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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.09.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-09-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188809228
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880922
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880922
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-09
- Tag1888-09-22
- Monat1888-09
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.09.1888
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Erste Beilage M Lchstger Tageblatt und Anzeiger. A? rkk. Sonnabend den 22. September 1888. 82. Jahrgang. ver gute voctor. Lrzühloug von I. Isenbeck. Na-truck »erkoren. (Fortsetzung.) Vlll. Capitel. „Da siehl Er. daß Irren menschlich ist! 2ch und der Maler und Er selbst, wir Alle haben uns gelauscht. Glaubten wir doch, die Bürgermeisterin und ihre Folter seien die selbstsüchtigsten, hartherzigsten Geschöpfe. N„>, die Mutter kenne ich noch nicht, aber sie kann nicht sa,..nit sein, da sie ihr Kino so erzogen hat!" „Aber gnädige Frau Gräfin —" „Ich will Ihm ja keinen Borwurf machen, Friedrich, und dem Herrn Gronau noch weniger. Er wußte, daß ich allein sein und bleiben, keinen Menschen sehen wollte. Da hat er eö ganz geschickt angcsangen, daß ich ineinen Willen behielt!" „Frau Gräfin sprechen Loch immer noch von Fräulein Marie?" „Gewiß! Und wie ausmerkjam ist es von der Frau Brand, daß sie ihrer Tochter meinen Namen beigelegt hat. Schon daö konnte mir eine bessere Meinung von der Frau beibringen!" „Aber, Frau Gräfin halten zu Gnaden, Fräulein Marie ist ja gar nicht die Tochter der Bürgermeisterin. Fräulein Marie heißt Müller und nickt Brand!" „Rede Er keine Dummheiten, Friedrich. Da? Gesicht, da? ganze Wesen und Bewegen beweist doch, daß VaS junge Mädchen den WvlfSeck's verwandt ist. Glaubt Er denn, daß die Natur so lügen kann?" „La — die Aehnlichkcit!" meinte Friedrich mit einem beinahe verzweifelten Gesicht. „Als ich taS Fräulein zum ersten Mal sah, da wurde mir ganz Angst. Ich habe Tag und Nacht keine Nube gehabt, weil ich nur daran dachte, wem daö Fränlein so ähnlich sehe, wie aus den Augen geschnitten! Aber die Tochter der Frau Brand ist eS nicht, Frau Gräfin, die siebt anders au?, ganz anders!" „Er muß und soll unrecht haben!" sic! die Gräfin heftig ein. „Wann kam das Fräulein hierher? Wer hat die Marie gerufen?" „Der Herr Doctor! Gleich ani ersten Tage, als die schwere Krankheit der Frau Gräfin ansing, hat'rer Doctor gesagt, e? müsse Jemand da sein, der die Frau Gräfin Tag und Nacht pflege und keine Minute allein laste Die Albertine sei zu alt und selbst noch zu schwach von ihrer Krankheit. Und da kam denn das Fräulein, und bis heule ist es hier geblieben!" „Er kann gehen! Wenn der Doctor Willen kommt, so sichre Er ihn sofort zu mir. Daö Fräulein werde ich rufen lasten, wenn ich etwas bedarf. Dann sage Er dem Herrn Gronau, daß ich ih» morgen spreche» und dnS Bild sehen möchte." ES war am zweite» Tage, den Frau k. Wol Seck wieder in einem Lehnstuhl zubringen konnte, als diese Unterredung st.tttfand. Die Genesung batte so schnelle Fortschritte gemacht, daß selbst der Doctor sein Erstaunen darüber aussprach. Statt der früheren phlegmatischen Gleichgiltigkeit zeigte die Gräfin dabei daö regste Interesse für Alle-, waS um sie her vvrging. Als jeht der Doctor bei der Gräfin cintrat, sie in seiner einfachen, ungezwungen herzlichen Art begrüßte und nach ihrem Befinden fragte, halte sie kaum Nuhe genug, um mit einem kurzen Wort darauf zu antworten. „Wer ist das junge Mädchen, das sie mir zur Pflege be stellt baden, Doctor?" fragte die