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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.09.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188809237
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880923
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880923
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-09
- Tag1888-09-23
- Monat1888-09
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.09.1888
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Vierte Leilage zum Leipziger Tageblatt uud Anzeiger. 287. Sonntag den 23. September 1888. 82. Jahrgang. Der gute Doctvl. ErzLhlung von I. Isenbeck. . , Nachdruck verböte». (Fortsetzung.) „Gott sei gelobt und gedankt", fing nun Friedrich an. der ein Gespräch über seine Herrin doch immer für da» Inter essanteste und Wichtigste hielt. „Gott sei gelobt und gedankt! — Nicht nur gesund von der schweren Krankheit ist unsere Gntidige geworden, nein, ganz und gar wie anSgewechselt gegen früher ist sie. Und deshalb sage ich auch immer, Gott selbst hat uns hier nach Maiseld geführt, damit der Herr Doctor und da» Fräulein mit der Gnädigen zusammen trafen. denn ohne die Beiden hält'» doch noch ein böse» Ende genommen!" „Und Herrn Gronau wollen Sie dabei für nichts esti- mircn?" siel Albertine ein „Sie haben mir doch so oft er zählt, daß die Frau Gräfin —" „Glauben Sie, daß Frau von Wolfseck so weit wieder- hergcstellt ist und mir erlauben kann, mein Bild persönlich zu überreichen?" fragte der Maler, um einem Wortstreit zwischen den beiden Alten zuvorzukommen. „Gewiß, gewiß — die Frau Gräfin freuen sich schon darauf. Sie morgen zu sehen. Ihr Besuch ist auch nicht der erste, den die Frau Gräfin annehmen. Denken Sie nur, Herr Gronau, heute waren schon die Frau Bürgermeister Brand mit Fräulein Tochter hier!" lieber Gronau's Lippen kam in der That ein erstaunte»: „Wa — aS?", Dann sab er Marie an und fragte besorgt: „Sind Sie mit de» Beioen zusammengetroffen?" Marie verneinte die Frage und fügte erklärend hinzu: „Die Frau Gräfin merkte wohl, wie unangenehm nur eine Begegnung mit den Damen sein würde. Ich fand zum ersten Mal ihre Zustimmung, al» ich sie bat, einen Gang nach dem Kirchhof machen zu dürfen!" „Weshalb habe ich daS nicht gewußt?" sagte Gronau leise. Der alte Friedrich rückte unruhig mit seinem Stuhle. Unverkennbar machte er den Eindruck eines Menschen, der gern mit einer ihm wichtig scheinenden Mittheilung zu Worte kommen will. „Ja, die Frau Brand war mit ihrer Tochter hier", be gann er dann hastig und lauter als gewöhnlich sprechend. „Ich habe gehört, daß der Herr Doctor aus besonderrn Wunsch der Frau Gräfin gestern Abend bei Bürgermeister» war und die Damen ausgcsorderl hat, die Gnädige zu besuchen. Eilig genug, fast vor Thau und Tag noch, sind sie auch heute schon gekommen; ich habe mich beinahe geschämt, sie anzu melden, so früh war'» noch Und aufgedonnert waren die Beiden — na, ich sage Ihnen, so »e Last von Spitzen und Bändern haben wir hier sonst nicht gesehen, wenn wir die größte» Bälle und Diners hatten, und " „Davon versteht doch eine Mannsperson nicht»", fiel Albertine ein. „Ich fand die Damen ganz nett angezogen, nur ein bischen zu bunt. Aber cS schickt sich gar nicht, daß wir so über Damen sprechen, die Verwandte von der gnädigen Gräfin sind, und noch dazu vor dem Fräulein und vor dem Herrn Gronau. Ihnen will wieder mal die Zunge durchgehen!" Der also Ermahnte lachte laut aus. - „Oho, Mamsellchen!" ries er. „Was ich sage. daS haben die Frau Gräfin selbst ausgesprochen. Aber lassen Sie mich ruhig erzählen. Also: Als die beiden Damen kamen, sagte