuld zuschiebst, wenn auch die Lene sich vor Gespenstern fürchtet? Und koch hat las Kind vielleicht nicht unrecht — dürfen wir die Möglichkeit eine» Hineingreisen» der übernatürlichen Geisterwclt «n unser jämmerliches Erdendasein leugnen? Ich glaube an daS Erscheinen von Geistern, aber nur gule sind e», die ich gesehen — die Menschengestalt <i»,eli»icn, um uns eine Probe biminliscke» Glücke» kosten zu lasten. Nenne mich einen Thoren, Freund, wenn e« Dir so gefällt, aber versuche nicht» mir »leinen Traum zu zerstören!" „Tu svrichst in Rälhseln, mein Junge", lackte jetzt der Doctor. Dann nabm aber auch sein Gesicht einen ernsten Ausdruck a». „Und roch hast Du Recht", fuhr er fort. „Solch einen gute» Geist habe ich auch geiebe», vor wenig Tagen noch. Er zeigte sich mir in der Gestalt eine» schwachen, zarten KindeS. Zu einem armen Arbeiter war er in» Hau» gekommen und Halle etwas von HimmelSsrcude und Himmel«- frieden mit sich gebracht. Ter Vater war ein rober Geselle gewesen, »in Trinker und Spieler, der sei» Weib schlug, wenn er berauscht »ach Hause kam. Al» er aber einmal auch taumelnd und wankend heimkebrte, mit einem Fluch über die Schwelle seiner Hütte trat, da sah er in den Annen seiner Frau ein kleines Wesen liegen — von Slunde an wurde er ein Anderer, die große», blauen Augen seine« Kinde» halten »S ihm angethan, ein guter Geist war zu ibm herniedergestiegen und hatte die bösen Dämonen in ihm gebannt, ihn gegen jede Versuchung gesell. Tie Geister bleiben nicht lange bei un», und der, von dem ich spreche, hatte sich eine gar zu zerbrechliche Hülle gewählt Kaum drei Jahre hat er e» hier unten auSgeballem Vor gestern starb da» Kind. So ein Kind sterben sehen zu müssen, da» ist mir sonst da» Schmerzlichste, da nick» Helsen, rellen zu können, da» wollte mir schon oft niemen Berus ganz ver leiden. Aber diesmal dake ich vcn alledem nichl» empfunden. Au» den Augen de» sterbenden Kleinen leuchtete e» wie von Verklärung, e< war mir, al» ob der sich vom Körper loS- ringende Geist spräche: „Ich verschwinde wieder, weil ich meine Ausgabe erfüllt habe!" — der Vater ist gebessert für immer; er trägt seine Frau aus Händen. Wollt« Gott, oll« ' ' N' " Geifiererscheioungen hätten solche Folgen!" Eine Weile saß der Doctor noch wie nachsinnend da, dann sprang er mit einer eigenartigen Lebendigkeit, wie »m sich aller Gedanken zu entschlagei,. von seinem Stuhle aus. „Komm. Fritz!" ries er mit gänzlich verändertem Ton. „Wik wollen eine» Spaziergang machen. Ich habe heute eine Slunde übrig. Es wartet kein Kranker aus mich, die Lene ist in der Schule, und meine» HanS können mir ab- bole» und »lilnehnie». Deine Malerei ist kein Frosch, der Dir davonbüpst. und nach Deinen schweren Abeiidsitzunge» thut Dir die frische Lust gewiß auch »olh!" Gronau stiininte dem Freunde ohne Bedenken zu. und gleich daraus gingen die Beiden über ben Marktplatz der Wohnung des Doctor» zu. Vor der Thür der letzteren saben sie schon den blinden Knaben sitzen, der bei ihrem Näherkoninie». die Schrille deS DoclorS erkennend, de» Kops hob. Er jubelte laut aus. als er bvrle, daß er seine» Pflege vater begleiten dürfe, und griff kann mit der herzliche» Ver traulichkeit, wie sie Kindern geliebten Erwachsene» gegenüber eigen, nach de- Doctor» Hand. Aus Willen'» Fragen, wie er sich in den Frühstnnden be« schästigt habe, antworlcte Ver Blinde im offenen kindlichen Geplauder und verlangte dann seinerseits Auskunft