Gräfin hastig. „Mein Mündel, Marie Müller", erwiderte Willen. „Haben Sie irgendwie zu klagen? Oder wollen Sie mir jetzt noch Vorwürfe machen, daß ich es gewagt habe, eine fremde Person hier cinznsühre»? Dann lassen Sie sich aber nur das Eine gesagt sein, Frau Gräfin: Für Ihr Leben gab ick keinen Pfifferling, als ich an jenem Morgen berkain, und daß Sie heute wieder aufrecht sitzen und alle Aussicht haben, Ihre Tage noch um eine erkleckliche Zahl höher zu bringen, das haben Sie nächst Gott nur meinem Mündel zu verdanken." Der Doctor atbmcte tief auf, als wenn er sich er leichtert fühle, weil er das hatte aussprechen können, was ihn schon lange bedrückte, nach seiner Gewohnheit rieb er mit der Hand seinen Kopf, als ob er jetzt Zeit zu dem Versuch habe, die widerspenstigen Haare endlich zur Ordnung zu bringen. „Glauben Sie mir, Doctor, ich weiß, was ich Ihnen und meiner Pflegerin zu danken habe!" sagte die Gräfin mit Wärme. „Mein Leben — lange Jahre hielt ich daS für das Wcrthloseste, Nichtigste, nichts hätte ich lieber von mir ge worfen. — Die letzten Tage haben mich aber erkennen lasten, daß ich noch nicht sterben darf, daß mir Gott daS Lebe» wieder geschenkt bat, damit ich nachhole, maS ich in thvrichter Verblendung, in strafbarer Verirrung unterließ —" „Frau Gräfin", unterbrach der Doctor in fast unwilligem Tone die alte Dame, „Frau Gräfin, ich bin Ihr Arzt, nicht Ihr Beichtiger. Wir sind alle sündige Menschen, und wen» Sie eine Schuld drückt, so machen Sie das mit Ihrem Gotte allein ab!" „Sie haben daS rechte Wort gesprochen", siel die Gräfin lebhaft wieder ein. „Mein Beichtiger! Als solche» will ich Sie ansehen. Ich habe Vertrauen zu Ihnen — nun. Sie werden schon genug gehört habe», von mir selbst gehört haben. Daß ich nieincr selbst unbewußt mehr gesagt habe, al» ich in gesunde» Tagen auSgeplaudert haben würde, daS werden Sie mir dock cingcstebe» ?" Wilken nickle nur eine Bejahung und faßte nach der Hand der Gräfin, um ihren Puls zu fühlen. „Ich b»l ruhiger denn je!" fuhr Frau v. Wolsscck fort. „WaS ich Ihnen sagen will, habe ick genugsam überlegt. Seit der Stunde, in der ich znm ersten Mal wieder denken konnte, brn ich zu der Einsicht gekommen, daß Alle« anders werden muß. als eS bisher war. Ich habe noch heilige Pflichten zu erfüllen! Zuerst gestehen Sie aber ein, daß Sie mich ab sichtlich gelauscht haben! Meine Pflegerin ist die Tochter der Bürgermeisterin Brand, der Nichte meines verstorbenen Mannes — nicht wahr?" „Die Tochter der Brand? Wie kommen Sie auf die curiose Idee?" fragte der Doctor. „Sie haben ganz recht daran gethan, daß Sie den ein zige» Verwandten, dir ich noch habe, Gelegenheit gaben, feurige Koblen auf mein Haupt zu sammeln!" meinte die Gräfin. „In einem unbegründeten, falschen Vorurthcil be fangen. wies ick die Brand und ihre Tochter von mir. Nun babe ich eingeschen, baß die Marie ein Schatz von einem Mädchen ist, ibr liebes Gefickt, ibr ganzes Wesen, ihre un erschütterliche Geduld einer eigensinn>qen alten Frau gegen über habe» mich wieder weich und weiblich gemacht. Jahre lang war ick hart und glaubte daS Vorrecht zu haben, jedes menschliche Fühlen vou mir zu werfe», weil ich so un glücklich war!" „Unglücklich—unglücklich!" wiederholle Willen. „Glauben Sie, daß eS auch nur einen Menschen gicbt, dem Alle« zum Glück ansschlägt? Aber Sie. Fra» Gräfin, waren wahn witzig. hatten sich rein i» Ihr Unglück hinein simulirt. Freuen Sie sich, daß durch die Krankbeit eine Reaktion eiutrat und Sie nun endlich wieder zur Einsicht geloiame» find, daß Nie mand mit sein.m Körper und mit seinem Leben spielen Lars, als sei er allein Herr darüber." «Ich widerspreche