ich ihnen, daß die Gnädige so früh keinen Besuch annehnie. Hat mich da die Alte, die Mutter, angeschaut! Augen hat sic gemacht, »a. Sie. Herr Gronau, kenne» ja die Art schon. Dazu schnarrte sie mir dann zu — ganz so in dem Tone, den die alle Standuhr im Hausflur von sich giebt, wenn ich sie ausziebe — „thue Er, waS ich Ihm heiße!" Denken Sie nur, die Bürgermeisterssrau nannte mich Er. Wenn meine gnädige Gräfin Er zu mir sagt, so ist mir das eine Ehre, die mir auch schon der Herr Gras selig zukvmmen ließen. Aber von andern Leuten werde ich mir für die Folge solche Ver traulichkeiten verbitten! Na, also, ich will gehen und die Damen anmelden. Aber ehe ich die Thür öffnen kann — meine Beine sind nicht mehr die flinksten —, da sind die Beiden schon bei der Gnädigen im Salon drin, und ehe ich mich's versehe, liegt die Tochter vor dem Sessel der Gnädigen aus der Erde, und die Müller steht dabei und weint und lacht und schreit ein Mal über da» andere: „Thure Tante" und „Angebetete Tante" und schwadronirt von ihrem Goldkindchen, ihrem Juslinchcn, daß einem Hören und Sehen vergehen konnte. Unsere Gnädige waren ganz starr, oder wie Albcrtinchen sagt, baff; wir wißen ja, wie die Frau Gräfin v. Wolsscck auf Dekors und Elignette bei Fremden halten, wenn sie sich mit ihren Leuten auch »och so gemein machen. Zu Worte konnte die Gnädige eine ganze Weile nicht kommen; sic hatten genug zu thun, um sich vor Len Umarmungen der Alten und den Haubküssen der Jungen zu retten. „Rücke Er Stühle her, Friedrich", ries die Frau Gräfin endlich, „und Ihr Beiden setzt Euch jetzt ruhig hin. damit ich Luft habe!" Die Bürgermeisterssrau und ihre Tochter zierten sich dann noch eine Meile und wischten sich die Augen und rangen die Hände, aber zuletzt innßlen sie sich doch auf die Sessel drücken, die ich so fünf bis sechs Schritte weit von der Gräfin hingestellt balle. Na, waS dann weiter gesprochen Wurde, weiß ich nicht, aber ich habe gehört, wie die Frau Gräfin, die mir befahl, im Nebenzimmer zu bleiben, ein paar Mal heftig wurde, und wie die Brand'» lamentirten und jammerten. So »ach einer guten halben Stunde ging dann die Thur wieder aus und die Bürgermeisterin schoß nur so heraus, ihre Tochter hinterdrein. Ich sah, wie unsere Gnä digc mitten im Salon stand und den Beiden nachries: „Ncber meine Schwelle nie wieder!" Mich haben die Frauen gar nicht angcschaut. Hochroth im Gesicht waren sib wie die ZinShähnc Schon aus der Treppe bekamen sie untereinander das Zanke», und als ich mit ihnen durch den Garten ging um sie bis auf die Straße zu bringen, da wurden die Schmeicheleien, die sich Mutter und Tochter sagten, immer gesalzener und gepfefferter. Zuguterletzt, dicht vor dem Gartentbor. ging daS eigentliche Donnerwetter los. Justinchen da» Goldkmd, erhielt von Muttern eine klatschende Ohrfeige Aber das muß ich sagen, verstellen können sich die Beiden. Wie sie das Thor hinter sich hatten und die Straße entlang gingen, da war cS, als ob sie ein Herz und eine Seele seien, und Jeder, der sie sah, mußte glauben, c» gäbe au Gotte« weiter Welt keine zärtlichere Mutter und keine be scheidenere Tochter!" , Der Erzähler hielt hochausatbmcnd inne und sagte dann der Art der redseligen alten Leute noch zweimal: « Ja — so war es — so war eSl" Gronau lachte laut auf. „Ich kann mir die Frau Brand verstellen", meinte er. „Im Zorn muß die wahrhaft fürchterlich sein. Die Tochter könnte man bedauern. Bci einer anderen Erziehung, in den Händen einer vernünftigen Mutter, wäre sie wohl eine andere geworden!" Marie Müller hatte sich bi» dahin mit einer zierlichen Stickerei beschäftigt; jetzt hob