über de» Doctor» Patienten» an deren Befinden er da» größte Interesse zu nehmen schien. Willen und Gronau waren jetzt nur mit dem Knaben beschäftigt: mit unvcrkennbarer Genugthuung horchte der Doctor ans die von Ueberlegung und Verständ lich zeugenden Worte seine» Schützling» und sah dabei mit von stolzer Freude leuchtenden Augen den schwarMrligcn Maler an. Bei dem Haus- de» Bürgermeister» führte die Drei der Weg vorbei; weder Willen noch Gronau bemerkten aber, wie sie ausnierksain von Frau Beatrix, Iustiane und dem langen Heppler beobachtet wurde». Hätte Gronau die Gesichter von Mutter und Tochter gesehen, so würde er nickt mehr im Zweifel gewesen sein, daß ihm die Frauen unversöhnliche Feindlchast geschworen. Der Dcctor Willen war mit seinen beiden Begleitern bis vor die Siadt gekommen und machte jetzt aus einer Anhöhe Halt. Zur Rechten zeigte sich der Abhang de» KircbbergeS mit den. Friebhos, kessen Denkmäler und Grabkreuze zwischen de» sich bunt säibeiidcn Bäumen und Slräuchcrn sichtbar waren. Zur Lucke» breiteten sich die Wcinqäiten an». Mai- selb« Stolz und beste Einnahmequelle. Nach vor» siel die Höhe steil und schroff ab zu den, User eines kleinen Flusse» bi», der in vielfach gewundenem Laus dem in der Ferne sicht baren Nbeinstioi» zneilte. Ei» köstliche» Bild war eS, daS sich hier dem Beschauer entrollte. Ter Horizont ringsum abgeschlossen durch gewellte Höhenzüge, aus denen sich die Kuppen wahrer Riesenvome abbvbz», die näherliegenben dunkelgrün, die cnlseriilcren, mit verschivimmende» Umrissen, bläulich-violett gefärbt mit dem Aelher, ineinander fließend. Wie ei» Rahmen »infaßten die Berge da» Tbal. Saftig grüne Wiese», grüngelbe Stoppel felder. goltig glänzende Ackcibreiten, die der Sichel der Schnitter noch harrte», dazwischen zerstreut weit ausgedehnte Obstgärten, in denen der Nußban»» und die edle Kastanie durch Färbung und Wuchs sich «mSzeichnctcn, zogen sie bis zum Rheine bi», der wie ein Silbersaum im Sonnenlichte ausleuchlcle. Von vcn, Grunde hoben sich die rothrn Ziegeldächer zahl reiche-. Häuser »d-wie Edelsteine, mit denen ein KvnigSmanlel geschmückt ist. Hier drängten sie sich um einen Kirchthurm, dort lagen sie zu zweien und dreien vereint, andere wieder ganz allein, wie die Einsamkeit suchend. Auch an lebender Staffage fehlte eS nicht; auf einer Trist am User weidete eine Niiiderheerde, auf den Acckern zeigte» sich fleißige Menschen, und darüber strahlte e» von Zeit zu Zeit in blendender Weise an der blauen Krystallglockc deS Himmels aus, wenn eine Taubenschar pfeilschnell bahinschoß. AuS einigen Mauerbrocken und einer darüber gelegten Steinplatte, wohl von ben letzten Neste» eines alten Wart- tlmrineS herrührend, besten Fundamente sich unter GraS. Ephe» und Gestrüpp verbargen, hatte eine mehr willige als geschickte Hand eine primitive Bank an diesem AuösichlSpunct errichtet; Erich Willen. Fritz Gronau und der blinde HauS batten aus derselben Platz genommen. Die beiden Männer sahen wie in Andacht versunken aus die Schönheit der Land- schast zu ihren Füßen. „Ein Meisterwerk der großen Malerin Natur, deren Palette unerschöpflich in Farbe» und Schmelz ist!" ries Gronau begeistert auS. Ein tiefer schmerzlicher Seufzer a»l- wertete ihm. „Könnte ich doch auch nur einmal wieder sehen", klagte der Blinde. Ter Doctor drückte ihn liebevoll an sich. „DaS sollst Du auch, mein Junge!" tröstete er und wandte sich dann au Gronau: .Da unten den Streifen