Ihnen nicht, daS beweist wohl am besten meine Wiederherstellung von geistigen und körperlichen Leiden! Aber Sie sind mir noch daS Eingeständniß schuldig, daß Sie wie ein gewiegter Diplomat den Branv's die Wege in mein HauS gebahnt haben. Ich danke Ihnen herzlich dafür und bitte Sie, noch heute die Mutter meiner Pflegerin herzu- sühren!" Des Doctors Augen ruhten forschend und prllsend aus der alten Dame; er war sich nicht klar darüber, ob dieses starre Festhalten an einer Vermuthung ein neues Symptom geistiger Erkrankung war, oder ob sich darin nur die Lebhaf tigkeit des Wünschen» auösprach, mit der die Gräfin eine Hoffnung erfüllt sehen wollte. In ihrem Gesicht spiegelte sich wohl die gespannteste Erwartung ab. aber eS lag nichts Starres in den Zügen, die Auge» waren klar und lebendig. „Ick wiederhole Ihnen, daß Ihre Pflegerin mein Mündel, Marie Müller ,st!" sagte Willen nach einer Pause. Die Gräfin war aüs ihrem Sessel ausgesahren. Krampf haft halte sie teS DoclorS Arm ergriffen und drückte den selben fester, als eS ihre zarte Hand vermuthen ließ. „Unmöglich —^unmöglich!" ries sie dabei auS. „Die Aehnlichkcit ist zu grüß!" „Aehnlichkeit? Welche Aehnlichkeit?" fragte Witkcn. „Aber ja, ick entsinne mich. Mein Freund Gronau sagte mir schon, daß ihm daö Gesicht meines Mündels ausgefallen sei, weil eü ihn so lebhaft an die Bilder Ihre« Sohncö erinnere, nach denen er sein Gemälde ausführeu soll. Auch mit Jbnen wollte er eine solche Aehnlichkeit gesunden haben. Nun, Maler haben oft ihre eigenen Ansichten, sie schauen alle Menschen mit anderen Augen an, als unsereiner. Solche sogenannten Aehnlickkeilen kommen auch wirklich bäusiger vor, als man denkt Im Großen und Ganzen sehen sich doch alle schönen Menschen ebenso äbnlick, wie sich alle häßlichen gleichen. Ich habe mir auch sagen lassen, daß man jedes Mcnschcngesicht auS denen von drei oder vier Mitmenschen jllsammcnsetzen könne, wen» man nur die richtigen Einzel heiten auSivähle. Ick wundere mich danach gar nicht Uber solche Acbnlichkeilcn. die Erinnerungen an andere Personen in uns wach werden lassen." Die Gräfin hatte anscheinend aufmerksam dem Doctor zugcdört, ohne doch zu versiehe», waS er sagte. „Erzählen Sie mir Näheres über Ihr Mündel!" bat sie nun. „Uebcr ^ie Marie ist nickt viel zu erzählen", antwortete Willen. „So jung sic »och ist. so viel Trübes und HcrbeS bat sie schon erlebt. Jure Mutter wobnte hier in Maiscld als arme kranke Wittwe, diese, einen blinden Bruder und eine jüngere Schwester hat daö junge Mädchen durch ihre geschickte Nadel jahrelang allein erhallen. Als die Mutter starb, habe ich für die drei Waisen auch hier bei Ihne» um Hilfe gebeten. Sie hatten damals nur ein trockenes Nein für mich!" „Ich will Alles gut machen, ich —" „Davon kann keine Rede mehr sei», Frau Gräfin!" fiel Willen säst barsch ei», „bätt: ick bei Ihrer Erkrankung eine andere Person gewußt, deren Händen ich Sie und Ihre Abwartung anvertrauen konnte, bei Gott! die Marie Müller wäre nie in dies Hauö gekommen. So aber — nun sobald Sie daS junge Mädchen entbehren können, muß sie mir wieder beim. Bruder und Schwester haben ein Anrecht aus ihre Pflegemutter!" „So wollen Sie mir also die Möglichkeit nehmen, wieder menschlich fühlen zu lernen?' fragte die alte Dame schmerz, lick bewegt. „ES thut mir weh genug, weher, als sie er messen können, daß ich Len schönen Traum fahren lassen muß, meine Pflegerin sei meine Verwandte, für die zu sorge», deren Liebe zu fordern mein Reckt sei. Aber dies Mädchen ui» mich zu wißen, durch Beweise meiner Liebe seine Gegenliebe mir erwerben, an seiner Jugend mein Alter erwärmen zu können, daS war cs ja. waS mir