sie den Kopf und sah den Maler an, in ihrem Blick lag etwas Beistimmendes und zu gleich Dankbares für da» milde Urtheil, da» er ausgesprochen Gronau'» Pulse schlugen voller, er bemerkte mit einem freudigen Entzücken, daß a»S de» jungen Mädchen» Gesicht ver stolze, herbe Au-druck mehr und mehr schwand. Sanft, Weich wurden die Züge» dadurch in einer neuen Schönheit «ufstrahleod; der zartfencht- Schimmer der großen, seelenvollen U»gen zeigte von dem Bewußtsein eine» Glücke» und zugleich von dem bangen und doch so sreudevollem Sehnen nach der Lüftung de» Schleier», der geheimnißvoll die Zukunft ver hüllte. Die jetzt voll erwachte Liebe hatte aus dem jung fräulichen Weide ein neue» Weib geschaffen, daS von gestern war heute nicht mehr da. Wie eine von der Sonne aus geküßte NosenknoSpe neigte sich da» unschuldige Mädchenhcrz dem Geliebten zu, sich selbst hingebend und demuthSvoll Licht und Leben wie ein Geschenk von ihm erwartend. Gronau konnte nickt weiter sprechen. Mit echt weiblichem Scharfblick hatte aber die alte Köchin die Situation erkannt und überschaut. Die Nolle der Beschützerin zweier Liebende« gefiel ihr um so mehr, da es in diesem Falle Personen waren, die iiber ihr standen und denen sie sich zu Dank verpflichtet glaubte. Fast jede Frau thut sich etwas daraus zu Gute, wenn sie rin Paar zusammengebracht, eine Heirath gestiftet hat; be- onders die Ehefrauen, welche mit ihren eigene» Männern rüde Erfahrungen machten, und die Ledigen, die über die ;cirathSsähigen Jahre hinüber sind. Hallen sich für verpflichtet, den ewig bindenden Knoten für Andere schürzen zu Helsen. „Was hat denn die Frau Gräfin gesagt, al» Sie zurück kamen? ' fragte Albertine, Neugier heuchelnd, um Friedrich'» Aufmerksamkeit von dem durch Blicke geführten Zwiegespräche der beiden Liebenden abzulenken. „Nichts — rein gar nichts!" antwortete der alte Diener. Dem Herrn Doctor habe ich, al» er gegen Mittag kam, von dem Besuche erzählt. Ich fürchtete, die Aufregung könnte der Gnädigen geschadet haben, da» sagte ich ihm auch. Aber der t nur ganz vergnügt darüber gelacht und gemeint, für sere Frau Gräfin sei so ein gesunder Aerger ganz zuträg lich, er helfe die bösen Gedanken vertreiben, wie e» ein tüchtiger Wind mit dem Nebel und den Regenwolken mache. Und dann meinte er noch, in de» nächsten vierundzwanzig Stunden würde ich wohl noch mebr hören und sehen. Wunder liche» und Erfreuliches. Nun — ich kann'S ja abwarten, wenn's was Gutes ist!" Marie Müller war von dem Sopha ausgestanden und schickte sich zum Fortgehen an. „Jetzt muß ich zu der Gräfin", sagte sie mit fröhlicherem Ton, als man ihn sonst von ibr zu hören gewöhnt war. „Wahrscheinlich ist cS der letzte Abend, den ich hier im.Hause zugebracht habe. Frau v. Wolfseck ist dem Anschein nach vollkommen wieder genesen, und da wird auch Alles wieder in das alte Gleis kommen!" Auch Gronau stand auf, um zu gehen; Friedrich wollte ihn noch zurückhaltcn, aber ein bedeutsamer Blick Albertinen» hielt ihn davon ab. Mit vielen Knixcn und wiederholten Versicherungen, wie hoch sie die ihr gewordene Ehre zu schätzen wisse, begleitete die alte Köchin ihre jungen Gäste bis in den großen Hausflur, wo da» junge Mädchen nach kurzem Abschiedswort die breite Treppe hinaus stieg, während Gronau zögernd und sich wieder und wieder nach der Scheidenden umwendcnd, dem ihn durch den Karten führenden Jean folgte. Die alte Köchin war in ihr Stübchen zurückgekehrt und sah, daß ihr Freund, der weißhaarige Friedrich, bedächtig da» letzte Gla» Wein leerte. „Herr, Du meine Güte", ries sie voller Erregung au« „so etwa» hätte ich mir nicht träumen