Landes am andern User, von dem Nußbanin bis zum Master hin. den habe ich gestern gekauft", begann er dann in gleichgiltig scheinendem Ton. aber mit forschendem Seitenblick den Eindruck seiner Worte prüsend. „So bald al» möglich beginne ich mit dem Bau eines kleinen HauseS. Glaubst Du nicht auch, Fritz, daß die Kinder da gilt wohnen werden? Von einer bedeckten Veranda auS haben sie dir Aussicht auf VaS Thal, die Schlafzimmer liegen »ach der Sonnenseite, vor Nord- und Ostwindcn sind wir durch den Kirchberg und die Höben zur Linken geschützt. Da» HauS ist nicht groß, aber alle Räume sind lustig und bell, der Garten bat Platz für eine Laube, Rasenflccke, Rosen stöcke und ein Dutzend Obstbäume. Auch die »ölbigen Küchen kräuter für unfern Bedarf können wir ziehen. Ich bin ganz zufrieden mit meinem Grundbesitz!" „Wenn man Duck kört, könnte man glauben. Dein Hau» mit Veranda und Laube stände schon fix und fertig da", meinte Gronau. „Nun, den Kindern wirb Deine Idee schon gefallen, und ick wünsche dem HanS Glück dazu, baß er in einer solchen Umgebung sich wieder an da» Sonnenlicht gewöhnen soll. Aber hast Du auch an Dich gedacht, Erich? Wird eine Wohnung außerhalb der Stadt Dir nicht viele Unbequemlichkeiten in Deiner Praxi» schaffe»?" „Ich habe ebensoviele Patienten jenseit wie diesteit deS WasterS, nebenbei kann ich mit einem Handkah» mir den Weg nach Maiseld so abkürzen, daß von einer Entfernung von Ver Stadt gar keine Rede mebr sein kann. Unbequemlich keiten sürcvtest Tu. Unbequemlichkeiten für mich? WaS wäre e» denn weiter? Eine Stunde früher aus, das brückte ja jede» Zeitverlust wieder ein. Ich bi» dabei überhaupt Neben sache. Die Kinder sollen gedeihe», der HanS besonders soll nach der Operation in guter und freier Lust lebe». Im nächsten Sommer mußt Du wieverkommcn, Fritz, dann habe ich Platz. Du wodnst bei u»S in dem neue» Hause und überzeugst Tick, daß ick trotz aller Marotten dock noch da» Zeug zu einem guten Familienvater und Ehegatten gehabt habe." „Du denkst an- Heiralhen?" ries Gronau erstaunt an». „W>e ist D>r denn so schnell diese Idee gekommen? Du hast Dick koch oft genug verschworen, al» Junggeselle sterben zu wollen!" Der Doctor antwortete nickt gleich, er schien den Blick ! seine« Freunde» zu meiden und sah unverwandt aus die Erde, I in die er mit dem Stock krause Figuren einzeichnete. I Gronau stand plötzlich von der Bank aus und trat dicht ^ an die Böschung; eine Weile starrte er hinunter in den Fluß, al» wenn er die murmelnden Wellen zählen wollte. Er schrak zusammen, al» sich eine Hand ans seinen Arm legte. Der Doctor war ihm gcsolgt. „Sei mir nicht bvle. lieber Fritz", sagt« dieser mit einer y,Wissen schüchternen Befangenheit, „baß ich erst beut« mit Dir darüber spreche. Zu einem festen Entschluß bin ich aber auch erst über Nackt gekommen. ES ist wirklich besser für die Kinder und auch für die Marie, wenn ich sie heirathe. Der letzte Wunsch der verstorbenen Mutter wird dann erfüllt, daS weiß ick bestimmt! Ja. ja, cs «st daS Beste so, für un» Alle das Beste!" „Hast Tu den» einen Grund, zu glauben, daß Marie, Fräulein Müller, Dick liebt? Weißt Du, ob sie einwilligt. Deine Frau zn werben?" sragte Gronau, kessen sonst so feste Stimme zitterte und klanglos war. „Ob die Marie mich liebt, meinst Du?" lautete die Gegenfrage de» Doctors. „Daß ich in einem jungen Mädchen- Herzen nicht da» Gefühl erregen kann, welche» Du für eine Bedingung der Ehe zu