das Leben noch begchrens- iverlh machte. Allein sein müssen, heißt jetzt für mich wieder menschenscheu, wieder krank werden." „Ich werde die Marie z» nichts zwingen! Warum soll sie nicht zu Ihnen kommen. Sie besuchen und Ihnen Gesell schaft leisten, wenn Sie eS wünschen? Aber sich Ihnen ganz widmen, bei Ihnen bleiben, daS ist unmöglich. Sie hat Pflichten gegen ihre Geschwister zu erfüllen, und bald genug wird ein Mann kommen und ihre Hand und ihr Herz für sich fordern, als ein Recht, daö ihre Liebe ihm gegeben. Wenn Sie unter Beweisen Ihrer Liebe zu Marie aber Ge schenke irgend welcher Art verstehen, mit denen sie abgelohnt werden soll, so bitte ich Sie, dabei mehr als vorsichtig und zart zu verfahren. Das Mädchen hat einen gar stolzen Sinn, und jede Zuneigung könnte erstickt werden, wenn sie sich als eine bezahlte Dienerin fühlen müßte!" „Seien Sie ohne Sorge, Doclor! DeS Mädchens Stolz bei aller Weichheit, bei aller Herbe, die habe» mich ja gerade so eingenommen! Sollte ich da diese Eigenschaften nicht aus daS Vorsichtigste berücksichtigen?" Die Gräfin hielt inne, auch Wilken sprach nicht, Beide schienen nur mit ihren Gedanken beschäftigt. Bittend und klagend fuhr die alte Dame endlich wieder fort: „Mein Herz war so kalt, so eisig geworden! Wie ein Sonnenstrahl kam das Mädchen in mein vereinsamtes Leben hinein. Ich kann Ihne» nicht sagen, waö für Kämpfe gegen mich selbst ich in den letzten Tagen bestanden habe. Aber nun rathen, Helsen Sie mir, Doctor, daß ich nicht wieder werde, wie ich war. Ich wiederhole Ihnen, ich habe Ver trauen zu Ihnen. Sie müssen mein Bundesgenosse sein, wenn der böse Geist wieder über mich kommen sollte!" „An mir soll eS nicht fehlen. Frau Gräfin!" antwortete Wilken, seine warme, gefühlvolle Art kam zetzt zum Durch bruch. „Aber ehe wir weiter darüber reden, versprechen Sie mir auch einS: Eke Sie mir und meinen» Mündel, die wir Ihnen doch immerhin Fremde sind, Ihr Vertrauen schenken, müssen Sie den Versuch machen, ob Sie nickt anderer Meinung übcr Ihre Verwandten, über die Frau Brand und ihre Tochter, werden. Ich bege für die Beiden persönlich keine Sympathie, aber Sie müssen sie selbst sehen und kenne» lernen, um ein Urthcil zu fällen. Schreiben Sie ibnen, ruse» Sie die Damen zu sich. Bestehen Sie nach der Begegnung noch darauf, der Marie einen näheren Platz bei sich einzu- räumen als jenen, so will ich mit dafür sorgen, baß mein Mündel Ihren Wunsch erfüllt. Dann weihe» Sie auch mich ein in dw Geschickte Ihres Lebens BiS dahin ist cö bester, Sie erzählen mir »ichls. Sie könnten eS später bereuen, daß Sie einer momentanen Gefühlswallung folgte» und mir Eröffnungen machtt», die vielleicht Ihre Familie in ein schlechte« Lickt stellen." Die Gräfin sah de» Arzt verwundert und fragend an. „Gut — >ch tbue Ihnen Len Willen, Doctor!" sagte sie dann. „Mache» Sie selbst den Branb's die Mitlheilung, daß ich ihren Besuch erwarte. Aber mögen d>e Beiden mir noch so gut gefalle», meine Ansicht über die Marie soll dadurch doch nicht geändert werden!" — Lange noch, nachdem der Doctor Wilken die Gräfin wieder verlasse» Halle, saß diese überlegend und sinnend da. Es war ihr nun selbst ein Rälhsel, Vaß sie den Man», der so formlos mit ihr verkehrte, der sie bei dem ersten Begegnen so ab- geslcßen hatte, zu ihrem Vertrauten gemacht. Aber alle Bedenken, alle Fragen schwiegen dann vor dem lauter und lauter werdenden Wunsch des so lange vereinsamten Herzen?, VaS Liebe verlangte um jeden Preis. » » * Am Abend deS folgenden Tageö saßen in einem kleineren Zimmer deS allen Hauses, im Erdgeschoß dicht neben der Küche, zwei weißhaarige Personen bei einander, der Diener Friedrich