lasten! Der Herr Maler und da» Fräulein — Beide hier bei mir, in meiner Stube! Und da können Sie ruhig dasitzeo, ohne ei« Wort zu sagen?" „Warum denn nicht?" fragte Friedrich. „Die jungen Herrschaften haben mit den, Doctor unsere Gnädige ganz umgewandelt — ist es denn da zu verwundern, wenn sie uns die wir Dienstboten sind und bleiben, ander« behandeln, als wir e» verdienen? Herr, Du mein blutiger Heiland! AlS ich zum ersten Mal des Fräulein» Gesicht sah, da habe ich meine eignen Gedanken gehabt! Wenn Alle» wahr werden sollte, was ick mir so denke!" „Gott sei Tank!" fiel Albertine ein, „daß Sie endlich mit Ihrem blutigen Heiland kommen! Ich habe schon Angst genug auSaestanden, weil der den ganzen Abend nicht zum Vorschein kam. Aber da» sage ich auch, über daS Fräulein habe ich meine eigenen Gedanken, und der Herr Gronau muß —" „Der Herr Gronau muß daS Fräulein Müller zu seiner Frau machen", unterbrach Friedrich daS Geburtstagskind, „daS meinen Sie doch, Tinchen —Minchen! Gut — an un» soll es nicht fehlen. Darauf den Rest " » Wie ein glückverheißende» Zeichen klangen die Gläser der beiden alten Leute aneinander. in IX. Capitel Als der Doctor Erich Wilken mit der Botschaft zu Frau Beatrix Brand gekommen war, daß die Gräfin WolfSeck baldigst ihren Besuch erwarte, da zog Freude und Frohsinn in das bürgermeistcrlicke Hau» ein. Die hagere Frau vergaß ganz, daß sie da» Gelübde gethan, den verhaßten Doclor nie mehr eines Blicke» zu würdigen; sie wurde liebenswürdig, soweit es ihre gallige Natur zuließ, al» sie die ersten Worte auS seinem Munde hörte, und versicherte dann in einem ganzen Schwall von süßlichen Redensarten, daß sie sich freue, wenn der liebe, gute Doctor auch unter den »un nahe bevor stehenden Veränderungen in ihrer gesellschaftlichen Stellung seinen Verkehr mit ihrer Familie fortsetzen würde. Wilken gab ausweichende Antworten und beschränkte sich in der Unterhaltung auf daS Allernothwendigste, wa» er zu sagen hatte. Sckneller, al« Frau Beatrix erwartete, nahm er wieder Abschied; wäre die kleine Dame nicht so fest davon überzeugt gewesen. daß die Aufforderung der Gräfin unbe dingt eine Erfüllung ihrer Wünsche in sich schließe, so hätte des DoctorS sarkastischer Ton und halb bedauernder» halb höhnisch lächelnder Blick sie wohl stutzig gemacht. Als Wilken sic wieder verlassen, hatte Frau Brand eine lange Unterredung mit ihrer Tochter über die Art, wie man sich für den wichtigen Besuch kleiden solle. Auch die Frage wurde lebhaft erörtert, ob e» nicht angemessen sei, den einzigen MielhSwagen Maiseld» für den nächsten Tag zu bestellen. Christian Brand wunderte sich nicht wenig, bei seiner späten Rückkehr vom Nathhause mit einer Freundlichkeit von Frau und Tochter empfangen zu werden, die ihm seit Jahren nicht zu Theil geworden mar. Geheimnißvoll und wichtig thuend, machte Frau Beatrix ihrem Gatten Andeutungen über den Gesinnungswechsel der gräflichen Tante und benutzte die Gelegenheit, dcS Längeren und Breiteren zu erörtern, wie sich an ihr wieder da» alte Sprichwort bewahrheite, daß die Tugend doch endlich nach Verdienst belohnt werde. Erst nach dieser langathmigen Einleitung wurde der Bürgermeister da von in Kenntniß gesetzt, daß die Gräfin Wolsseck einen Besuch ihrer Verwandten erbeten habe. „Nun und nimmermehr würde ick hingehen'', fuhr Frau Beatrix fort, „wenn ich nicht an Justinchen und an Dich dächte. Unser Justinchen ist die einzige Erbin der alten Tante. Um unserem Töchtcrchen zu der ihr gebührenden Stellung zu verhelfen, will ich der Gräfin die Hand zur Versöhnung reichen, ihr nichlS mehr nachtragen und Alle» zu vergessen