Hallen scheinst, die Himmel und Hölle stürmende Liebe, die sich in Sehnsucht verzehrt und an einem Blick, an einem Händedruck wieder Nahrung findet für Wochen »nd Monate, das weiß ich. Glücklich machen kann und will ick aber die Marie trotzdem, ben» sie vertraut mir, sic achtet mich. Auch meine Gründe, weshalb ich an eine Heirath denke, werden ihr emleucbten. Ich bin dabei Neben sache. aber sie, sie und die Kinder sind dann versorgt!" De» Maler» Gesicht war bleich geworden, er preßte die spitzen, weißen Zähne ans die Unterlippe, al» wenn er heftige, harte Worte gewaltsam zurückvrängen wollte. Der Doctor schien von der Wirkung seiner Auseinandersetzung nicht» zn merken, er sah nur aus den Platz, den er für seinen Hausbau gcwäblt Halle. „Hast Du mit der Marie schon gesprochen? Willigt sie ein. Deine Fra» zu werden?" Gronau stieß die Worte so schnell und ängstlich hervor, daß Willen doch nun seine Augen hob und ihn verwundert aiisab. „Nein, gesprochen babe ich mit ihr darüber noch nicht!" sagte er zögernd. „DaS hat auch Zeit, bi» da« Hau- fertig ist, bis ich ihr zeigen kan», wo sie die Herrin sein soll. Leicht wird eS mir nickt, ihr meinen ganzen Plan zu erklären; wenn ich bisher nur Andeutungen über die Zukunft machte, so wurde sie immer gleich eine ganz Andere, so ernst und so still. Sie wünscht sich wohl auch einen anderen Gatten, der besser zu ihr paßt al» ick. Aber sie ist aan. ich wüßte keinen, der ihren wahren Werth zu schätzen weiß!" „So? — Meinst D». Du allein verständest dieses Juwel von einem Mädchen zu würdigen ?" siel Gronau fast höhnisch lachend ei». „Aber, srage sie, frage sie heute noch, ob sie Dein Weib werden will. In solchen Dingen muß man nie die Rechnung ohne den Wirth machen. Ich möchte doch auch gern Gewißheit haben!" Willen war unbefangen genug, die letzten Worte nur aus sich zu beziehe,«, in ihnen nur die Theilnahme de» Freundes auöjprechen zu kören. „Ich danke Dir, Fritz", sagte er und faßte seine Hand, „daß Du auch hierbei wieder mit mir suhlst und mir Ratb giebst. Ich werde mit Marie darüber sprechen, so bald als möglich bei der ersten Gelegenheit. Heule wird eS sich wohl noch nicht macke» lassen, aber ick verspreche Dir. daß AlleS geordnet sein soll, ehe Du von hier abrciscst!" „Das hoffe ick auch. Aber nu» gehe mit dem HanS nach HauS, Erich, eS wird Zeit, wenn Du pünottich zum Mittag essen daheim sein willst. Ick werde mich nun doch noch em paar Stunden an meine Staffelei stellen!" Ohne ein Wort deS Abschiedes hatte der Maler den Doctor verlassen, der ihm erstaunt nacksah, bis er hinter dichtem Strauchwerk,,»» da» der Weg zur Stadt eine Biegung machte, verschwunden war. „Hast Du Dich mit dem Herrn Gronau gezankt. Onkel?" fragte der Blinde, als Willen sich wieder neben ch» auf di« Bank setzte. „Gezankt? Weshalb glaubst Du das, mein Junge?" „Weil die Slimme de» Herrn Gronau ander» klang al« sonst. Ich habe nichl verstehen können, waS er sprach, aber er war ärgerlich und heftig, das habe ich gemerkt. Onkel! Wenn inan keine Auge» hat, so siebt und hört man mit den Ohren. Du kannst eS mir glauben!" „Wie sckars Dein Gehör ist. HanS, hast Dn oft genug bewiesen. Aber diesmal hast Tu Dich doch getäuscht. Ich und der Fritz, wir sollten un» zanken? Nein, mein Junge, so etwa» ist unmöglich. Der gäbe sein Leben für mich hin. ebenso wie ich für ihn. Eins wünsche ich Dir: daß Tu einst auch solch einen Freund findest, wie ick ihn in Gronau habe. Dann