und die Köchin Albertine. Draußen in dem Garten tobte der erste Herbststurm, klatschend schlugen große Regen tropfen an die sest verschlossenen Fensterläden. Um so behag licher war e« in dem kleinen Raum. In dem Ösen brannte ein lustiges Feuer, aus dem weißgedeckten Tisch vor dem alt modischen. steiflehnigen Sopha eine Helle Lampe, die ein tüch tiges Stück kalten Brate», goldgelben Butter und Käse, einen braunglänzenden Laib Brod und einen mit einem grünen Kranz verzierten Kuchen beleuchtete. Friedrich saß mit feierlicher Miene aus dem Sopha. Die blüthenweiße Halsbinde zeigte heute eine fast stutzerhaft ge- chlungene Schleife, daS Haar war über der Stirn, wo cs sonst glalt anlag, in eine jugendliche Locke gedreht. Auck den LivrLereck trug der Alte heule nicht, er Halle statt besten einen olchen auS schwarzem Tuck angelegt. Nicht weniger festlich Halle sich seine Freundin Nlbertine angethan, die einen Platz aus dem Sopha verschmähte, um von ihrem Stuhle aus durch das kleine Fenster in der Tbür di- Küche übersehen zu können. In dem faltigen Kleid von chwcreni schwarzen Stoff zmd der großen Spitzcnhaube mit den dunkelrotben Seidenbändern glich sie einer würdigen ebrsamen BürgerSsrau. die nach einem Leben voll Arbeit und Mühe sich ihrer Ersparniste bedient, um ihr Alter zu genießen. Friedrich hatte schon verschiedene Male seine Ubr an» der Tasche gezogen und daS Vorrücken des ZeigcrS ungeduldig beobachtet. Als er jetzt wieder daS doppelte Gehäuse deS laut tickenden kleinen Ungeheuers schloß, daS er für ein Meisterwerk der Uhrmachcrkunst hielt, da sagte er mit einem gewisse» ärgerlichen Ton: „In srüberen Jahren hatten wir um acht Uhr schon den Thec getrunten, und ich konnte un» dm Punsch brauen, Tincben!" „Dafür haben wir heute auch eine» Gast zu erwarten, der mir die Ehre antbut, meinen Geburtstag mitzuseier». Und daß Sie'S nur wissen. Friedrich. Punsch giebt'S heute nicht. Ich habe ein paar Flaschen guten Wein gekaust, für das Fräulein etwas Süßes, für Sie ein kräftig Tröpfchen!" „Gekaust, Tiuchen. gekauft? Sie misten doch, vaß wir den besten Wem reichlich im Keller haben, den koch Niemand trinkt, denn waS die Frau Gräfin genießen, ist partout nicht zu rechnen!" „Aber Friedrich!' siel die Haushälterin vorwurfsvoll ein. „Haben Sic an meinem Geburtstage in meiner Stube emalS einen Bisten genossen, den ich nickt bezahlt habe? Nicht ein Körnchen Salz soll mir hier ans den Tisch, daS nicht mir gebört und von mir erworben ist!" „Nichlö für ungut, Tincben, ich habe eS ja nicht böse gemeint, und heute dürfe» Sie sich am wenigsten über ein Wort ärgern, daS ich sage. Sie wissen doch, ich bin ein loser Vogel, wenn wir Ihren Geburtstag feiern — wie ein Zwanzigjähriger, ganz wie ein Zwanzigjähriger!" Der Alte rückte auf dem Sopha seiner Frennvin näher und wollte seinen Arm um ihre breite Taille legen, wohl gar die Gelegenheit zu einem Kuß in allen Ehren benutzen, um zu beweisen, daß er wirklich der lose Vogel sei, für den er sich ausgab. Albertine aber wehrte ihn ab, sie fenlle ver- chäml die Auge», ei» Schimmer von jugendlichem Erröthen zeigte sich aus ihrem verrunzelten Gesicht. „Nicht dock — nicht doch, Alter!' flüsterte sie. „Solche Thorbciten Pasten sür uns nicht mehr. — Da kommt auch daS Fräulein!" fuhr sie dann lauter fort. Die Thür hatte sich geöffnet und Marie Müller trat ein. Die beiden Wartenden waren ausgestanden und begrüßten daS junge Mädchen mit respektvoller Vertraulichkeit. Mit herzlicher Freundlichkeit, ohne eine Spur von der ihr sonst eignen stolzen Zurückhaltung, hatte Marie die Begrüßung erwidert und sah sich jetzt mit Jnterejje und Theilnahme in dem Stübchen