suche». Alte Leute haben ihre Eigenheiten, nebenbei war die Tante schwer krank. Sie wird gar nicht wissen, wie un- der hergelaufene Maler behandelt hat! Aber ich, ich werde dem jetzt die Thür weisen, ihm mitsammt dem Doctor und dem Frauenzimmer, der Mamsell Müller, die alle Drei unsere Tante zwangen, un» zu verleugnen. O, Du mein Gott, wa» mag die arme Tante von den Menschen gelitten haben! — Aber ich räume nun bei ihr auf, da» ist meine Pflicht. Auch der alte Sünder, der Diener, muß fort, dann ziehen wir zu der Tante in» Hau» und pflegen siel" Christian hatte aufmerksam zugehört; al« sein« Frau ge endet. athmete er erleichtert auf. weil er der Befürchtung, daß auch ihm eine thätige Rolle bei der Haupt- und Staat»- Action zugetheilt werden könne, enthoben war. Auch die Beweisführung, wie richtig es sei, daß er dem Rath seiner Gattin gefolgt und rechtzeitig jeden Verkehr mit den Plebejern in Maiseld abgebrochen, den „Stern" gemieden habe, hörte er ruhig mit an. „So etwa» schickt sich eben nicht für un»", deducirtc Frau Beatrix weiter. „Dir mag c» ja schwer ge worden sein, aber das hilft nicht» Du, ohne jede Herkunft, in samilicn hineinheirathet, so muß eine dunkle Vergangenheit erinnern kann. Ich will Dir ;a keine Vorwürfe machen, Christian. Thue nur immer Da», was ich Dir sage; dabei fährst Du am besten. Im Winter werden wir nun wohl einige Monate in der Residenz ver leben, dort kannst Du durch meine Verbindungen passendere Bekanntschaften machen. Meine erste Sorge muß natürlich sein, daß Du geadelt wirst. Herr von Brand-WolsSeck, ja, daS klingt ganz hübsch; man könnte, wenn man den Namen hört, glaube», es müsse so sein. Und dann, ehe ich's vergesse, gleich morgen erklärst Du, daß eS Dir nicht länger Paßt, hier de» Bürgermeister zu spielen. Wir können ja für den Blomeyer ein gutes Wort ein- legen, daß er Deine Stelle bekommt. Den armen Leuten wäre ja die Freude zu gönnen. Herr Gott, wird sich die Blomeyer ärgern, wenn sie erfährt, daß wir zu Gelde und Ansehen kommen!" DcS Bürgermeister» Gähnen zeigte an, wie sehr er sich nach seinem Bette sehnte. Seine Frau erlaubte ihm auch, sich zur Ruhe zu begeben, und bald genug bcwie» rin laute» Schnarchen aus dem Nebenzimmer her, wie wenig die glän zenden Aussichten für die Zukunft ihn hatten ausregcn könne». Christian Brand war mit dem Gedanken an seine Partie Rummelpiquct eingeschlasen und träuinte, daß er alle Asse in der Hand habe und dem Magistratsschreiber jede Karle steche. Bis tief in die Nackt hinein saß Frau Beatrix mit Justinchen zusammen wie vergraben unter einem Berge von Spitzen und Bändern. WaS Mutter und Tochter bisher unter ihren Vorrälhen für geschmackvoll und mvdern gehalten halten. daS erklärten sie jetzt für werthlvsen Trödel, den sie nur am morgigen Tage noch benutzen wollten, da die Kürze der Zeit eine Beschaffung neuer Putzsache» unmöglich machte. Dabei kam Frau Brand immer wieder daraus zu sprechen, wie wohlthuend es ihr sei, daß die Blomeher'S und ganz Maifeld nun doch einsehen müßten, welcher Abstand zwischen den Verwandten eincr Gräfin und ihnen herrschte. Justinchen Wagte cs auch, Heppler's Namen zu nennen. Ei» strafender, mißbilligender Blick der Mutter traf sie. „h'i ckono, ma migncmnol" ries die Bürgermeisterin auS. „Glaubst Tu, den ungebildeten Krämer dürften wir jetzt noch bei uns sehen? Bis heute — nun ja, man erfährt von ihm dock, WaS in der Stadt voraing, und Du weißt, für alle Fälle muß man sich sichern. Du bist für etwaö Höheres be stimmt, und Deine Großtante wird cS nie dulde», daß Tu einem Manne Deine Hand giebst, der nicht mindestens ein Gras ist. Sollte der