wirst D» jede» Unglück leichter ertragen und jjcde Freude doppelt genießen." Der blinde Knabe wandte den Kopf zu dem Doctor, auf seinem Gesicht lag ein rübrcnder Ausdruck, der lebhafter von seinen Empsindungen zeugte, al» es daS hellste, klarste Auge eines Sehenden thu» kann. „Habe ick denn nicht schon einen solchen Freund?" fragte er. „Du tbust ja Alles für »iich, und ich will gern noch taub werden, meine Hände und Füße bingeben, wenn Dn cS willst." Willen konnte nicht antworten, aber aus seinen Zügen strahlte daS selige Lächeln eines Kinde», seine Augen wurdco feucht von einer Frcndeiilhräne. (Fortsetzung folgt.) Der König in Plauen. s Planen, 18. September. Heute Nachmittag '.»,4 Uhr fand die seierliche Einweihung der König Albert-Brücke statt. Se. Majestät der König, sowie Ibre künigl. Hoheiten Feldinarschall Prinz Georg „nd Prinz Johann Georg nahmen an derselben per- sönlich Theil. Ans der Mitte der Brücke war »in Baldachin er- richtet, unter welchem die allerhöchsten und höchsten Herrschaften Ausstellung nahmen, seitlich von denselben nahmen Platz Hobe Ossi eiere, iowie die städtischen, königlichen und kaiserlichen Behörden. Herr Oberbürgermeister Knntze dielt an Se. Majestät den König eine Anlproche und ließ im Anschlüsse hieran Vier Weihesprüche folgen, deren erster lautet: König Albert-Brücke sei benannt! Steh fest, wie König Albert staub: Festen Sinns mit fester Hand Stet« für Sachsen und alldeutsche» Land! Hieraus stimmte die Festversammlung entblößten Haupte» mächtig in ein dreifache- Hoch aus Se. Majestät unseru all- verehrien König ein und Schüler und Schülerinnen der Bürgerschule überreichten den allcrköchsten und höchsten Herr- schallen Blumensträuße, woraus die gelammte Schuljugend PlauenS, über 7000 Kinder, jubelnd vor dem König vorüberzog. (Die Schüler der höheren Ledranstalten halten von de», Absteige, quartier Sr. Majestät (Blauer Engels bis an die zu weihende Brücke Spalier geluldei). Die Festversammlung sang ein von Herrn Ober- burgermeiftei Knntze dem König Albert von Sachsen aus Anlaß kllli rhöchstbessen heutiger Anweiendeit in Plauen gewidmetes „Sachjen- tied" noch der Melodie „Deuischland. Deutschland über Alles". Al ber König die Brücke verließ, ertönten nochmals krästige Hochruse. Derselbe besichligie dierous in Begleitung einiger Osficiere, sowie der hrn. Kreisdouplmann Frecherrn v.Hausen. Amlsdauptmann Freiherrn v. Weich Oberbürgermeister Kuntze und Stadiverordnetenvorsteder Amtsrichter Steiger in der bekannlen eingehenden Weise die städtische Gasanstalt und den Hundezwinger Plama des Herrn Aansmaan Max Hartenstein, sprach sich über das Gesehene sehr beifällig und bez. ertreu' au» und begab sich alsdann in das überaus festlich geschmückte GesellichaslsbauS der „Aeiellschast der Freundlchast", woielbst '/«6 Uhr va» Kön soiner mn über stO Gedecken stonsand. Hierzu waren die Generalität und lämmtliche H-rren StobSosficier«, königliche und städtisch» Behörden, bez. der Vorsteher des StavtverordnetencollegiumS Here Amtsrichter Steiger belobten. Außerdem nahmen an der toset Tbril der regierende Fürst von Greiz nebst seinem Holinarschall Freister,,, v. Tietzenhoser, welcher dem König heute Nachinliag mittelst vieripäanige« Wagen« einen Bksuch adgestattet und der zu», Mouöver hler anwesende österrelchische Oberst Herr v. Schwede« v»m «egtmntt ..Prf»» Georg" tn Vrog.^vet« Rnadgang äußert,
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