ui». „Bei Ihnen ist eS aber hübsch und gemüthlich!" sagte sie, nachdem sie die einfachen Möbel, die cingerahmte» Schilde rest» und den Wandschrank betrachtet batte. „Und da, der Glasschrnnk mit den alten Tasten und Gläsern, der erinnert mich an meine Kindheit. Meine Mutter hatte auch einen solchen, sei» Inhalt war ihre stete Freude. Sie mußte nach und nach Stück in» Stück verkaufen, um Brod jür die hungerndcn Kinder zu schaffen." Albertine wollte die trüben Gedanken verscheuchen. „Bitte. Fräulein, da aus daö Sopha müssen Sic sich setzen", siel sie ein. Friedrich niiiiint de» Stuhl hier — So — nun Vars ick Ihnen eine Taste Thce geben." Rührig und behende bolle die Alte ihr Theegeschirr von einem Nebcntischchen. Als sie dann in die Küche ging, uin den heißen duftenden Trank zu besorgen, begann Friedrich mit geheimmßvoller Miene: „Dies Ziniinerchen und der ganze Kram hier drinnen ist der Albertine ihr größter Stolz. Denken Sie nur, Fräu- leinchcn, jcdcS Stück gehört ihr. Alles hat sie »ach und nach in den sünsunddreißiq Jahre», die sie bei der Frau Gräfin dient, angeschafst. Deshalb wollte sie auch so gern in dem kleinen Gartenhaus wohnen, da wäre sie so ganz ihre eigene Herrin gewesen. Wenn sie dann Abends die Thür hinter sich zuschloß, fühlte sie sich selbst wie eine Gräfin, sagte sie. Nun — jeder Vogel will sich halt gern ein Nest bauen!' „Und mir ist daS Nestbancn leicht genug geworden", fiel die alte Köchin ein, die mit der Thcckanne zurückkam. „WaS ich nicht kaufte oder anschasse» konnte, taS hat der Friedrich mir zu Weihnachten und Geburtstagen geschenkt und stelö Das hergebracht, waS ich mir am nieistcn wünschte!" Albcrlme tauschte mit Friedrich einen Blick, der mehr als Worte aussprach, wie gut die Beiden sich verstanden, wie glücklich sie in dem Bewußtsein waren, daß sie sich gegen seitig in Freundschaft ihr Leben verschönt hatten. Eine Weile wurden jetzt nur Worte laut, die sich auf Esten und Trinken bezogen. Friedrich hatte nochmals wieder holt nach der Uhr gesehen. biS Albertine darauf aufmerksam wurde und ihn nach dem Grund fragte. „Ich erwarte auch noch einen Besuch", antwortete der Alte. „Pasten Sie aus, Albertine, eS kommt noch Jemand und bringt Ihnen eine» Glückwunsch spät am Abend!" Die Köchin hob den Deckel und sah besorgt in ibre Thcc kanne, um sich zu überzeugen, ob der Inhalt noch sür einen Gast ausreichc. Friedrich sah mit einem schalkhast lächelnden Blick aus daS junge Mädchen, das wie in einer Ahnung «r- röthele. Zu weiteren Erörterungen blieb aber keine Zeit. Schon halte eine feste Hand an die Thür geklopft; als Albertine sie öffnete, stand Gronau vor ibr. Knixenv und vergeblich nach passende» Worten suchend, hörte sic zu. wie der Maler ihr noch viele Jahre in Gesundheit und Zufrieden heit wünschte, und „ahm dann mit zitternden Händen ein sorgsältig verhülltes Packet von ibm an. Als sie mit er- warlungsvollcr Neugier die llmbüllung gelöst, entfuhr ein Schrei freudiger lleberratchung ibrcn Lippen. Sie sah ein kleiner Bild st, einfachem Goldrahmen, das wohlgetrvsjcn den Kops der Gräfin WoljSeck zeigte. Während Albertine ihrer Bewunderung übcr daS Geschenk lauten Ausdruck gab und ein übcr da« andere Mal in stau nende Ausrufe über die sprechende Aehnlichkeit auSbrach, erzählte ihr Friedrich, daß er von dem Entstehen deS BildeS sa,on seit acht Tagen gewußt habe, und belobte sich selbst über di« Verschwiegenheit, mit der er sein Gebcimniß gewahrt. So fand Gronau ungestört Gelegenheit, mit Marie zu sprechen, die zitternd, wie fassungslos vor ibm stand. „Ich mußte Sic noch einmal scheu und sprechen, Marie!" sagte er. „Meine Arbeit ist beendet, morgen übergebe