Heppler morgen kommen, so sind wir nicht für ihn zu spreche» l" Wie sehr sich Frau Brand in ihren Erwarlnngen getäuscht hatte, wie alle Hoffnungen in Bezug auf den AuSgang ihres Besuches bci der Gräfin zu Wasser geworden waren, davon konnte ihr diesmal Niemand etwas anmcrken. Gleich nach ihrer Rückkehr fetzte sie sich im vollen Putz und mit lächelnder Miene an daS Fcnstcr ihrer Wohnstube und befahl ihrer Tochter, ein Gleiches zu thun. „Es gilt jetzt, das Letzte für Dich zu retten, wir müssen Alles ausbieten, um Heppler heute noch zu eincr bindenden Erklärung zu bringen!" begann sie eifrig. „Morgen kann e» schon zu spät sein, denn der Doctor und der Maler werden früh genug erfahren, daß wir auf die alte Hexe nicht mehr rechnen können, und was die Beiden wissen, da» weiß auch bald die ganze Stadt. Heppler muß glauben, daß Du die Gräfin einmal beerbst, sonst denkt er nicht daran, Dich zur Frau zu nehme». Jedenfalls bist Du dann versorgt, und baß er als Dein Mann nur DaS thut, waS Du willst, da» erreichst Do, wenn Du meinen Rathscklägen folgst. Paß aus, er kommt her, sobald er nn» sieht! Ich werde die Sache ein leite» und zur rechten Zeit Dich mit ihm allein lassen. Dann sei geschickt und schlau, aber vorsichtig, laß ihn nicht ander» denn als Deinen Bräutigam fort. Uedcr die WolfSeck sprichst Du kein Wort; fragt er Dich nach ihr, so weichst Du ihm aus und weist ihn an mich." Justinchen war eine ebenso vollendete Schauspielerin wie ihre Mutter. und da sie einsah, daß die Rathschläge, die diese ihr ertheilt hatte, annehmbar waren, so beschloß sie auch, die ihr zugeschriebenc Rolle mit allen Kräften durchzuführen. Al» Frau Beatrix hatte den wechselnden Eindruck in Heppler'« Zügen genau beobachtet; sie sah, daß der Köder, den sie nur von Wertem gezeigt, wirkte, daß der Fisch Miene machte, in da» Retz zu gehen; diese» zusammenzuziehen, so daß die Beute nicht mehr entschlüpfen konnte, da» war Justinchen» Aufgabe. „Eine Hausfrau hat immer den Kops voll Sorgen un» die Hände voll Arbeit! Ich muß in die Küche und sehen, wie er mit dem Mittagessen steht!" sagte sic. „Mein Mann bildet sich ein, ihm schmecke nichts, wa» ich ihm nicht zu- bcreite. Da» ist eine der kleinen Tyranneien, unter Vene» wir armen Frauen zu leiden haben. WaS duldet und trägt aber die Liebe nicht! WaS thut ein Weib nicht Alles ihrem Gatten zu Gefallen! Glauben Sie mir lieber Heppler. icht». Wenn ein Mann wie Gatten zu Gefallen I Glauben Sie mir lieber Heppler. den eine der ersten und ältesten wahren Werlh eines WeibeS lernt ein Mann erst in der z er Alles vermeiden, wa» an Ehe schätze». Golt sei Dank! Mein Tvchterche» ist so er- " ihre guten Eigenschaften haben sich unter meiner Für sorge so entwickelt, daß Der glücklich ist, der sie hei,»führt!" zogen. antwortete henle nicht — könnten sie gleich daraus Heppler auS seinem Hause treten sah, warf sie ihm einen halb verschämten, halb aussorderndcn Blick zu. »Er kommt zu un«!" ries Frau Brand erfreut aus und setzte mahnend hinzu: „Bedenke, wa» für Dich aus dem Spiele steht! Als Frau Heppler bist Du immerhin noch eine der Reichsten in Maiseld! " Heppler'« Gesicht zeigte eine unruhige Spannung, als er die beiden Frauen begrüßte, aber auck er verstand eS, seine Neugier zu bezähmen, und sprach zuerst eine Weile vollkommen gleichgiltig über das Wetter, ehe er, dem Anscheine nach un befangen, die Aeußerung hinwarf, daß die Damen heute früher denn gewöhnlich eine» Besuch gemacht hätten. Frau Brand lachte im Stillen über den vollendeten Heuchler. „Wir Ware» bei meiner Tante, der Gräfin WolfSeck. Sie wissen dock, daß die alte Dame schwer krank