ich der Gräfin da« Bild ihres Sohnes, und damit fällt jeder Grund zu längerem Verweilen in Maiseld. Ein Wort, ein Blick von Ihnen, die geringste Andeutung, daß ich noch hoffen darf. — und heute noch gehe ich zu Wilken, um von ihm zu fordern, daß er Sie sreigiedt, daß er, den Sie nicht lieben, nicht lieben können, auf ein Opfer verzichtet, welche Sie ihm nur auS Achtung und Dankbarkeit bringen. Marie, ich beschwöre Sir bei meiner Liebe, mache» Sie nicht drei Menschen, sich selbst, Erich und mich, unglücklich, indem Sie daraus bestehen, daß die Stimme Ihres Herzen« vor dem Ruse einer sogenannten Pflicht schweigen müsse. Wenn Sie sagen, daß Sie mich nicht lieben, so belügen Sie sich selbst!" Mariens Gesicht war wie in Purpur getaucht, eine Blut welle färbte auch Nacken und Schläfe. Ohne den gesenkten Kops zu heben, antwortete sie leise flüsternd: „Bleiben Sie in Maiseld — wenige Tage noch — Wilken denkt nicht mehr an eine Heirath — aber heute kein Wort mehr darüber!' Gronau war im freudigen Gefühl eines auSbreckenden GlückeS wie erstarrt, er wollte ausjubcln und die Geliebte in seine Arme schließen, aber Marie war ibm schon entschlüpft, mit dem Finger aus dem Mund zum Schweigen mahnend, stand sie neben der alten Köchin, die sich von Ver Betrachtung des Bildes noch immer nicht batte trennen können. Erst als die kleine Gesellschaft sich wieder an den Tisch gesetzt. Albertine den Wein ausgestellt und den Kuchen zer schnitten hatte, war Gronau so weit beruhigt, daß er an scheinend unbefangen nach dem Befinden der Gräfin fragen konnte. (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. --- Halle, 2V. September. Bon hier wurde vor einig«, Tagen berichtet, daß die Cassiererin eines auf dem Roß- platz weilenden Geschäftsinhabers mit 400 verschwunden sei. Man vermuthete, derselben sei ein Unfall zugestoßen. Jetzt wird mitgetheilt, daß die Dame mit einem jungen Manne aus Reisen gegangen war. Da sie Reue über ihre Flucht empfand, richtet« sie von Berlin aus an den noch in Halle aufhältlichen GeschästSherrn die Bitte um Verzeihung. Diese hat er auck gewährt und beschlossen, das Fräulein zu — heirathen. Liebe überwindet alles! ---- Berlin, 20. September. Der Verein Stolze'scher Stenographen in Berlin (Vorsitzender H. Schottländer) eröffnet wiederum sür außerhalb Berlins wohnende Personen brief liche NnterrichtScurse in der vereinfachten Neu-Stolze'schen Stenographie (amtlich in Anwendung im deutschen Reichs tage, in den beiden Häusern des Landtages rc). Der Unter richt erfolgt unentgeltlich gegen Erstattung der Auslagen sür das Lehrbuch (1,20 ^ einschließlich Porto). Näheres durch Herrn A. Huxdorff, Berlin FV.. Culmstraße 32. ---Königsberg, l8. September. A»S den von dem verstorbenen Geh. Eommerzienrath Simon testamen tarisch bestimmten Legaten heben wir folgende hervor: Der Sladt Königsberg zu einem SiechenhauS 100 000 zu dauernden 2Üohlthäligkcilöanstalten 300 000 sür Kunst institute >00 000 ver jüdischen Gemeinde Königsberg 200 000 sür das jüdische Waisenhaus 100 000 ^l, dem Vorstcberamt der Kaufmannschaft zur Moritz Simon'scheu Stiftung, die aus Grmidlage der Stahl'schcn consessionülosen Stiftung zu verwalten ist. 100 000 dem Blinden- und Taubstlimmen-Jnstitut je 15 000 .F. der Universität und den Gymnasien je 10 000 de» Mittel- und Volksschulen 20 000 Die Summe der Vermächtnisse sür öffentliche Zwecke beträgt rund 1 lOOOOO.