lag. Erst gestern hat Doctor Wilken seine Zustimmung gegeben, daß wir ihren sehnlichsten Wunsch, un« zu sehen, erfüllen dursten sagte sie dann. „Und wie wurden Sie ausgenommen?" fragte Heppler hastig. „Haben Sie ?" Er wagte eS doch nicht, die Frage, um die sich bei ihm Alle» drehte, offen auSzusprechcn. Aber die Art, Wie ihn Frau Brand jetzt ansah, zeigte, daß seine Gedanken errathen wurden. „Sie meinen, ob wir Aussicht haben, daß sich die Gräfin ihrer Pflichten gegen unS bewußt wird? Nun. alte Leute haben ihre Wunderlichkeiten. Die Tante hat e» mir lange nicht verzeihe» können, daß ich gegen ihren Willen meinen Brand heirathete. Dafür soll aber mein Justinchen nicht zu leiden haben. Ich fürchte nur, es wird mir wieder einen schweren Kamps kosten, che ich die Zustimmung der Gräfin Tante erlange, wenn Justinchen einmal dem Beispiele ihrer Mutter folgen und bci einer Vermählung auch nur der Stimme ihre« Herzen» folgen will!" Heppler hätte diese Aeußerung der Bürgermeisterin an einem anderen Tage wohl mit mehr Bedenken und miß trauender Uebcrlegung angebört. Aber gerade heute hatte er von den Launen der Frau Gertrudis viel zu leiden ge habt; er war mit dem Entschluß aus seinem Hause ge gangen, ihrem Regiment ein für allemal ein Ende zu macken. Daß seine Haushälterin, die er im Stillen nur noch den alten Drachen nannte, schleunigst da« Feld räumen würde, wenn Frau Brand al» zukünftige Schwiegermutter ein Wort mit- reden konnte, daran zweifelte er keinen Augenblick. Frau Beatrix verließ daS Zimmer; in der Thür wendete sie sich noch einmal um. „Unterhalte Herrn Heppler gut, spiele ihm Deine neue Sonate vor, ich komme sofort zurück!" rief sie Justianen zu. Sobald sich die Thür hinter der Mutter geschlossen hatte, erhob sich die Tochter auch, trat an da» Clavier und blätterte in den Noten. Heppler sah forschend nach seinem Hause hinüber; an eine», der Fenster zeigte sich dort der Kops der Frau Gertruds» und erschien ihm wie eine Mahnung. Justiane beobachtete unter den gesenkten Augenlidern, wie er doch noch überlegte. „Soll ich Ihne» etwas Vorspielen, Herr Heppler?" fragte sie. „Nein, nein, Fräulein, lassen Sie da» jetzt" er, ibr näher tretend. „Ich möchte — mir ist nach Musik zu Sinne. Aber — waS meinen Sie Sie sich nicht entschließen, mit mir vierhändig sich durch da« Leben hindurch zu spielen? Ich denke doch, daß mein Ver mögen und Das, WaS Sie von Ihrer Tante zu erwarten habe», ausrciche» wird — nun, wie soll ich sagen? ich meine, e» wird ausreiche», um unser Piano in gutem Sland zu halten!" Justiane triumphirte. Seiner verschrobenen Art »ach hatte ihr Heppler da einen HciralhS-Antrag in bester Form gemacht. „Ich verstehe Sie nicht, Herr Heppler!" sagte sie trotz dem, aber sie suchte in ihre Stimme einen so schmeichelnde» und kosenden To» zu legen, daß dem alten Junggesellen ordentlich warm umS Herz wurde. Als sic ihn nun noch halb verschämt, halb begehrend ansah, als ein schwaches Roth ihr Gesicht färbte und anzeigte, daß ein Rest jungfräulicher Weiblichkeit doch stärker war, als die Macht aller Berechnung und kalte» Uebcrlegung, da erschien sie ihm fast fchö», schön im Vergleich zu der Wittwe Gcrtrudis, unter deren hartem Regi ment er seit Jahren lebte. „Sie verstehen mich »icht, Jnstinchen?" ries er lebhaft, die gewohnte Reserve ganz vergessend. „Eine Liebeserklärung kann ich Ihnen nicht machen — dazu bin ich zu alt und zu ungeschickt, aber ich glaube, daß Sie mich verstehen, wenn ich Sie frage: Wollen Sie Frau Heppler werden? Wollen Sie auS diesem Hause ziehen, um in dem da gegenüber zu wohnen?" Justianen« Hand waren die Notenblätter entfalle», halb weinend, halb lachend, Kopf und Herz voll von den widerstreitendsten Gedanken und Gefühlen, sank sie Heppler entgegen, der fast unbewußt die Arme auSbreitete, um sie zu umfassen. „Lieber, lieber Heppler! Ja, ich will!" hauchte sie. I« freudiger Erregung über die Erfüllung ihrer Wünsche schlug ihr Herz laut genug, daß Heppler, an dessen Brust sie lag. eS fühlen konnte. Dem trockenen Junggesellen, der bi» dahin nicht einmal beim Tanze ein Mädchen umarmt hatte, war e», als ob ein elektrischer Schlag durch seinen Körper fuhr, ihm wurde warm in einem bisher ungekannten und ungeahnten Empfinden. Frau Beatrix hatte, durch das Schlüsselloch spähend, die Vorgänge genau verfolgt. Jetzt, im ihr richtig scheinenden Moment, öffnete sie die Thür. Aber Herr Heppler!" rief sie erstaunt und verwun dert au». Die Beiden fuhren auseinander. Heppler stand verlegen da, wie ein langausgeschossener unmündiger Bube, der sich bei der Annectirung von Obst anderer Leute hat ertappen lassen. Nun aber schien der Bürgermeisterin die Situation klar zu werden. Sie eilte aus ihre Tochter zu und schloß sie laut weinend in ihre Arme. Justinchen — mein Kind — mein einzige« liebe«!" jammerte sic unter wiederholten lauten Küssen. „So steht eS mit Dir? DaS ist es, wa« Dein Herzchen seit Wochen bedrückt hat? — Und nicht einmal zu Deiner Mama hast Du Vertrauen gehabt? O, Du böse«, böses Kind!" Dann kehrte sie sich zu Heppler um und hob geziert den Zeigefinger der rechten Hand, um ihm zu drohen. „Nein — zu Ihnen, Heppler, muß ich sagen: Sie böser, böser Mann! Wie ein Wolf im Schafskleide haben Sie sich hier in unsere stille Häuslichkeit eingeschlichen, um mir die Freude und den Stolz meine» Dasein«, mein Lamm zu rauben; nun muß ich wohl Ja und Amen sagen Ich will mich dem süßen Glauben hingeben, daß ich jetzt statt eine« Kinde« deren zwei habe! O, lieber Heppler, einer Frau, einer Mutter Herz ist ja so unerschöpflich an Liebe, reich genug, um auch einem Schwiegersohn genug davon geben zu können!" Frau Beatrix trocknete mit dem Taschentuch ihre Augen, wischte verstohlen mit demselben Uber die Lippen und sagte dann zärtlich: „Umarmen Sie mich, lieber Heppler! Lassen Sie mich mit dem Mutterkuß Ihrer Liebe zu meiner Tochter die Weihe geben!" Al» Heppler die etwa« stürmischen Zärtlichkeiten der Bürgermeisterin erduldet hatte, fragte er: „Aber werden auch Ihr Gemahl und Ihre gnädige Frau Tante, die Gräfin Wolsseck, meiner Verbindung mit Ihrem Fräulein Tochter keine Schwierigkeiten in den Weg legen?" „Mein Manu? Sie haben meine Zustimmung! Und die Tante Gräfin? Einem kait «ccompli gegenüber kann sie doch auch nicht mehr opponiren. Wissen Sie wa«, lieber Heppler? So schwer es mir wird, mich von meinem Kinde zu trennen, so will ich doch nicht hart sein und Ihr Glück verzögern. Ich sorge dafür, daß Justinchen noch in diesem Jahre Hochzeit macht!" (Fortsetzung folgt.) Aus Kaiser Frie-rich's III. Tagebuch 1870- 71. * Wir ergänzen die gestrigen Miltheilungen über da« in der „Deutschen Rundschau" veröffentlichte Tagebuch Kaiser Friedrich'» III. während de» FeldzugeS 1870 noch durch die folgenden Auszüge: 1l. Juli. Thile sehr ernst, kann sich kaum Helsen »wische» lkmS, Varzi» und Sigmaringcn, um sich Instructionen zu holen; der Erbprinz ist in den Alpen, der französische Geschäftsträger Lesouid sogt in Gegenwart de» österreichischen zum spanischen Ge- sandten, er werde abreisen, da Ni mand zum Verhandeln da sei. 12 Juli. BiSmarck will kommen, Aorlsckakow und Neuß komme« an. 13. Juli. Unterredung mit Bi'marck, der am 12. spät a»«
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