^l; uabezu eine halbe Million ist außerdem sür Stiftungen zu Gunsten der Beamleu des Simon'schen Bankhauses, für Freunde u. s. w. auSgesetzt. --- Friedrichsruh, 20. September. Graf Kalnoky besichtigte heute Mittag 12 Uhr unter Führung des Fürsten von Bismarck die nahe der Station FricdrichSruh gelegene bekannte Holzpflastcrfabrik deS Fürsten und nahm ein gehend die großartigen Anlagen des Etablissements, sowie die Herstellung der Pstaslerklötze, daS Jmprägniren und die weitere Verarbeitung derselben in Augenschein. An der Station, aus welcher eben ein Zug eingelausen war, hatte der Berliner Holzindiistrielle Herr Free sc. welcher die Pflaste rungen aussührt, die Ehre, von dem Fürsten angesprochen zu Werken und demselben die Beendigung einer von ihm soeben in Italien auSgesührten größeren Pflasterung mit Friedrichs- ruhcr Holz anzeigen zu können und Seiner Durchlaucht und seinem Gaste Näheres übcr den sehr befriedigenden Ausfall der Arbeit mitzutbcilen. Ein zahlreiches au« Hamburgern und Fremden bestehendes Publicum hatte sich vor dem Schlosse des Fürsten wie aus der Station versammelt, um den Reichs kanzler und seinen hohen Gast zu begrüßen. ---- Köln, 20. September. Die Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte nahm im Fort gange der Sitzung die Statutenänderungen im Ganzen mit geringer Mehrheit an. Nach denselben ist die Mitgliedschaft eine dauernde; die Gesellschaft kann eigenes Vermögen und Besitz erwerben. eS wird ein aus 15 Mitgliedern bestehender Vorstand gewählt, zu welchem der jedesmalige Geschäftsführer gekört. Der gewählte Vorstand wird mit der Ausarbeitung envgiltiger Satzungen beauftragt, über welche in der nächsten Versammlung in Heidelberg Beschluß gefaßt werden soll. ---- Straßburg i. E., 20. September. Der Groß herzog und der Erbgroßherzog von Baden sind beute Abend zu den Manövern der 30. und 33. Division bei St. Avold abgcreist. ---- Ein waghalsiger junger Mann, Namens Charles Percy, versuchte am 16. dss. in einem kleinen Boot die Stromschnellen deS Niagara zu passiren. Daö Boot kcnterle augenblicklich, als es in die kochende Flulk gerielh, und Percy wurde sür verloren gehalten. Er kam indeß wiederum an die Oberfläche, und indem er mit großer Geschicklichkeit alle Hindernisse auf seinem Wege vermied, landete er schließlich sicher im Devil's Pool. Er bat somit eine Thal vollbracht, deren sich vor ihm noch Niemand rühmen kann. ^ Literatur. Theodor Ttorm. Ein Bild seines Lebens und Schaf fens. Von F e o d o r W e h l. Mi! PorirailS, Ansichten rc. Verlag von A. C. Reh er, Altona. — Vor uns liegt ein reizendes kleines Buch in Minialursormal, sauber gedruckt und mit interessanten Bei legen (Bilder, Handschristvrobcn w.) verleben. Theodor Slorm, bekanntlich einer unserer bedeutendsten Novellisten, ist im Juli d. I. verstorben, und ist bei dieser Gelegenheit so recht zu Tage getreten, wie beliebt der Dichter war und wie hoch man seine Werke zu schätzen weiß. Das vorliegende Merkchen will nun keine eraentliche Liogiavh'e sein; der Versager sagt vielmehr in seiner Eial >t»ng: „Die Darstellung und Würdigung, welche die vorliegenden Blätter bieten, wollen weder schmeicheln noch in blinde Verehrung ouS- strömen, sondern einfach über den Abgeschiedenen selbst wie über seine Dichiuugen die Wahrheit sagen und in dieser Wahrheit nach- weisen, nicht nur, wie er und seine Schöviungen geworden, sondern auch wodurch und wie sie beide zu dem Ansehen und dem Ruhme gelangt sind, die sie im Lause der Feit errungen haben." — DaS ist dem Herrn Verfasser denn auch in wirklich vorzüglicher Weise gelungen. Durch die abgerundete Darstcllung und die kurze pracise Würdigung der bedeutendsten der Storm'jchcn Dichtungen stellt VaS Büchlein eine sinnige Erinnerung an den verstorbenen Meister dar, welches sich gar bald alle Freunde der Slorm'schen Muse überhaupt crIerben wird. **
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